Category: Über den Tellerrand

Wer neuem Lesestoff in Form von Webcomics nicht abgeneigt ist, will vielleicht einen Ausflug nach Finnland wagen: Minna Sundbergs A Redtail’s Dream ist eine optisch atemberaubende Abenteuergeschichte in einer surrealen Traumwelt mit Motiven aus der Kalevala.
Ein junger Fuchs bekommt von seiner mythischen Verwandtschaft die Aufsicht über das Nordlicht aufs Auge gedrückt, und prompt geht es fürchterlich schief. Ein ganzes Örtchen verschwindet, die Bewohner sind schon auf halbem Weg nach Tuonela (dem Totenreich der finnischen Mythologie). Das Füchslein möchte sich keine Blöße geben und findet glücklicherweise den jungen Hannu und seinen Hund Ville, die bei dem Malheur gerade nicht zu Hause waren, und es verpflichtet die beiden, den Dorfbewohnern in der seltsamen Zwischenwelt, in der sie sich befinden und die nach völlig eigenen Regeln tickt, einen Weg zurück in ihre Realität zu bahnen. Dazu müssen der enthusiastische Ville (der in der Traumwelt sprechen kann) und der eher unwillige Hannu einige Aufgaben erledigen.

A Redtail's Dream Kapitel IDie (zunehmend komplizierter werdenden, aber niemals wirklich komplexen) Questen sind weniger epischer Natur, sondern leben von den Neckereien zwischen dem jungen Mann und seinem Hund und ihrem unterschiedlichem Wesen, denn der Hund Ville stellt sich als deutlich menschenfreundlicher als der mindestens soziophobe Hannu heraus, dessen Charakter die Heldenrolle absolut widerspricht und der auch immer wieder damit kollidiert. Die einzig tiefgehende Beziehung, die Hannu überhaupt zulässt, ist die zu Ville. Dazu kommen die “profanen” Begegnungen mit den verschiedenen Dorfbewohnern und die mythischen Übertöne, die sich auch direkt in Gestalt von Tiergeistern und anderen Manifestationen äußern.
Große Erklärungen und Hintergründe gibt es eher selten, doch es trägt auch zum Zauber der Traumwelt bei, dass man als LeserIn genauso wie die Figuren erst einmal hinnimmt, was sich ereignet.
Nach einem eigenwilligen Prolog braucht die Geschichte etwa hundert Seiten, bis sie Fahrt aufnimmt. Das eine oder andere Schwelgen in den charakterlichen Eigenheiten der Protagonisten hätte man vielleicht knapper abhandeln können, doch was schon von Anfang an einen regelrechten Bann ausübt, sind die Bilder – Minna Sundbergs Gespür für Natur, Tiere, Landschaften, Witterung und Nachthimmel ist beinahe unheimlich (und wird im Laufe der mittlerweile mehr als 400 Seiten des Comics stetig besser). Mühelos beschwört sie damit zwischen herbstlichen und winterlichen Nadelwäldern, Klippen und Seenlandschaften die zeitlose Traumwelt in manchmal beinahe monochromen Pastelltönen herauf. Ein Blick auf die wunderschön komponierten Seiten des Comics lohnt sich, selbst wenn man nicht der größte Fan charakterbasierter Geschichten ist.

King of the forest, aus A Redtail's Dream Kapitel IV

A Redtail’s Dream ist bis zum sechsten von geplanten acht Kapiteln gediehen und wird momentan sechsmal die Woche um eine Seite erweitert. Minna Sundberg bezeichnet A Redtail’s Dream übrigens als Übungscomic für ihr eigentliches Herzensprojekt, doch über diesen Status dürfte es mit solchen Seiten allemal hinaus sein.
Auch wenn A Redtail’s Dream erzählerisch nicht 100% geschliffen ist (und die Übersetzung aus dem Finnischen ins Englische hie und da schlingert) lohnt es sich für jeden Comicfreund mit einer Schwäche für liebevoll dargestellte Tiere, berauschende Bildwelten, schrullige Ideen und den Bezug auf eine Mythologie, die in der Fantasy längst nicht so häufig Ideengeber war wie etwa keltische oder nordische Mythen. Ob die abschließenden Kapitel Hannu zu einem warmherzigeren Gesellen machen und die sich andeutenden Brüche in den linearen Questen sich ausweiten, muss sich noch erweisen; dass Minna Sundberg eine Comic-Künstlerin ist, die man im Auge behalten sollte, ist dagegen längst keine Frage mehr.
Webseite
Übersicht über die bisherigen Kapitel

bisher bei bp empfohlene Webcomics:
Widdershins
Wormworld-Saga

Eselsohr Über den Tellerrand

Wem nach dem “Robot” im Titel noch der Schreck in den Gliedern sitzt, den kann ich beruhigen: obwohl der hier vorgestellte Film letztes Jahr erschien und Science-Fiction-Elemente besitzt – weder Will Smith noch eines seiner Kinder spielen irgendeine Rolle. Tatsächlich könnte der US-amerikanische Indiefilm “Robot & Frank” von Regisseur Jake Schreier den herkömmlichen Roboterphantasien nicht ferner liegen.

