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Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Régis Loisel, der bereits am Sonntag vor einer Woche 65 Jahre alt geworden ist. Im Gegensatz zu so manchem seiner Kollegen – wie etwa Andreas oder Caza – dürfte der am 04. Dezember 1951 in dem Städtchen Saint-Maixent-l’École geborene Régis Loisel seit Mitte der 80er Jahre auch hierzulande all denen, die sich für Fantasy und Comics interessieren, ein Begriff sein. Denn damals erschien mit Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit die deutsche Albenausgabe eines im Original La Quête de l’Oiseau du Temps betitelten vierbändigen Fantasyzyklus, der seinen Machern – dem Szenaristen Serge Le Tendre* und dem Zeichner Régis Loisel – nicht nur in ihrer Heimat den Durchbruch bescherte, sondern auch hierzulande ein großer Erfolg war.
Dieser Erfolg ist Loisel, der von Kindesbeinen an Comiczeichner werden wollte, jedoch nicht in den Schoß gefallen. Nachdem er 1972 aus der Provinz nach Paris gezogen war, musste er sich lange Jahre mit kleinen Auftragsarbeiten über Wasser halten, während er gleichzeitig an der Universität von Vincennes die dort von Comicgrößen wie Jean-Claude Mézières und Jean Giraud gegebenen Kurse für angehende Comiczeichner besuchte und bei dieser Gelegenheit andere aufstrebende Zeichner kennenlernte. Einer dieser Zeichner war Serge Le Tendre, der zu diesem Zeitpunkt – nach einem entsprechenden Ratschlag “aus berufenem Mund” – allerdings bereits mit dem Zeichnen aufgehört hatte und sich auf seine unbestreitbaren Fähigkeiten als Szenarist konzentrierte. Mit ihm und einigen anderen Kollegen gründete Loisel das Comicmagazin Tousse Bourin, das jedoch nach vier Ausgaben aus Geldmangel wieder eingestellt wurde. Auch der Versuch, mit Le Tendre zusammen eine große Fantasygeschichte mit dem Titel “Pelisse: La Quête de l’Oiseau du Temps” zu erzählen, scheiterte im ersten Anlauf, da das ambitionierte SF-Magazin Imagine, in dem sie abgedruckt werden sollte, aufgrund schlechter Verkaufszahlen nach drei Ausgaben wieder vom Markt verschwand.
Der Tempel des Vergessens von Le Tendre und LoiselWenn man die noch in Schwarzweiß gehaltenen Seiten aus Imagine mit denen vergleicht, die sieben Jahre später in dem Comicmagazin Charlie Mensuel – dieses Mal in Farbe – abgedruckt wurden, muss man im Nachhinein sagen, dass der vermeintliche Rückschlag sich letztlich als Glücksfall erwiesen hat, denn erzählerisch und zeichnerisch ist ein deutlicher Qualitätssprung erkennbar. La Quête de l’Oiseau du Temps kam bei der Leserschaft von Charlie Mensuel sehr gut an, und auch die nachfolgenden Albenausgaben (Einzeltitel: La Conque de Ramor (1983), Le Temple de L’oubli (1984), Le Rige (1985) und L’oeuf des Ténèbres (1987)) verkauften sich von Band zu Band besser und schließlich hervorragend. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn die von Le Tendre ersonnene Geschichte ist viel mehr als nur eine Suche nach dem titelgebenden “Vogel der Zeit”, den die Zauberin Mara braucht, um die Welt Akbar vor der Rückkehr des rachsüchtigen Gottes Ramor zu retten. Ramor wurde einst in ein Schneckenhaus verbannt, doch der Fluch, der ihn dort festhält, muss erneuert werden; ihn auszusprechen, dauert allerdings so lange, dass Mara auf den Vogel der Zeit – bzw. dessen Fähigkeit, die Zeit anzuhalten – angewiesen ist. Deshalb schickt sie ihren Jugendfreund, den alternden Ritter Bragon, zusammen mit ihrer (gemeinsamen?) Tochter Pelissa (im Original Pelisse) los, um den Vogel der Zeit und das Schneckenhaus mit dem darin gefangenen Ramor zu suchen. Die Queste, in die neben dem wackeren alten Kämpen und der üppigen Pelissa (die wie der typische, in Fantasycomics häufig zu findende gestaltgewordene feuchte Männertraum wirkt) auch noch Bulrog (ein zum Söldner gewordener ehemaliger Schüler Bragons) und der vor allem für auflockernde lustige Momente zuständige “Unbekannte” verwickelt werden, führt zu von Loisel beeindruckend in Szene gesetzten faszinierenden Orten, an denen sie ebenso faszinierenden, ihnen allerdings nicht immer freundlich gesinnten und teils sehr gefährlichen Wesen begegnen. Dabei liegt der Reiz der Geschichte nicht nur an der spannend inszenierten, mit mehreren verblüffenden Wendungen aufwartenden eigentlichen Queste, sondern auch am komplexen Beziehungsgeflecht der vier Hauptfiguren, deren Schicksal im Verlauf der Handlung mindestens ebenso wichtig wird wie das Akbars. Dazu kommen Loisels detailreiche, manchmal gar überbordende Zeichnungen, die aus Akbar eine wirklich exotische Fantasywelt mit originellen Bewohnern machen. Doch das, was La Quête wirklich zu einem ganz besonderen Fantasycomic macht, der die Möglichkeiten des Mediums wie kaum ein zweiter** nutzt und so zu einem Referenzwerk wird, an dem sich alle anderen Fantasycomics messen lassen müssen, offenbart sich erst im vierten Album …
Grauwolfs letzter Kampf von Le Tendre und LoiselAuch in Deutschland erschienen die ersten beiden Bände von Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit zunächst als Fortsetzungsgeschichte in Comicmagazinen (Band eins in Pilot 18 – 23 (1984), Band zwei in Schwermetall 60-65 (1985)), ehe die vier Alben Schatten über Akbar, Der Tempel des Vergessens (beide 1985), Grauwolfs letzter Kampf (1986) und Das Ei der Finsternis (1988) herauskamen, die teilweise mit neuen Titelbildern mehrfach neu aufgelegt wurden; 1992 folgte schließlich noch eine limitierte Gesamtausgabe unter dem Zyklustitel.
Der Erfolg von La Quête machte Loisel unabhängig, und bei der Arbeit an dem Zyklus war ihm klargeworden, dass er in Zukunft selbst Geschichten erzählen und sie nicht nur als Zeichner umsetzen wollte. Daher nahm er sein nächstes Projekt – eine freie Adaption von J.M. Barries Peter Pan*** – allein in Angriff, und das Ergebnis ist deutlich anders, als man vielleicht hätte erwarten können (vor allem, da Loisel durch den Disney-Fim von 1953 zu seiner Idee inspiriert wurde – Barries Originaltext kannte er damals noch gar nicht). Doch besagter Originaltext war ihm dann zu dünn, zu anekdotisch erzählt, und daher machte er sich in seiner Adaption daran, Peter und den anderen Figuren eine Hintergrundgeschichte zu geben, so dass sein Peter Pan eigentlich ein Prequel ist, das allerdings – da er den im Original verborgenen Subtext an die Oberfläche holt und sichtbar macht – sehr viel psychologischer und düsterer als Barries Version (oder gar der Disney-Film) ausgefallen ist.
Alles beginnt im Winter 1887 in einer Gasse in einem heruntergekommenen Viertel Londons; hier sitzt ein Junge vor einem Bretterverschlag und erzählt einer Horde Kindern auf der anderen Seite des Verschlags Geschichten, erst von Aschenputtel und dann von seiner ihn ach so sehr liebenden, fürsorglichen Mutter. Der Erzähler ist Peter – und die Geschichten über seine Mutter, die seine aus einem nahegelegenen Waisenhaus stammenden Zuhörer so gerne hören, sind frei erfunden. Denn in Wirklichkeit ist Peters Mutter eine Alkoholikerin, die ihren Sohn nur braucht, damit er ihr die nächste Flasche Fusel besorgt. Der einzige Lichtblick in Peters tristem Leben ist der nette alte Mister Kundal, der in einem Zimmer über einem Gasthaus lebt und Peter nicht nur lesen, schreiben und rechnen beigebracht hat, sondern ihn auch mit Essen und Geschichten versorgt. Die anderen Menschen sind nicht so großzügig – und manche sind sogar gefährlich, wie Peter feststellen muss, als er wieder einmal Brandy besorgen soll. Dass er im Gasthaus eine demütigende Situation erlebt (da ihm seine Mutter natürlich kein Geld mitgegeben hat), ist eine Sache, doch dass er auf dem Heimweg nur um Haaresbreite einer Vergewaltigung entgeht, ist noch einmal etwas ganz anderes. Und da seine Mutter ihn anschließend aus dem Haus jagt, ist es kein Wunder, dass Peter mit der Fee Glöckchen (im Original Clochette) und mit Hilfe ihres Feenstaubs einfach davonfliegt, London und die Welt der Erwachsenen mit all ihrer Gewalt, ihrem Sex, ihrer Armut und ihrem Schmutz hinter sich lässt. Glöckchen wiederum hat nach ihm gesucht – oder, genauer: sie hat nach jemandem gesucht, der die Insel Nimmerland und all die Fabelwesen, die auf ihr leben, retten wird. Denn vor der Insel liegt ein Piratenschiff vor Anker, dessen Mannschaft und deren cholerischer Kapitän auf der Suche nach einem Schatz sind, den es auf der Insel geben soll …
Was in groben Zügen im ersten Album Londres (1990) so beginnt, entwickelt sich in den fünf folgenden Alben Opikanoba (1992), Tempête (1994), Mains rouges (1996), Crochet (2002) und Destins (2004) zu einer komplexen Geschichte, deren Peter Pan Gesamtausgabe von LoiselSchauplatz zumeist Nimmerland ist (auch wenn Peter aus unterschiedlichen Gründen noch mehrmals nach London zurückkehrt) und in der u.a. erzählt wird, wie die Lost Boys auf die Insel gekommen sind, der Piratenkäpt’n zu Käpt’n Hook geworden ist oder warum das Krokodil den Wecker verschluckt hat – vor allem aber, wie und warum aus Peter Peter Pan geworden ist und warum er nicht erwachsen werden will (oder werden kann oder werden darf). Grafisch setzt Loisel das Ganze mit einem Strich in Szene, der im Vergleich zum Vogel der Zeit noch ein bisschen dynamischer geworden ist und manchmal fast schon karikierend wirkt, dabei aber – unterstützt durch eine an die jeweiligen Örtlichkeiten und Situationen angepasste Farbgebung – die Geschichte und ihre Atmosphäre immer überzeugend transportiert. Das Ergebnis ist ein sowohl grafisch als auch erzählerisch beeindruckendes Werk – aber auch eines, das teilweise sehr düster und letztlich tieftraurig ist. Aber was will man andererseits von einer Geschichte erwarten, in der es um ungeliebte Kinder geht?
Loisels Peter Pan hat es auch nach Deutschland geschafft. Die ursprünglich erschienenen sechs Alben London (1991), Die Insel (1992), Sturm (1995), Rote Hand (1997), Der Haken (2002) und Schicksale (2005) sind allerdings längst vergriffen, doch dankenswerterweise gibt es statt dessen eine sehr schöne zweibändige Peter Pan Gesamtausgabe (2014/15), in der außerdem ein redaktioneller Teil über Loisels Werdegang enthalten ist (dem auch dieser Beitrag einige bio- und bibliografische Angaben verdankt).
Vierzehn Jahre lang hat Régis Loisel an Peter Pan gearbeitet. Parallel dazu hat er in dieser Zeit am ersten Album des neuen Zyklus um den Vogel der Zeit (bei dem es sich um ein im Original Avant la Quête betiteltes Prequel handelt, das ursprünglich erst als dritter Zyklus geplant war) mitgewirkt, das unter dem Titel L’ami Javin 1998 erschienen ist, wobei mitgewirkt bedeutet, dass er zusammen mit Le Tendre das Szenario entworfen, ein Storyboard erstellt und coloriert hat, während die Reinzeichnungen von Lidwine stammen; eine ähnliche Arbeitsteilung hat auch bei den drei folgenden Alben von Avant la Quête stattgefunden, allerdings hat Loisel sie nicht mehr coloriert und die Reinzeichnungen stammen von Mohamed Aouamri (Le grimoire des dieux (2007)) und Vincent Mallié (La voie du Rige (2010) und Le chevalier Bragon (2013)). Hierzulande ist Avant la Quête als Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit 5-8 (1998-2014) erschienen.
Bereits 2005 hatte Régis Loisel, der zwischenzeitlich nach Kanada (genauer: nach Montreal) gezogen war, wo er sich mit seinem Kollegen Jean-Louis Tripp ein Atelier teilt°, mit besagtem Jean-Louis Tripp mit der Arbeit an einem Zyklus mit dem Titel Magasin général (neun Alben, 2006-2014) begonnen, der ausnahmsweise keinen phantastischen Inhalt hat, sondern in dem es um ein irgendwo im Hinterland von Quebec angesiedeltes Dorf und dessen Bewohner in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts geht (deutsch als Das Nest, neun Alben, 2007-2015). Und 2007 erschien mit L’armes d’abeille das erste Album des Zyklus Le Grand Mort (bislang sechs von wahrscheinlich acht Alben, 2007-2015), für den er gemeinsam mit Jean-Blaise Djian das Szenario schreibt, während die Zeichnungen von Vincent Mallié (s.o.) stammen. Bei Le Grand Mort (deutsch als Der große Tote, bislang sechs Alben, 2008-2016) handelt es sich wieder um einen phantastischen Zyklus, der zwar ein wenig klischeehaft begonnen hat, dessen neuere Alben sich allerdings in eine Richtung entwickeln, die die Hoffnung nährt, dass sich auch die dritte phantastische Comicreihe, an der Régis Loisel beteiligt ist, am Ende als weit überdurchschnittliches oder sogar überragendes Werk erweisen könnte.
Doch unabhängig davon, wie sich Der große Tote letztlich entwickeln wird – Loisel, der beim Internationalen Comicfestival von Angoulême zwei Mal (1991 und 1995) den Alph-Art du public (für das erste bzw. dritte Album von Peter Pan) und 1992 (wiederum für Peter Pan) beim Comic-Salon Erlangen den Max-und-Moritz-Preis gewonnen hat und der 2003 schließlich mit dem Grand Prix de la Ville d’Angoulême – dem wichtigsten französischen Comicpreis – ausgezeichnet wurde, hat seinen Platz im Pantheon der großen phantastischen Comickünstler und Erzähler seit dem Abschluss von Peter Pan längst sicher …

