Bibliotheka Phantastika gratuliert leicht verspätet Julian May, die am vergangenen Sonntag ihren 85. Geburtstag feiern konnte. Es dürfte nicht allzu oft vorkommen, dass eine Autorin im zarten Alter von zwanzig Jahren ihre erste Story verkauft (die immerhin gut genug ist, um mehrfach in Anthologien nachgedruckt zu werden), vierzehn Monate später eine zweite folgen lässt und dann schlagartig wieder von der Bildfläche verschwindet – nur um knapp dreißig Jahre später mit einem wahren Paukenschlag in die Phantastikszene zurückzukehren. Aber genau so ist es bei der am 10. Juli 1931 in Chicago, Illinois, geborenen Julian May gelaufen. Nach der Veröffentlichung von “Dune Roller” (in Astounding Science Fiction, Dezember 1951) und “Star of Wonder” (in Thrilling Wonder Stories, Februar 1953) hat sie sich aus der Phantastikszene – in der sie auch ihren Mann kennengelernt hat – zurückgezogen und ist erst 1981 mit The Many-Colored Land in sie zurückgekehrt*, einem in mehrfacher Hinsicht treffend betitelten Roman, der zwar als reiner SF-Roman beginnt und sich auch durchgängig ein SF-Mäntelchen umhängt, aber nichtsdesotrotz auch für Fantasyleser und -leserinnen interessant ist und den Auftakt zum vielleicht farbigsten phantastischen Abenteuerzyklus der 80er Jahre darstellt.
The Many-Colored Land beginnt in der Zukunft, im Jahre 2110, zu einem Zeitpunkt, da die Menschheit längst Teil des Galactic Milieu ist – soll heißen das sechste Mitglied in einem zuvor aus fünf technologisch und kulturell hochentwickelten galaktischen Völkern bestehenden Commonwealth – und so etwas wie ein Goldenes Zeitalter angebrochen ist, in dem Metafunctions bzw. metapsychic Powers (die man ansonsten in der SF meist als Psi-Kräfte bezeichnet) und Reisen zu fernen Planeten an der Tagesordnung sind (wobei Erstere bei Menschen eher selten bzw. häufig nur latent auftreten). Auch in dieser vordergründig so perfekten Welt gibt es Menschen, die aus den verschiedensten Gründen mit ihrem Leben oder ihrer Situation unzufrieden sind, die unglücklich sind oder sich nicht an das Leben im Galaktischen Milieu anpassen wollen oder können – und all diesen Menschen bietet sich ein Ausweg, als der Physiker Théo Guderian zufällig eine “Einbahnstraße in die Vergangenheit” entdeckt: eine Zeitkrümmung, die ins Rhônetal zur Zeit des Pliozäns führt und nur in einer Richtung benutzbar ist. Nach Guderians Tod öffnet seine Witwe das Portal für all jene, die ohne eine Aussicht auf Rückkehr in ein vermeintliches prähistorisches Paradies auswandern wollen, und als die “Gruppe Grün” am 25. August 2110 durch das Portal geht, befindet sie sich auf den Spuren von etlichen zigtausend Menschen, die diesen Schritt in ähnlich kleinen Gruppen in den vergangenen siebzig Jahren bereits gemacht haben. Niemand hat jemals wieder etwas von diesen Menschen gehört (was aufgrund der Natur des Portals auch gar nicht möglich ist), und alle acht Mitglieder der “Gruppe Grün” haben ihre ganz persönlichen Hoffnungen und Erwartungen im Hinblick auf das, was sie auf der anderen Seite des Portals und damit sechs Millionen Jahre in der Vergangenheit erwartet – doch niemand von ihnen ist auf das, was sie tatsächlich vorfinden, auch nur ansatzweise vorbereitet …
Mehr zu verraten, wäre unfair, und das haben wir auch in unserer Rezension der deutschen Ausgabe des Romans, der hierzulande als Das vielfarbene Land erschienen ist, nicht getan. Es mag daher genügen darauf hinzuweisen, dass The Many-Colored Land und seine Fortsetzungen The Golden Torc (1982), The Nonborn King (1983) und The Adversary (1984), die zusammen die Saga of Pliocene Exile (in den USA) bzw. die Saga of the Exiles (im UK) bilden und auf Deutsch als Pliozän-Saga mit den Einzeltiteln Das vielfarbene Land, Der goldene Ring (beide 1986), Kein König von Geburt und Der Widersacher (beide 1987) erschienen sind, in mehrfacher Hinsicht punkten können: sei es mit faszinierenden Schilderungen der irdischen Landschaft zur Zeit des Pliozäns einschließlich der dazugehörigen Fauna und Flora, sei es mit überzeugend gezeichneten Figuren, zu denen mit Felice Landry eine der trotz – oder vielleicht auch wegen – ihrer Ambivalenz beeindruckendsten starken Frauenfiguren der SF und Fantasy zählt (wobei es fast ein bisschen unfair ist, nur sie zu erwähnen, denn es gibt andere wie den über 130 Jahre alten Paläontologen Claude Majewski, die durch eine Hirnverletzung ihrer metapsychischen Kräfte beraubte Elizabeth Orme oder den “Trickster” Aiken Drumm, die ebenfalls genannt werden könnten – und das sind noch längst nicht alle), sei es durch die spannende, immer wieder mit überraschenden Entwicklungen aufwartende Handlung oder sei es schließlich durch die Art und Weise, wie Julian May ihre Geschichte mit der irdischen Mythologie verwebt. Was in der Summe aller Teile dazu führt, dass man die Saga of Pliocene Exile wohl am ehesten als in jeder Hinsicht “farbig” bezeichnen kann (und das gilt auch für die Sprache, die dem Einen oder der Anderen gelegentlich ein bisschen zu purple sein könnte).
