Ein öffentlicher (Buch-) Mord – Ein Fortsetzungskrimi (Teil 4)

Mord mit zwei Stück Zucker
Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto ITooth hatte anscheinend das Jagdfieber gepackt, vielleicht war es auch ein unbewusstes Überbleibsel des unterdrückten Blutrausches, jedenfalls rief er nach seinem riesenhaften Assistenten mit dem Sonnenschirm, kaum dass ich die Türen geöffnet hatte. Ohne auf diesen zu warten, marschierte er schnurstracks auf den Ausgang der Pathologie zu, sodass ich mir ernsthaft überlegte, ihm eine Leine anzulegen.
Zu dritt traten wir ins Freie – es regnete in Strömen und ich wollte mich unter den barocken Sonnenschirm flüchten. „Bleiben Sie mir bloß vom Leib, Whiskers, der Regen macht es schon schwer genug, da brauche ich nicht auch noch Sie mit Ihrem Whiskey-, Zigarren- und Knoblauchgestank, vor dem sich selbst Untote wieder in die Erde verkriechen würden.“
Ich schlug den Mantelkragen hoch, zog den Hut tiefer ins Gesicht und folgte dem Sonnenschirm zum Tatort, wo nichts mehr davon zeugte, dass wir uns an dem Ort eines Verbrechens befanden. Ich blieb stehen und beobachtete Tooth, wie er die nähere Umgebung lautstark schnüffelnd abging. Während mir der Regen in den Mantelkragen tropfte und eiskalt den Nacken hinunterrann, wartete ich darauf, dass er anschlug, eine Vorstellung, die mich trotz des Wetters grinsen ließ. Tatsächlich stürmte er plötzlich mit einem triumphalen Ausruf eine Gasse entlang, sodass selbst sein Sonnenschirmboy kaum hinterherkam.

Tagebuch einer Mörderin:
Ein konstantes Zwicken erinnerte mich daran, dass ich aufgeschmissen war. Ein winziger Schnitt für mich, eine unfehlbare Spur für die Ermittler. Hochmut kommt vor dem Fall. Ich lachte in meinem stillen Zimmer auf. Ein trockenes, humorloses Lachen.
Der Sekundenzeiger der Uhr tickte stetig vor sich hin, klick-klack, klick-klack. Wie lange würde es noch dauern, bis sie mich gefunden hätten?
Ich hatte darüber nachgedacht zu fliehen. Die Stadt zu verlassen, besser noch das Land. Doch wohin konnte ich schon gehen? Es gab kein Versteck für mich. Die Ermittler hatten einen Vampir in ihren Reihen und mit nur einem einzigen Tropfen Blut von mir … Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto Jnun. Jeder wusste, wozu ein Vampir in der Lage war. Er hätte meine Spur bis in den Himalaya verfolgen können.
Als diese Erkenntnis erst einmal den Schock über meine dumme, sehr dumme Unachtsamkeit ersetzt hatte, machte sich schließlich Akzeptanz in mir breit. Ich wartete. Mein Blick huschte immer wieder zum Fenster hinaus auf die Straße, so wie er es schon zum hundertsten Mal in den vergangenen Stunden getan hatte. Und dann, schließlich, nach einer endlos scheinenden Wartezeit, sah ich sie kommen. Eine dreiköpfige Gruppe näherte sich mit schnellen Schritten meinem Wohnhaus. An der Spitze ein blasser Kerl in altmodischem Mantel, der seine Nase mit einem Ausdruck von Jagdfieber in den Augen genüsslich in den Wind reckte, hier und da stockte, nur um dann zielsicher einen abrupten Richtungswechsel zu vollziehen. Dicht bei ihm bewegte sich ein Hüne mit einem absurd lächerlichen Sonnenschirm in der Hand, stets darauf bedacht, keinen noch so flüchtigen Sonnenstrahl in die Nähe seines Meisters kommen zu lassen. Der Anblick des mit Rüschen besetzen Schirms ließ mich erneut auflachen.
Den beiden grotesken Figuren folgte eine weitere Gestalt dichtauf. Ein langer, abgetragener Mantel flatterte bei jedem Schritt um seinen hageren Körper. Den Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen, so erkannte ich nur ein Paar grimmiger
Mundwinkel, aus denen eine leicht abgeknickte Zigarette heraushing.
In wenigen Sekunden würden sie die Tür erreicht haben. Ich ließ meinen Blick zu dem gerahmten Cover meines Opfers wandern. Es wäre alles anders gekommen, wenn ich diesem Buch bloß nie begegnet wäre.
Ich hörte gedämpfte Stimmen vor der Tür und ein nervöses Schnüffeln. Es war soweit, ich war bereit.

