Bibliotheka Phantastika Posts

Da der Umzug der alten Rezensionen nun abgeschlossen ist, möchten wir neuen Inhalten in Zukunft etwas mehr Aufmerksamkeit in den grünen Hallen zukommen lassen. Dadurch erhaltet ihr außerdem die Möglichkeit eure eigene Meinung zu dem besprochenen Buch, der Rezension selbst oder dem Autor (im Falle eines Portraits) mit anderen Lesern zu teilen.
Den Anfang machen wir heute mit einer neuen Rezension zu den Abenteuern von Privatdetektiv Harry Dresden: Grave Peril (Grabesruhe)

Grave Peril von Jim ButcherIm dritten Fall von Privatdetektiv Harry Dresden spukt es heftig. In ganz Chicago tauchen randalierende Geister auf, die das Leben der Menschen bedrohen. Harry Dresden und sein inzwischen befreundeter Kollege Michael machen sich daran, die Ursache für die plötzlich aggressiven Verhaltensmuster der Geister herauszufinden. Die Antwort führt sie allerdings weit weg von der Welt der Geister und treibt sie unweigerlich in die Arme nach Rache dürstender Vampire.

Neue Inhalte

Das eab freut sich, euch verkünden zu können, dass der Umzug der Rezensionen aus der alten Bibliotheka Phantastika seit dem letzten Update abgeschlossen ist. Es war eine große Aufgabe, die uns das ganze erste Jahr hindurch begleitet hat. Wir haben den gesamten alten Bestand gesichtet, bewertet und gegebenenfalls umgezogen.
Per Mail, in unserem Forum und anderswo gab es immer wieder Beschwerden über die deutlich verringerte Anzahl der Rezensionen. Es lässt sich nicht leugnen, dass wir ordentlich ausgemistet haben – für die Freunde der Statistik haben wir sogar ein paar Zahlen gesammelt:
Von den 2.388 alten Rezensionen haben wir 325 abgestaubt und in die Umzugskisten gepackt. 108 sind inzwischen neu hinzugekommen, so dass wir insgesamt derzeit 433 Rezensionen zu bieten haben. Ein Teil der alten Rezensionen ist bereits aufgrund ihrer Kürze durchs Raster gefallen. So hatten 700 der alten Rezensionen weniger als 190 Wörter und sind daher ausgeschieden, wenngleich wir auch die ein oder andere aufgespürt haben, die uns in ihrer Kürze und Knackigkeit überzeugt hat und trotzdem in der neuen bp gelandet ist. Wäre das hier eine Rezension mit 190 Wörtern, dann wäre an dieser Stelle übrigens Schluss.


So schnell wollen wir aber unsere Herkulesaufgabe nicht unter den Tisch fallen lassen 😉 , deswegen gibt es noch ein wenig Anschauungsmaterial: Die kürzeste Rezension in der alten bp hatte nur 57 Wörter. Die Kürze mag zwar ein gut prüfbarer formaler Grund sein, doch ihr seht schon, die meisten Rezensionen – über 1300 – sind nicht für den Umzug in Frage gekommen, weil wir nicht den Eindruck hatten, dass sie aussagekräftig genug waren oder dem rezensierten Werk gerecht wurden. Diese Radikalkur hat längst nicht nur frühere Gastrezensenten getroffen, so haben es auch von den ehemals 303 mistkaeferl-Rezis 225 nicht in die neue bp geschafft.

