Tag: Sachbuch

Freunde der Abenteuergeschichten können frohlocken: nachdem Käferl bereits letztes Mal Gentlemen of the Road vorgestellt hat, geht es mit The Lost City of Z von David Grann auch heute wieder in abenteuerliche Gefilde.
Es geht um den brasilianischen Regenwald, verschollene Städte, macheteschwingende Abenteurer, kriegslustige Indios, Geheimagenten, entführte Millionäre, Schatzkarten und mysteriöse Schriftzeichen. Und das beste: es ist alles wahr. Auch wenn das für Indiana-Jones-Fans bedeutet, dass sie leider auf Aliens und atomgebombte Kühlschränke verzichten müssen.

Im Mittelpunkt des Buches steht Colonel Percy Harrison Fawcett, der letzte jener großen klassischen Entdecker, die sich ohne besondere Ausbildung und -rüstung aufmachten, die letzten weißen Flecken auf der Landkarte zu erforschen. Geboren 1867 in Torquay (ja, dem Torquay), ging er nach seinem Schulabschluss zum Militär, das ihn nicht nur als Offizier auf Sri Lanka und Malta stationierte, sondern auch als Spion nach Marokko schickte.
Ab 1906 erkundete er schließlich auf mehreren Expeditionen im Auftrag der Royal Geographical Society die im tiefsten Dschungel gelegenen Grenzgebiete Boliviens und Brasiliens. Von diesen Expeditionen brachte er drei Dinge heim:
Erstens einen reichen Abenteuerschatz für Vorträge, die ihm nicht nur ein nettes Zubrot einbrachten und ihn bekannt machten, sondern auch seinen Freund Arthur Conan Doyle zu dessen Roman Die vergessene Welt inspirierten.
Zweitens die Überzeugung unsterblich zu sein. Während um ihn herum etliche Expeditionsteilnehmer Krankheiten, Verletzungen, Schlangen und dem Hunger zum Opfer fielen, blieb er stets verschont. Legendär auch sein Umgang mit feindlich gesonnen Eingeborenen: wenn ihm die Giftpfeile links und rechts an den Ohren vorbei zischten, hob er die Hände, ging unerschrocken auf die Angreifer zu und rief immer wieder in verschiedenen Indiodialekten “Freund”. Et hätt noch immer joot jejange.
Und das dritte Mitbringsel: die Legende von der verschollenen Stadt Z. Gestützt auf Erzählungen der Ureinwohner, Berichte früher Conquistadoren und vereinzelte archäologische Funde, gelangte Fawcett zu der Überzeugung, dass es irgendwo tief im Urwald versteckt eine alte Kultur gäbe, die nie mit den westlichen Eroberern in Kontakt gekommen war. Doch ehe er sich auf die Suche machen konnte, kam es zur großen Katastrophe: der Erste Weltkrieg brach aus. Fawcett meldete sich freiwillig, zog für King and Country in den Krieg – und fortan ging es bergab. Traumatisiert kehrte er von den Schlachtfeldern Flanderns zurück, die RGS weigerte sich, die Suche nach ominösen verschollenen Städten zu unterstützen und zwei privatfinanzierte Expeditionen mussten nach kurzer Zeit abgebrochen werden. Langsam ging Fawcett das Geld und, viel schlimmer, die Zeit aus. Denn nicht nur war er mittlerweile Mitte 50, er musste auch fürchten, dass ihm der amerikanische Millionär Alexander Hamilton Rice mit seinen von neuster Technik unterstützten Amazonasexpeditionen die Entdeckung vor der Nase wegschnappte.
1925 unternahm Fawcett schließlich einen letzten Versuch. Finanziert von amerikanischen Zeitungen reiste er von Rio über São Paulo nach Cuiabá in Mato Grosso, von wo aus er mit seinem Sohn Jack und dessen bestem Freund Raleigh Rimmel (welch ein Name!) in den Dschungel aufbrach – und für immer verschwand.
Seither machten sich unzählige Abenteurer auf, Fawcett und seine verschollene Stadt zu finden. Erfolg hatte keiner von ihnen und viele teilten gar sein Schicksal.

Eine faszinierende Geschichte, der Grann immer wieder seine eigene Reise auf Fawcetts Spuren gegenüber stellt. Man hat zwar ab und an die Befürchtung, ob Grann das Ganze nicht ein wenig über den Kopf zu wachsen droht, da er obendrein auch noch Berichte von Conquistadoren und über die Rettungsexpeditionen einbaut, aber er bekommt doch immer noch einmal die Kurve und liefert ein gutgeschriebenes, unterhaltsames und vor allem lehrreiches Buch ab, an dessen Ende man die Idee einer untergegangenen Kultur im Amazonas selbst für gar nicht mehr so abwegig hält.