***

Wir waren vor einer unauffälligen Wohnungstür in einem biederen Wohnhaus angekommen – die schmucke Fassade, hinter der sich nur allzu oft die Fratze des Verbrechens verbarg. Angewidert blickte ich auf die Fußmatte, die uns mit einem freundlichen “Willkommen” grüßte. Mit einem beherzten Schritt trat ich darauf, hinterließ Schmutz- sowie Wasserflecken und hob die Hand, um an die Tür zu klopfen. “Wollen Sie nicht ihre Waffe ziehen, Whiskers?”, flüsterte Tooth direkt hinter mir, ich ignorierte ihn – diese Art von Verbrecher steht nicht mit gezückter Pistole hinter der Tür, sie sind viel gefährlicher – und klopfte. Ein kühl-gefasstes “Herein” war durch das Holz der Tür zu hören und wir traten ein. Mein Blick fiel sofort auf die junge, zierliche Frau mit der Tasse Tee neben sich und danach auf den Bucheinband an der Wand hinter ihr, auf dem in weißen Lettern “Jonathan Strange & Mr. Norell” stand. “Es auch noch wie eine Jagdtrophäe aufzuhängen!”
»Was sonst sollte ich damit tun? Das Cover war das einzig gute, was dieses Buch hervorgebracht hat.«
Ich starrte sie an, kaltblütig musterte sie mich. Frauen wie sie kannte ich inzwischen zur Genüge. Früher (vor langer, langer Zeit) hatten sie einmal eine Anziehungskraft auf mich ausgeübt, aber auch diese Lektion hatte ich gelernt. Ich hatte weder das Bedürfnis, noch die Kraft, herauszufinden, ob auch sie – wie so viele Frauen in meinem Leben – mit einem Widerhaken versehen war …Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto K
Ein Schluck Whiskey half, mich wieder auf den Fall zu konzentrieren und mich von ihrem Blick zu lösen. Tooth war inzwischen vorgetreten und hatte ihr die Handschellen angelegt.
»Sie bereuen ihre Tat also nicht.«
»Das tue ich nicht. Dieses Buch hat mich leiden lassen. Auge um Auge, Seite um Seite – wenn sie verstehen, was ich meine.«
»Ich kenne das Sprichwort, aber nein, ich verstehe Sie nicht!« Sie lächelte hochmütig und sah mich mit einem Anflug von Bedauern an, ehe sie erneut antwortete.
»In jedem von uns steckt ein Buchmörder, Detective. Der Unterschied zwischen Ihnen und mir ist simpel: nicht jeder begegnet im Leben seiner Nemesis und sieht sich vor den Kampf mit seiner dunklen Seite gestellt. Sie hatten Glück. Bisher. Vielleicht werden Sie stärker sein, als ich es war, wenn es soweit ist. Vielleicht werden Sie aber auch selbst zum Gesetzlosen, mit der richtigen Motivation.«

2 Kommentare zu Ein öffentlicher (Buch-) Mord – Ein Fortsetzungskrimi (Teil 4)

  1. sisterdew sagt:

    *Applaus*

    Großartig:)

  2. Elric sagt:

    Hihi,
    Da bin ich ja schon fast gespannt, ob unser Ermittler nicht wirklich mal in die Gefahr kommt… 😉
    Aber was lange währt wird gut! Toller Schluss! 😀

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