UmzugshelferWir glauben, dass unsere Entscheidung für Klasse statt Masse auf lange Sicht zu einem anfangs vielleicht kleinen, aber stetig wachsenden Fundus an informativen Rezensionen führen wird, die euer Leseleben hoffentlich mit vielen Anregungen verschönern und euch ein paar Anhaltspunkte in der unübersichtlichen Vielfalt der Publikationen liefern. Der bewusste Verzicht auf viele der Werke, zu denen man bei der alten bp eine Meinung abrufen konnte, ist uns nicht immer leicht gefallen – mindestens drei eab-Mitglieder haben jeden der alten Beiträge begutachtet und besprochen. Letzten Endes waren wir alle der Meinung, dass wir euch durch die Konzentration auf die besten Rezensionen unterm Strich mehr bieten können als vorher und jedes Buch in der bp es auch Wert ist, aus dem virtuellen Regal gezogen zu werden.
Wir haben euch wöchentlich mit neuen Rezensionen versorgt, und dies wird auch in Zukunft so bleiben, von nun an allerdings in anderer Form: Anstatt die neuen Rezis alle im Sonntagsupdate zu präsentieren, werden wir euch in Zukunft mit einem kurzen (und kommentierbaren) Teaser im Blog auf unsere neuen Inhalte hinweisen.

Unseren Rezi-Spediteuren wird auch in nächster Zeit nicht langweilig werden, denn nun beginnt das Projekt “Qualitätssicherung”, mit dem wir den technischen Tücken und dem Detailteufel den Kampf ansagen und außerdem unsere Einzelseiten auf dem neuesten Stand halten wollen. Wenn ihr beim Surfen auf unseren Seiten etwas erspähen solltet, das ein Einschreiten des Q-Teams nötig macht, zögert bitte nicht, es uns im Forum oder per Mail an eab@bibliotheka-phantastika.de mitzuteilen.
Und wir legen nun einmal kurz die ermüdeten Füße hoch und lesen was Schönes, zu dem ihr bestimmt demnächst an dieser Stelle eine Rezension vorfinden werdet!

Neue Inhalte

Cover von The Darkness That Comes Before von R. Scott BakkerBibliotheka Phantastika gratuliert R. Scott Bakker, der heute 45 Jahre alt wird. Als 2003 The Darkness That Comes Before, der erste Band der Trilogie The Prince of Nothing, des am 02. Februar 1967 in Simcoe in der Provinz Ontario in Kanada geborenen Richard Scott Bakker erschien, war bereits in vielerlei Hinsicht zu erkennen, was in den Folgebänden The Warrior-Prophet (2004) und The Thousandfold Thought (2006) noch deutlicher werden sollte: dass mit Bakker ein Autor die Bildfläche betreten hat, der sich nicht damit zufrieden gibt, die altbekannten und bewährten Erzählmuster und Topoi der Epischen Fantasy in gewohnter Weise zu benutzen, sondern sich ihrer bedient, um Grenzen zu verschieben und das Genre um neue Facetten zu bereichern (etwas, das beispielsweise auch George R.R. Martin und Steven Erikson zuvor schon getan haben).
Vordergründig erzählt The Prince of Nothing die Geschichte eines Kreuzzugs, mit dem die Königreiche der Inrithi den heidnischen Fanim die heilige Stadt Shimeh wieder entreißen wollen. Und natürlich die Geschichte des Dûnyain (eine Art Kriegermönch) Anasûrimbor Kellhus, der die Menschen um ihn herum dank seiner Kenntnisse über die menschliche Psyche auf einzigartige Weise zu manipulieren versteht. Außerdem spielt die befürchtete, sich mehr und mehr abzeichnende Rückkehr des No-God, die die Welt in den Untergang reißen würde, eine Rolle. Hintergründig geht es in der Trilogie (die – anders als die Werke Martins oder Eriksons – mit einem vergleichsweise kleinen Figurenensemble auskommt) allerdings um so existenzielle Fragen wie etwa die nach der Selbstbestimmung des Menschen. Dass Bakker die Welt, in der seine Protagonisten ebenso häufig mit ihren eigenen Schwächen, Wünschen und Ängsten wie mit ihren Gegnern ringen, überaus düster, brutal und vor allem auch erschreckend frauenfeindlich entworfen hat, hat zweifellos ebenso dazu beigetragen, dass The Prince of Nothing und die beiden bisher erschienenen Bände der Folge-Trilogie The Aspect-Emperor (The Judging Eye (2009) und The White-Luck Warrior (2011)) zu den am kontroversesten diskutierten Fantasywerken der letzten zehn Jahre gehören, wie Bakkers – vorsichtig formuliert – deprimierendes Menschenbild (wobei er sich auf eine bestimmte Interpretation neurowissenschaftlicher Erkenntnisse stützt). Unstrittig ist allerdings, dass Bakker zusammen mit George R.R. Martin und Steven Erikson das Dreigestirn bildet, das momentan den state of the art der Epischen Fantasy repräsentiert, auch wenn die jeweiligen Werke sich grundlegend unterscheiden.
Eine einigermaßen sinnvolle Einschätzung von Bakkers Oeuvre und dessen Bedeutung für bzw. Einfluss auf die Fantasy wird erst dann möglich sein, wenn das in seiner Gesamtheit als The Second Apocalypse betitelte Werk komplett vorliegt. The Unholy Consult, der dritte Band der Aspect-Emperor-Trilogie, soll Ende 2012 erscheinen; danach wird voraussichtlich eine dritte Trilogie folgen, die die Geschichte um Anasûrimbor Kellhus und den No-God zum Abschluss bringen wird.
Auf Deutsch sind – unter dem Reihentitel Der Krieg der Propheten – bisher die ersten drei Romane erschienen: Schattenfall (2006), Der Prinz aus Athritau (2007) und Der tausendfältige Gedanke (2008). Was weitere Übersetzungen angeht, stehen die Zeichen eher nicht gut. Bakkers Romane werden zwar im angloamerikanischen Raum in bestimmten Foren gerne und ausgiebig diskutiert, große Verkaufserfolge sind sie allerdings bisher nicht. Und auch in Deutschland scheint man mit den Verkaufszahlen nicht sonderlich zufrieden gewesen zu sein.