* – interessanterweise konnte auch Serge Le Tendre erst vor kurzem einen runden Geburtstag feiern – er wurde am 01. Dezember 70 Jahre alt.
** – diese Aussage bezieht sich explizit auf Fantasycomics, denn z.B. die Arbeiten eines Marc-Antoine Mathieu reizen die Möglichkeiten des Mediums noch wesentlich weiter aus.
*** – die Entwicklungs- und Publikationsgeschichte von J.M. Barries Peter Pan ist zu komplex, um sie hier als Fußnote abzuhandeln; bei Interesse empfiehlt sich ein Blick in die deutsche oder englische Wikipedia.
° – sich mit einem oder mehreren Kollegen ein Atelier zu teilen, hat bei Loisel Tradition, die er bereits in Paris begonnen hatte und auch während seiner Zeit in der Bretagne (Ende der 80er bis Anfang der 00er Jahre) fortgeführt hat.

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Mit einer Woche Verspätung gratuliert Bibliotheka Phantastika Jeff Long, der am 24. November seinen 65. Geburtstag feiern konnte. In seine Romane brachte der im Jahr 1951 in Bay City, Texas, geborene Jeffrey B. Long immer wieder seine Erfahrungen als Bergsteiger und Kletterer ein, die ihn unter anderem auf Himalayagipfel, aber auch an Krisenschauplätze wie Kambodscha und Tibet geführt haben.
Am eindringlichsten haben sich all diese Erfahrungen in The Descent (1999; dt. Im Abgrund (2001)) niedergeschlagen, das man zusammen mit seinem Nachfolger Deeper (2007) und einigen Stories durchaus als das Magnum Opus von Jeff Long sehen kann – ein Setting und ein Was-wäre-wenn-Gedankenspiel, zu dem es ihn immer wieder hinzieht.
The Descent von Jeff LongDer Roman steigt mit einer klaustrophobischen Sequenz ein, in der eine Bergsteigergruppe unter Führung des mit allen alpinen Wassern gewaschenen Ike bei einem Wetterumschwung in eine überraschend weitläufige Höhle flieht, und dort nicht nur auf völlig unbekannte Schriftzeichen stößt, sondern auf viel Schlimmeres. In den nächsten Kapiteln stoßen auch die Linguistin und Nonne Ali in Afrika und Major Branch, der für die NATO in Bosnien ist, auf Hinweise, dass unter der Erde etwas existieren könnte, das die Visionen von Dämonen und Hölle verschiedenster Kulturen recht glaubhaft erscheinen ließe.
Jahre später wird auch schon ein jegliche Vorstellung übersteigendes Höhlensystem erforscht, das die ganze Welt durchzieht. Wirtschaft, Forschung, Militär – alle haben ein riesiges Interesse an diesem neuen subterranen Raum. Als jedoch die Zwischenfälle zunehmen, wird eine Expedition zusammengestellt, an der auch jene Spezialisten teilnehmen, die schon früh mit der Unterwelt Kontakt hatten, unter anderem Ike, Ali und Branch.
Wie oft, wenn eine Geschichte um Enthüllungen und, wie in diesem Fall, auch Horror-Elemente kreist, ist The Descent am besten, solange das Geheimnis noch intakt ist, man das Monster noch nicht gesehen hat, und die Ausmaße der Veränderung, die durch die Enthüllung in Gang gesetzt wird, sich erst aufklären. So gehören die ersten 100 Seiten des Romans auch mit zu den eindringlichsten Sequenzen, die im Dunstkreis der Genres Abenteuer/Horror und Spannung zu finden sind. Aber auch die anschließende Erforschung der Untergrundwelt und ihrer Natur (und Kultur) hat es in sich. Dass der Roman zum Ende hin etwas zu einer Verschwörungsgeschichte ausdröselt und einige Fäden auch völlig ins Leere laufen, ist zwar bedauerlich (und könnte mit der Tatsache zu tun haben, dass die deutsche Ausgabe offenbar gekürzt wurde, was auch einige der sehr holprigen Übergänge erklären würde), aber mit den spannenden Konzepten und dem ansonsten sehr gelungenen Aufbau von The Descent kann man sich trotzdem sehr gut unterhalten lassen und einem phantastischen Weltentwurf folgen, der weder ganz ins Fantasyreich noch in ein futuristisches Setting führt.
Auch mit den auf The Descent folgenden Romanen, etwa Year Zero (2002, dt. Grauzone (2003) oder Zone des Grauens (2005)), bewegt sich Jeff Long im Umfeld von religiösen Mythen, Wissenschaft und Verschwörungen. In seiner 2015 erschienenen Kurzgeschichtensammlung Too Close to God kehrt er zwischen anderen Geschichten mit Bergsteigerhintergrund auch wieder ins Setting von The Descent zurück, bei dem immer noch die Frage nach einem dritten Teil im Raum steht.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Caza, der bereits heute vor zwei Wochen seinen 75. Geburtstag feiern konnte. Caza ist das Kürzel, unter dem der am 14. November 1941 in Paris geborene Philippe Cazaumayou seine Arbeiten veröffentlicht, die ihn in der Frühphase des Die große Außenwelt von Caza(damals innovativen) Comicmagazins Métal Hurlant zu einem der wichtigsten Vertreter des neuen phantastischen französischen Erwachsenencomics machten. Seine Bedeutung lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass Les Humanoïdes Associés (der Verlag, in dem Métal Hurlant erschien) ihm 1979 einen Caza 30×30 betitelten Bildband (“30×30” verweist auf das ungewöhnliche LP-Format) gewidmet hat – eine Ehre, die außer ihm nur Moebius alias Jean Giraud und Phillippe Druillet zuteil geworden ist.
Bevor sich Caza einen Namen als Comic-Künstler gemacht hat, hat er zehn Jahre als Grafiker in der Werbung gearbeitet. Da ihn diese Tätigkeit auf Dauer nicht befriedigte, wandte er sich ab Ende der 60er Jahre den Comics zu und veröffentlichte 1970 mit Kris Kool ein erstes Album, das inhaltlich von Jean-Claude Forests Barbarella (der Vorlage für den vermutlich hierzulande bekannteren gleichnamigen Film mit Jane Fonda) beeinflusst war, während es grafisch ganz in der Tradition der Pop-Art-Alben Guy Peellaerts stand.
Ab Anfang der 70er Jahre begann er, Innenillustrationen und bald vor allem Titelbilder für die französischen SF-Magazine Galaxie und Fiction und SF- und Fantasyromane zu schaffen und entwickelte binnen kurzer Zeit den typischen Stil, der ein Caza-Cover unverkennbar macht und ihn zu einem der gefragtesten Titelbildzeichner auf dem französischen Buchmarkt werden ließ, der bis vor kurzem in diesem Bereich durchgängig aktiv war. Parallel dazu veröffentlichte er erste kurze Comics in Pilote, die sich grafisch deutlich von seinem ersten Album unterschieden.
Mitte der 70er Jahre zog Caza in die Cevennen, und dieser Rückzug aus der Zivilisation scheint seine Kreativität enorm beflügelt zu haben, denn die Kurzgeschichten, die er ab 1975 für das gerade gestartete Métal Hurlant – anfangs in Schwarzweiß, bald darauf dann auch in Farbe – zeichnete, machten ihn rasch zu einem der Stars des Magazins (s.o.). Während Caza sich in Métal Hurlant mit phantastischen Themen austobte – die immer häufiger auch einen erotischen Touch hatten – entstanden für Pilote satirische Geschichten, die meist ins Phantastische oder Surrealistische lappten (und in denen Caza selbst auftritt); sie wurden in drei Alben als Scènes de la vie de banlieue (1977-79; 2003 auch als “Intégrale” aka Omnibusausgabe) gesammelt veröffentlicht*.
Les Remparts de la Nuit von CazaNach seiner Rückehr in die Zivilisation wandte Caza sich auch in den Geschichten für Pilote endgültig voll und ganz der Phantastik zu: die kurz nach der Magazinveröffentlichung in den Alben Les Habitants du crépuscule (1982) und Les Remparts de la nuit (1984) unter dem Obertitel L’Âge d’ombre (unter diesem auch als Intégrale (1998)) gesammelten Geschichten hätten sowohl grafisch wie inhaltlich auch bestens in Métal Hurlant gepasst und verbreiten eine mal mehr, mal weniger düstere Endzeitstimmung. Eine dieser Geschichten (“Equinoxe”) hat der Regisseur René Laloux zusammen mit Caza als kurzen Zeichentrickfilm adaptiert – das Ergebnis kann man sich hier anschauen, und auch wenn sich Comic und Film in mehrfacher Hinsicht unterscheiden, kann man auch in dem Film ein paar typische Merkmale von Cazas phantastischen Comics erkennen, etwa seine Vorliebe für titanische Bauwerke, unbekleidete Frauen … und verrätselte Inhalte.
Auch die Inhalte der für Métal Hurlant entstandenen Geschichten – die in den Alben Arkhê (1982) und Laïlah (1988) gesammelt wurden – erschließen sich nicht unbedingt auf Anhieb, und das gilt ebenfalls für Cazas magnum opus, die aus neun Alben bestehende Reihe Le Monde d’Arkadi. Schauplatz des 1989 mit Les Yeux d’Or-Fé begonnenen und mit Le Grand Extérieur (1990), Arkadi (1991), La Corne rouge (1992), Les Voyageurs de la mer morte (1993), Noone (1996), Le Château d’Antarc (2004), Pierres de Lune (2007) und Le Jour de l’arche (2008) fortgesetzten (die lange Pause zwischen Band sechs und sieben war u.a. einem Verlagswechsel geschuldet) und um einen Prolog – Nocturnes (2000) – ergänzten Zyklus ist eine Erde in ferner Zukunft, die umgeben von einem zum Asteroidenschwarm zerfallenen Mond ihre Rotation längst eingestellt hat, so dass es auf einer Seite immer hell ist, während die andere in ewiger Dunkelheit liegt. Nur in der Zwielichtzone können die auf eine primitive Kulturstufe zurückgefallenen Menschen überleben. Einer von ihnen ist Arkadi, der Sohn des Kriegers Arkas, der von mehreren Gefährten begleitet zu einer Queste aufbricht, die ihn nach Dité führen soll, der Kuppelstadt mitten im Herzen der Dunkelheit. Dort leben – umgeben von einer Hochtechnologie – ebenfalls Menschen, um die sich Titanen genannte Cyborgs kümmern. Einer dieser Cyborgs – ein Dichter namens Or-Fé – ist für den Fortbestand von Dité sehr wichtig – was allzu deutlich wird, als er verschwindet …
Pierres de Lune von CazaDie mittels abwechselnd im “Draußen” und in Dité spielender Handlungsstränge und grafisch in einem vor allem im Hinblick auf die Figurendarstellung ein bisschen näher an Moebius gerückten Stil erzählte Geschichte erschließt sich erst sehr allmählich (wobei der nachgelieferte Prolog – wie schon im Fall der Rork-Geschichten von Andreas – das Ganze etwas einfacher macht); das gilt allerdings nicht für deutschsprachige Leser und Leserinnen, denn die deutsche Ausgabe des Zyklus Die Welt von Arkadi wurde nach vier Alben – Die Augen von Or-Fé (1995), Die große Außenwelt, Arkadi (beide 1996) und Das rote Horn (1998) – abgebrochen. Was bedauerlich ist, da Caza ein farbiges und detailreiches, phantastisch umgesetztes Setting geschaffen hat, das weit mehr ist als eine Kulisse für eine durchaus originelle Geschichte.
Aber was Veröffentlichungen in deutscher Sprache betrifft, hat Caza ohnehin noch nie zu den (ganz) Glücklichen gezählt – aber auch nicht zu den (ganz) Unglücklichen, denn immerhin ist ein Großteil seiner frühen Arbeiten für Pilote und Métal Hurlant in ihren jeweiligen deutschen Pendants Pilot und Schwermetall erschienen und in fünf Caza betitelten und von eins bis fünf durchnummerierten Alben (mit dem Untertitel “Gesammelte Werke beim Volksverlag”, alle 1984) nachgedruckt worden**; dazu kommt der Band Die Träume des Caza (1979), der Geschichten enthält, die nicht in den Magazinen veröffentlicht wurden.
Was wäre noch über Caza zu sagen? Dass er für die zeichnerische Umsetzung von Gandahar (1988) verantwortlich war, einem 83-minütigen Zeichentrickfilm von (wieder) René Laloux, bei dem es sich um die Adaption des Romans Les Hommes-machines contre Gandahar von Jean-Pierre Andrevon handelt? Oder dass er das Szenario für den sogar noch etwas längeren Zeichentrickfilm Les Enfants de la pluie (2003) geschrieben hat, der eine freie Adaption des Serge-Brussolo-Romans À l’image du dragon darstellt? Oder dass er sich auch als Comic-Szenarist betätigt hat, und zwar für die vierteilige Albenreihe Amiante (1993-97, Zeichnungen Patrick Lemordan)?
Aber da sich Cazas Œuvre ohnehin nicht in ein paar dürren Zeilen erfassen lässt, soll an dieser Stelle einfach der Hinweis genügen, dass er ein leider hierzulande viel zu wenig bekannter Comickünstler ist, dessen phantastische Bilder – im eigentlichen und im übertragenen Sinn – einem lange im Gedächtnis bleiben.