Robot and Frank

In einer “nahen Zukunft” lebt Frank, ehemaliger Juwelendieb und Fassadenkletterer, in einem beschaulichen Haus im Grünen und verbringt seinen Lebensabend mit Besuchen der Gemeindebibliothek und dem Stehlen geschnitzter Seifentiere. Futuristische Smartphones und der Robotergehilfe der Bibliothekarin Jennifer, der wenig humanoide und eher an einen wandelnden Kopierer erinnernde Mr. Darcy, sind die ersten Hinweise auf den technologischen Fortschritt dieser leisen, sensiblen Zukunftsvision. Von ähnlicher Subtilität ist auch das wahrhaft meisterhafte Spiel von Frank Langella, der behutsam die feinen Risse in die Zukunftsidylle zeichnet: was anfangs als schrulliges Eigenbrödlertum durchgehen mag, entpuppt sich erst für die Kinder des filmischen Franks, dann für die Zuschauer, und später, in unprätentiösen und schmerzhaft ehrlichen Momenten auch für den alten Mann selbst als Verwirrung, als Demenz. “Robot & Frank” ist jedoch nicht nur ein Film über das Älterwerden und die Vieldeutigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen – es ist ein Film, der das Verhältnis von Mensch zur vermenschlichten Maschine mal verschmitzt-komisch, mal leise-traurig zum Thema macht. Denn Franks Kinder – großartig hier übrigens Liv Tyler als philanthropisch-nervige Tochter, die aus Turkmenistan schuldbewusste Videobotschaften sendet – stellen ihrem Vater einen Pflegeroboter zur Seite, der das übernehmen soll, was weder Frank als Vater, noch Hunter oder Madison als Kinder je gut konnten: sich kümmern.

Brokkoli statt Müsli, ein geregelter Tagesablauf, eine Freizeitbeschäftigung, die den Geist auf Trab bringt: es ist nicht verwunderlich, dass Frank wenig begeistert ist von der Technologisierung seiner Betreuung. Doch auch in der Bibliothek stehen die Zeichen auf Umbruch; Printmedien sind wie Frank ein Relikt vergangener Tage, und ein mutimediales Kulturzentrum soll den Bücherstaub ersetzen. Der Film greift an dieser Stelle mit verschmitztem Augenzwinkern eine nur allzu aktuelle Debatte auf, ohne zwischen Schlagworten wie Vorsintflutlichkeit und Fortschrittswahn Stellung zu beziehen.
Es bleibt ein Film der leisen Töne: Die zarte Romanze zwischen der Bibliothekarin und dem ehemaligen Juwelendieb, der immer öfter den Namen seines Sohnes vergisst, entspricht keinen Hollywoodnormen. Und zwischen allen menschlichen Verwicklungen sucht Franks Roboter nun nach einem Hobby, das gleichzeitig zu fordern und zu begeistern vermag. Was nur, wenn sich Schlösserknacken als perfektes Mittel herausstellt, Frank bei Laune zu halten…?

Die Beziehung von Frank zu seinem namenlosen Roboter ist das Herzstück dieses kleinen Filmjuwels. Schnell deutet Frank – und der Zuschauer – Humor und Emotion in die Handlungen der Maschine hinein, und es trifft beide gleichermaßen, wenn der Roboter wiederholt betont, dass er keine Persönlichkeit besitzt. Und an beide ist es auch gerichtet, wenn er dieser Feststellung ein “I know you don’t like it” voranstellt. Es sind Bilder, die aus einem Nachbartal des Uncanny Valley stammen, wenn der Roboter in zenartiger Gelassenheit den Garten umsorgt, dessen Pflege eigentlich Franks (bewegungs- und kognitionsfördernde) Aufgabe ist; und wenn der ausgeschaltete Roboter in die ausgebreiteten Arme des alten Mannes sinkt, der ihn schließlich doch als Freund und Partner bezeichnet, dann ist dies ein melancholisches, aber dennoch verräterisch tröstendes Zerrbild einer Umarmung. Ein Mann, der vergisst, und eine Maschine, die nicht vergessen kann: “Robot & Frank” ist weder ein reines Drama, eine reine Komödie, noch eine Science-Fiction-Vision. Mit seinem feinsinnigem Humor, dem nie kitischigen, nie nur traurigen Portrait einer Familie und der klugen Studie der Sehnsucht nach Vermenschlichung bewegt sich dieser Film vielleicht schwerfällig, wenn es um eine Genreeinteilung geht, aber umso leichtfüßiger, wenn man sich auf die Diebestour mit Roboter einlässt. Denn dass Fassadenkletterei unter die Definition “körperliche Betätigung” fällt, leuchtet auch dem Roboter ein – dessen Ethikprogramm ihn eindeutig auf nicht alle Situationen vorbereitet hat.

Über den Tellerrand

Peter Jacksons Hobbit-Verfilmung ist erst kürzlich auf DVD erschienen, aber man hat dennoch den Eindruck, dass die allgemeine Begeisterung schneller nachgelassen hat als bei den Herr-der-Ringe-Filmen und anderen Franchises und Blockbustern. An den kommerziellen Erfolg der vorausgehenden Trilogie wird sie wohl schon allein aufgrund der Ausmaße anknüpfen, mit denen sie auf allen Kanälen präsent ist; der zweite und dritte Film werden es zeigen.
The Hobbit. An Unexpected JourneyEines ist jedoch bereits jetzt klar: Die allergrößte Freude, die Peter Jackson den Fans gemacht hat, ist zugleich das größte Problem der Hobbit-Verfilmung. Es gibt beim Hobbit in erster Linie mehr von Peter Jacksons Mittelerde zu sehen, eine Rückkehr zum Herr der Ringe und ein Fest von Anspielungen auf die Trilogie, die nicht nur in den direkten Verknüpfungen (etwa durch die Rahmengeschichte mit Frodo) offenbar werden. Monumentale Minen, angeschmutzte, aber edle Helden, ätherische Elbenheime, der Zwergenwitz in zwölffacher Ausführung – sie sind alle wieder da, sogar noch ein bisschen größer und glänzender als zuvor. Konnte man beim Herr der Ringe durchaus von einem Gesamtkunstwerk sprechen (ob es in allen Aspekten gelungen ist, ist eine andere Frage – aber ohne Zweifel hat die Trilogie den Fantasy-Film maßgeblich beeinflusst), brüht der Hobbit schlicht ein zweites Mal auf, was erprobt ist und beim Publikum ankommt.
Das Traurige an der Tatsache, dass Peter Jackson den Hobbit einfach als ein weiteres episches Mittelerde-Heldenstück ausgeführt hat, für das keine neue Bildsprache und Erzählweise vonnöten waren, ist die Allgegenwart seiner Interpretation, die durch den Hobbit so zementiert wurde, dass Mittelerde für Künstler nun vermutlich jahrelang verbrannte Erde sein wird.