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I am Legend von Richard MathesonSeit der sintflutartigen Welle glitzernder, schmachtender und moralisch übermenschlich guter Herzschmerzvampire, die softer sind als Butter in der Sonne, hat das Image des blutdurstigen Vampirs ein klein wenig an Glaubhaftigkeit verloren. Als willkommene Abwechslung zu dieser neuen Generation Spitzzähnchen möchten wir euch in diesem Monat daher ein Buch mit eher klassisch animalischen Vampiren ans Herz legen: I am Legend (Ich bin Legende) von Richard Matheson.
In diesem dünnen Roman erlebt der Leser auf eindringliche Weise den täglichen Überlebenskampf von Robert Neville in einer Welt, in der dieser der letzte nicht infizierte Mensch ist.

Ganz der typische Vampir (ich beiße dich, du wirst auch zum Vampir) findet sich in I am Legen nicht unbedingt, denn das Buch liefert eine eher wissenschaftlich-biologische Erklärung für die Übertragung der Infizierung, die ohne den obligatorischen Biss eines mythischen Wesens auskommt. Ebensowenig ist Robert Neville der klassische Vampirjäger à la Van Helsing, denn auch wenn er sich des Tags auf Vampirjagd begibt, ist er doch vor allem eines: allein. Davon einmal abgesehen sind Richard Mathesons Vampire jedoch deutlich auf Blut fokussiert, basieren auf traditionellen Fakten wie der Verwundbarkeit durch Sonnenlicht, einer Abneigung gegen Knoblauch und vermögen einem in einer ungewöhnlichen Endzeit-Story echte Schauer über den Rücken zu jagen. Für uns ein Klassiker der Science-Fiction, den man nicht missen sollte. Auch – und gerade dann – nicht, wenn man die Verfilmung mit Will Smith gesehen hat, die erstens nicht mit der dichten Atmosphäre des Romans mithalten kann und zweitens durch einige Abänderungen (besonders des Endes) das fundamentale Thema des Buches untergräbt.

I am Legend (ISBN 978-1-85798809-3) liegt unter dem Titel Ich bin Legende (ISBN 978-3453501553) auch in deutscher Übersetzung vor.