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The Lost City of Z ist 2009 als Hardcover bei Doubleday erschienen (ISBN: 978-0-385-51353-1, 352 S.), ein Taschenbuch gibt es von Simon & Schuster (ISBN: 9781847394439, 352 S.).
Die deutsche Übersetzung von Henning Dedekind ist als Die versunkene Stadt Z im Hardcover bei Kiepenheuer & Witsch (ISBN: 978-3-462-04199-6, 416 S., 19,95€) und als Taschenbuch bei Goldmann (ISBN: 978-3-442-15666-5, 416 S., 9,99€) erhältlich.

Über den Tellerrand

Wir Fantasy-Leser spielen immer gerne eine Runde “was wäre wenn?”, und diese Gelüste kommen voll auf ihre Kosten, wenn der britische Historiker Philip Matyszak fragt, was wäre, wenn es einen Karriereführer für einen angehenden Legionär im Jahr 100 n. Chr. unter Kaiser Traian gegeben hätte.
Legionär in der römischen Armee von Philip MatyszakBlut geleckt hat Matyszak, Autor etlicher Sachbücher über die Antike, wohl spätestens bei Rom für 5 Denar am Tag, einem ganz im Stil moderner Reiseführer gehaltenen Handbuch für einen Ausflug ins antike Rom, das eine Reihe von Nachfolgeprodukten anderer Autoren nach sich zog.
In Legionär in der römischen Armee wird die Fiktion weiter vertieft: Man erfährt hier alles, was einen angehenden Soldaten interessieren könnte: Wer ist überhaupt tauglich? Welche Legionen gibt es, was sind ihre Vor- und Nachteile? Mit welchen Feinden hat man zu rechnen? Was für eine Ausrüstung ist zu besorgen? Konsequenterweise lautet die letzte gestellte Frage denn auch: Was könnte ich auf meinen Grabstein schreiben lassen?

Aus kuriosen Fakten und prägnanten Zitaten wird ein umfassender Überblick über das Leben in einer römischen Legion zusammengestellt. Zwischen den hemdsärmeligen und spritzigen Erläuterungen, etwa zu dem Thema, dass man als Legionär viel häufiger eine Schaufel als ein Gladius in der Hand haben wird, versteckt sich auch einiges Geschichtswissen, allerdings eher quer über das Buch verstreut als systematisch geordnet. Legionär in der römischen Armee gibt keinen tiefgreifenden Einblick über historische Zusammenhänge, vielmehr geht es um ‘soft facts’ und damit manchmal sicher ins Spekulative, wodurch das Buch um so mehr in die Grauzone zwischen Sachbuch und Fiktion einzuordnen ist. Einen stimmigen und detailreichen Ausschnitt aus der Alltagskultur bekommt man aber definitiv zu sehen.

Nun gibt es viele Bücher über die römische Armee, aber wenn man nur eines lesen möchte, sollte es dieses sein, denn der augenzwinkernde, humorvolle Stil unterhält über die 200 Seiten hinweg so hervorragend, dass man am Ende zu der Ansicht kommen könnte, der Autor hätte sich die ein oder andere Nacht mit sieben Stubenkameraden im papilio um die Ohren geschlagen.
Beispiel gefällig? Für Freunde von Das Leben des Brian ein Zitat aus der Darstellung des “assymetrischen Widerstands” der Juden:

Die Juden haben eine lange Tradition rabbinischer Gelehrsamkeit, und viele kennen ihre eigenen wie auch die kaiserlichen Gesetze im Schlaf. Das Ergebnis ist ein richtiger Strom von Gesandtschaften zum Kaiser, die ihm echte und vermeintliche Regelverletzungen bis ins Detail vortragen, während gleichzeitig eine große und rührige Guerilla die Armee auf dem flachen Land piesackt.

Besonders viel Spaß machen auch die unzähligen Geschichten, die in den Details stecken, beginnend mit der fälligen Anreise neuer Rekruten zum letztendlichen Standort der Legion, der offiziellen und inoffiziellen Hackordnung innerhalb der Truppen, bis hin zum schieren Irrsinn langjähriger Belagerungen mit variantenreichen Unterhöhlungsaktivitäten feindlicher Mauern und dem beinahe langweiligen Alltag des Legionärslebens, wenn die bloße Anwesenheit der Legion feindliche Aktivitäten eigentlich schon im Keim erstickt.
Lebendige kulturgeschichtliche Details in origineller Verpackung und dennoch durchaus mit Quellenmaterial (des öfteren auch in Bildform) untermauert – das macht vielleicht keine Lust, sich sofort freiwillig zum Dienst zu melden (vor allem nicht, wenn man von so erbaulichen Strafmaßnahmen wie dem Dezimieren erfahren hat), aber auf mehr Lektüre dieser Art durchaus. Gibt es auch, denn inzwischen ist auch ein ritterlicher Karriereführer als Me-too-Produkt auf den Markt gekommen. Hat man da mal reingelesen, weiß man um so mehr, was man an Matyszak und seinem erfrischenden Stil hat: Bitte greifen Sie zum römischen Original! 😉