Betrachtet man dagegen die Vielzahl an künstlerischen Interpretationen, die in der Vergangenheit allein nur der Hobbit angeregt hat, erkennt man, dass Mittelerde viel mehr hergibt als den hyperrealistischen, häufig zwischen bierernst und albern changierenden Stil von Peter Jackson.
Aber wer kann sich jetzt noch von den omnipräsenten Filmbildern freimachen? Wer eigene, neue finden (oder sich noch an die alten erinnern, die man vor den Filmen hatte)?
Ganz besonders bedauerlich ist, dass wir von Guillermo del Toros Interpretation wohl so gut wie gar nichts zu Gesicht bekommen. Vielleicht hätte sein Einfluss dem Hobbit die dringend nötige Eigenständigkeit und jene spielerisch-zauberhafte, aber auch leicht unheimliche Atmosphäre angedeihen lassen können, auf die Peter Jackson zugunsten einer realistischeren und mit aufgeblasener Dramaturgie aufgemotzten Darstellung verzichtet hat. Hellboy (vor allem der zweite Teil) und Pans Labyrinth wären auf jeden Fall Hausnummern gewesen, nach deren Beispiel man sich auch einen anderen Hobbit gut hätte vorstellen können.

So aber weiß Mittelerde eigentlich nicht mehr zu überraschen, auch nicht im Aufbau, der ohne Rücksicht auf Verluste bewährte Muster abspult. Wohl auch der Aufspaltung in drei Filme geschuldet wird nicht einmal der Versuch unternommen, die allmähliche und fast unmerkliche Steigerung vom beschaulichen Hobbitdasein über erst eher burleske bis groteske Abenteuer bis hin zur Katastrophe der epischen Schlacht nachzuzeichnen. Nicht zuletzt durch die Einführung bedrohlicher und durchaus ernstzunehmender Dauergegner in Gestalt von Azog und seinem Gefolge herrscht in Peter Jacksons Filmfassung schon früh fast durchgehend munteres Kampfgetümmel, das unabhängig vom kurzfristigen Unterhaltungsfaktor Figurenzeichnung und Gesamtaussage in sehr konventionelle Bahnen verschiebt.
Der in diese Rachefehde eingebundene Thorin ist von seiner Buchvorlage ohnehin ein gutes Stück entfernt, da es ihm weit weniger auf die Rückgewinnung des Schatzes (die ja erst die Mitnahme eines vorgeblichen Meistereinbrechers auf die Queste motiviert) als auf den patriotischen Kampf um die verlorene Heimat anzukommen scheint. Kein Wunder, dass Bilbo sich bemüßigt fühlt, einem solchen Ersatz-Aragorn seine Heldenqualitäten zu demonstrieren und sich mit seiner hochdramatischen Rettungstat einen Respekt zu verdienen, der in dieser Version von Mittelerde anscheinend nur arg stereotypen echten Kerlen gebührt. Wie Thorin aus dieser Konstellation heraus noch glaubwürdig zu seiner Erkenntnis gelangen soll, dass man das Kind des freundlichen Westens vielleicht gerade für seine unkriegerischen Seiten würdigen sollte, erschließt sich nicht ganz, und so wird zumindest in diesem ersten Teil eine potentiell differenzierte Geschichte einem recht beliebigen Actionspektakel geopfert. Dagegen können auch liebevolle Anspielungen und seelenvolle Zwergengesänge nur sehr begrenzt ankommen.

Es drängt sich (wie bei vielen Blockbustern) der Verdacht auf, das Überbemühte, das jedes Haar im Zwergenbart sichtbar macht und eine dramaturgische Formel umsetzt, die das Publikum dort abholt, wo es gerade zu eigenen Überlegungen ansetzen könnte, soll nur einen Mangel an Charme und Phantasielosigkeit übertünchen. Wo ideenreicher und risikofreudigerer visueller Zauber Mittelerde als lebendiges und vielseitiges Setting hätte vertiefen können, ist lediglich solides Handwerk herausgekommen, ebenso wie erzählerisch das gewünschte “more of the same” geliefert wurde. Was der Hobbit letztlich in keiner Form aufweist, ist eine künstlerische Vision, und damit wird Mittelerde, das in der Vergangenheit so viele zu eigenen Geschichten, Bildern und Musik inspiriert hat, zu einem Kontinent der Einfallslosigkeit.

Reaktionen Über den Tellerrand

Der heutige Blick über den Tellerrand richtet sich auf die Zeichentrickserie Avatar: Der Herr der Elemente (Avatar: The Last Airbender). In den drei Staffeln, „Bücher“ genannt, Wasser, Erde und Feuer verfolgt man die Abenteuer des Jungen Aang sowie seiner Gefährten, die sich im Verlauf der Serie um ihn scharen. Als Aang in der ersten Folge von dem Geschwisterpaar Sokka und Katara aus einem Eisberg befreit wird, muss er feststellen, dass er 100 Jahre Weltgeschichte darin „verschlafen“ hat. Dabei hätte ihn die Welt gerade jetzt dringend gebraucht, denn er ist die neue Reinkarnation des Avatar, des einzigen Menschen, der alle vier Elemente (Erde, Luft, Wasser, Feuer) beherrschen („bändigen“) kann. Bis vor hundert Jahren hatten die verschiedenen Gesellschaftssysteme, die die BändigerInnen jeweils eines Elements und NichtbändigerInnen aufgebaut hatten, friedlich koexistiert, doch dann startete die Feuernation einen gnadenlosen Expansionskrieg, der immer noch wütet. Unter diesen schwierigen Bedingungen muss Aang lernen, seine Rolle als Avatar zu erfüllen, um den Frieden wiederherzustellen.