* – lustig ist, dass die Cover der Alben bei Neuauflagen jeweils ausgetauscht wurden, so dass man Cazas Entwicklung und/oder Vermarktung hier sehr schön erkennen kann (einfach durchklicken)
** – ich kann leider nicht sagen, was in welchem Band ist, meine mich aber erinnern zu können, dass nur die letzten beiden Alben durchgängig farbig sind

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Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Sofia Samatar, die bereits vor gut zweieinhalb Wochen ihren 45. Geburtstag feiern konnte. Bevor die am 24. Oktober 1971 im amerikanischen Bundesstaat Indiana geborene Sofia Samatar ab 2011 zunächst mit Gedichten, doch bald darauf auch mit Rezensionen, Essays und Erzählungen auf sich aufmerksam machte, hatte sie eine akademische Ausbildung hinter sich gebracht (in deren Rahmen sie u.a. Arabisch studiert hat) und anschließend mehrere Jahre als Englischlehrerin im Sudan und in Ägypten gearbeitet. Im Sudan – genauer: in Yambio, einer Stadt in der seit 2011 vom Sudan unabhängigen Republik Südsudan – ist auch der erste Entwurf ihres ersten Romans entstanden, der viele Jahre und Bearbeitungsstufen später – und nur noch halb so lang wie anfangs geplant – als A Stranger in Olondria (2013) auf den Markt kam und gleich die wichtigsten Preise des Genres abgeräumt hat.
“As I was a stranger in Olondria, I knew nothing of the splendor of its coasts, nor of Bain, the Harbor City, whose lights and colors spill into the ocean like a cataract of roses. I did not know the vastness of the spice markets of Bain, where the merchants are delirious with scents. I had never seen the morning mists adrift above the surface of the green Illoun, of which the poets sing; I had never seen a woman with gems in her hair, nor observed the copper glinting of the domes, nor stood upon the melancholy beaches of the south while the wind brought in the sadness from the sea …” Mit diesen Sätzen beginnt Jevick, der Ich-Erzähler von A Stranger in Olondria, seine Geschichte, und sie stimmen uns stilistisch und inhaltlich auf das ein, was folgen wird. Jevick lebt als Sohn eines wohlhabenden Pfefferhändlers in dem Dorf Tyom auf einer der Tea Islands, einer Inselgruppe im Süden des mächtigen Reichs Olondria. Eines Tages bringt sein Vater von einer seiner Reisen einen Hauslehrer aus Olondria mit, der Jevick nicht nur die olondrische Sprache sondern auch das Lesen beibringt – etwas, das auf den Tea Islands unbekannt ist – und ihn mit Lesestoff in Form der großen olondrischen Epen versorgt. Jevick begeistert sich für die “Magie” des Lesens und den Stoff, den er zu lesen bekommt, und als sein Vater überraschend stirbt, kann er es kaum erwarten, an dessen Stelle nach Bain zu reisen und in der Hauptstadt Olondrias all das, was er bisher nur aus Büchern kennt, mit eigenen Augen zu sehen. Seine Begeisterung ist so groß, dass er nicht einmal merkt, wie sehr er sich bereits von seinen mitreisenden Landsleuten entfremdet hat, die er aufgrund ihrer Unkenntnis der olondrischen Sprache verachtet. In Bain angekommen, ist Jevick schier berauscht von all den Eindrücken, die auf ihn einprasseln, und die ihren Höhepunkt im “Feast of Birds” – einem Fest zu Ehren von Avalei, der Göttin der Liebe und des Todes – finden. Doch die Ernüchterung folgt spätestens, als er kurz nach dem besagten Fest vom Geist Jissavets (einer jungen Frau aus seiner Heimat, die er auf der Überfahrt kennengelernt hatte) heimgesucht wird und dadurch ins Visier der Repräsentanten der in Olondria vorherrschenden Religion gerät, denn für die Priester des “Stone” ist jeder, der Geister – oder “Engel” – sehen kann, eine Gefahr, weil solche Menschen von den entmachteten und verfolgten Priestern des konkurrierenden Avalei-Kults als Heilige betrachtet werden. Jevick muss schmerzhaft erkennen, wie wenig er letztlich von Olondria, von den politischen und religiösen Gegebenheiten des Reiches weiß, und ihm wird bewusst, dass er noch immer ein Fremder in Olondria ist – und es auch im weiteren Verlauf seiner Abenteuer, die ihn weit von Bain wegführen, bleiben wird …
A Stranger in Olondria von Sofia Samatar Mit A Stranger in Olondria ist Sofia Samatar ein wundervoller, kluger Roman gelungen, der in sich Elemente des Entwicklungsromans (oder gar des Bildungsromans), des Reiseromans und der Geistergeschichte vereint – und präsentiert wird das Ganze in einer nur als berückend schön zu bezeichnenden poetischen Sprache (von der man sich hier anhand des ersten Kapitels einen Eindruck verschaffen kann). Doch in A Stranger in Olondria geht es nicht nur um die Reise eines anfangs naiven jungen Mannes an überaus plastisch und atmosphärisch geschilderte exotische Orte, sondern auch sehr zentral um die Kraft des geschriebenen Wortes. Oder, etwas genauer: um die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können. Es geht um die Räume, die sich dadurch eröffnen, aber auch um die Barriere, die zwischen denen entsteht, die diese Fähigkeit beherrschen, und denen, die sie nicht beherrschen; und um die Gefahren, die daraus erwachsen können, dass man das geschriebene Wort für die einzige Wahrheit hält. Vor allem die Behandlung dieser Thematik mit all ihren Nebenerscheinungen macht A Stranger in Olondria weit über die wunderbare Sprache, die Exotik und die Atmosphäre hinaus zu einem wirklich lesenswerten Roman, der völlig zu recht mit dem World Fantasy Award und dem British Fantasy Award aka Robert Holdstock Award ausgezeichnet wurde und als weiteres Beispiel dafür gelten kann, was heutzutage in der Fantasy abseits von tolkienesken Questen und Metzeleien im Grim-&-Gritty-Stil möglich ist.
Inzwischen ist Sofia Samatar mit The Winged Histories (2016) noch einmal nach Olondria zurückgekehrt, und die bislang veröffentlichten Rezensionen deuten stark darauf hin, dass es ihr gelungen ist, das Niveau ihres Erstlings nicht nur zu halten, sondern sogar zu übertreffen. Was die Tatsache, dass besagter Erstling bislang noch nicht übersetzt wurde (und vermutlich so bald auch nicht übersetzt werden wird), umso bedauerlicher macht.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Ben Peek, der bereits heute vor einer Woche seinen 40. Geburtstag feiern konnte. Seine ersten literarischen Gehversuche machte der am 12. Oktober 1976 in Sydney im australischen Bundesstaat New South Wales geborene Benjamin Michael Peek ab 1996 in verschiedenen australischen Fanzines und Magazinen, wobei das inhaltliche Spektrum seiner Stories von SF über Horror und Fantasy bis hin zum Slipstream reichte. Ab Mitte der 00er Jahre wurde die eine oder andere Geschichte in den australischen Best-of-Anthologien nachgedruckt, und ungefähr um die gleiche Zeit erschienen auch seine ersten beiden Romane, von denen einer – nämlich Black Sheep (2007), in dem Peek das düstere Bild eines zukünftigen,von einem bizarren Apartheid-System beherrschten Australien entwirft – der SF zuzurechnen ist, während es sich bei Twenty-Six Lies/One Truth (2006) um eine fiktionale Autobiographie handelt.
The Godless von Ben PeekDanach wurde es – abgesehen von ein paar vereinzelten Stories – zunächst einmal ruhig um Ben Peek, bis 2014 mit The Godless der erste Band der The Children Trilogy auf den Markt kam. Auch wenn weder das Cover der englischen noch der amerikanischen Ausgabe darauf hindeuten, handelt es sich bei The Godless – bzw. der gesamten Trilogie, deren Einzelbände ursprünglich andere Titel tragen sollten* – um Epic Fantasy, die mit einem der originellsten, ehrgeizigsten und phantastischsten Konzepte, das man in den letzten Jahren in diesem Subgenre zu Gesicht bekommen hat, punkten kann (und in der Umsetzung bedauerlicherweise wieder ein paar Punkte verliert). Aber der Reihe nach:
The Godless spielt auf einer Welt, auf der es – Nomen est in diesem Fall nicht Omen – sehr wohl noch Götter gibt, allerdings sind diese seit einem fünfzehntausend Jahre zurückliegenden verheerenden Götterkrieg tot, und ihre gigantischen (manchmal dann doch nicht ganz so toten) Körper bilden zum Teil die geographischen Strukturen dieser Welt. Außerdem sickert aus ihnen so etwas wie ihre göttliche Essenz, die manchen Menschen merkwürdige Kräfte verleihen kann, was von deren nicht auf diese Weise “beglückten” Mitmenschen nur gelegentlich als Geschenk, sondern zumeist als Fluch betrachtet wird. In dieser Welt lebt die junge Kartographin Ayae, die plötzlich feststellen muss, dass sie nicht mehr durch Feuer verletzt werden kann, was ihre Situation in einer Zeit, in der ihre neue Heimat, die auf dem Körper eines toten Gottes erbaute Gebirgsstadt Mireea, von einem feindlichen Heer bedroht wird, nicht unbedingt leichter macht. Auch die Bekanntschaft mit dem viele tausend Jahre alten geheimnisvollen Zaifyr, der mehr über die Geschichte seiner Welt weiß als die meisten anderen Menschen, nützt ihr nicht viel, denn Zaifyr hat seine eigenen Pläne und Ziele – und er ist nicht der einzige. Und dann wäre da noch der Söldnerführer Bueralan, der versucht, mit seinen Männern die feindliche Armee zu infiltrieren, um etwas über deren Schwächen herauszufinden, und dabei viel mehr zu sehen bekommt, als er sich jemals gewünscht hat …
Das Konzept, das hinter The Godless steht, ist neu, faszinierend – und sehr ambitioniert. Und eigentlich macht Ben Peek auch Vieles richtig, entwirft nicht nur ein phantastisches, farbiges Setting, sondern stellt mit Ayae, Zaifyr und Bueralan auch drei Figuren in den Mittelpunkt der Handlung, die interessant genug sind – alle drei haben über ihre aktuellen Probleme hinaus eine Vorgeschichte, die z.T. in kurzen Rückblenden angerissen wird –, um die Geschichte eigentlich tragen zu können. Doch dazu verläuft ihre Entwicklung zu sprunghaft – oder, anders gesagt: alle drei haben innere Konflikte, doch diese Konflikte werden entweder im Off oder zu leicht gelöst. Zudem durchzieht das ganze Buch nicht zuletzt durch die schnellen Schauplatzwechsel und die extrem kurzen Kapitel eine gewisse Atemlosigkeit und Hektik, die – sofern man sich von ihr mitreißen lässt – genau das verhindert, was dieser gelegentlich sehr fragmentarisch erzählte Roman eigentlich braucht: dass man innehält, um selbst die Brücken zu schlagen, mit denen sich diese Fragmente verbinden lassen, und um den tieferen Schichten nachzuspüren, die unter der Oberfläche verborgen sind. Denn die gibt es sehr wohl – manche Autoren hätten aus dem, was Ben Peek in The Godless gepackt hat, locker eine Trilogie gemacht. Was letztlich auch bedeutet, dass dieser Roman ausnahmsweise mal eher zu dünn als zu dick ist (er ist – für Epic-Fantasy-Verhältnisse – tatsächlich nicht sehr dick).
Trotz der o.g. Einwände ist dieser erste Band der Children Trilogy ein lesenswerter Roman, dessen Stärken seine Schwächen mehr als aufwiegen. Darüberhinaus ist Ben Peek ein noch vergleichsweise junger, entwicklungsfähiger Autor, dem hoch anzurechnen ist, dass er nicht auf Nummer Sicher gegangen ist und einen GRRM- oder Joe-Abercrombie-Klon geschaffen hat, sondern versucht hat, seine originellen inhaltlichen Ideen auch erzählerisch ein bisschen anders als gewohnt umzusetzen. Und last but not least geht es in The Godless um eine Menge Themen, die weit über den Buchinhalt hinaus Relevanz besitzen (ohne dass die Analogien zum Hier und Heute allzu penetrant daherkommen).
Mit Leviathan’s Blood – zu dem es hier einen Trailer gibt – ist in diesem Jahr der zweite Band der Children Trilogy erschienen, der dritte Band mit dem Titel The Eternal Kingdom soll nächstes Jahr veröffentlicht werden. Fast zeitgleich mit den Originalausgaben sind hierzulande die Übersetzungen der ersten beiden Bände als Verflucht (2014) und Gefallen (2016) – unter dem Zyklustitel Ära der Götter – herausgekommen.

* – die ursprünglich geplanten Titel lauteten Immolation, Innocence und Incarnation

