Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Robert Hood, der bereits am Sonntag vor einer Woche seinen 65. Geburtstag feiern konnte. Schon wieder so ein Autor, von dem ich noch nie gehört habe, mag der eine oder die andere jetzt vielleicht denken, aber bei dem am 24. Juli 1951 in Parramatta im australischen Bundesstaat New South Wales geborenen Robert Maxwell Hood handelt es sich um einen immer noch aktiven und sehr produktiven Autor, der nur hierzulande praktisch unbekannt sein dürfte; in seinem Heimatland sieht das ganz anders aus, dort hat sich Hood mit weit über 100 Kurzgeschichten und Erzählungen für Erwachsene sowie einer aus vier Bänden bestehenden Jugendbuchserie und einer gemeinsam mit einem Co-Autor verfassten neunbändigen Kinderbuchserie den Ruf erschrieben, einer der wichtigsten Horrorautoren des Landes zu sein, dessen Geschichten häufig auf den Nominierungslisten für den Ditmar und den Aurealis Award auftauchen.* Hier und heute soll es allerdings weder um Hoods phantastische Erzählungen für Erwachsene, noch um seine Kinder- oder Jugendbücher gehen – und auch nicht um die von ihm herausgegebenen Anthologien – sondern um seinen bislang einzigen romanlangen Ausflug in die Fantasy.
Besagter Roman ist 2012 unter dem Titel Fragments of a Broken Land: Valarl Undead auf den Markt gekommen und hat 2014 prompt den Ditmar in der Kategorie “Best Novel” gewonnen – und das, obwohl er zweifellos zu den ungewöhnlichsten und seltsamsten Werken zählt, die das Genre bisher hervorgebracht hat (und somit auch zu denen, die sich kaum mit einigen wenigen Sätzen beschreiben lassen). Was nicht zuletzt daran liegt, dass ein ebenso originelles wie fremdartiges und merkwürdiges Setting als Bühne für eine fast schon typische Queste dient, mit der allerdings eine metaphysische Komponente verwoben ist, die für die Welt, die Figuren und die Handlung von zentraler Bedeutung ist.
Tharenweyr ist eine ungewöhnliche Welt, denn an ihrem Himmel scheint tagsüber keine Sonne, und nachts leuchten dort keine Sterne. Die Tage auf Tharenweyr werden von einer Energiewoge erhellt, die von Süden nach Norden über das einer festen Decke gleichende Firmament wandert, während der Nacht herrscht am Himmel nichts als absolute Schwärze. Aber das sind nur die äußeren Merkmale einer Welt, deren metaphysischer Überbau durchaus für Alpträume sorgen kann. Unter solchen leidet etwa die junge Remis Sarsdarl, die gerade ihre Ausbildung als Spellbinder abgeschlossen hat und nun versucht, sich in Koerpel-Na, der Hauptstadt des durch Handel reich und mächtig gewordenen Landes Vesuula, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Doch aus ihrer Idee, Zaubersprüche und magische Talismane an die Einwohner Koerpel-Nas zu verkaufen, wird nichts, da die mächtigen Handelshäuser keine Konkurrenz – sprich: keine unabhängigen Spellbinder – in der Stadt dulden, und so steht Remis alsbald vor den Trümmern ihrer gerade erst begonnenen beruflichen Existenz. Ihren Nachbarn, den ebenfalls beruflich alles andere als erfolgreichen Schmied Arhl Mogarni, plagen keine Alpträume; stattdessen wird er vom Geist seiner toten Mutter heimgesucht, was ihm auch nicht unbedingt Trost spendet. All das ist jedoch nichts im Vergleich zu den Träumen, denen Sevthen Ulart-Tashnark, der Sohn eines behördlich zugelassenen reichen Sklavenhändlers, jeden Abend dadurch zu entkommen versucht, das er sich fast bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt. Nicht, dass das viel ändern würde, denn er träumt trotzdem immer wieder davon, ein Krieger namens Bellarroth zu sein, der auf einer selbst im Vergleich zu Tharenweyr merkwürdigen anderen Welt, in der Schlangen auf Bäumen wachsen (und bei der es sich eigentlich um das sich durch die Leere bewegende kosmische Ungeheuer Tammenallor handelt) unterwegs zu einem Ziel ist, das er ebensowenig kennt wie den Auftrag, den er zu erfüllen hat. Die Wege dieser drei Figuren kreuzen sich eher zufällig – oder auch nicht – kurz nachdem Remis versehentlich einen untoten Leichnam aus seinem Todesschlaf erweckt hat und dadurch die Aufmerksamkeit der Akolythen eines Dunklen Gottes auf sich gelenkt hat – und nur wenig später stecken Remis, Arhl und Tashnark mitten drin in einem Schlamassel, in dem nicht nur ihr eigenes Überleben auf dem Spiel steht, sondern das Schicksal von ganz Tharenweyr …