Buch des Monats

Mit einer schamlos bei Arte geklauten Aktion unterbrechen wir das laufende Programm und präsentieren euch: einen Kurzfilm.

Genauer gesagt handelt es sich um The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore von William Joyce und Brandon Oldenburg aus dem Jahr 2011, nominiert für den diesjährigen Oscar in der Kategorie “Best Animated Short Film”.

Jedem Bücherfreund müsste bei diesem netten kleinen Filmchen eigentlich das Herz auf gehen. Ganz zu schweigen vom Buster-Keaton-Freund. Und dem Hurricane-Freund. Soll es ja auch geben.
Aber in erster Linie geht es um Bücher. Um die Liebe zu ihnen und auch die Liebe, die sie einem zurück geben, wie sie einem Halt in schweren Zeiten geben, wie sie dem grauen Alltag Farbe verleihen… ach, schaut einfach selbst:

Zettelkasten

neue Rezension:
Lobgesang auf Leibowitz (Walter M. Miller jr.) rezensiert von Colophonius

aus der alten BP umgezogene Rezensionen:
Lord of Snow and Shadows (Sarah Ash) rezensiert von raven
The Darkness That Comes Before (R. Scott Bakker) rezensiert von Rhaegar
Der Ruf des Reihers (Lian Hearn) rezensiert von Lena
Die Zwerge (Markus Heitz) rezensiert von Dworkin
Die Trolle (Christoph Hardebusch) rezensiert von raven
The Last Guardian of Everness (John C. Wright) rezensiert von mistkaeferl
Das Buch des Sturms (James Clemens) rezensiert von mistkaeferl
Herr Apropos von Nichten (Peter David) rezensiert von mistkaeferl
Feuerbringer (Laura Resnick) rezensiert von mistkaeferl
Kushiel’s Dart (Jacqueline Carey) rezensiert von mistkaeferl

Neue Inhalte

Bibliotheka Phantastika gratuliert Matthew Woodring Stover, der heute 50 Jahre alt wird. Während Stover mit seinen durchaus eigenwilligen Star-Wars-Romanen und seinem Debut Iron Dawn (1997) und der Fortsetzung Jericho Moon (1998) ins Deutsche übersetzt wurde (Eiserne Dämmerung (2001), und Mond über Jericho (2002)), war seine weitaus ambitioniertere Reihe Acts of Caine, von der in diesem Frühjahr der vierte Band Caine’s Law erscheinen wird, deutschen Verlagen bisher wohl zu ungewöhnlich: Die mit Heroes Die (1998) beginnende Saga um den Schauspieler Hari Michaelson bzw. sein Alter ego Caine konfrontiert Leser und Leserinnen mit einem Genre-Mix, Stilwechseln, philosophischen Überlegungen, brutalen Szenen und unbequemen Fragen.
Mehr über den Autor und sein Werk haben wir in unserem extra fürs Jubiläum frisch aufgehübschten Portrait zusammengetragen und belassen es an dieser Stelle bei einem Zitat des Elfenprinzen Deliann Mithondionne aus Blade of Tyshalle (2001), bei dem eigentlich jedem Genre-Fan das Herz aufgehen müsste:

It is the greatest gift of my people, that we can bring our dreams to life for other eyes. Fantasy is a tool; like any tool, it may be used poorly or well. At its best, Fantasy reveals truths that cannot be shown any other way.

