Bibliotheka Phantastika erinnert an Richard Meade, der heute vor zehn Tagen 90 Jahre alt geworden wäre. Nachdem wir vor kurzem mit Norvell W. Page an einen Autor erinnert haben, dessen Name vermutlich kaum jemand ein Begriff war, ist heute ein Autor an der Reihe, dessen Name sehr wahrscheinlich niemandem etwas sagt. Und daran würde sich vermutlich auch nichts ändern, wenn wir statt an Richard Meade an Quinn Reade, Ben Elliott, William Kane, Sam Webster, Ben Haas, Thorne Douglas oder John Benteen erinnern würden – es sei denn, es gibt ein paar Westernfans in unserer Leserschaft, denn denen könnte zumindest der letzte Name ein Begriff sein. Der Western war nämlich das Hauptbetätigungsfeld des am 21. Juli 1926 in Charlotte, North Carolina, geborenen Benjamin Leopold Haas, der seine Romane teils unter Ben Haas, die meisten allerdings unter einem der o.g. Pseudonyme (es gibt noch ein paar mehr) veröffentlicht hat. Haas war ein ungemein fleißiger Autor, der in seiner knapp sechzehn Jahre dauernden Autorenkarriere rund 130 Romane veröffentlicht haben soll; in erster Linie Western, aber auch Arztromane, Thriller und historische Romane – und drei Sword-&-Sorcery- bzw. Heroic-Fantasy-Romane (zwei davon unter dem Pseudonym Richard Meade, was erklärt, warum wir an Richard Meade und nicht an Ben Haas erinnern und warum Haas hier heute überhaupt auftaucht).
The Sword of Morning Star (1969), der erste dieser Romane unter dem (bereits mit Romanen aus anderen Genres eingeführten) Pseudonym Richard Meade, eröffnet eine kurze, aus zwei Bänden bestehende, Gray Lands genannte Sequenz. Das Setting ist – wie häufig bei derartigen Romanen aus dieser Zeit – eine postapokalyptische Erde, auf der sich Jahrtausende nach einem vernichtenden, in den Legenden der Menschen als Worldfire präsenten Atomkrieg wieder eine pseudomittelalterliche Feudalgesellschaft etabliert hat und auf der Magie existiert. Ohne diese Magie hätte Helmut allerdings reichlich schlechte Karten, treibt er doch verstümmelt und nicht bei Sinnen auf einem Kahn den Jaal hinunter und genau auf die Sumpflandschaft der Wetlands zu, in denen schreckliche Ungeheuer hausen. Dass der zwölfjährige Helmut überhaupt in dieser Situation ist, hat damit zu tun, dass er der Bastard von Sigrieth ist, dem kürzlich verstorbenen König von Boorn und Emperor der Gray Lands – und dass der anstelle von Helmuts ebenfalls noch minderjährigem Halbbruder Gustav, dem Thronerben, als Regent eingesetzte Albrecht von Wolfsheim finstere Pläne verfolgt, die ihn selbst auf den Thron bringen sollen. Doch zum Glück gibt es den Magier Sandivar, der Helmut nicht nur aus dem Fluss fischt und aufpäppelt, sondern ihm auch alles beibringt und verschafft, was er braucht, um sich an Albrecht rächen zu können – auch wenn er ihn dazu in eine ganz besondere Art von Hölle schicken muss …
The Sword of Morning Star ist im Prinzip eine schlichte Rachegeschichte, die allerdings mit ein paar recht originellen Einfällen aufgepeppt ist. Dazu gehören u.a. der dem Magier Sandivar als Reittier und Leibwächter dienende riesige Bär Waddle oder auch besagte Hölle, in der die Zeit vielfach schneller vergeht als in der eigentlichen Welt, so dass Helmut – dessen von Albrecht abgetrennte Schwerthand im weiteren Verlauf der Geschichte durch den titelgebenden Morgenstern ersetzt wird – nicht ewig auf seine Rache warten muss. Und dazu gehört auch, dass der finstere Albrecht von Wolfsheim nicht nur einfach König anstelle des Königs werden will, sondern viel weitergehende Pläne verfolgt, so dass es im entscheidenden Kampf zwischen ihm und Helmut um viel mehr geht als um die Rache eines Bastards. Für amerikanische Leser haben darüber hinaus vermutlich auch Namen wie Helmut, Gustav und Albrecht (oder Orte wie Wolfsheim und Marmorburg) eine gewisse Exotik transportiert, die man als deutschsprachiger Leser eher nicht so empfindet (die jedoch dafür sorgen, dass man das Geschehen in einem – natürlich nach der großen Katastrophe entsprechend veränderten – Europa verortet).