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    Legionär in der römischen Armee. Der ultimative Karriereführer
    ISBN: 978-3-89678-822-1
    2010, 224 S., mit Karte, Glossar und Tipps für weiterführende Literatur
    Original: Legionary. The Roman Soldier’s (Unoffical) Manual
    Der Nachfolger “Gladiator” vom selben Autor ist noch nicht auf Deutsch erschienen.
    zur Leseprobe

Über den Tellerrand

Zehn Jahre ist es heute her, dass Douglas Adams, hoopiger Frood und Verfasser von Doktor-Snuggles-Folgen, aufhörte, sich nach den Fjorden zu sehnen, statt gegen einen Eimer auf ein Laufband trat und sich in einen Ex-Autor verwandelte.
Anlass genug, in diesem Blog eines von Adams Büchern vorzustellen. Nein, nicht das mit dem Handtuch und dem depressiven Roboter. Auch nicht das mit dem holistischen Detektiv und dem Pferd im Bad.
Sondern das, welches Adams selbst als sein bedeutendstes bezeichnete:

Die Letzten ihrer Art

Alles begann 1985, als das britische Magazin The Observer dem erfahrenen Zoologen und Naturschützer Mark Carwardine einen absolut unerfahrenen und unwissenden Nichtzoologen – eine Rolle, für die Adams absolut qualifiziert war – zur Seite stellte und die beiden in den madagassischen Urwald schickte. Dort sollten sie den Aye-Aye, einen ebenso seltenen wie hässlichen Lemur, aufspüren.
Die Chemie zwischen den beiden Hominiden (der Lemur blieb eher auf Distanz) stimmte, und so begann man das nächste gemeinsame Projekt zu planen: Adams markierte auf einer Weltkarte die Orte, an die er gerne einmal Reisen würde, Carwardine die, wo Arten vom Aussterben bedroht waren – und jene Orte, an denen sich beides zufällig überschnitt, landeten auf der To-Go-Liste.

1988 war es dann so weit, Adams und Carwardine, im Schlepptau ein Team von BBC Radio, begaben sich auf eine einjährige Weltreise. Sie begegneten nachdenklichen Berggorillas, lebenden Drachen, den bedauernswerten Yangtse-Delphinen, einem Termitenhügel, der aus der Ferne wie ein Breitmaulnashorn aussah, einem Experten für giftige Tiere, der diese eigentlich überhaupt nicht leiden kann (mit einer Ausnahme – aber die hat ihn verlassen) und natürlich: dem Kakapo, einem neuseeländischen Papagei, der nicht nur vergessen hat, wie man fliegt, sondern auch vergessen hat, dass er dies vergessen hat.

Das Ergebnis dieser Reise war nicht nur eine Ende ’89 ausgestrahlte Radioserie, sondern auch ein im folgenden Jahr erschienenes Buch, das Adams über die Reise und seine Abenteuer geschrieben hatte.

ein aviärer Subwoofer, (cc) Markus Nolf

Bravourös gelingt ihm der Mix aus Humor und Nachdenklichkeit: im einen Moment amüsiert man sich noch über Zaire’sche Zollbeamte, im nächsten steht man ehrfurchtsvoll einem Berggorilla gegenüber. Lachte man gerade noch über die Versuche, in China ein Kondom zu kaufen, mit dessen Hilfe der Geräuschpegel im Yangtse aufgezeichnet werden soll, so bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn man mit dem Ergebnis der Aufnahme konfrontiert wird. Und was den Kakapo betrifft, so weiß man eh nicht, ob man lachen oder weinen soll.

Dass der englische Originaltitel Last Chance To See leider nur zu treffend gewählt war, stellte sich 2008 heraus, als Carwardine die Reise mit Adams gutem Freund Stephen Fry wiederholte: durch Wilderer und Bürgerkrieg sind die letzten freilebenden Nördlichen Breitmaulnashörner 2006 umgekommen, und auch der Yangtse-Delphin gilt seit 2007 als ausgestorben.
Besser erging es jedoch dem Kakapo. Während die Population 1985 noch auf rund 22 Tiere geschätzt wurde, hat sie sich mittlerweile auf 122 erhöht – auch Dank der vom Buch geschaffenen Publicity.

(Nicht nur) aus diesem Grunde: So long, Douglas, and thanks for all the parrots.

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Die Letzten ihrer Art wurde in Deutschland bei Heyne veröffentlicht (ISBN 978-3-453-06115-6, 272 S.), die englische Ausgabe, Last Chance To See, ist bei Arrow erschienen (ISBN 009953679X, 42*5+14 S.)
Die gleichnamige TV-Doku mit Mark Carwardine und Stephen Fry ist bei der BBC auf DVD erhältlich.

Wer Douglas Adams mit all seinem Witz und seiner Leidenschaft erleben möchte, dem sei sein Vortrag Parrots, the Universe and Everything wärmstens ans Herz gelegt.

Über den Tellerrand