Zum 100. Geburtstag von Andre Norton

Cover von Witchworld von Andre NortonBibliotheka Phantastika erinnert an Andre Norton, die heute 100 Jahre alt geworden wäre. Als Alice Mary Norton (geboren am 17. Februar 1912 in Cleveland, Ohio) professionell zu schreiben begann, entschied sie sich für den geschlechtsneutralen Vornamen Andre, und benutzte später für einige Werke auch die Pseudonyme Andrew North und Allen Weston. Im Laufe ihrer langen Karriere (ihr erster – nichtphantastischer – Roman erschien 1934, ihr letzter Anfang dieses Jahrtausends) hat Andre Norton sich als überaus fleißige Autorin erwiesen und eine Vielzahl von Romanen und Kurzgeschichten verfasst, die größtenteils der SF und der Fantasy zuzurechnen sind. Auch wenn einige ihrer – so gut wie immer abenteuerlich-phantastischen – SF-Romane eine Erwähnung wert wären, soll es an dieser Stelle nur um ihre Beiträge zur Fantasy gehen.
Andre Nortons erste Fantasyromane waren (nach einigen Gehversuchen mit Kurzgeschichten) die beiden Jugendbücher Rogue Reynard (1947) und Huon of the Horn (1951), die beide auf mittelalterlichen Versepen (Reineke Fuchs und dem Rolandslied) basieren. Da es in den 50er Jahren aber kaum einen Markt für Fantasy gab, wandte sie sich anschließend zunächst der SF zu, so dass zwölf Jahre vergingen, bis mit Witch World (1963, dt. Gefangene der Dämonen (1977)) der erste Band des gleichnamigen, in Deutschland Hexenwelt genannten Zyklus erschien, der zu ihrem Hauptwerk in der Fantasy werden sollte.
Interessanterweise beginnt Witch World noch wie ein für die damalige Zeit typischer SF-Roman (der Abenteurer Simon Tregarth gelangt von der Erde durch ein Dimensionsportal auf eine fremde Welt und unterstützt die – anfangs als Frauen mit PSI-Kräften geschilderten – “Hexen” des Landes Estcarp bei der Abwehr der Invasion durch die einer anderen Dimension entstammenden Kolder) und bedient sich teilweise typischer SF-Begriffe, doch schon der zweite Band, Web of the Witch World (1964), wirkt deutlich fantasyhafter, und die nächsten drei Romane Three Against the Witchworld (1967),Warlock of the Witchworld (1967) und Sorceress of the Witchworld (1968), in denen die Abenteuer der drei Kinder von Simon Tregarth und der Hexe Jaelithe geschildert werden, haben ein eindeutiges Fantasy-Feeling. Diese fünf Bände – die Geschichte von Simon Tregarth und seiner Nachkommen, wenn man so will – bilden den Kern des sogenannten Estcarp Cycle, der in größeren Abständen noch weiter fortgeschrieben wurde – Trey of Swords (1977), ‘Ware Hawk (1983), The Gate of the Cat (1987), Ciara’s Song (1998, mit Lyn McConchie) und The Duke’s Ballad (2005, mit Lyn McConchie) – und insgesamt zehn Bände umfasst.
Doch bereits 1965 hat Andre Norton mit Year of the Unicorn einen zweiten Unterzyklus begonnen, den sogenannten High Hallack Cycle. Während Estcarp ein von den Hexen beherrschtes Matriarchat darstellt, leben im jenseits des Meeres gelegenen High Hallack Gestaltwandler, und die gesellschaftliche Stellung der Frauen ist deutlich schlechter. Auch dieser Zyklus wurde im Laufe der Jahre immer weiter fortgesetzt, so dass er letztlich elf Bände umfasst: The Crystal Gryphon (1972), Spell of the Witch World (1972), The Jargoon Pard (1974), Zarsthor’s Bane (1978), Gryphon in Glory (1981), Horn Crown (1981), Gryphon’s Eyrie (1984, mit A.C. Crispin), Were-Wrath (1984), Songsmith (1992), Silver May Tarnish (2005, mit Lyn McConchie). Anfang der 90er Jahre ist aus der Hexenwelt dann mehr oder weniger eine Shared World geworden (was sich anhand mehrerer Anthologien in den 80er Jahren bereits erahnen ließ), an der Andre Norton nur noch als Ideenlieferantin (für die sechs Bände Witch World: The Turning) mitgewirkt hat.
Cover von The Magic Books von Andre NortonÜber den Zyklus um die Witch World hinaus hat Andre Norton aber noch etliche weitere Fantasywerke verfasst, etwa die sechsbändige, von den Büchern Edith Nesbits inspirierte, sich an Kinder richtende Magic-Serie (1965-76) oder die sich des Artus-Mythos bedienenden Romane Here Abide Monsters (1973) und Merlin’s Mirror (1975). The Hands of Llyr (1994) kann man wohl als allegorische Fantasy bezeichnen, während es in Mirror of Destiny (1995) um einen Krieg zwischen Menschen- und Feenwelt geht. Darüber hinaus war Andre Norton eine der drei Autorinnen von Black Trillium (1990) (der erste Band eines nach einem Konzept des literarischen Agenten Uwe Luserke entstandenen Zyklus, der von drei Autorinnen – Norton, MZB und Julian May – geschrieben wurde) und trug mit Golden Trillium (1993) auch einen einzeln verfassten Band zu dem Zyklus bei, und mit Mercedes Lackey hat sie den Halfblood-Zyklus verfasst (der erste Band war The Elvenbane (1991), auf den bisher drei weitere folgten), in dem sich Elfen mit Menschen und Gestaltwandlern um die Herrschaft über eine Welt streiten – und diese Aufzählung ist noch längst nicht vollzählig.
Andre Nortons Romane leiden teilweise unter sich ähnelnden Settings und Plots, und sie steht sicher nicht in erster Linie für originelle Einfälle, stilistische Brillanz oder überragende Charakterisierungen ihrer Protagonisten. Andererseits hat sie bereits früh selbstbewusste Frauenfiguren in die Fantasy eingebracht, und immer wieder Themen wie die Frage nach dem Platz von Außenseitern in einer Gesellschaft behandelt. Und ihr Einfluss auf die Werke einer Marion Zimmer Bradley (Darkover) oder auch einer Anne McCaffrey (Dragonriders of Pern) ist unbestreitbar.
Ein Großteil der Romane der am 17. März 2005 verstorbenen Andre Norton ist auch auf Deutsch erschienen, darunter unter anderem die ersten sechs Estcarp-Romane des Hexenwelt-Zyklus sowie sechs der in High Hallack bzw. Hochhallack spielenden Bände.

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