In The Adversary, dem vierten Band des Zyklus, wird deutlich, dass Julian May noch mehr Ideen für das Galactic Milieu hat, die sie dann auch folgerichtig in Intervention (1987; auch in zwei Bänden als The Surveillance (1988) und The Metaconcert (1989)) – einer Art Prequel – und der aus den Bänden Jack the Bodiless (1992), Diamond Mask (1994) und Magnificat (1996) bestehenden Galactic Milieu Trilogy erzählt, die allerdings längst nicht so abenteuerlich und farbig ausgefallen ist wie die Saga of Pliocene Exile.
Noch bevor sie sich an besagte Trilogie gemacht hat, hatte Julian May bereits gemeinsam mit Marion Zimmer Bradley und Andre Norton Black Trillium (1990; dt. Die Zauberin von Ruwenda (1995)) verfasst, den Auftakt der gleichnamigen, manchmal auch World of Three Moons genannten Sequenz, die auf Deutsch als Ruwenda-Zyklus erschienen ist, und zu der sie außerdem noch die Bände Blood Trillium (1992; dt. Der Fluch der schwarzen Lilie (1997)) und Sky Trillium (1997; dt. Das Amulett von Ruwenda (1998) beigesteuert hat.
Danach hat sich Julian May mit den unter dem Obertitel The Rampart Worlds laufenden Romanen Perseus Spur (1998), Orion Arm (1999) und Sagittarius Whorl (2001), die als Rampart-Trilogie (Einzelbände: Der Sporn des Perseus (2001), Die Schulter des Orion (2002), Die Nebel des Sagittarius (2003)) ebenfalls auf Deutsch erschienen sind, noch einmal der SF zugewandt, ehe sie mit der Boreal Moon Trilogy (Einzelbände: Conqueror’s Moon (2003), Ironcrown Moon (2004) und Sorcerer’s Moon (2006)) ihren ersten und bislang einzigen Ausflug in die High Fantasy unternommen hat, der hierzulande als Nordmond-Trilogie mit den Einzeltiteln Schwertmond, Dunkelmond (beide 2009) und Schattenmond (2010) erschienen ist.
Am ehesten knüpft noch die letztgenannte Trilogie mit ihrem Ränkespiel zwischen mehreren, auf einer Insel mit einer komplexen Vergangenheit (und nichtmenschlichen Ureinwohnern) angesiedelten Königreichen an die Saga of Pliocene Exile an und enthält zumindest ein paar der Elemente, die die Saga so lesenswert gemacht haben, doch ganz generell lässt sich sagen, dass Julian May die Messlatte, die sie mit ihrem ersten Zyklus – vor allem mit The Many-Colored Land, der 1982 für sämtliche wichtigen SF-Preise nominiert war und tatsächlich auch den Locus Award in der Kategorie Best SF Novel gewonnen hat – selbst sehr hochgelegt hatte, danach nie wieder übersprungen hat. Andererseits kann man, wenn man die Saga beendet hat (und den Band in die Finger kriegt) im Pliocene Companion schmökern, in dem neben einem ziemlich umfangreichen Glossar auch Hintergründe zur Geschichte und zum Galaktischen Milieu, frühe Kartenentwürfe sowie mehrere Interviews mit Julian May zu finden sind.
* – das ist jetzt nicht ganz richtig, aber wer wusste damals schon, dass sie als Lee N. Falconer 1977 A Gazeteer of The Hyborian World of Conan including also The World of Kull and an Ethnogeographical Dictionary of Principle Peoples of the Era verfasst hat? 😉