Die Serie holt aus dieser Startkonstellation ein Maximum an erzählerischer Tiefe heraus.
Das liegt nicht nur daran, dass man im Verlauf der Staffeln die Welt näher kennenlernt und der scheinbare Elemente-Determinismus in einer Vielfalt von Lebensphilosophien und Gesellschaftsformen aufgelöst wird, sondern vor allem daran, wie viel Wert auf eine tiefe Figurenzeichnung gelegt wird und wie viel Raum der Entwicklung der Pro- wie Antagonisten gegeben wird. Der Figurenzeichnung ist auch zuträglich, dass Avatar: Die Legende von Aang keineswegs davor zurückschreckt, tiefschürfende Themen (von der Frage, ob der Krieg jedes Mittel rechtfertigt über Geschlechterrollen bis hin zu Vergebung) anzusprechen. Durch die enge Verknüpfung des jeweiligen Stoffes mit den auftretenden Figuren schafft die Serie zudem den schwierigen Spagat sowohl jugendliches als auch erwachsenes Publikum anzusprechen. Einerseits bleibt die Darstellung so stets lebendig und schreckt erstere nicht durch „graue Theorie“ ab, andererseits bietet sie für Jugendliche wie Erwachsene genug Anknüpfungspunkte, sich selbst damit auseinanderzusetzen. Die zum Teil erstaunlich leichtfüßige, aber keineswegs seichte Präsentation von Figurenentwicklung und Themen ist aber auch dem wohldosierten Einsatz von Humor geschuldet.

Das Setting selbst ist stark von fernöstlichen Kulturen geprägt, von den Schriftzeichen bis hin zur Philosophie der Kunst des “Bändigens”, die viele Anleihen bei fernöstlichen Lehren aufweist und bei der jedes Element spirituell und optisch einer Kampfkunst zugeordnet ist. Technologisch und gesellschaftlich ist die Welt sehr vielfältig, während man großteils den Eindruck einer (nach unserem Verständnis) mittelalterlichen Welt hat, gibt es auch Anzeichen einer beginnenden Industrialisierung und neben kleineren Dörfern besuchen unsere Helden und Heldinnen auch beeindruckende Metropolen.
Die Serie selbst macht jedoch auch eine deutliche Entwicklung durch, die sich in mutigeren Erzählweisen äußert, sodass das Episoden-Portfolio schließlich ernste, von Rückblicken geprägte und westernhafte ebenso wie herrlich komische und selbstreferentielle Folgen umfasst. Leider wirkt das Finale angesichts der geschilderten Qualitäten sehr hastig und abrupt, schließt die Serie in der letzten Episode aber doch passend ab.

Inzwischen läuft zudem die Fortsetzung Die Legende von Korra (The Legend of Korra), die 70 Jahre nach „Der Herr der Elemente“ angesiedelt ist und nicht nur einen neuen (weiblichen) Avatar, Korra, zu bieten hat, sondern auch ein faszinierend weiterentwickeltes Setting mit Steampunk-Flair sowie ein verändertes erzählerisches Konzept, dessen Vor- und Nachteile sich jedoch erst im Verlauf der weiteren Staffeln erweisen werden – bisher ist lediglich „Buch 1: Luft“ erschienen. Lasst euch also von „Avatar: Die Legende von Aang“ begeistern, für Nachschub ist bereits gesorgt! Für alle, deren Neugier nun hoffentlich geweckt ist: Auf der Website von Nickelodeon kann man sich die erste Episode im Stream anschauen.

Über den Tellerrand

Die Oscars sind vergeben, alte weiße Männer freuen sich und eine stolpernde Gewinnerin schreibt Boulevardgeschichte. Nebenbei interviewt ein Reporter eine Nominierte für die Auszeichnung „Beste Hauptdarstellerin“ und scheitert daran, ihren Namen auszusprechen. Was für eine Nacht!

Quvenzhané Wallis: so der Name der neunjährigen Hauptdarstellerin des Spielfilmdebuts von Benh Zeitlin. Kwuh-VEN-zhuh-nay: So die phonetische Herausforderung des Abends, die gestandene Journalisten in die Knie zwingt (und doch nur 4 Silben hat.). Beasts of the Southern Wild: der Name des Films, den eine Jury aus Mitgliedern von Bibliotheka Phantastika heute auszeichnen möchte.

Beasts of the Southern Wild ist ein Film, der sich an der magischen Grenze von Realität und Phantasie bewegt und, anders als sein Fantasy-Oscar-Konkurrent Der Hobbit, durch leise Töne und traumgleiche Bilder besticht. Quvenzhané Wallis spielt Hushpuppy, ein sechsjähriges Mädchen, das mit ihrem schwerkranken Vater Wink jenseits des Dammes lebt, der die vom Klimawandel geflohene Zivilisation von Sumpf und Meer trennt. Wink, seine Tochter und die anderen Bewohner von Bathtub, der Siedlung in den verlassenen Sümpfen Louisianas, kämpfen täglich um ihr Überleben, und dieser Kampf findet auf dem Schlachtfeld einer unkontrollierbar entfesselten Natur statt. Doch wann immer sich ein verlässliches Feind- oder Freundbild im Film ankündigt, kommt die Ernüchterung auf dem Fuße: In der Welt der Southern Wild sind auch diese Kategorien nichtig. Darf man um einen Vater trauern, der sein Kind schlägt? Können verwahrloste Säufer zu verlässlichen Verbündeten werden? Im Sumpf von Louisiana sind Menschen hilflos wie Säuglinge, und Kinder werden über Nacht erwachsen. Doch was heißt „erwachsen“ in dieser Welt, die sich nach der Klimakatastrophe weiterdrehen muss?