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Lewis Carroll (eigentlich Charles Lutwige Dodgson), der am 27. Januar 1832 in Daresbury, Cheshire, England geboren wurde und heute seinen 180. Geburtstag feiern würde.
Carrolls zweifellos wichtigster Beitrag zur Phantastik ist der Klassiker Alice’s Adventures in Wonderland (1865, dt. Alice im Wunderland (erstmals 1869), der ihn zum erfolgreichsten Kinderbuchautor des viktorianischen England machte. Die skurrilen Abenteuer mit der Grinsekatze, dem weißem Kaninchen und dem Hutmacher im verschrobenen Wunderland wurden von John Tenniel kongenial illustriert und haben immer wieder Adaptionen für verschiedene Medien erfahren. Ihren zweiten Auftritt hatte Alice 1871 in Through the Looking-Glass, and What Alice Found There (dt. Alice hinter den Spiegeln (erstmals 1923)).
Carroll verfasste außerdem phantastische Nonsensgedichte, von denen die Ballade The Hunting of the Snark (1976, dt. Die Jagd nach dem Schnatz, erstmals 1968)) das Berühmteste ist, und auch ein Handlungsstrang des Romans Sylvie und Bruno (1889, dt. Sylvie und Bruno, komplett mit Fortsetzung erstmals 2006)) spielt in einer Märchenwelt und kann mit den Reimen und den Absurditäten aufwarten, die Carrolls Markenzeichen sind. Die Fortsetzung Sylvie and Bruno Concluded (1893) war der letzte Roman, den Lewis Carroll vor seinem Tod am 14. Januar 1898 veröffentlichte.
Carrolls hier genannte Werke liegen jeweils in mehreren, oft stark unterschiedlichen Übersetzungen vor.

Wer zur Feier des Tages einen Ausschnitt aus Carrolls Schaffen genießen will, kann dies zum Beispiel mit Donovans Vertonung des Jabberwocky-Gedichts aus Through the Looking-Glass tun:

Reaktionen

Kurzgeschichten können Keimzellen von Romanen sein, oder etwas völlig anderes als Romane, ein erster Ort zum Austoben und Veröffentlichen für Autoren, und für manche sind sie auch langfristig die Form, in der sie am besten glänzen können (man denke an Stephen King oder Neil Gaiman). Bei den großen Publikumsverlagen finden phantastische Kurzgeschichten allerdings  von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht statt, und das, obwohl sie eigentlich hervorragend zur angeblich verkürzten Aufmerksamkeitsspanne der modernen Leserschaft passen sollten.
Es gab und gibt zwar Versuche, auch in Deutschland Magazine mit einem Fokus auf Kurzgeschichten einzuführen (z.B. die Pandora), und kleine Verlage, Zines und Internetseiten bieten eine gewisse Plattform dafür; eine große Rolle spielen sie bislang in der Fantasy-Rezeption allerdings nicht.

Da in unserem eab Kurzgeschichten durchaus geschätzt werden, wollen wir euch in nächster Zeit immer wieder Hinweise auf interessante, lesenswerte Geschichten geben. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Phantastik- und SF-Kurzgeschichten, denn die klassische Fantasy ist in der kurzen Form häufig nicht stark vertreten und noch seltener gelungen.
Wir wünschen euch viel Spaß und hoffen, euch zur ein oder anderen Entdeckung verhelfen zu können!

1. Ted Chiang: Liking What You See: A Documentary
Ted Chiangs Erzählung spielt in der ferneren Zukunft, wo es mittels ungefährlicher Manipulation des Gehirns möglich ist, Diskriminierung aufgrund des Aussehens “abzuschalten”, indem die Assoziation eines Gesichtes mit Schönheit oder Hässlichkeit verhindert wird. Oder zumindest dreht sich die fiktive Dokumentation darum, ob dieses Ziel mit Hilfe eines technischen Eingriffs erreicht werden kann (oder sollte) und wie die Menschen darauf reagieren. Schauplatz der Doku ist ein Campus, auf dem diese Manipulation eingeführt werden soll, und verblüfft mit der Vielfalt an Meinungen, Argumentationen und Assoziationen, die zu diesem Thema vorgebracht werden, manche klischeehaft, manche überraschend und radikal, viele sehr persönlich und alle bringen einen zum Nachdenken. Man sieht sich bald hineingezogen in diesen Konflikt zwischen Freiheit und Diskriminierung, Befreiung und Unterdrückung. Neben dieser philosophischen Ebene klingen auch ganz konkrete politische und wirtschaftliche Aspekte an und in den fiktiven Interviews und Nachrichtentexten entfalten sich einige Narrative, die für einen Spannungsbogen sorgen. (Fremdling)
In: Chiang, Ted: Stories of Your Life and Others. Tor Books 2004, S. 283-324.
Eine deutsche Übersetzung ist in Pandora 2. Das Magazin für internationale Science Fiction & Fantasy zu finden.