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Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Robert Hood, der bereits am Sonntag vor einer Woche seinen 65. Geburtstag feiern konnte. Schon wieder so ein Autor, von dem ich noch nie gehört habe, mag der eine oder die andere jetzt vielleicht denken, aber bei dem am 24. Juli 1951 in Parramatta im australischen Bundesstaat New South Wales geborenen Robert Maxwell Hood handelt es sich um einen immer noch aktiven und sehr produktiven Autor, der nur hierzulande praktisch unbekannt sein dürfte; in seinem Heimatland sieht das ganz anders aus, dort hat sich Hood mit weit über 100 Kurzgeschichten und Erzählungen für Erwachsene sowie einer aus vier Bänden bestehenden Jugendbuchserie und einer gemeinsam mit einem Co-Autor verfassten neunbändigen Kinderbuchserie den Ruf erschrieben, einer der wichtigsten Horrorautoren des Landes zu sein, dessen Geschichten häufig auf den Nominierungslisten für den Ditmar und den Aurealis Award auftauchen.* Hier und heute soll es allerdings weder um Hoods phantastische Erzählungen für Erwachsene, noch um seine Kinder- oder Jugendbücher gehen – und auch nicht um die von ihm herausgegebenen Anthologien – sondern um seinen bislang einzigen romanlangen Ausflug in die Fantasy.
Besagter Roman ist 2012 unter dem Titel Fragments of a Broken Land: Valarl Undead auf den Markt gekommen und hat 2014 prompt den Ditmar in der Kategorie “Best Novel” gewonnen – und das, obwohl er zweifellos zu den ungewöhnlichsten und seltsamsten Werken zählt, die das Genre bisher hervorgebracht hat (und somit auch zu denen, die sich kaum mit einigen wenigen Sätzen beschreiben lassen). Was nicht zuletzt daran liegt, dass ein ebenso originelles wie fremdartiges und merkwürdiges Setting als Bühne für eine fast schon typische Queste dient, mit der allerdings eine metaphysische Komponente verwoben ist, die für die Welt, die Figuren und die Handlung von zentraler Bedeutung ist.
Tharenweyr ist eine ungewöhnliche Welt, denn an ihrem Himmel scheint tagsüber keine Sonne, und nachts leuchten dort keine Sterne. Die Tage auf Tharenweyr werden von einer Energiewoge erhellt, die von Süden nach Norden über das einer festen Decke gleichende Firmament wandert, während der Nacht herrscht am Himmel nichts als absolute Schwärze. Aber das sind nur die äußeren Merkmale einer Welt, deren metaphysischer Überbau durchaus für Alpträume sorgen kann. Unter solchen leidet etwa die junge Remis Sarsdarl, die gerade ihre Ausbildung als Spellbinder abgeschlossen hat und nun versucht, sich in Koerpel-Na, der Hauptstadt des durch Handel reich und mächtig gewordenen Landes Vesuula, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Doch aus ihrer Idee, Zaubersprüche und magische Talismane an die Einwohner Koerpel-Nas zu verkaufen, wird nichts, da die mächtigen Handelshäuser keine Konkurrenz – sprich: keine unabhängigen Spellbinder – in der Stadt dulden, und so steht Remis alsbald vor den Trümmern ihrer gerade erst begonnenen beruflichen Existenz. Ihren Nachbarn, den ebenfalls beruflich alles andere als erfolgreichen Schmied Arhl Mogarni, plagen keine Alpträume; stattdessen wird er vom Geist seiner toten Mutter heimgesucht, was ihm auch nicht unbedingt Trost spendet. All das ist jedoch nichts im Vergleich zu den Träumen, denen Sevthen Ulart-Tashnark, der Sohn eines behördlich zugelassenen reichen Sklavenhändlers, jeden Abend dadurch zu entkommen versucht, das er sich fast bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt. Nicht, dass das viel ändern würde, denn er träumt trotzdem immer wieder davon, ein Krieger namens Bellarroth zu sein, der auf einer selbst im Vergleich zu Tharenweyr merkwürdigen anderen Welt, in der Schlangen auf Bäumen wachsen (und bei der es sich eigentlich um das sich durch die Leere bewegende kosmische Ungeheuer Tammenallor handelt) unterwegs zu einem Ziel ist, das er ebensowenig kennt wie den Auftrag, den er zu erfüllen hat. Die Wege dieser drei Figuren kreuzen sich eher zufällig – oder auch nicht – kurz nachdem Remis versehentlich einen untoten Leichnam aus seinem Todesschlaf erweckt hat und dadurch die Aufmerksamkeit der Akolythen eines Dunklen Gottes auf sich gelenkt hat – und nur wenig später stecken Remis, Arhl und Tashnark mitten drin in einem Schlamassel, in dem nicht nur ihr eigenes Überleben auf dem Spiel steht, sondern das Schicksal von ganz Tharenweyr …
Dass ein Autor wie Robert Hood, bei dem der Schwerpunkt seines Schaffens bislang im Bereich des Horrors lag, ein vergleichsweise düsteres Setting und Szenario ersinnt, ist letztlich nicht weiter verwunderlich, dass es außerdem auch eins der bizarrsten ist, die die Fantasy bis heute hervorgebracht hat, schon eher. Denn bizarr ist Tharenweyr – vor allem, wenn man seinen metaphysischen Überbau miteinbezieht – zweifellos, und zwar so bizarr, dass es schwerfällt, etwas auch nur annähernd Vergleichbares zu finden. Am ehesten kommen einem da noch die Welten eines Clark Ashton Smith, William Hope Hodgsons Millionen Jahre in der Zukunft um eine erloschene Sonne kreisende Erde in The Night Land (1912; dt. Das Nachtland (1982)) oder Tormance, der Handlungsort von David Lindsays A Voyage to Arcturus (1920; dt. Die Reise zum Arcturus (1986)) in den Sinn, wobei “vergleichbar” sich hier jeweils weder auf das Setting noch auf den Stil oder den Erzählduktus bezieht, sondern auf die Einzigartigkeit (und somit eigentlich die “Unvergleichbarkeit” 😉 ), die alle diese Werke auszeichnet.
Doch trotz der Horroreinflüsse und der Düsternis gehört Fragments of a Broken Land: Valarl Undead nicht in die Kategorie Grimdark oder Grim & Gritty, sondern ist eigentlich in einem ganz besonderen Setting angesiedelte Heroic Fantasy. Was in erster Linie an den Figuren – an Remis, Arhl, Tashnark (und noch einigen anderen, denn die Gruppe wächst und schrumpft im Laufe der Queste) – liegt, denen der Zynismus, der sich in so vielen modernen Fantasywerken finden lässt (vor allem, wenn sie versuchen, besonders grim & gritty zu sein), vollkommen fremd ist. Remis, Arhl, Tashnark und die anderen mögen Gescheiterte sein, sie mögen alle ihre Schwächen und ihre Geheimnisse haben, aber sie haben auch einen moralischen Kompass und wissen um die Bedeutung von Freundschaft, von Selbstlosigkeit und Mitgefühl. Das macht aus Fragments jetzt keinen fröhlichen Roman, aber immerhin einen, in dem bei aller Düsternis und Verzweiflung immer ein Silberstreifen am Horizont – und mag er noch so blass und schmal sein – sichtbar ist. Und der – nebenbei bemerkt – überaus spannend ist, sobald er so richtig in Gang gekommen ist.
Es muss allerdings auch ganz klar gesagt werden, dass Fragments of a Broken Land: Valarl Undead es seinen potenziellen Lesern und Leserinnen nicht leicht macht (vor allem, wenn man kein native speaker ist). Das fängt bei dem teilweise überaus dichten Stil an, setzt sich mit den größtenteils alles andere als eingängigen Namen fort und endet bei all den (zumindest anfangs absolut unverständlichen) Träumen und Verweisen, die sich auf den metaphysischen Überbau beziehen. Besagter, inzwischen mehrfach erwähnter Überbau fußt nämlich auf den Visionen und Bildern des englischen Dichters, Malers und Mystikers William Blake, dessen Werk wohl nur den wenigsten deutschsprachigen Lesern und Leserinnen ein Begriff sein dürfte. Es ist nicht so, dass man dieses Werk unbedingt kennen muss, damit die Geschehnisse einen Sinn ergeben – aber es hilft, wenn man weiß, wo einige der Bilder und Ideen herkommen, die Robert Hood in seinem Roman verwendet.**
Ungeachtet all dessen, was im vorangegangegen Absatz steht, gibt es für Leser und Leserinnen, die wissen wollen, was mit und in der Fantasy möglich ist, wenn sie das immer noch gern und häufig genutzte, entweder als Grundlage für eine idealisierte Wohlfühl-&-Wunscherfüllungs-Phantasie oder für einen vorgeblich “realistischen” Blick in eine vor allem dreckige, grausame und vom Recht des (zumeist amoralischen) Stärkeren oder Höhergestellten beherrschte Welt dienende pseudomittelalterliche Setting verlässt, nur wenig Beispiele, die ähnlich weit weg vom Fantasy-Mainstream angesiedelt sind wie Robert Hoods Fragments of a Broken Land: Valarl Undead. Manchen mag es auch zu weit weg davon sein. Ob man mit dieser Art von Fantasy etwas anfangen kann, lässt sich problemlos feststellen, ohne dass man den Roman kaufen muss, denn auf Robert Hoods für Fragments geschaffener Webseite finden sich – neben u.a. einem Beitrag zu William Blake, in dem Hood auch erklärt, wie er überhaupt auf die Idee gekommen ist, Blakes Visionen und Bilder für seinen Roman zu verwenden – drei Erzählungen, die man kostenlos downloaden kann: “Tamed” (Hoods erster Ausflug nach Thamenweyr, der in der Anthologie Dreaming Down-Under (1998) erschienen ist), “Dark Witness” (ursprünglich in Fragments als Flashback enthalten, aber während des Editionsprozesses dort gestrichen) und “Garuthgonar and the Abyss” (eine Story, die zeitlich lange vor dem Roman angesiedelt ist und die Abenteuer des Vaters von Shaan – einer weiteren Hauptfigur aus dem Roman, die aus Umfangs- und Übersichtlichkeitsgründen im obigen Text nicht erwähnt wurde – erzählt).

* – Ditmar und Aurealis Award werden für Werke aus den Bereichen SF, Fantasy und Horror vergeben.
** – ich selbst kannte vorher auch nur das Gedicht The Tyger und ein paar Bilder, habe mich dann aber parallel zur Lektüre von Fragments ein bisschen über Blake und sein Werk schlau gemacht; aber wie gesagt: das muss man nicht tun (auch wenn’s durchaus spannend ist). Der deutsche Wikipedia-Eintrag zu Blake ist übrigens … sagen wir dürftig, aber ich habe auf die Schnelle keine deutschsprachige Seite gefunden, die etwas dezidierter auf Blakes Werk – vor allem auf dessen mystische Komponente – eingeht.