Da ist es nur konsequent, den Film komplett aus Kindersicht zu erzählen, mitsamt ihrer in sich wunderbar konsistenten Fehlinterpretationen, ihrem nahtlosen Übergang zwischen Natürlichem und Übernatürlichem und der unhinterfragten Annahme, dass das eigene Handeln tatsächlich einen Unterschied macht und sogar dem Wünschen eine nicht zu unterschätzende Macht innewohnt. Als in die ohnehin schon surreale Umgebung von Bathtub dann tatsächlich das Übernatürliche einbricht und Hushpuppy sich ihren Ängsten stellt, ist das nicht nur eine Szene der Emanzipation für Mädchen, Kinder, Menschen, sondern vor allem einer der magischsten Momente, die man in jüngster Zeit im Kino erleben konnte.

Beasts of the Southern Wild ist ein Film über Verantwortung, ein Film über die Phantasie eines Kindes, ein Film über eine zerrissene Familie, die dennoch untrennbar miteinander verbunden ist. Es ist ein Film über den magischsten Ort eines Lebens: ein Film über Heimat, über jenen Ort, der sich nicht durch Kategorien wie Schönheit, Gefährlichkeit, Armut oder Idylle beschreiben lässt. In Beasts of the Southern Wild ist die Heimat ein Ort der Behauptung, ein Fixpunkt und ein Ort des Wachsens. Bathtub ist kein Ort für Familie. Und wenn Hushpuppy zu dem fernen Leuchten am Horizont spricht, um ihrer Mutter nah zu sein, dann wird klar, dass der Ort für Familie ein Ort in uns ist.

Beasts of the Southern Wild ist auch ein Film über Verwundbarkeit. Natur und Mensch tragen Narben, die weit tiefer reichen als sichtbare Makel. Und deshalb ist es zuletzt auch ein Film über Verständigung, die nötig ist, um Brücken über diese Narben zu spannen, die wie Abgründe sind.

Wer also gewillt ist, den Glanz von Hollywood gegen die Authentizität und Eindringlichkeit von Laienschauspielern zu tauschen und leisen Fantasytönen zu lauschen, sei dieser Film sehr ans Herz gelegt. Wir vergeben jedenfalls mit Freuden unsere Trophäe: der sprühende Inspirationsfunke in Gold!

Reaktionen Über den Tellerrand

Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von SchneewittchenLetzten April sind gleich zwei Verfilmungen der Geschichte von Schneewittchen und den 7 Zwergen in den Kinos erschienen. Einmal war da dieser Streifen mit der ausdrucksstarken (Achtung Sarkasmus!) Twilight-Heldin Kristen Stewart, neben Charlize Theron und dem aktuell männlichen Sahnestück Chris Hemsworth als “Huntsman” (oder auch Hans-Mähn) und dann war da noch ein Film, der bei der starken Bewerbung seiner Konkurrenz etwas untergegangen ist. Völlig zu unrecht, wie ich nun feststellen musste, denn Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen ist ein Streifen, der mit optischer Finesse und Witz Bella – Verzeihung – Snow White, locker in den Schatten stellt.

Als mich Spieglein Spieglein, mit Julia Roberts (böse Königin) und Lily Collins (Schneewittchen) in den Hauptrollen, im Techno-Laden meines Vertrauens dieser Tage unschuldig anlächelte, überkam mich die Neugier und ich packte gleich die Blueray ein – wagemutig, ohne mehr als den kurzen TV Trailer zu kennen. Schon nach den ersten Minuten aber kam Überraschung auf. Diese Farben! Diese liebevollen Details! Die pompöse Gestaltung der Kulissen! Die Kostüme!
Kurzum, ich war sprachlos und konnte kaum fassen, was ich hier sah: einen Film des indischen Regisseurs Tarsem Singh, der auch für Filme wie Krieg der Götter 3D oder The Fall verantwortlich ist und ein Händchen für Augenschmaus hat.

Spieglein Spieglein ist entsprechend eine optisch überwältigende Schönheit von Film geworden, mit intensiven Farben und prächtiger Gesamtaufmachung. Doch damit nicht genug, auch die Handlung ist gelungen. Mit leichten Abweichungen von dem vertrauten Märchen ist dies eine grandios unterhaltende Umsetzung, die gleichzeitig immer wieder Themen anschneidet, die in der Traumfabrik Hollywoods ungerne genannt werden. Angefangen beim Jugend- und Schönheitswahn über die Behandlung von Minderheiten und “Andersartigen”, und nicht zuletzt wird auch die Disney-Mentalität mit ihren lächerlich romantischen Klischees ordentlich aufs Korn genommen.

Vermutlich scheiden sich an Julia Roberts die Geister, doch niemand wäre für die durchgeknallte böse Königin so gut geeignet gewesen wie sie, und man muss es einfach sagen: sie ist der heimliche Star dieses Films. Wer bisher dachte, eine böse Königin habe einfach nur böse zu sein und das reicht, der hat diese Königin noch nicht kennengelernt. Sie ist fies, sie ist launisch, sie ist eitel und theatralisch und hat dabei immer ein süffisantes Lächeln auf den Lippen. Diese Figur ist völlig irre und trägt einen Großteil dazu bei, dass Spieglein Spieglein seine satirischen Tiefschläge so gut platzieren kann. Jeder sollte dringend einmal das Pflegeprogramm dieser Königin gesehen haben und dann versuchen, dabei nicht zu lachen. Nicht etwa, weil es einfach nur slapstick-komisch wäre, sondern weil es so wahr ist, was Frauen alles mit sich machen, um “schön” zu werden. Dieser Charakter ist ulkig ohne Ende und bereichert den Film sehr.
Schneewittchen dagegen erleben wir zunächst als wohlerzogene, brave und unterwürfige junge Frau, die am Tag ihres 18. Geburtstag die Rebellin in sich entdeckt. Als sie es wagt, der Königin zu sagen, sie selbst sei eigentlich die rechtmäßige Thronerbin, schickt die Königin sie kurzerhand zum Sterben in den Wald, wo eine schreckliche Bestie haust. Die Figur entwickelt sich im Verlaufe der Handlung weiter, kann es aber letztlich nicht mit der Darstellung der Königin aufnehmen.