2. David Gerrold: Report from the Near Future: Crystallization
Um die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben, zunächst eine kleine Info über den Autor: David Gerrold hat die Tribbles-Folge für Star Trek geschrieben. Noch Fragen?
In Crystallization macht er allerdings ernst – wir verfolgen aus einer nüchternen nachträglichen Beobachterposition eine Art “end of the world as we know it”, das sich im Kollaps des Verkehrsnetzes von Los Angeles anbahnt: Der Verkehrsfluss kristallisiert aus. Nichtige Ursachen führen zu immer größeren Wirkungen, erst im Nachhinein, im vorliegenden Bericht, kann nachvollzogen werden, was womöglich schief gelaufen ist. Während der distanzierte, beinahe dokumentarische Stil der Geschichte, in dem der Autor besonders zu Beginn viele – dem LA-Fremden weitgehend unbekannte – Straßennamen abspult, nicht sonderlich ins Geschehen hineinzieht, sind es die katastrophalen Abläufe und ihre Unaufhaltsamkeit, die ihre Faszination ausmachen.
Crystallization zeigt die Anfälligkeit unserer vielfach ineinander verzahnten Systeme (und das Verkehrssystem kann man symbolisch sehen, auch wenn Gerrold die Kritik am Auto-Wahn durchaus ein Anliegen ist), die vor dem Hintergrund von Fortschrittglauben und Machbarkeitsphantasien vielleicht lächerlich wirken, aber bei Katastrophen wie Fukushima schmerzlich real werden. (mistkaeferl)
In: Savile, Steven/Konthis, Alethea (Hgg.): Elemental. The Tsunami Relief Anthology, Tor Books 2006, S. 19-35; 2011 als eBook: Crystallization

3. Terry Pratchett: Troll Bridge
Und es gibt sie doch, die Klassische-Fantasy-Kurzgeschichte. Oder zumindest was Terry Pratchett daraus macht. Aber hey, es gibt Trolle und einen Barbaren, das ist doch zumindest etwas, oder?
Die Handlung ist typisch Sword-and-Sorcery: Ein einsamer Held zieht, tapfer den Elementen trotzend, seiner letzten großen Aufgabe entgegen, nämlich einen Troll im heldenhaften Zweikampf zu besiegen.
Natürlich driftet dieses Grundgerüst in Pratchetts Händen schnell ins Absurde ab: Cohen der Barbar, der Held, hat Rücken, sein Pferd wäre viel lieber in wärmeren Gefilden und der Troll leidet unter seiner nörgelnden Ehefrau.
Doch was für mich das gewisse Etwas dieser Geschichte ausmacht ist, dass es Pratchett nicht, wie in seinen frühen Romanen, bei einer reinen Parodie belässt, sondern der Geschichte auch eine gewisse melancholische Note verleiht. Hier treffen sich zwei Angehörige einer untergehenden Welt: die alten düsteren Wälder aus Cohens Jugend müssen Ackerland weichen, die jungen Trolle ziehen lieber in die Stadt, anstatt wie ihre Väter unter Brücken zu leben und auch Frau Troll liegt ihrem Mann in den Ohren, er solle doch lieber im Sägewerk seines Schwagers arbeiten.
“What’s wrong with being a troll under a bridge?” he said. “I was brought up to be a troll under a bridge. I want young Scree to be a troll under a bridge after I’m gone. What’s wrong with that? You’ve got to have trolls under bridges. Otherwise, what’s it all about? What’s it all for?” (maschine)
Zuerst erschienen in: Greenberg, Martin H. (Hrsg.): After the King. Stories In Honour of J.R.R. Tolkien, Tor Books 1991.
Deutsch als Troll Dich in: Andersson, Melissa (Hrsg.): Das große Lesebuch der Fantasy, Goldmann 1995. (In anderen Anthologien auch als Die Trollbrücke)

