Das Schneckerl liest fremd: Das Einhorn 1-3

Das Einhorn Band 1: Der letzte Tempel des Asklepios von Mathieu Gabella/Anthony JeanSo richtiges Fremdlesen ist es mit Das Einhorn von Mathieu Gabella (Text) & Anthony Jean (Illustrationen) eigentlich nicht, denn dabei handelt es sich um waschechte Historienfantasy, allerdings fehlt der Comicserie noch ein Band zum Abschluss und erst dann gibt es eine Rezension dazu.

Das Medium ist in diesem Fall ein echter Gewinn, denn in keinem Comic, den ich bisher gelesen habe, sind Setting, Geschichte sowie Thema und künstlerische Umsetzung so gelungen miteinander verschränkt. Das beginnt schon bei den Covern, auf denen anatomische Studien à la Leonardo da Vinci das Hintergrundmotiv bilden. Tatsächlich spielt die Geschichte im Europa des 16. Jahrhunderts (vornehmlich in Italien, aber auch in anderen Ländern), Hauptfigur ist Ambrosius Paré, ein französischer Chirurg, der die Umwälzungen der Renaissance im wissenschaftlichen Bereich lebt: Anstatt aus den Schriften antiker Gelehrter bezieht er sein Wissen über den menschlichen Körper aus dem Sezieren von Leichen, dementsprechend wenig hält er auch von den Behandlungsmethoden der scholastisch gebildeten Mediziner. Sein Verhältnis zu den Angehörigen der Pariser medizinischen Fakultät ist folgerichtig von gegenseitiger Verachtung geprägt. Bei der Untersuchung eines grausamen Mordfalls in Paris gerät er unversehens in einen Konflikt zwischen zwei mächtigen Organisationen, bei dem es um nicht weniger als die Natur des Menschen selbst geht.

Das Einhorn Band 2: Ad Naturam von Mathieu Gabella/Anthony JeanDas historische Setting wird von einem Zeichenstil getragen, der den Panels ihren handwerklichen Aspekt belässt – was ich bei Comics besonders schätze – und der mit seinen zumeist warmen Grundtönen den historischen Charakter der Geschichte zusätzlich unterstreicht. Gleichzeitig fließt die Renaissance und deren Wissenschaft noch viel direkter in die Comics ein, indem Kreaturen ein handlungstragendes Element darstellen, die nach dem Vorbild der Körperstudien Leonardo da Vincis entworfen sind. Zusätzlich zum allgemein-tollen Eindruck des Zeichenstils bietet jeder Band noch ein besonderes optisches Schmankerl im Verlauf der Erzählung.

Man merkt also schon, Medizin und Wissenschaft spielen eine zentrale Rolle in dieser Comicreihe. Wer noch kein Hintergrundwissen zu Wissenschaft und Medizin hat, braucht sich aber nicht fürchten ( 😉 ), die wichtigsten Begriffe werden im Text erklärt und alle drei Bände liefern bandspezifische historische Infos am Schluss.

Überraschenderweise ist Das Einhorn kein Lobgesang auf die Errungenschaften “modernen” wissenschaftlichen Denkens, sondern sowohl das antik-scholastische Körper- und Wissenschaftsbild als auch das „modernere“ der Renaissance werden (auf unerwartete Weise) ernst genommen. Es werden aber nicht nur immer wieder historische medizinische Theorien und deren Vertreter in die Handlung eingeflochten, sondern auch mythologische Bestiarien (siehe Titel), und dieser Mix funktioniert erstaunlich gut. Hier und bei der daran anknüpfenden Verschwörungstheorie kommt endgültig das Fantasyelement der Reihe zum Tragen.

Eine kleine Warnung noch: Wie das Setting vielleicht erahnen lässt, sind manche Darstellungen doch sehr explizit und gerade im ersten Band gibt es viele brutale Szenen, in den späteren Bänden nimmt dies deutlich ab.

Drei von vier Bänden der Comicreihe sind bisher bei Splitter – in der verlagstypischen hochwertigen Aufmachung – erschienen:
Band 1: Der letzte Tempel des Asklepios (ISBN: 978-3-939823-75-9)
Band 2: Ad Naturam (ISBN: 978-3-939823-77-3)
Band 3: Die schwarzen Wasser von Venedig (ISBN: 978-3-939823-78-0)
Wer eine Kostprobe von Zeichenstil und Story haben möchte, der besuche die Seite des Verlags oder klicke hier (Leseprobe zum ersten Band).

2 Kommentare zu Das Schneckerl liest fremd: Das Einhorn 1-3

  1. Wurling sagt:

    Oh ja, Die Einhorn-Tetralogie ist wirklich eine klass Comic, zumindest die drei Bände, die bisher erschienen sind. Die Rezension deckt auch so ziemlich alles ab, was mir so daran gefällt. Schön. Die Verbindung aus Story, Hintergründen, Zeichnungen und Farben wird durch eine Erzählweise komplettiert, die mir sehr zusagt.

    @Fremdl
    Den dritten Band vom “Goldenen Jahrhundert” solltest du dir nicht entgehen lassen. Der gefällt mir noch besser als die ersten beiden Bände (und die fand ich ja auch schon richtig gut, sowohl zeichnerisch als auch erzählerisch).

  2. Fremdling sagt:

    @ Wurling: Freut mich, dass es dir als Kenner der Reihe auch gefällt!

    Und der dritte Band vom Goldenen Jahrhundert landet definitiv noch auf meinem SUB!

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