Neben den beiden Hauptdarstellerinnen trifft man auch auf etliche Nebenrollen, die es ebenfalls in sich haben und alle einen wohlverdienten Platz ausfüllen. Der Prinz verliert permanent seine Hosen an Zwerge, die Zwerge sind Riesen, die Riesen Zwerge, eine unfreiwillige Küchenschabe, die einmal der oberste Speichellecker war, wird von einem Grashüpfer genötigt und der Liebestrank für Hunde landet im falschen Kelch …
Klingt zusammenhanglos und verwirrend? Keine Sorge, es ergibt alles Sinn, wenn man den Film gesehen hat, versprochen!

Zum Abschluss gibt es noch eine überraschend gelungene Tanzvorstellung (jawohl, sie tanzen und singen!) die ich mal als mittelalterliches Bollywood mit Märcheneinschlag bezeichnen möchte. Diese Mischung – man muss es gesehen haben!
Wirklich, dieser Film ist zum schießen komisch und selbst wenn einem der Humor und die gut versteckte Kritik an der Gesellschaft nicht hundertprozentig zusagt, dann geht doch nichts über diese umwerfenden Bilder einer malerischen Kulisse, wie sie kaum noch produziert wird. Hier ist es ausnahmsweise einmal bedauerlich, dass ich den Film nicht auf großer Leinwand genießen konnte (mangels nicht zu überzeugendem Freundeskreis, der lieber in den Konkurrenten gegangen und sichtlich enttäuscht wieder heraus gekommen ist – oh yeah! Hans-Mähn!).

Fazit: Unbedingte Filmempfehlung für jeden Märchen-, Komödien- und Fantasyfan, der opulente Kulissen, Kostüme und intensive Farben liebt.

Über den Tellerrand

Bei unserem zweiten Ausflug in die Welt der Webcomics wird es ganz klassisch: In der Wormworld-Saga fängt Autor und Zeichner Daniel Lieske zunächst den Zauber der Kindheit ein, um dann ganz nach alter Tradition einen Weg aus unserer Welt in eine durch und durch phantastische zu finden, in der große Abenteuer und schwierige, bedeutsame Aufgaben warten.
Jonas ist ein kleiner Junge, der lieber zeichnet und träumt, als an seinen Schulnoten zu arbeiten, und das Größte sind für ihn die Sommerferien, die er zusammen mit seinem Vater bei der Großmutter auf dem Land verbringt: Den ganzen Tag durch den Wald streifen, sich auf geheime Dachböden zurückziehen und Held der sich selbst erzählten Geschichten sein, das ist dann seine Welt.
Doch auf Jonas’ Vergangenheit liegt ein Schatten, und sein geheimer Rückzugsort offenbart einen Durchgang zu einer anderen Welt, der Wormworld. Und die ist um einiges gefährlicher, aber auch viel wunderbarer als die Wäldchen rund um Omas Bauernhaus …

Banner Wormworld-Saga

Die Wormworld-Saga ist vor allem eines: Optisch beeindruckend. In wunderschönen, opulenten Bildern beschwört Daniel Lieske zunächst eine Kindheit in den 70er/80er-Jahren herauf und bezaubert Leser und Leserinnen mit dem Helden Jonas, der es ganz leicht macht, an eigene Erinnerungen anzuknüpfen, um einen dann mit der Farbenpracht, den Ideen und den herrlichen Panoramen der Wormworld regelrecht zu überrumpeln. Lichtdurchflutete Wälder und Ruinen, bizarre Wesen und liebenswerte Charaktere leuchten aus den für die Ansicht im Webcomic ausgelegten, scrollbaren Sequenzen entgegen und wirken wie eine Mischung aus Jim Henson’s Creature Shop, Studio Ghibli und den Highlights von Disney mit einer Prise der schwindelerregend-schönen Landschaften von Avatar.

Wormworld-Saga 1 von Daniel LieskeNach bislang vier Kapiteln hat die Geschichte nun Fahrt aufgenommen und einen klassischen Questenkurs eingeschlagen, der sehr gut zum nostalgischen Flair des Comics passt. Wer auf Lieskes Blog ein wenig die interessante Entstehungsgeschichte der Wormworld-Saga verfolgt und die Konzeptarbeit sieht, die in die Weltschöpfung geflossen ist, kann sich vorstellen, dass das erst der Anfang ist und die Leser und Leserinnen noch viel erwarten dürfen – die Landkarte ist groß, die Bewohner wollen kennengelernt und die Geschichte erkundet werden. Wie sich die Wormworld-Saga erzählerisch entwickelt und wie sie mit ihren traditionellen Elementen fürderhin umgeht, wird sich noch erweisen müssen.
Auch dieser Webcomic hat übrigens den Sprung in die Printausgabe geschafft, deren erster Teil vor nicht allzu langer Zeit bei Tokyopop erschienen ist.

Wenn man sich in eine kindliche Abenteuerwelt wegträumen und diese im Comic zum Leben erwachen sehen möchte, sollte man in der Wormworld vorbeischauen, die eine im besten Sinne altmodische Geschichte sehr gelungen in ein modernes Medium transportiert.

