Zum 110. Geburtstag von Norvell W. Page

Bibliotheka Phantastika erinnert an Norvell W. Page, dessen Geburtstag sich am vergangenen Mittwoch zum 110. Mal gejährt hat (oder auch nicht*). Die meisten unserer Leserinnen und Leser werden mit diesem Namen vermutlich nicht allzuviel anfangen können, was aber nicht weiter verwunderlich ist, denn der am 13. Juli 1906 in Richmond, Virginia, geborene Norvell Wordsworth Page war zwar ein paar Jahre lang ein sehr fleißiger Autor – man könnte ihn auch als Vielschreiber bezeichnen –, doch ist der größte Teil seiner Geschichten und Romane für die Pulps nicht unter seinem richtigen Namen, sondern unter dem Verlagspseudonym Grant Stockbridge erschienen. So hat er er z.B. zwischen 1933 und 1943 als Grant Stockbridge über 90 der insgesamt 118 Romane einer Krimireihe verfasst, in deren Mittelpunkt der maskierte Verbrecherjäger The Spider steht, den man als eine Art (moralisch durchaus fragwürdigen) Proto-Superhelden betrachten kann und der ziemlich sicher eines der Vorbilder für die spätere Comic-Ikone Batman war. Auch wenn Page nicht gerade The Spider geschrieben hat, war er vor allem im Krimibereich unterwegs, doch 1939 hat er für kurze Zeit die Automatik ins Holster geschoben und ein Schwert in die Hand genommen – oder, anders gesagt: er hat zwei Sword-&-Sorcery-Romane geschrieben, die auch der Grund sind, warum er heute überhaupt hier auftaucht.
Die beiden kurzen Romane erschienen 1939 in der Juni- bzw. November-Ausgabe des erst im Frühjahr des gleichen Jahres gegründeten Phantastik-Magazins Unknown (in dem später z.B. Lyon Sprague de Camp seine Harold-Shea-Stories oder Hannes Bok seinen Roman “The Sorcerer’s Ship” veröffentlichen sollte) und wurden ziemlich genau dreißig Jahre später in den Zeiten des Sword-&-Sorcery-Booms unter ihren alten Titeln Flame Winds und Sons of the Bear-God im Taschenbuch neu aufgelegt – dieses Mal mit dem werbeträchtigen Hinweis “A novel of heroic fantasy in the Conan tradition” auf dem Cover, der immerhin teilweise richtig ist.
Im Mittelpunkt beider Romane steht ein Mann namens Prester John, der – auch unter dem Namen Priesterkönig Johannes oder Johannes der Presbyter – in mehreren mittelalterlichen Legenden auftaucht und einst irgendwo in Asien (oder auch in Afrika) ein christliches Reich geschaffen haben soll. Page hat sich einerseits bei diesen Legenden bedient, seinem Prester John allerdings einen anderen Hintergrund gegeben, so dass der Mann, der unter diesem Namen durch die Weiten des asiatischen Kontinents zieht, kein Priester, sondern ein ehemaliger Gladiator ist, der in der Arena von Alexandria als “Hurricane John” bekannt war (was mehr oder weniger das Gleiche wie “Prester John” bedeutet**) und von den Mongolen Wan Tengri – “Herr der Windteufel” – genannt wird.
In Flame Winds kommt Wan Tengri – ein hünenhafter, rothaariger und rotbärtiger Skythe, der immer auf der Suche nach Ruhm, Reichtum und Abenteuern ist – auf seinen Wanderungen in die für ihre Reichtümer und die Schönheit ihrer herrschenden Prinzessin berühmte, ummauerte Stadt Turgohl. Allerdings muss er rasch feststellen, dass Turgohl mittlerweile von sieben miteinander verfeindeten Magiern beherrscht wird, die über die titelgebenden Flamewinds gebieten und keinen Spaß verstehen, wenn man versucht, sie