Eselsohr

Mord mit zwei Stück Zucker
Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto ITooth hatte anscheinend das Jagdfieber gepackt, vielleicht war es auch ein unbewusstes Überbleibsel des unterdrückten Blutrausches, jedenfalls rief er nach seinem riesenhaften Assistenten mit dem Sonnenschirm, kaum dass ich die Türen geöffnet hatte. Ohne auf diesen zu warten, marschierte er schnurstracks auf den Ausgang der Pathologie zu, sodass ich mir ernsthaft überlegte, ihm eine Leine anzulegen.
Zu dritt traten wir ins Freie – es regnete in Strömen und ich wollte mich unter den barocken Sonnenschirm flüchten. „Bleiben Sie mir bloß vom Leib, Whiskers, der Regen macht es schon schwer genug, da brauche ich nicht auch noch Sie mit Ihrem Whiskey-, Zigarren- und Knoblauchgestank, vor dem sich selbst Untote wieder in die Erde verkriechen würden.“
Ich schlug den Mantelkragen hoch, zog den Hut tiefer ins Gesicht und folgte dem Sonnenschirm zum Tatort, wo nichts mehr davon zeugte, dass wir uns an dem Ort eines Verbrechens befanden. Ich blieb stehen und beobachtete Tooth, wie er die nähere Umgebung lautstark schnüffelnd abging. Während mir der Regen in den Mantelkragen tropfte und eiskalt den Nacken hinunterrann, wartete ich darauf, dass er anschlug, eine Vorstellung, die mich trotz des Wetters grinsen ließ. Tatsächlich stürmte er plötzlich mit einem triumphalen Ausruf eine Gasse entlang, sodass selbst sein Sonnenschirmboy kaum hinterherkam.

Tagebuch einer Mörderin:
Ein konstantes Zwicken erinnerte mich daran, dass ich aufgeschmissen war. Ein winziger Schnitt für mich, eine unfehlbare Spur für die Ermittler. Hochmut kommt vor dem Fall. Ich lachte in meinem stillen Zimmer auf. Ein trockenes, humorloses Lachen.
Der Sekundenzeiger der Uhr tickte stetig vor sich hin, klick-klack, klick-klack. Wie lange würde es noch dauern, bis sie mich gefunden hätten?
Ich hatte darüber nachgedacht zu fliehen. Die Stadt zu verlassen, besser noch das Land. Doch wohin konnte ich schon gehen? Es gab kein Versteck für mich. Die Ermittler hatten einen Vampir in ihren Reihen und mit nur einem einzigen Tropfen Blut von mir … Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto Jnun. Jeder wusste, wozu ein Vampir in der Lage war. Er hätte meine Spur bis in den Himalaya verfolgen können.
Als diese Erkenntnis erst einmal den Schock über meine dumme, sehr dumme Unachtsamkeit ersetzt hatte, machte sich schließlich Akzeptanz in mir breit. Ich wartete. Mein Blick huschte immer wieder zum Fenster hinaus auf die Straße, so wie er es schon zum hundertsten Mal in den vergangenen Stunden getan hatte. Und dann, schließlich, nach einer endlos scheinenden Wartezeit, sah ich sie kommen. Eine dreiköpfige Gruppe näherte sich mit schnellen Schritten meinem Wohnhaus. An der Spitze ein blasser Kerl in altmodischem Mantel, der seine Nase mit einem Ausdruck von Jagdfieber in den Augen genüsslich in den Wind reckte, hier und da stockte, nur um dann zielsicher einen abrupten Richtungswechsel zu vollziehen. Dicht bei ihm bewegte sich ein Hüne mit einem absurd lächerlichen Sonnenschirm in der Hand, stets darauf bedacht, keinen noch so flüchtigen Sonnenstrahl in die Nähe seines Meisters kommen zu lassen. Der Anblick des mit Rüschen besetzen Schirms ließ mich erneut auflachen.
Den beiden grotesken Figuren folgte eine weitere Gestalt dichtauf. Ein langer, abgetragener Mantel flatterte bei jedem Schritt um seinen hageren Körper. Den Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen, so erkannte ich nur ein Paar grimmiger
Mundwinkel, aus denen eine leicht abgeknickte Zigarette heraushing.
In wenigen Sekunden würden sie die Tür erreicht haben. Ich ließ meinen Blick zu dem gerahmten Cover meines Opfers wandern. Es wäre alles anders gekommen, wenn ich diesem Buch bloß nie begegnet wäre.
Ich hörte gedämpfte Stimmen vor der Tür und ein nervöses Schnüffeln. Es war soweit, ich war bereit.