Eselsohr Über den Tellerrand

Wenn man eine Lieblingsfrage unter Fantasy- und SF-Freunden küren müsste, es wäre ganz sicher „Was wäre, wenn …?“. Alan Weisman, Journalist und Sachbuchautor, hat sich mit einem gewaltigen Gedankenexperiment Die Welt ohne uns auf ein Terrain begeben, das alle Endzeit-Herzen höher schlagen lassen sollte: Was wäre, wenn die Menschheit morgen von der Erde verschwinden würde? Was wird aus unserem Planeten, wenn sich 7 Milliarden ihrer Bewohner in Luft auflösen?

Die Antworten, die Weisman bei Experten der Paläoornithologie, Ethnologie, Biologie, Hydrologie und vielerlei weiteren Ologien findet, bieten Stoff für unzählige Science-Fiction-Romane – vorausgesetzt, man erwartet kein Happy End.
Der Autor nimmt davon Abstand, die Zukunft unseres Planeten global und allumfassend zu skizzieren. Vielmehr gleicht das Buch einer kleinen Weltreise zu den beeindruckensten Bauten und schützenswertesten Orten unserer Erde. Vor Ort angekommen, beginnen dann die ernüchternden Analysen: Das New Yorker U-Bahn-Netz wird ohne Wartung innerhalb von Tagen überflutet sein, der Central Park versumpft einmal mehr. Die beeindruckende Artenvielfalt in der militärischen Sperrzone zwischen Süd- und Nordkorea, bereits heute ein kleiner, unwirklicher Garten Eden, wird sich rasend schnell vergrößern. Der Panamakanal, eines der monströsesten menschengeschaffenen Bauwerke unserer Zeit, wird nur wenige Monate standhalten, bis seine Deiche brechen. Unser Planet wird nach wenigen Jahren wieder von all den Arten bevölkert sein, die wir an den Rand des Aussterbens getrieben haben – und von unzähligen verwilderten Hauskatzen. Was uns überdauert? Der Euro-Tunnel, die aus dem Tuff gehauenen Höhlenbauten in Kappadokien und Radiowellen, die sich ihren Weg durchs All bahnen.
Weisman skizziert zu Beginn des Buches einen menschenleeren Planeten, der sich langsam in das Paradies verwandelt, das er bereits einmal war. Eindrucksvoll schildert er die Kräfte der Natur, die sich langsam, aber stetig überall ausbreiten wird, wo wir einst hausten. Einem durchschnittlichem amerikanischen Leichtbauhaus gibt Weisman 50 Jahre, bis nur noch Aluminiumtöpfe davon übrig sind, der Kölner Dom hat immerhin eine längere Gnadenfrist, bis auch er durch Tau-Frost-Zyklen gesprengt wird.

Um eine fundierte Zukunftsprognose stellen zu können, unternimmt der Autor außerdem eine Zeitreise bis zu den Anfängen unseres Planeten, denn um die Frage „Wo geht es hin?“ zu beantworten, muss man sich über das „Wie sind wir bisher hierher gekommen?“ im klaren sein. Und so schweift Weisman ab zum Massensterben der Megafauna im Perm, zu der Entstehung von Korallenriffen, umreißt die Entwicklung des Pflanzendüngers in Großbritannien und erläutert den Untergang der Mayakultur. Diese rückwärtigen Zeitreisen gelten in vielen Rezensionen als Kritikpunkte; sie sind jedoch nicht nur hochinteressant, sondern auch unbedingt vonnöten, um einen Blick in Zukunft einer Erde werfen zu können, die sich ihrer aggressivsten Spezies entledigt hat.
Vor allem nach einem Blick in die vorindustrielle Vergangenheit eröffnen sich zwangsläufig neue Antworten auf die Frage, was uns überdauert: atomar verseuchte Wolken, daraus resultierende Genmutationen und abermillionen Kubikmeter unzersetzlicher Plastikmüll. Und, so zumindest hoffen es die Ingenieure, auch die Warnschilder an den atomaren Endlagern, in Tschernobyl und nun in Fukushima, die in mehreren Sprachen und mithilfe von Piktogrammen hoffentlich auch zukünftigen intelligenten Lebensformen deutlich machen: wer hier die Tür öffnet, läutet den Untergang des Planeten ein. Denn ganz sicher überdauern wird uns beispielsweise Uran-238, das mit einer Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren mehr Geduld beweist als vieles, was je unserer Forscherphantasie entsprungen ist.

Weisman schwenkt also von der anfänglichen Naturromantik um zu einer schonungslosen Analyse, die mehr als deutlich macht, dass das plötzliche Verschwinden des Menschen keine Erlösung wäre – vielmehr, so lautet die deutliche Botschaft des Buches, ist das Verschwinden-Szenario nur deshalb so verheißungsvoll, weil es uns von unserer Verantwortung für unseren Planten entbinden würde. Es ist jedoch jetzt an der Zeit, dass der Mensch endlich beweist, dass er das vernunftbegabte Wesen ist unter all den Lebewesen, mit denen wir uns die Erde teilen.

__________

Die Welt ohne uns ist 2009 als Taschenbuch bei Piper erschienen (ISBN 978-3492051323).

Über den Tellerrand

20000 Leagues under the Sea, Brian Kesinger (Cover Artist)Vor kurzem gab es in unserem Forum ein neues Buchcover zu dem Klassiker 20000 Leagues under the Sea (20.000 Meilen unter dem Meer) von Jules Verne zu sehen. Da es nicht nur mir sondern auch einigen anderen gefiel, dachten wir uns, wir präsentieren euch heute einmal den Künstler hinter diesem Cover: Brian Kesinger.