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Richard Meade, der heute vor zehn Tagen 90 Jahre alt geworden wäre. Nachdem wir vor kurzem mit Norvell W. Page an einen Autor erinnert haben, dessen Name vermutlich kaum jemand ein Begriff war, ist heute ein Autor an der Reihe, dessen Name sehr wahrscheinlich niemandem etwas sagt. Und daran würde sich vermutlich auch nichts ändern, wenn wir statt an Richard Meade an Quinn Reade, Ben Elliott, William Kane, Sam Webster, Ben Haas, Thorne Douglas oder John Benteen erinnern würden – es sei denn, es gibt ein paar Westernfans in unserer Leserschaft, denn denen könnte zumindest der letzte Name ein Begriff sein. Der Western war nämlich das Hauptbetätigungsfeld des am 21. Juli 1926 in Charlotte, North Carolina, geborenen Benjamin Leopold Haas, der seine Romane teils unter Ben Haas, die meisten allerdings unter einem der o.g. Pseudonyme (es gibt noch ein paar mehr) veröffentlicht hat. Haas war ein ungemein fleißiger Autor, der in seiner knapp sechzehn Jahre dauernden Autorenkarriere rund 130 Romane veröffentlicht haben soll; in erster Linie Western, aber auch Arztromane, Thriller und historische Romane – und drei Sword-&-Sorcery- bzw. Heroic-Fantasy-Romane (zwei davon unter dem Pseudonym Richard Meade, was erklärt, warum wir an Richard Meade und nicht an Ben Haas erinnern und warum Haas hier heute überhaupt auftaucht).
The Sword of Morning Star (1969), der erste dieser Romane unter dem (bereits mit Romanen aus anderen Genres eingeführten) Pseudonym Richard Meade, eröffnet eine kurze, aus zwei Bänden bestehende, Gray Lands genannte Sequenz. Das Setting ist – wie häufig bei derartigen Romanen aus dieser Zeit – eine postapokalyptische Erde, auf der sich Jahrtausende nach einem vernichtenden, in den Legenden der Menschen als Worldfire präsenten Atomkrieg wieder eine pseudomittelalterliche Feudalgesellschaft etabliert hat und auf der Magie existiert. Ohne diese Magie hätte Helmut allerdings reichlich schlechte Karten, treibt er doch verstümmelt und nicht bei Sinnen auf einem Kahn den Jaal hinunter und genau auf die Sumpflandschaft der Wetlands zu, in denen schreckliche Ungeheuer hausen. Dass der zwölfjährige Helmut überhaupt in dieser Situation ist, hat damit zu tun, dass er der Bastard von Sigrieth ist, dem kürzlich verstorbenen König von Boorn und Emperor der Gray Lands – und dass der anstelle von Helmuts ebenfalls noch minderjährigem Halbbruder Gustav, dem Thronerben, als Regent eingesetzte Albrecht von Wolfsheim finstere Pläne verfolgt, die ihn selbst auf den Thron bringen sollen. Doch zum Glück gibt es den Magier Sandivar, der Helmut nicht nur aus dem Fluss fischt und aufpäppelt, sondern ihm auch alles beibringt und verschafft, was er braucht, um sich an Albrecht rächen zu können – auch wenn er ihn dazu in eine ganz besondere Art von Hölle schicken muss …
The Sword of Morning Star ist im Prinzip eine schlichte Rachegeschichte, die allerdings mit ein paar recht originellen Einfällen aufgepeppt ist. Dazu gehören u.a. der dem Magier Sandivar als Reittier und Leibwächter dienende riesige Bär Waddle oder auch besagte Hölle, in der die Zeit vielfach schneller vergeht als in der eigentlichen Welt, so dass Helmut – dessen von Albrecht abgetrennte Schwerthand im weiteren Verlauf der Geschichte durch den titelgebenden Morgenstern ersetzt wird – nicht ewig auf seine Rache warten muss. Und dazu gehört auch, dass der finstere Albrecht von Wolfsheim nicht nur einfach König anstelle des Königs werden will, sondern viel weitergehende Pläne verfolgt, so dass es im entscheidenden Kampf zwischen ihm und Helmut um viel mehr geht als um die Rache eines Bastards. Für amerikanische Leser haben darüber hinaus vermutlich auch Namen wie Helmut, Gustav und Albrecht (oder Orte wie Wolfsheim und Marmorburg) eine gewisse Exotik transportiert, die man als deutschsprachiger Leser eher nicht so empfindet (die jedoch dafür sorgen, dass man das Geschehen in einem – natürlich nach der großen Katastrophe entsprechend veränderten – Europa verortet).
Exile’s Quest (1970), der zweite Roman unter dem Meade-Pseudonym, ist ein Prequel, in dem König Sigreith sich noch bester Gesundheit erfreut und tut, was Könige eben so tun. Etwa einen aus gewissen Gründen in Ungnade gefallenen Adligen – nämlich Gallt, den Baron der Iron Mountains – auf eine selbstmörderische Mission zu schicken: Gallt soll mit einer Gruppe aus ehemaligen Gefangenen aus den Verliesen des Königs in die Unknown Lands vordringen und herausfinden, was mit der vorherigen Expedition passiert ist, die diesen Auftrag hatte – und so ganz nebenbei auch noch den mystischen und geheimnisvollen Stone of Power zurückholen …
Auch in Exile’s Quest gibt es einen am Anfang nicht unbedingt absehbaren Plottwist, der den Roman zu ein bisschen mehr als Hack & Slay durch diverse, durch das Worldfire entstandene Monster und Mutanten macht, die in diesem Roman eine wesentlich größere Rolle als im ersten Band spielen.
Interessanterweise finden sich auch in Ben Haas’ drittem S&S-Roman Quest of the Dark Lady (1969), den er unter dem Pseudonym Quinn Reade verfasst hat, etliche Parallelen zu den beiden Romanen um die Gray Lands, vor allem zu Exile’s Quest. Fünfhundert Jahre nach einem alles verwüstenden Krieg unter Magiern herrscht der gütige König Langax über die Iron Lands, den letzten Landstrich, der noch von normalen Menschen bewohnt wird und in dem aus angesichts der Vorgeschichte naheliegenden Gründen Magie verboten ist. Doch die Iron Lands werden von den schrecklichen Kreaturen aus dem Terrible East bedroht, die durch den besagten Krieg entstanden sind, und zu denen beispielsweise die Slimy Ones – riesige, blutsaugende Schnecken – gehören. Bislang ist es den Mounted Bladesmen des Königs gelungen, die in ihrer Gesamtheit als Other Things bezeichneten Kreaturen immer wieder zurückzuschlagen, doch jetzt haben sich die Dinge geändert, denn die bislang immer einzeln angreifenden Monstren sind plötzlich zu koordinierten Aktionen fähig. Dies und die Tatsache, dass Langax von einem Zauberspruch eines Magiers aus dem Terrible East niedergestreckt dahinsiecht, sorgt dafür, dass er mit Wulf of Niedrigaard seinen ehemaligen Hauptmann der Mounted Bladesmen in den Terrible East schickt, um die Dark Lady – seine einzige Rettung – von dort zu holen. Begleitet von Delius, Langax’ Arzt – der sich alsbald als Magier entpuppt – und seiner Geliebten Reen, die sich zuvor als Straßenräuberin einen Namen gemacht hat, bricht Wulf in den Terrible East auf, wo sie nach einiger Zeit nicht nur der Dark Lady, sondern auch dem King of the Eastern Lands begegnen, der standesgemäß in einem aus schwarzem Stein erbauten und schwarz möblierten Palast lebt. Natürlich versucht Wulf, seinen Auftrag zu erfüllen – doch das erweist sich als schwieriger als ohnehin schon vermutet …