***

Wir waren vor einer unauffälligen Wohnungstür in einem biederen Wohnhaus angekommen – die schmucke Fassade, hinter der sich nur allzu oft die Fratze des Verbrechens verbarg. Angewidert blickte ich auf die Fußmatte, die uns mit einem freundlichen “Willkommen” grüßte. Mit einem beherzten Schritt trat ich darauf, hinterließ Schmutz- sowie Wasserflecken und hob die Hand, um an die Tür zu klopfen. “Wollen Sie nicht ihre Waffe ziehen, Whiskers?”, flüsterte Tooth direkt hinter mir, ich ignorierte ihn – diese Art von Verbrecher steht nicht mit gezückter Pistole hinter der Tür, sie sind viel gefährlicher – und klopfte. Ein kühl-gefasstes “Herein” war durch das Holz der Tür zu hören und wir traten ein. Mein Blick fiel sofort auf die junge, zierliche Frau mit der Tasse Tee neben sich und danach auf den Bucheinband an der Wand hinter ihr, auf dem in weißen Lettern “Jonathan Strange & Mr. Norell” stand. “Es auch noch wie eine Jagdtrophäe aufzuhängen!”
»Was sonst sollte ich damit tun? Das Cover war das einzig gute, was dieses Buch hervorgebracht hat.«
Ich starrte sie an, kaltblütig musterte sie mich. Frauen wie sie kannte ich inzwischen zur Genüge. Früher (vor langer, langer Zeit) hatten sie einmal eine Anziehungskraft auf mich ausgeübt, aber auch diese Lektion hatte ich gelernt. Ich hatte weder das Bedürfnis, noch die Kraft, herauszufinden, ob auch sie – wie so viele Frauen in meinem Leben – mit einem Widerhaken versehen war …Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto K
Ein Schluck Whiskey half, mich wieder auf den Fall zu konzentrieren und mich von ihrem Blick zu lösen. Tooth war inzwischen vorgetreten und hatte ihr die Handschellen angelegt.
»Sie bereuen ihre Tat also nicht.«
»Das tue ich nicht. Dieses Buch hat mich leiden lassen. Auge um Auge, Seite um Seite – wenn sie verstehen, was ich meine.«
»Ich kenne das Sprichwort, aber nein, ich verstehe Sie nicht!« Sie lächelte hochmütig und sah mich mit einem Anflug von Bedauern an, ehe sie erneut antwortete.
»In jedem von uns steckt ein Buchmörder, Detective. Der Unterschied zwischen Ihnen und mir ist simpel: nicht jeder begegnet im Leben seiner Nemesis und sieht sich vor den Kampf mit seiner dunklen Seite gestellt. Sie hatten Glück. Bisher. Vielleicht werden Sie stärker sein, als ich es war, wenn es soweit ist. Vielleicht werden Sie aber auch selbst zum Gesetzlosen, mit der richtigen Motivation.«

Zettelkasten