Brian Kesinger, bis vor kurzem noch gar nicht so schrecklich bekannt, schaffte es in den letzten Wochen von 0 auf mehr als 10.000 Facebook-Anhänger und seine Bilder machen weiter die Runde. Der Illustrator, der seine täglichen Brötchen als Zeichner bei den Walt Disney Animation Studios verdient, interessiert sich privat stark für das Thema Steampunk. Vielleicht wurde er deshalb ausgewählt, die Geschichte Jules Vernes neu zu verpacken.
Brian Kesinger: Tea GirlsWenn Kesinger gerade nicht mit Jules Verne oder Disney beschäftigt ist, taucht er seinen Pinsel gerne in Kamillentee und entwirft eine neue Szene seiner humorvollen Tea Girls. Auch wenn man den Charakteren ihre Verwandtschaft zu den Disney-Figuren anmerkt, bieten diese farblich reduzierten Aquarellbilder einen eigenen Unterhaltungswert. Aus Tee, Tusche und Aquarellfarben entstehen hier viktorianische, freche Damen mit mechatronischen Apparaten, die ihren Haus-Oktopus spazieren führen oder Bücher unter Bäumen lesen – selbstverständlich mit der obligatorischen Fliegerbrille auf dem Hut jeder echten Abenteurerin.

Brian Kesinger: Victoria & Otto

Brian Kesinger: TransformersWer es dagegen nicht so gerne viktorianisch-damenhaft mag und lieber Action sehen will, dem gefallen vielleicht eher die Steampunk-Adaptionen von Comichelden wie den Avengers, Hulk oder den Transformers.

Ihr wollt noch mehr sehen? Kein Problem! Besucht Brian Kesingers Website oder sein Profil bei Facebook. Gerade letztere hält viele weitere Bilder des Künstlers bereit.

Über den Tellerrand

(Fantasy-)Comics haben recht häufig ein mit zusammengebissenen Zähnen verschmerzbares Problem: Brüste. Proportionen. Frauenrollen, die oft nicht weit über sexualisiertes Dekomaterial hinauskommen.
Ihr gähnt – schon wieder ein Gender-Artikel bei bp? Mitnichten, das war nur ein Einstieg, um euch, nachdem wir hin und wieder schon Empfehlungen und Rezis zum Comicbereich eingeschmuggelt haben, die Welt der Webcomis schmackhaft zu machen. Denn unter diesen oft sehr professionell erstellten, z.T. auch vom Medium Comicalbum an eine Darstellung im Browser angepassten Comic-Erzählungen gibt es eine Menge Veröffentlichungen, die auf dem traditionellen Weg ziemlich sicher durch das Raster aus Klischees und angenommenen Mainstream-Wünschen gefallen wären.
Unter anderem gibt es einen im Vergleich zur sonst männerdominierten Comic-Szene hohen Anteil an Künstlerinnen, und mit einer solchen wollen wir in die Materie einsteigen.

Widdershins von Kate Ashwin ist ein launiger Abenteuercomic mit magischen Einsprengseln, der in mehreren locker verbundenen Episoden erzählt wird und um das Örtchen Widdershins mit seiner magischen Universität kreist. Der Comic lebt von der Chemie zwischen seinen Hauptfiguren – in der ersten Story Sleight of Hand sind das die robuste Ermittlerin Harriet Barber und der verhinderte Magier mit dem kleinen Charakterfehler Sid. Im England der 1830er jagen sie zwielichtigen Gestalten und magischen Artefakten hinterher (oder werden von ersteren gejagt), machen sich gegenseitig die Hölle heiß und sind doch von den spezifischen Talenten des jeweils anderen abhängig. In Harriets Fall ist das Kampfkraft und Witz, während Sid eher mit Taschenspielertricks als mit echter Magie glänzt. Dass Harry auch zeichnerisch eher ein Charakterkopf als ein Comic-Model ist, macht das Ganze noch wunderbarer, und ihr trockener Humor sorgt für kurzweilige Rededuelle mit ihrem Sidekick. Dieser geht durch seine unbekümmerte Natur und seine Begabung als Performance-Künstler neben Harry übrigens keineswegs unter.
Auch Heinrich und Mal, die beiden Landstreicher, die die zweite Geschichte No Rest for the Wicked bestreiten, sind ein dynamisches Duo, das durch interessante Nebenfiguren ergänzt wird und sich in einer etwas komplexeren Handlung behaupten muss, wobei Ashwin auch auf originelle Erzählmethoden zurückgreift.
Fürs Abenteuerflair sorgt der Schauplatz – beim England des 19. Jahrhunderts glänzen wahrscheinlich schon die Augen der Steampunk-Fans, allerdings hält sich Widdershins mit Luftschiffen und Goggles angenehm zurück und würzt das historische Setting stattdessen mit feinster Magie. Ansonsten bleibt das Setting historisch und nutzt etwa die Einweihung neuer Eisenbahnstrecken, um Ambiente zu schaffen.
Widdershins 1 von Kate AshwinMan darf gespannt sein, ob sich Sids & Harrys und Mals & Heinrichs Wege noch öfter kreuzen und wie lange ihre gegen den Strich gebürsteten Abenteuer weitergehen – Ashwins letzter Webcomic, das fantasylastigere und zeichnerisch anfangs nicht ganz so ausgefeilte Darken, war ein über acht Jahre geführtes Projekt. Wer Spaß mit gediegenen, augenzwinkernden Abenteuern mit Frauenpower und magischen Missgeschicken haben will, sollte mal bei Widdershins vorbeischauen – neben der kostenlosen Onlineausgabe ist der erste Teil inzwischen auch in Buchform erschienen, eine Fortsetzung gibt es i.d.R. dreimal wöchentlich.

Eselsohr Über den Tellerrand