Exile’s Quest (1970), der zweite Roman unter dem Meade-Pseudonym, ist ein Prequel, in dem König Sigreith sich noch bester Gesundheit erfreut und tut, was Könige eben so tun. Etwa einen aus gewissen Gründen in Ungnade gefallenen Adligen – nämlich Gallt, den Baron der Iron Mountains – auf eine selbstmörderische Mission zu schicken: Gallt soll mit einer Gruppe aus ehemaligen Gefangenen aus den Verliesen des Königs in die Unknown Lands vordringen und herausfinden, was mit der vorherigen Expedition passiert ist, die diesen Auftrag hatte – und so ganz nebenbei auch noch den mystischen und geheimnisvollen Stone of Power zurückholen …
Auch in Exile’s Quest gibt es einen am Anfang nicht unbedingt absehbaren Plottwist, der den Roman zu ein bisschen mehr als Hack & Slay durch diverse, durch das Worldfire entstandene Monster und Mutanten macht, die in diesem Roman eine wesentlich größere Rolle als im ersten Band spielen.
Interessanterweise finden sich auch in Ben Haas’ drittem S&S-Roman Quest of the Dark Lady (1969), den er unter dem Pseudonym Quinn Reade verfasst hat, etliche Parallelen zu den beiden Romanen um die Gray Lands, vor allem zu Exile’s Quest. Fünfhundert Jahre nach einem alles verwüstenden Krieg unter Magiern herrscht der gütige König Langax über die Iron Lands, den letzten Landstrich, der noch von normalen Menschen bewohnt wird und in dem aus angesichts der Vorgeschichte naheliegenden Gründen Magie verboten ist. Doch die Iron Lands werden von den schrecklichen Kreaturen aus dem Terrible East bedroht, die durch den besagten Krieg entstanden sind, und zu denen beispielsweise die Slimy Ones – riesige, blutsaugende Schnecken – gehören. Bislang ist es den Mounted Bladesmen des Königs gelungen, die in ihrer Gesamtheit als Other Things bezeichneten Kreaturen immer wieder zurückzuschlagen, doch jetzt haben sich die Dinge geändert, denn die bislang immer einzeln angreifenden Monstren sind plötzlich zu koordinierten Aktionen fähig. Dies und die Tatsache, dass Langax von einem Zauberspruch eines Magiers aus dem Terrible East niedergestreckt dahinsiecht, sorgt dafür, dass er mit Wulf of Niedrigaard seinen ehemaligen Hauptmann der Mounted Bladesmen in den Terrible East schickt, um die Dark Lady – seine einzige Rettung – von dort zu holen. Begleitet von Delius, Langax’ Arzt – der sich alsbald als Magier entpuppt – und seiner Geliebten Reen, die sich zuvor als Straßenräuberin einen Namen gemacht hat, bricht Wulf in den Terrible East auf, wo sie nach einiger Zeit nicht nur der Dark Lady, sondern auch dem King of the Eastern Lands begegnen, der standesgemäß in einem aus schwarzem Stein erbauten und schwarz möblierten Palast lebt. Natürlich versucht Wulf, seinen Auftrag zu erfüllen – doch das erweist sich als schwieriger als ohnehin schon vermutet …
Die drei vorgestellten Romane von Ben Haas sind in mehrfacher Hinsicht typische Beispiele des im Gefolge der Conan-Taschenbuchausgabe bei Lancer Books entstandenen S&S-Booms der späten 60er und frühen 70er Jahre mit all ihren Stärken und Schwächen: Sie sind schnell und actionorientiert erzählt, und in ihnen agieren eher grob charakterisierte Figuren in einem nur partiell wirklich ausgearbeiteten (und nicht immer stimmigen) Setting. Zudem vereinen sie Elemente der Sword & Sorcery – oder eigentlich eher der Heroic Fantasy, denn Haas’ Figuren unterscheiden sich durchaus von den eher selbstsüchtig agierenden Abenteurern und Söldnern vom Conan-Typus – mit Elementen aus Abenteuergeschichten oder, wenn man so will, den erst später aufkommenden tolkienesken Questen (was dazu passt, dass Haas’ Vorbilder Autoren wie Frank Yerby und eben nicht Howard & Co. waren). Natürlich können diese Romane nicht mit den Werken der “Großen Drei” der Sword & Sorcery mithalten, funktionieren aber besser als manche anderen Hervorbringungen dieser Epoche. Und letztlich ist auch ein Vergleich mit z.B. den dreißig Jahre zuvor entstandenen Prester-John-Romanen des gerade erst abgehandelten Norvell W. Page oder auch den etliche Jahre später erschienenen, thematisch ähnlich gelagerten Romanen eines Clifford D. Simak – vor allem im Hinblick auf die Interaktion der Figuren – nicht uninteressant (wenn man denn auf sowas Lust hat 😉 ).
