Bibliotheka Phantastika erinnert an L. Sprague de Camp, dessen Geburtstag sich heute zum 105. mal jährt. Es hat schon einen Hauch von Tragik, wenn der Name eines Autors ein bisschen mehr als zehn Jahre nach seinem Tod ausgerechnet in den Kreisen am häufigsten genannt wird, in denen er nicht den allerbesten Ruf genießt. Und das – die Reduzierung auf seine mittlerweile umstrittene Mitwirkung an der Popularisierung und Fortschreibung der Conan-Saga – hat Lyon Sprague de Camp (geb. am 27. November 1907 in New York, gest. am 06. November 2000) denn doch nicht verdient. Immerhin hat er im Laufe seiner langen, erfolgreichen Karriere mehr als 100 Bücher veröffentlicht (nicht nur SF-, Fantasy- und historische Romane, sondern auch knapp zwei Dutzend Sachbücher und etliche Anthologien), sowie unzählige Kurzgeschichten, Erzählungen, Artikel und Essays verfasst.
Begonnen hat diese rund 60 Jahre lange Karriere 1937 mit der Veröffentlichung der SF-Story “The Isolinguals” in der September-Ausgabe von Astounding Stories. Auch in den folgenden Jahren blieb de Camp Astounding und dessen – für Fantasy im weitesten Sinne zuständigem und wesentlich kurzlebigerem – Schwesternmagazin Unknown weitgehend treu, und in den beiden Magazinen sind die Erzählungen bzw. Kurzromane vorabgedruckt worden, mit denen er sich rasch einen Namen machte. In Astounding waren das vor allem der bis heute als eines seiner bekanntesten und besten Werke geltende SF-Roman Lest Darkness Fall (1939, erw. 1949; dt. Das Mittelalter findet nicht statt (1965) bzw. Vorgriff auf die Vergangenheit (1972)) – ein Alternativweltroman, in dem der Archäologe Martin Padway durch ein Zeitloch ins Rom des Jahres 535 n.Chr. fällt und dort durch seine Kenntnisse dafür sorgt, dass der Titel der ersten deutschen Ausgabe zutrifft –, sowie die ersten Teile einer zum Gesamtkomplex der Viagens Interplanetaris zählenden Sequenz von Geschichten, die auf dem exotischen Hinterwäldler-Planeten Krishna spielen (und die später – z.T. unter neuen Titeln – um weitere Romane ergänzt als Krishna Tales zusammengefasst und veröffentlicht wurden).
In Unknown fanden u.a. die zusammen mit Fletcher Pratt verfassten ersten Abenteuer des Psychologen Harold Shea und seiner Freunde (The Roaring Trumpet und The Mathematics of Magic (beide 1940)), die sich mittels formaler Logik in fremde mythologische oder literarische Welten versetzen können, ihre erste Heimat. In den beiden o.g. Kurzromanen besuchen Shea und Konsorten (nicht immer absichtlich) die Welt der nordischen Mythologie und die Welt von Edmund Spensers The Faerie Queene, in den später erschienen Romanen geht es in die Welten von Ludovico Ariostos Orlando Furioso (The Castle of Iron (1950)), der finnischen Kalevala (The Wall of Serpents (1953)) und der irischen Mythologie (The Green Magician (1954)).
Das Motiv des Reisens in alternative Welten findet sich auch in The Carnelian Cube (1948, ebenfalls mit Fletcher Pratt), wie sich generell bestimmte Motive und Themen durch de Camps gesamtes Werk ziehen. Eine weitere erwähnenswerte Kollaboration mit Pratt ist die Kurzgeschichtensammlung Tales from Gavagan’s Bar (1953), ein Beispiel für die im englischen Sprachraum beliebten Bar- oder Clubgeschichten – ein Subgenre, das Lord Dunsany mit seinen Jorkens-Stories begründet hat, und in dem sich seither viele bekannte SF- und Fantasyautoren von Arthur C. Clarke bis Spider Robinson versucht haben.