auszurauben. Natürlich gelingt es Wan Tengri, nachdem er sich mit einer Horde zwielichtiger Diebe verbündet und ein paar Beweise seiner Kampfkunst geliefert hat, die Magier zu besiegen und die von ihnen gefangengehaltene Prinzessin zu befreien – doch aus dem Plan, Turgohl zur Keimzelle seines Reiches zu machen, wird leider nichts … Bei seinem zweiten diesbezüglichen Versuch trifft er in Sons of the Bear-God auf ein Volk zwergenhafter Menschen, die einen Bärengott verehren und in ihrer Stadt Byoko über Sklaven herrschen, die dem gleichen Volk wie Wan Tengri selbst zu entstammen scheinen. Zusammen mit seinem affengesichtigen, wenig vertrauenweckenden Begleiter, dem Dieb und Magier Bourtai, der sich ihm in Turgohl angeschlossen hat, stürzt er die Sklavenhalter trotz ihrer magischen Hilfsmittel und befreit die ihm so ähnlichen Sklaven, und auch der anschließende Eroberungszug lässt sich zunächst gut an – doch dann muss Wan Tengri einmal mehr die Erfahrung machen, dass schönen Frauen einfach nicht zu trauen ist …
Die auf Deutsch als Flammenzauber und Söhne des Bärengottes (beide 1981) erschienenen Romane um Wan Tengri sind ein typisches Produkt der Pulps mit den üblichen Stärken und Schwächen: Auf der Plusseite steht eine bis auf wenige kurze Durchhänger rasant erzählte Handlung***, in der die vorkommende Magie sich zwar entweder als Illusion oder als eigentlich der SF zugehöriges Element erweist, die aber als Heroic Fantasy durchaus funktioniert (auch wenn das Setting eher blass und beliebig bleibt), auf der Minusseite die Formelhaftigkeit dieser Handlung und ein Held, der nicht nur ein bisschen zu übermenschlich ist (und selbst dem bekannten Cimmerier körperlich überlegen sein dürfte), sondern darüberhinaus auch allzu sehr von sich überzeugt ist. Dennoch gibt es auf dem weiten Feld der Sword & Sorcery und/oder Heroic Fantasy Schlimmeres als Wan Tengris Abenteuer, die man sich – ein Interesse an diesen Subgenres vorausgesetzt – durchaus zu Gemüte führen kann. Allerdings besser nicht direkt hintereinander.
Norvell W. Page hat nach den beiden Prester-John-Romanen mit der (im Juni 1940 wiederum in Unknown veröffentlichten) Erzählung “But Without Horns” nur noch einen weiteren Ausflug in die phantastische Literatur unternommen, der als Der Leibhaftige ebenfalls auf Deutsch (und zwar in der Romanheftreihe Utopia Kriminal) erschienen ist. Danach hat er sich für kurze Zeit noch einmal The Spider & Co zugewandt, sich aber bereits Mitte der 40er Jahre von den Pulps zurückgezogen (und danach u.a. Texte für die Atomenergie-Kommission verfasst). Und am 14. August 1961 ist er im Alter von 55 Jahren gestorben.

* – Pages Geburtsjahr ist unsicher. John Clute geht davon aus, dass er sich zwei Jahre älter gemacht hat, um seinen ersten Job bei einer Zeitung zu bekommen, was das z.B. in der Wikipedia genannte Geburtsjahr 1904 erklären würde; ich vertraue in diesem Fall Clute mehr als der Wikipedia.
** – wie Page diesen Bogen schlägt, ist eigentlich ganz witzig; es genauer zu erkären, würde aber an dieser Stelle viel zu weit führen.
*** – die Roy Thomas für die Marvel-Comicreihe Conan the Barbarian (## 32-34 und 109-112) adaptiert hat, wobei – als Insidergag oder Hommage – aus der Stadt Turgohl die Stadt Wan Tengri wird.

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