Die drei vorgestellten Romane von Ben Haas sind in mehrfacher Hinsicht typische Beispiele des im Gefolge der Conan-Taschenbuchausgabe bei Lancer Books entstandenen S&S-Booms der späten 60er und frühen 70er Jahre mit all ihren Stärken und Schwächen: Sie sind schnell und actionorientiert erzählt, und in ihnen agieren eher grob charakterisierte Figuren in einem nur partiell wirklich ausgearbeiteten (und nicht immer stimmigen) Setting. Zudem vereinen sie Elemente der Sword & Sorcery – oder eigentlich eher der Heroic Fantasy, denn Haas’ Figuren unterscheiden sich durchaus von den eher selbstsüchtig agierenden Abenteurern und Söldnern vom Conan-Typus – mit Elementen aus Abenteuergeschichten oder, wenn man so will, den erst später aufkommenden tolkienesken Questen (was dazu passt, dass Haas’ Vorbilder Autoren wie Frank Yerby und eben nicht Howard & Co. waren). Natürlich können diese Romane nicht mit den Werken der “Großen Drei” der Sword & Sorcery mithalten, funktionieren aber besser als manche anderen Hervorbringungen dieser Epoche. Und letztlich ist auch ein Vergleich mit z.B. den dreißig Jahre zuvor entstandenen Prester-John-Romanen des gerade erst abgehandelten Norvell W. Page oder auch den etliche Jahre später erschienenen, thematisch ähnlich gelagerten Romanen eines Clifford D. Simak – vor allem im Hinblick auf die Interaktion der Figuren – nicht uninteressant (wenn man denn auf sowas Lust hat 😉 ).
Im Gegensatz zu seinen Western – von denen vor allem die Reihen um das Cheyenne-Halbblut Sundance und den zu Beginn des 20. Jahrhunderts an den Brennpunkten der Welt agierenden Abenteurer Fargo unter Westernfreunden sehr geschätzt werden* – haben es die Fantasyromane des am 27. Oktober 1977 an einer Herzattacke verstorbenen Ben Haas nie nach Deutschland geschafft. Das ist letztlich zwar kein echter Verlust, aber in Anbetracht der Tatsache, dass z.B. ein Heuler wie Lin Carters Thongor komplett auf Deutsch erschienen ist, dann doch fast wieder ein bisschen bedauerlich.

* – einen Artikel zur deutschsprachigen Ausgabe von Fargo findet man z.B. hier.

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Norvell W. Page, dessen Geburtstag sich am vergangenen Mittwoch zum 110. Mal gejährt hat (oder auch nicht*). Die meisten unserer Leserinnen und Leser werden mit diesem Namen vermutlich nicht allzuviel anfangen können, was aber nicht weiter verwunderlich ist, denn der am 13. Juli 1906 in Richmond, Virginia, geborene Norvell Wordsworth Page war zwar ein paar Jahre lang ein sehr fleißiger Autor – man könnte ihn auch als Vielschreiber bezeichnen –, doch ist der größte Teil seiner Geschichten und Romane für die Pulps nicht unter seinem richtigen Namen, sondern unter dem Verlagspseudonym Grant Stockbridge erschienen. So hat er er z.B. zwischen 1933 und 1943 als Grant Stockbridge über 90 der insgesamt 118 Romane einer Krimireihe verfasst, in deren Mittelpunkt der maskierte Verbrecherjäger The Spider steht, den man als eine Art (moralisch durchaus fragwürdigen) Proto-Superhelden betrachten kann und der ziemlich sicher eines der Vorbilder für die spätere Comic-Ikone Batman war. Auch wenn Page nicht gerade The Spider geschrieben hat, war er vor allem im Krimibereich unterwegs, doch 1939 hat er für kurze Zeit die Automatik ins Holster geschoben und ein Schwert in die Hand genommen – oder, anders gesagt: er hat zwei Sword-&-Sorcery-Romane geschrieben, die auch der Grund sind, warum er heute überhaupt hier auftaucht.
Die beiden kurzen Romane erschienen 1939 in der Juni- bzw. November-Ausgabe des erst im Frühjahr des gleichen Jahres gegründeten Phantastik-Magazins Unknown (in dem später z.B. Lyon Sprague de Camp seine Harold-Shea-Stories oder Hannes Bok seinen Roman “The Sorcerer’s Ship” veröffentlichen sollte) und wurden ziemlich genau dreißig Jahre später in den Zeiten des Sword-&-Sorcery-Booms unter ihren alten Titeln Flame Winds und Sons of the Bear-God im Taschenbuch neu aufgelegt – dieses Mal mit dem werbeträchtigen Hinweis “A novel of heroic fantasy in the Conan tradition” auf dem Cover, der immerhin teilweise richtig ist.
Im Mittelpunkt beider Romane steht ein Mann namens Prester John, der – auch unter dem Namen Priesterkönig Johannes oder Johannes der Presbyter – in mehreren mittelalterlichen Legenden auftaucht und einst irgendwo in Asien (oder auch in Afrika) ein christliches Reich geschaffen haben soll. Page hat sich einerseits bei diesen Legenden bedient, seinem Prester John allerdings einen anderen Hintergrund gegeben, so dass der Mann, der unter diesem Namen durch die Weiten des asiatischen Kontinents zieht, kein Priester, sondern ein ehemaliger Gladiator ist, der in der Arena von Alexandria als “Hurricane John” bekannt war (was mehr oder weniger das Gleiche wie “Prester John” bedeutet**) und von den Mongolen Wan Tengri – “Herr der Windteufel” – genannt wird.
In Flame Winds kommt Wan Tengri – ein hünenhafter, rothaariger und rotbärtiger Skythe, der immer auf der Suche nach Ruhm, Reichtum und Abenteuern ist – auf seinen Wanderungen in die für ihre Reichtümer und die Schönheit ihrer herrschenden Prinzessin berühmte, ummauerte Stadt Turgohl. Allerdings muss er rasch feststellen, dass Turgohl mittlerweile von sieben miteinander verfeindeten Magiern beherrscht wird, die über die titelgebenden Flamewinds gebieten und keinen Spaß verstehen, wenn man versucht, sie auszurauben. Natürlich gelingt es Wan Tengri, nachdem er sich mit einer Horde zwielichtiger Diebe verbündet und ein paar Beweise seiner Kampfkunst geliefert hat, die Magier zu besiegen und die von ihnen gefangengehaltene Prinzessin zu befreien – doch aus dem Plan, Turgohl zur Keimzelle seines Reiches zu machen, wird leider nichts … Bei seinem zweiten diesbezüglichen Versuch trifft er in Sons of the Bear-God auf ein Volk zwergenhafter Menschen, die einen Bärengott verehren und in ihrer Stadt Byoko über Sklaven herrschen, die dem gleichen Volk wie Wan Tengri selbst zu entstammen scheinen. Zusammen mit seinem affengesichtigen, wenig vertrauenweckenden Begleiter, dem Dieb und Magier Bourtai, der sich ihm in Turgohl angeschlossen hat, stürzt er die Sklavenhalter trotz ihrer magischen Hilfsmittel und befreit die ihm so ähnlichen Sklaven, und auch der anschließende Eroberungszug lässt sich zunächst gut an – doch dann muss Wan Tengri einmal mehr die Erfahrung machen, dass schönen Frauen einfach nicht zu trauen ist …
Die auf Deutsch als Flammenzauber und Söhne des Bärengottes (beide 1981) erschienenen Romane um Wan Tengri sind ein typisches Produkt der Pulps mit den üblichen Stärken und Schwächen: Auf der Plusseite steht eine bis auf wenige kurze Durchhänger rasant erzählte Handlung***, in der die vorkommende Magie sich zwar entweder als Illusion oder als eigentlich der SF zugehöriges Element erweist, die aber als Heroic Fantasy durchaus funktioniert (auch wenn das Setting eher blass und beliebig bleibt), auf der Minusseite die Formelhaftigkeit dieser Handlung und ein Held, der nicht nur ein bisschen zu übermenschlich ist (und selbst dem bekannten Cimmerier körperlich überlegen sein dürfte), sondern darüberhinaus auch allzu sehr von sich überzeugt ist. Dennoch gibt es auf dem weiten Feld der Sword & Sorcery und/oder Heroic Fantasy Schlimmeres als Wan Tengris Abenteuer, die man sich – ein Interesse an diesen Subgenres vorausgesetzt – durchaus zu Gemüte führen kann. Allerdings besser nicht direkt hintereinander.
Norvell W. Page hat nach den beiden Prester-John-Romanen mit der (im Juni 1940 wiederum in Unknown veröffentlichten) Erzählung “But Without Horns” nur noch einen weiteren Ausflug in die phantastische Literatur unternommen, der als Der Leibhaftige ebenfalls auf Deutsch (und zwar in der Romanheftreihe Utopia Kriminal) erschienen ist. Danach hat er sich für kurze Zeit noch einmal The Spider & Co zugewandt, sich aber bereits Mitte der 40er Jahre von den Pulps zurückgezogen (und danach u.a. Texte für die Atomenergie-Kommission verfasst). Und am 14. August 1961 ist er im Alter von 55 Jahren gestorben.