Die Beschäftigung mit Robert E. Howards Conan-Stories – die wenig später in seine o.e. Mitwirkung an der Veröffentlichung der Conan-Saga mündete – inspirierte de Camp zu einem eigenen, in einer prähistorischen Epoche angesiedelten Heroic-Fantasy-Zyklus: der aus den Romanen The Tritonian Ring (1951) und einer Handvoll Kurzgeschichten bestehenden Pusadian (oder Poseidonis) Series. Die während der letzten Eiszeit spielenden Geschichten sind von den (nicht nur geographischen) Hintergründen her sauber recherchiert und gewiss nicht schlechter als Vieles, was in den 60er und 70er Jahren im Rahmen des Sword-&-Sorcery-Booms auf den Markt kam, auch wenn de Camp mit einem Howard oder Leiber bei weitem nicht mithalten kann. Was möglicherweise damit zu tun hat, dass für de Camp das Schreiben immer eher ein Job – den er diszipliniert und im Rahmen seiner Fähigkeiten so gut wie möglich gemacht hat – aber eben keine Berufung oder gar Besessenheit war.
Sein Mitwirken an der Popularisierung des Conan-Franchise sorgte dafür, dass etliche Jahre lang nur wenig SF- oder Fantasyromane von de Camp erschienen sind. Erst 1968 kam mit The Goblin Tower der erste Teil der Novarian Series auf den Markt, die mit The Clocks of Iraz (1971) und The Unbeheaded King (1983; alle drei auch als Sammelband The Reluctant King (1995)) fortgesetzt wurde, und in der die Abenteuer des unbedarfterweise durch Zufall zum König gewordenen Jorian erzählt werden (bzw. dessen Versuche, die Königswürde wieder loszuwerden, ohne dabei den Kopf zu verlieren). Die auf einer Parallelwelt in einem an das klassische Griechenland und das mittelalterliche Italien erinnernden Milieu spielenden Romane haben fast alle Merkmale, die die besseren Werke de Camps aufweisen: sie sind, was die Hintergründe angeht, sauber recherchiert, behandeln interessante Themen (ohne allerdings mehr als an der Oberfläche zu kratzen) und sind voller ironischer, gelegentlich auch sarkastischer oder zynischer Anmerkungen über das Wesen und Verhalten des Menschen an sich. In The Fallible Fiend (1973) – einer Nebengeschichte der eigentlichen Sequenz, in der die Geschichte des Dämons Zdim erzählt wird, der ein Jahr lang Dienst auf der Ebene der Menschen leisten muss – wird dieser Blick auf (allzu) menschliche Verhaltensweisen auf die Spitze getrieben, während The Honorable Barbarian (1989) wieder konventioneller ist; in diesem Roman steht Jorians jüngerer Bruder Kerin im Mittelpunkt, der seine Abenteuer allerdings in einer ganz anderen Ecke der Welt erlebt.
Es ließe sich noch viel über de Camps Werke schreiben, etwa über The Incorporated Knight (1988) und The Pixilated Peeress (1991), seine beiden (offiziellen) Kollaborationen mit seiner Frau Catherine Crook de Camp (mit der er schon früher häufig zusammengearbeitet hat). Oder über seine Meriten als Herausgeber mehrerer Anthologien, die mit zum Heroic-Fantasy-Boom der 60er und frühen 70er beigetragen haben. Über seine Sachbücher wie Lost Continents: The Atlantis Theme in History, Science and Literature (1954, rev. 1970) oder Great Cities of the Ancient World (1972), seine umstrittenen Biographien über H.P. Lovecraft (Lovecraft: A Biography (1975)) und Robert E. Howard (Dark Valley Destiny: The Life of Robert E. Howard (1983), mit Catherine Crook de Camp und Jane Whittington Griffin). Oder über seine historischen Romane von An Elephant for Aristotle (1958) bis The Golden Wind (1969). Aber all das und noch Einiges mehr muss einem noch zu schreibenden De-Camp-Portrait vorbehalten bleiben.
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