(Fantasy-)Comics haben recht häufig ein mit zusammengebissenen Zähnen verschmerzbares Problem: Brüste. Proportionen. Frauenrollen, die oft nicht weit über sexualisiertes Dekomaterial hinauskommen.
Ihr gähnt – schon wieder ein Gender-Artikel bei bp? Mitnichten, das war nur ein Einstieg, um euch, nachdem wir hin und wieder schon Empfehlungen und Rezis zum Comicbereich eingeschmuggelt haben, die Welt der Webcomis schmackhaft zu machen. Denn unter diesen oft sehr professionell erstellten, z.T. auch vom Medium Comicalbum an eine Darstellung im Browser angepassten Comic-Erzählungen gibt es eine Menge Veröffentlichungen, die auf dem traditionellen Weg ziemlich sicher durch das Raster aus Klischees und angenommenen Mainstream-Wünschen gefallen wären.
Unter anderem gibt es einen im Vergleich zur sonst männerdominierten Comic-Szene hohen Anteil an Künstlerinnen, und mit einer solchen wollen wir in die Materie einsteigen.
Widdershins von Kate Ashwin ist ein launiger Abenteuercomic mit magischen Einsprengseln, der in mehreren locker verbundenen Episoden erzählt wird und um das Örtchen Widdershins mit seiner magischen Universität kreist. Der Comic lebt von der Chemie zwischen seinen Hauptfiguren – in der ersten Story Sleight of Hand sind das die robuste Ermittlerin Harriet Barber und der verhinderte Magier mit dem kleinen Charakterfehler Sid. Im England der 1830er jagen sie zwielichtigen Gestalten und magischen Artefakten hinterher (oder werden von ersteren gejagt), machen sich gegenseitig die Hölle heiß und sind doch von den spezifischen Talenten des jeweils anderen abhängig. In Harriets Fall ist das Kampfkraft und Witz, während Sid eher mit Taschenspielertricks als mit echter Magie glänzt. Dass Harry auch zeichnerisch eher ein Charakterkopf als ein Comic-Model ist, macht das Ganze noch wunderbarer, und ihr trockener Humor sorgt für kurzweilige Rededuelle mit ihrem Sidekick. Dieser geht durch seine unbekümmerte Natur und seine Begabung als Performance-Künstler neben Harry übrigens keineswegs unter.
Auch Heinrich und Mal, die beiden Landstreicher, die die zweite Geschichte No Rest for the Wicked bestreiten, sind ein dynamisches Duo, das durch interessante Nebenfiguren ergänzt wird und sich in einer etwas komplexeren Handlung behaupten muss, wobei Ashwin auch auf originelle Erzählmethoden zurückgreift.
Fürs Abenteuerflair sorgt der Schauplatz – beim England des 19. Jahrhunderts glänzen wahrscheinlich schon die Augen der Steampunk-Fans, allerdings hält sich Widdershins mit Luftschiffen und Goggles angenehm zurück und würzt das historische Setting stattdessen mit feinster Magie. Ansonsten bleibt das Setting historisch und nutzt etwa die Einweihung neuer Eisenbahnstrecken, um Ambiente zu schaffen.
Man darf gespannt sein, ob sich Sids & Harrys und Mals & Heinrichs Wege noch öfter kreuzen und wie lange ihre gegen den Strich gebürsteten Abenteuer weitergehen – Ashwins letzter Webcomic, das fantasylastigere und zeichnerisch anfangs nicht ganz so ausgefeilte Darken, war ein über acht Jahre geführtes Projekt. Wer Spaß mit gediegenen, augenzwinkernden Abenteuern mit Frauenpower und magischen Missgeschicken haben will, sollte mal bei Widdershins vorbeischauen – neben der kostenlosen Onlineausgabe ist der erste Teil inzwischen auch in Buchform erschienen, eine Fortsetzung gibt es i.d.R. dreimal wöchentlich.
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