Im Gegensatz zu seinen Western – von denen vor allem die Reihen um das Cheyenne-Halbblut Sundance und den zu Beginn des 20. Jahrhunderts an den Brennpunkten der Welt agierenden Abenteurer Fargo unter Westernfreunden sehr geschätzt werden* – haben es die Fantasyromane des am 27. Oktober 1977 an einer Herzattacke verstorbenen Ben Haas nie nach Deutschland geschafft. Das ist letztlich zwar kein echter Verlust, aber in Anbetracht der Tatsache, dass z.B. ein Heuler wie Lin Carters Thongor komplett auf Deutsch erschienen ist, dann doch fast wieder ein bisschen bedauerlich.
* – einen Artikel zur deutschsprachigen Ausgabe von Fargo findet man z.B. hier.
Nachdem ich eigentlich wieder “on track” war – der Meade-Text war am 21. Juli zu 95% fertig – hat mich dann dummerweise genau an besagtem 21. Juli eine Sommergrippe erwischt, die für eine Matschbirne gesorgt hat, mit der es mir nicht möglich war, den Text endgültig fertig zu machen. (Ich hatte mich zum Ende hin ein bisschen “verirrt”, deshalb wirkt das jetzt vermutlich auch nicht sonderlich rund, aber ich wollte da nicht mehr ewig drauf rumdenken. 😉 )
Ich habe mir heute dann lange überlegt, ob ich den Text mit zehn Tagen Verspätung noch veröffentlichen soll (genau betrachtet habe ich so lange überlegt, dass es schließlich doch wieder furchtbar knapp wurde), aber da ich es hasse, Texte, in die ich Zeit und Energie gesteckt habe, einfach so in die Tonne zu treten, habe ich mich – wie man unschwer erkennen kann – letztlich doch dafür entschieden. (Außerdem ist Haas ein interessanter Autor, über den man noch mehr schreiben könnte; das kommt vielleicht später irgendwann mal in einem anderen Rahmen/Kontext.)
Jetzt kann ich mir überlegen, ob ich den noch nicht allzu weit gediehenen zweiten Text, den ich unbedingt im Juli im Blog haben wollte, fertig mache und dann halt auch mit deutlicher Verspätung veröffentliche, oder ob ich es bleiben lasse. (Wenn ich es bleiben lasse, wird den Autor übrigens niemand vermissen, denn ich halte jede Wette, dass von ihm und dem Roman, um den es gehen würde, hierzulande bislang so gut wie niemand gehört hat. 😉 )
We’ll see … Im August wird es hoffentlich wieder etwas runder laufen – vorausgesetzt, meine Sommergrippe verabschiedet sich demnächst endgültig und ich kriege mein tägliches Soll immer problemlos hin.
Mich stört die Verspätung nicht, und durch deine Jubi-Texte etwas über unbekannte Autoren und Werke zu hören, finde ich immer spannend. Andererseits kannst du ja den noch für den Juli angedachten Text auch in die vage im Raum stehende Sammlung aufnehmen … dann musst du auch das, was du bereits daran gemacht hast, nicht gleich in die “Tonne treten” …