Bibliotheka Phantastika erinnert an E. R. Eddison, der heute vor 130 Jahren geboren wurde. Auch wenn sein Name einem Großteil der heutigen Fantasyleserschaft vermutlich kaum noch etwas sagen wird, nimmt der hauptberuflich lange Zeit als Beamter im britischen Handelsministerium tätige Eric Rücker Eddison (geb. am 24. November 1882 in Adel, Yorkshire, England, gest. am 18. August 1945 in Marlborough, Wiltshire) zu recht einen prominenten Platz in der Ahnengalerie der Fantasy ein. Und das, obwohl sein Oeuvre vergleichsweise schmal und sein eigentliches Hauptwerk unvollendet geblieben ist. Sowohl in Eddisons Leben wie in seinem Werk gibt es einige bedenkenswerte Parallelen zu J.R.R. Tolkien, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. Beiden gemein ist sicher die Rückwärtsgewandtheit, die Sehnsucht nach einer Welt, die zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Werke schrieben, längst Vergangenheit war. Ihr Umgang mit diesem Thema ist allerdings vollkommen unterschiedlich.
Nirgends wird dies deutlicher, als in Eddisons erstem und bis heute bekanntestem Roman The Worm Ouroboros: A Romance (1922; dt. Der Wurm Ouroboros (1981 bzw. 1993)). Von einer auf der Erde beginnenden, aber nie abgeschlossenen Rahmenhandlung um einen Mann namens Lessingham zusammengehalten – bzw. nicht zusammengehalten –, erzählt er die Geschichte des Krieges zwischen den Herren des Dämonenlandes und dem König des Hexenlandes auf einer erdähnlichen Welt namens Mercury (Merkurien), wobei man sich von den Begriffen nicht irreführen lassen sollte; die Demons (Dämonen), Witches (Hexen), Goblins (Kobolde) etc.pp. sind alle von menschlicher Gestalt. Die Guten in diesem Spektakel – deren Heldenhaftigkeit allerdings durchaus fragwürdige Züge trägt – sind Lord Juss, Goldry Bluszco, Lord Spitfire und Brandoch Daha, die Fürsten des Dämonenlandes, der Böse ist Gorice XI. (bzw. XII.), der König des Hexenlandes – und die interessantesten Charaktere sind Gorices Armeeführer Corund, Corsus und Corinius mit ihren eher menschlichen und nachvollziehbaren Problemen und der in seiner Loyalität schwankende Lord Gro aus Koboldland. Das Ganze ist in einer ebenso archaischen wie barocken Sprache inszeniert und nimmt mit seinem Kampf zwischen gut und böse oder dem (in diesem Fall auf die Spitze getriebenen) zyklischen Geschichtsbild thematisch einen Großteil dessen vorweg, was man in den meisten später erschienenen, der Heroic Fantasy oder Sword & Sorcery zugehörigen Werken finden kann. Dass die nur für ihre Ehre und den Kampf lebenden, im wahrsten Sinne des Wortes rein hedonistischen “Helden” ein problematisches Konstrukt sind, ist unbestritten. Dass The Worm Ouroboros vor allem aufgrund seiner einzigartigen Sprache (die nur in der zweiten deutschen Übersetzung adäquat wiedergegeben wird), sowie seiner Funktion als Genrekonventionen vorwegnehmender bzw. schaffender Vorläufer eines beträchtlichen Teils der modernen Fantasy eine Wiederentdeckung – gerne mit kritischem Auge – mehr als verdient hätte, allerdings auch.
1926 veröffentliche Eddison mit Styrbiorn the Strong (dt. Styrbjörn der Starke (1996)) die Nacherzählung einer alten isländischen Sage; der nur am Ende ins Phantastische abkippende Roman ist eine Verbeugung vor seiner lebenslangen Faszination für die nordischen Sagas, der er auch mit der Übersetzung einer weiteren Saga (Egil’s Saga (1930)) noch einmal Ausdruck verliehen hat.
1935 erschien mit Mistress of Mistresses der erste, handlungschronologisch allerdings letzte Band der Zimiamvian Trilogy (deren Bände jedoch in beliebiger Reihenfolge gelesen werden können), sechs Jahre später gefolgt von A Fish Dinner in Memison. Der unvollendet gebliebene dritte Band The Mezentian Gate wurde erst 1958 (und damit 13 Jahre nach Eddisons Tod) veröffentlicht, und viele Jahre später gab es mit Zimiamvia: A Trilogy (1992) auch noch einen Sammelband. Die Zimiamvische Trilogie (Die Herrin Zimiamvias, Ein Fischessen in Memison (beide 1982), Das Tor des Mezentius (1983)) ist ein wesentlich komplexeres Werk als der Wurm und mit diesem einerseits durch die Figur Lessinghams, andererseits durch die Tatsache, dass Zimiamvia so etwas wie die Nachwelt oder das Jenseits Merkuriens ist, verbunden. An die Stelle heldenhafter Kämpfe treten machiavellische Intrigen und amouröse Abenteuer, wobei sich aber auch hier wieder zwei universelle Prinzipien (die Eddison Zeus und Aphrodite nennt) gegenüberstehen. Die komplizierte Handlung – in deren Verlauf unter anderem auch die Erde bzw. deren Bezug zu Zimiamvia eine Rolle spielt –, deren Hintergründe sich erst nach und nach enthüllen, lässt es um so bedauerlicher erscheinen, dass Eddison durch seinen frühen Tod weder den dritten Band fertigstellen, noch weitere (geplante) Bände der Sequenz schreiben konnte. Natürlich vertritt Eddison auch hier wieder eine fragwürdige Philosophie, in der Ruhm und Schönheit alles sind und alles andere nichts ist. Andererseits nimmt er erneut Themen vorweg, die in der Fantasy mittlerweile zu einem Teil des Standardrepertoires gehören. Und zumindest sprachlich hat er diese Themen auf seither nicht mehr erreichte Weise behandelt. Was natürlich auch bedeutet, dass Leser und Leserinnen, die von den heute aktuellen Erzählkonventionen des Genres geprägt sind, sich die Lektüre des Worm Ouroboros oder der Zimiamvian Trilogy regelrecht erarbeiten müssen. Beim Worm gibt es immerhin eine adäquate Übersetzung (die mit dem ihr vorangestellten Vorwort und den zahlreichen Anmerkungen im Text als vorbildlich für die Präsentation eines Klassikers betrachtet werden kann), die Übersetzung der Zimiamvian Trilogy wird Eddisons – im Vergleich zum Worm weniger archaischer – Sprachgewalt leider nicht ganz gerecht.
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