* – Pages Geburtsjahr ist unsicher. John Clute geht davon aus, dass er sich zwei Jahre älter gemacht hat, um seinen ersten Job bei einer Zeitung zu bekommen, was das z.B. in der Wikipedia genannte Geburtsjahr 1904 erklären würde; ich vertraue in diesem Fall Clute mehr als der Wikipedia.
** – wie Page diesen Bogen schlägt, ist eigentlich ganz witzig; es genauer zu erkären, würde aber an dieser Stelle viel zu weit führen.
*** – die Roy Thomas für die Marvel-Comicreihe Conan the Barbarian (## 32-34 und 109-112) adaptiert hat, wobei – als Insidergag oder Hommage – aus der Stadt Turgohl die Stadt Wan Tengri wird.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert leicht verspätet Julian May, die am vergangenen Sonntag ihren 85. Geburtstag feiern konnte. Es dürfte nicht allzu oft vorkommen, dass eine Autorin im zarten Alter von zwanzig Jahren ihre erste Story verkauft (die immerhin gut genug ist, um mehrfach in Anthologien nachgedruckt zu werden), vierzehn Monate später eine zweite folgen lässt und dann schlagartig wieder von der Bildfläche verschwindet – nur um knapp dreißig Jahre später mit einem wahren Paukenschlag in die Phantastikszene zurückzukehren. Aber genau so ist es bei der am 10. Juli 1931 in Chicago, Illinois, geborenen Julian May gelaufen. Nach der Veröffentlichung von “Dune Roller” (in Astounding Science Fiction, Dezember 1951) und “Star of Wonder” (in Thrilling Wonder Stories, Februar 1953) hat sie sich aus der Phantastikszene – in der sie auch ihren Mann kennengelernt hat – zurückgezogen und ist erst 1981 mit The Many-Colored Land in sie zurückgekehrt*, einem in mehrfacher Hinsicht treffend betitelten Roman, der zwar als reiner SF-Roman beginnt und sich auch durchgängig ein SF-Mäntelchen umhängt, aber nichtsdesotrotz auch für Fantasyleser und -leserinnen interessant ist und den Auftakt zum vielleicht farbigsten phantastischen Abenteuerzyklus der 80er Jahre darstellt.
The Many-Colored Land beginnt in der Zukunft, im Jahre 2110, zu einem Zeitpunkt, da die Menschheit längst Teil des Galactic Milieu ist – soll heißen das sechste Mitglied in einem zuvor aus fünf technologisch und kulturell hochentwickelten galaktischen Völkern bestehenden Commonwealth – und so etwas wie ein Goldenes Zeitalter angebrochen ist, in dem Metafunctions bzw. metapsychic Powers (die man ansonsten in der SF meist als Psi-Kräfte bezeichnet) und Reisen zu fernen Planeten an der Tagesordnung sind (wobei Erstere bei Menschen eher selten bzw. häufig nur latent auftreten). Auch in dieser vordergründig so perfekten Welt gibt es Menschen, die aus den verschiedensten Gründen mit ihrem Leben oder ihrer Situation unzufrieden sind, die unglücklich sind oder sich nicht an das Leben im Galaktischen Milieu anpassen wollen oder können – und all diesen Menschen bietet sich ein Ausweg, als der Physiker Théo Guderian zufällig eine “Einbahnstraße in die Vergangenheit” entdeckt: eine Zeitkrümmung, die ins Rhônetal zur Zeit des Pliozäns führt und nur in einer Richtung benutzbar ist. Nach Guderians Tod öffnet seine Witwe das Portal für all jene, die ohne eine Aussicht auf Rückkehr in ein vermeintliches prähistorisches Paradies auswandern wollen, und als die “Gruppe Grün” am 25. August 2110 durch das Portal geht, befindet sie sich auf den Spuren von etlichen zigtausend Menschen, die diesen Schritt in ähnlich kleinen Gruppen in den vergangenen siebzig Jahren bereits gemacht haben. Niemand hat jemals wieder etwas von diesen Menschen gehört (was aufgrund der Natur des Portals auch gar nicht möglich ist), und alle acht Mitglieder der “Gruppe Grün” haben ihre ganz persönlichen Hoffnungen und Erwartungen im Hinblick auf das, was sie auf der anderen Seite des Portals und damit sechs Millionen Jahre in der Vergangenheit erwartet – doch niemand von ihnen ist auf das, was sie tatsächlich vorfinden, auch nur ansatzweise vorbereitet …
Mehr zu verraten, wäre unfair, und das haben wir auch in unserer Rezension der deutschen Ausgabe des Romans, der hierzulande als Das vielfarbene Land erschienen ist, nicht getan. Es mag daher genügen darauf hinzuweisen, dass The Many-Colored Land und seine Fortsetzungen The Golden Torc (1982), The Nonborn King (1983) und The Adversary (1984), die zusammen die Saga of Pliocene Exile (in den USA) bzw. die Saga of the Exiles (im UK) bilden und auf Deutsch als Pliozän-Saga mit den Einzeltiteln Das vielfarbene Land, Der goldene Ring (beide 1986), Kein König von Geburt und Der Widersacher (beide 1987) erschienen sind, in mehrfacher Hinsicht punkten können: sei es mit faszinierenden Schilderungen der irdischen Landschaft zur Zeit des Pliozäns einschließlich der dazugehörigen Fauna und Flora, sei es mit überzeugend gezeichneten Figuren, zu denen mit Felice Landry eine der trotz – oder vielleicht auch wegen – ihrer Ambivalenz beeindruckendsten starken Frauenfiguren der SF und Fantasy zählt (wobei es fast ein bisschen unfair ist, nur sie zu erwähnen, denn es gibt andere wie den über 130 Jahre alten Paläontologen Claude Majewski, die durch eine Hirnverletzung ihrer metapsychischen Kräfte beraubte Elizabeth Orme oder den “Trickster” Aiken Drumm, die ebenfalls genannt werden könnten – und das sind noch längst nicht alle), sei es durch die spannende, immer wieder mit überraschenden Entwicklungen aufwartende Handlung oder sei es schließlich durch die Art und Weise, wie Julian May ihre Geschichte mit der irdischen Mythologie verwebt. Was in der Summe aller Teile dazu führt, dass man die Saga of Pliocene Exile wohl am ehesten als in jeder Hinsicht “farbig” bezeichnen kann (und das gilt auch für die Sprache, die dem Einen oder der Anderen gelegentlich ein bisschen zu purple sein könnte).
In The Adversary, dem vierten Band des Zyklus, wird deutlich, dass Julian May noch mehr Ideen für das Galactic Milieu hat, die sie dann auch folgerichtig in Intervention (1987; auch in zwei Bänden als The Surveillance (1988) und The Metaconcert (1989)) – einer Art Prequel – und der aus den Bänden Jack the Bodiless (1992), Diamond Mask (1994) und Magnificat (1996) bestehenden Galactic Milieu Trilogy erzählt, die allerdings längst nicht so abenteuerlich und farbig ausgefallen ist wie die Saga of Pliocene Exile.
Noch bevor sie sich an besagte Trilogie gemacht hat, hatte Julian May bereits gemeinsam mit Marion Zimmer Bradley und Andre Norton Black Trillium (1990; dt. Die Zauberin von Ruwenda (1995)) verfasst, den Auftakt der gleichnamigen, manchmal auch World of Three Moons genannten Sequenz, die auf Deutsch als Ruwenda-Zyklus erschienen ist, und zu der sie außerdem noch die Bände Blood Trillium (1992; dt. Der Fluch der schwarzen Lilie (1997)) und Sky Trillium (1997; dt. Das Amulett von Ruwenda (1998) beigesteuert hat.
Danach hat sich Julian May mit den unter dem Obertitel The Rampart Worlds laufenden Romanen Perseus Spur (1998), Orion Arm (1999) und Sagittarius Whorl (2001), die als Rampart-Trilogie (Einzelbände: Der Sporn des Perseus (2001), Die Schulter des Orion (2002), Die Nebel des Sagittarius (2003)) ebenfalls auf Deutsch erschienen sind, noch einmal der SF zugewandt, ehe sie mit der Boreal Moon Trilogy (Einzelbände: Conqueror’s Moon (2003), Ironcrown Moon (2004) und Sorcerer’s Moon (2006)) ihren ersten und bislang einzigen Ausflug in die High Fantasy unternommen hat, der hierzulande als Nordmond-Trilogie mit den Einzeltiteln Schwertmond, Dunkelmond (beide 2009) und Schattenmond (2010) erschienen ist.
Am ehesten knüpft noch die letztgenannte Trilogie mit ihrem Ränkespiel zwischen mehreren, auf einer Insel mit einer komplexen Vergangenheit (und nichtmenschlichen Ureinwohnern) angesiedelten Königreichen an die Saga of Pliocene Exile an und enthält zumindest ein paar der Elemente, die die Saga so lesenswert gemacht haben, doch ganz generell lässt sich sagen, dass Julian May die Messlatte, die sie mit ihrem ersten Zyklus – vor allem mit The Many-Colored Land, der 1982 für sämtliche wichtigen SF-Preise nominiert war und tatsächlich auch den Locus Award in der Kategorie Best SF Novel gewonnen hat – selbst sehr hochgelegt hatte, danach nie wieder übersprungen hat. Andererseits kann man, wenn man die Saga beendet hat (und den Band in die Finger kriegt) im Pliocene Companion schmökern, in dem neben einem ziemlich umfangreichen Glossar auch Hintergründe zur Geschichte und zum Galaktischen Milieu, frühe Kartenentwürfe sowie mehrere Interviews mit Julian May zu finden sind.

* – das ist jetzt nicht ganz richtig, aber wer wusste damals schon, dass sie als Lee N. Falconer 1977 A Gazeteer of The Hyborian World of Conan including also The World of Kull and an Ethnogeographical Dictionary of Principle Peoples of the Era verfasst hat? 😉

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Bibliotheka Phantastika erinnert – einmal mehr deutlich verspätet* – an Michael Shea, der am vergangenen Sonntag 70 Jahre alt geworden wäre. Man kann mit einer gewissen Berechtigung sagen, dass der Start der schriftstellerischen Karriere des am 03. Juli 1946 in Los Angeles, Kalifornien, geborenen Michael Shea ungewöhnlich war, denn angefangen hat er – wenn man so will – mit Fanfiction. Die häufig wiederholte und von daher glaubhafte Legende besagt, dass Shea um 1970 herum in der Lobby eines Hotels in Alaska eine Ausgabe von Jack Vances The Eyes of the Overworld in die Hände gefallen ist und er – da Vance zu diesem Zeitpunkt noch keine Fortsetzung verfasst hatte – beschlossen hat, die ihn faszinierende Geschichte selbst fortzusetzen. Und diese von Vance autorisierte** Fortsetzung ist unter dem Titel A Quest for Simbilis 1974 bei DAW Books in den USA erschienen.
Der Roman beginnt genau da, wo The Eyes of the Overworld geendet hatte und bringt Cugel – ähnlich episodenhaft wie der Vorgängerband – alsbald mit zwei Reisegefährten zusammen: zunächst mit Mumber Sull, dem Than des Fischerstädtchens Icthyll, und dann mit dem Zauberer Polderbag. Gemeinsam begeben sich die drei aus den unterschiedlichsten Gründen auf die Suche nach dem Erzzauberer Simbilis – eine Suche, die sie in die Unterwelt der Sterbenden Erde führt, wo ihnen allerlei wunderliche und gefährliche Kreaturen begegnen, und sie diverse Abenteuer erleben …
Es ist schon erstaunlich, wie gut es Michael Shea in A Quest for Simbilis gelingt, den Stil und Erzählduktus von Jack Vance zu treffen – vor allem, wenn man bedenkt, dass es sich dabei um seinen Erstling handelt. Aber Shea imitiert Vance nicht einfach nur, er bringt mit der – für die deutsche Ausgabe titelgebenden – Reise in die Unterwelt (1977) auch eine neue Komponente in Jack Vances Erzählkosmos ein, die viel zur Farbigkeit der Handlung beiträgt (und – wie sich im Nachhinein herausstellen sollte – eine erste Fingerübung für das war, was er später schreiben sollte). Allerdings muss man auch zugeben, dass Cugel ab dem Zeitpunkt, da Mumber Sull auftaucht, ein bisschen zu sehr in den Hintergrund gerät, Letzterer ihm mehr oder weniger die Schau stiehlt. Doch auch wenn A Quest for Simbilis als Cugel-Roman nicht ganz überzeugt, bleibt er dennoch der beste Jack-Vance-Roman, den Vance selbst nie geschrieben hat.***
Es sollte fünf Jahre dauern, bis die breite Öffentlichkeit wieder etwas von Michael Shea zu lesen bekam (denn die 1977 in dem Fanzine Phantasy Digest #3 enthaltene Story “The Pearls of the Vampire Queen” dürften zum damaligen Zeitpunkt allenfalls ein paar hundert Leser und Leserinnen zu Gesicht bekommen haben), denn erst 1979 erschien im Magazine of Fantasy & Science Fiction die Erzählung “The Angel of Death”, auf die mit “The Autopsy” (The Magazine of F&SF, Dezember ’80) und “Polyphemus” (The Magazine of F&SF, August ’81) zwei weitere SF-Erzählungen folgten, die – wie fast alle Geschichten von Shea – starke Horrorelemente aufweisen und mit zum Besten gehören, was er je geschrieben hat.
Nach einigen weiteren Stories erschien schließlich im Dezember 1982 mit Nifft the Lean sein berühmtestes und wohl auch erfolgreichstes Werk, das ihm zudem auf ewig einen Platz in der Ahnengalerie der Sword & Sorcery sichern dürfte. Bei Nifft the Lean handelt es sich um einen Sammelband mit vier längeren Erzählungen (der lustigerweise 1983 den World Fantasy Award in der Kategorie Best Novel gewonnen und dabei Romane wie Fevre Dream von George R.R. Martin oder The Sword of the Lictor von Gene Wolfe auf die Plätze verwiesen hat°), in denen die Abenteuer des dürren Nifft, eines Diebes und Söldners, und seines zeitweiligen Gefährten Barnar The Chilite zumeist von einem Ich-Erzähler – bei dem es sich nicht notwendigerweise um Nifft selbst handeln muss – geschildert werden. Dem Ganzen vorangestellt ist “Shag Margold’s Eulology of Nifft the Lean, His Dear Friend”, die der Kartograph und Historiker Margold nach dem vermeintlichen Tod seines Freundes geschrieben hat. Margold, der etliche Reiseberichte von Abenteurern gesammelt hat, um sie für seine eigenen Studien zu verwenden (und der auf diese Weise auch an Niffts Aufzeichnungen gekommen ist) hat darüber hinaus auch Einleitungen zu den einzelnen Geschichten verfasst, in denen er sich nicht nur Gedanken darüber macht, ob es sich bei dem jeweiligen Ich-Erzähler tatsächlich um Nifft handelt, sondern er lässt sich auch über die Geographie, die Geschichte und die politischen Verhältnisse in der als Schauplatz der Handlung dienenden Region aus und sorgt für gelegentliche humoristische Momente in der ansonsten überaus düsteren Handlung.
Am deutlichsten ist diese Düsternis in den beiden Geschichten zu spüren, in denen Nifft der Hölle – oder genauer: zwei sich deutlich voneinander unterscheidenden Versionen der Hölle – einen Besuch abstattet, denn in beiden wimmelt es von furchterregenden, entsetzlichen Wesen aller Art. Aber auch mit der unsterblichen Vampirkönigin, der Nifft die unglaublich wertvollen schwarzen Perlen ihres sumpfigen Reiches stehlen will, ist nicht gut Kirschen essen, ebenso wenig wie mit der “Goddess In Glas”, dem Orakel der Stadt Anvil Pastures, in die es Nifft auf Geheiß Margolds verschlägt … Stilistisch und erzählerisch ist auch in diesen Geschichten der Einfluss eines Jack Vance noch immer deutlich spürbar, gemischt mit einem kräftigen Schluck Clark Ashton Smith und einem Spritzer Fritz Leiber. Dass sie dennoch weit davon entfernt sind, Jack-Vance-Pastiches zu sein, sondern etwas wirklich Eigenständiges darstellen, liegt vor allem am jeweiligen, detailliert und ausführlich beschriebenen Setting der Geschichten, das auch ein Hieronymus Bosch nicht bizarrer hätte ersinnen können. Und somit ist Nifft the Lean unterm Strich eine vielleicht nicht immer leicht lesbare oder angenehme, aber durchaus originelle und im Genre mehr oder minder einzigartige Lektüre, die trotz ihrer stilistischen Eigenheiten, ihrer moralisch fragwürdigen Hauptfigur und ihrer bizarren Settings für alle Freunde erzählerisch etwas “altmodischer” phantastischer Abenteuerliteratur mehr als lesenswert ist. Und die in zwei Bänden als Die Reise durch die Unterwelt (1984) und Fischzug im Dämonenmeer (1985) auch auf Deutsch erschienen ist.
Mit The Color Out of Time (1984; dt. Die Farbe aus der Zeit (2004)) verfasste Shea einige Zeit später eine Fortsetzung zu H.P. Lovecrafts Erzählung “The Color Out of Space” (die nicht sein einziger Beitrag zum Cthulhu-Mythos bleiben sollte), und mit In Yana, the Touch of Undying (1985) einen stilistisch ebenfalls wieder von Jack Vance beeinflussten Roman, in dem es um die Suche nach der Unsterblichkeit geht. Weitere Stories – von denen die besten in dem Sammelband Polyphemus (1987) zu finden sind – folgten, ehe Shea den dürren Nifft zunächst zusammen mit seinem Kumpel Barnar Hammer-Hand in The Mines of Behemoth (1997; auch mit Nifft the Lean als Sammelband unter dem Titel The Incompleat Nifft (2000) erschienen) und dann mit einer neuen Begleiterin in The A’rak (2000) neue Abenteuer erleben ließ. Eine weitere – und zugleich die letzte – Nifft-Story mit dem Titel “Epistle from Lebanoi” ist in The Sword & Sorcery Anthology (2012) enthalten.
Während der Sammelband The Autopsy and Other Tales (2008) einen breiten Querschnitt durch Sheas Schaffen als Kurzgeschichtenautor bietet und u.a auch die ebenfalls mit dem World Fantasy Award ausgezeichnete Erzählung “The Growlimb” (2004) enthält, sind in Copping Squid and Other Mythos Tales (2009) – nomen es omen – seine Cthulhu-Mythos-Stories gesammelt, von denen man eine – “Tsathoggua” – hier auch online lesen kann. Mit The Extra (2010) und Assault on Sunrise (2013) hat er schließlich die ersten beiden Bände einer in Kalifornien spielenden Near-Future-Trilogie verfasst, die auf einer Kurzgeschichte von 1987 fußt und nun wohl unvollendet bleiben wird, denn am 16. Februar 2014 ist Michael Shea völlig überraschend im Alter von 67 Jahren verstorben.

* – it’s not a bug, it’s a feature 😉 ; nein das ist es natürlich nicht, aber momenten bestehen leider nur die Alternativen, den einen oder anderen Beitrag verspätet oder gar nicht zu veröffentlichen, und nachdem in den vergangenen Monaten schon ein paar – zu viele, wie ich finde – Beiträge auf der Strecke geblieben sind, habe ich mich in diesem Fall mal wieder für eine verspätete Veröffentlichung entschieden.
** – da Jack Vance mit Cugel’s Saga (1983) später selbst eine Fortsetzung zu The Eyes of the Overworld geschrieben hat, gilt A Quest for Simbilis mittlerweile nicht mehr als Kanon – doch wer den Erzählkosmos um die Sterbende Erde mag, sollte sich davon nicht abhalten lassen, den Roman zu lesen.
*** – wenn ich meine geplanten Beiträge im letzten Monat geschafft hätte, hätte es da bereits einen Fantasyzyklus gegeben, den man als den besten Michael-Moorcock-Zyklus bezeichnen könnte, den Moorcock nie geschrieben hat – aber so, wie es nun einmal ist, wird es um den frühestens in fünf Jahren gehen …
° – Nifft the Lean ist nebenbei bemerkt das einzige, eindeutig der S&S zuzuordnende längere Werk, dem dieses Kunststück gelungen ist.

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