Dass ein Autor wie Robert Hood, bei dem der Schwerpunkt seines Schaffens bislang im Bereich des Horrors lag, ein vergleichsweise düsteres Setting und Szenario ersinnt, ist letztlich nicht weiter verwunderlich, dass es außerdem auch eins der bizarrsten ist, die die Fantasy bis heute hervorgebracht hat, schon eher. Denn bizarr ist Tharenweyr – vor allem, wenn man seinen metaphysischen Überbau miteinbezieht – zweifellos, und zwar so bizarr, dass es schwerfällt, etwas auch nur annähernd Vergleichbares zu finden. Am ehesten kommen einem da noch die Welten eines Clark Ashton Smith, William Hope Hodgsons Millionen Jahre in der Zukunft um eine erloschene Sonne kreisende Erde in The Night Land (1912; dt. Das Nachtland (1982)) oder Tormance, der Handlungsort von David Lindsays A Voyage to Arcturus (1920; dt. Die Reise zum Arcturus (1986)) in den Sinn, wobei “vergleichbar” sich hier jeweils weder auf das Setting noch auf den Stil oder den Erzählduktus bezieht, sondern auf die Einzigartigkeit (und somit eigentlich die “Unvergleichbarkeit” 😉 ), die alle diese Werke auszeichnet.
Doch trotz der Horroreinflüsse und der Düsternis gehört Fragments of a Broken Land: Valarl Undead nicht in die Kategorie Grimdark oder Grim & Gritty, sondern ist eigentlich in einem ganz besonderen Setting angesiedelte Heroic Fantasy. Was in erster Linie an den Figuren – an Remis, Arhl, Tashnark (und noch einigen anderen, denn die Gruppe wächst und schrumpft im Laufe der Queste) – liegt, denen der Zynismus, der sich in so vielen modernen Fantasywerken finden lässt (vor allem, wenn sie versuchen, besonders grim & gritty zu sein), vollkommen fremd ist. Remis, Arhl, Tashnark und die anderen mögen Gescheiterte sein, sie mögen alle ihre Schwächen und ihre Geheimnisse haben, aber sie haben auch einen moralischen Kompass und wissen um die Bedeutung von Freundschaft, von Selbstlosigkeit und Mitgefühl. Das macht aus Fragments jetzt keinen fröhlichen Roman, aber immerhin einen, in dem bei aller Düsternis und Verzweiflung immer ein Silberstreifen am Horizont – und mag er noch so blass und schmal sein – sichtbar ist. Und der – nebenbei bemerkt – überaus spannend ist, sobald er so richtig in Gang gekommen ist.
Es muss allerdings auch ganz klar gesagt werden, dass Fragments of a Broken Land: Valarl Undead es seinen potenziellen Lesern und Leserinnen nicht leicht macht (vor allem, wenn man kein native speaker ist). Das fängt bei dem teilweise überaus dichten Stil an, setzt sich mit den größtenteils alles andere als eingängigen Namen fort und endet bei all den (zumindest anfangs absolut unverständlichen) Träumen und Verweisen, die sich auf den metaphysischen Überbau beziehen. Besagter, inzwischen mehrfach erwähnter Überbau fußt nämlich auf den Visionen und Bildern des englischen Dichters, Malers und Mystikers William Blake, dessen Werk wohl nur den wenigsten deutschsprachigen Lesern und Leserinnen ein Begriff sein dürfte. Es ist nicht so, dass man dieses Werk unbedingt kennen muss, damit die Geschehnisse einen Sinn ergeben – aber es hilft, wenn man weiß, wo einige der Bilder und Ideen herkommen, die Robert Hood in seinem Roman verwendet.**
Ungeachtet all dessen, was im vorangegangegen Absatz steht, gibt es für Leser und Leserinnen, die wissen wollen, was mit und in der Fantasy möglich ist, wenn sie das immer noch gern und häufig genutzte, entweder als Grundlage für eine idealisierte Wohlfühl-&-Wunscherfüllungs-Phantasie oder für einen vorgeblich “realistischen” Blick in eine vor allem dreckige, grausame und vom Recht des (zumeist amoralischen) Stärkeren oder Höhergestellten beherrschte Welt dienende pseudomittelalterliche Setting verlässt, nur wenig Beispiele, die ähnlich weit weg vom Fantasy-Mainstream angesiedelt sind wie Robert Hoods Fragments of a Broken Land: Valarl Undead. Manchen mag es auch zu weit weg davon sein. Ob man mit dieser Art von Fantasy etwas anfangen kann, lässt sich problemlos feststellen, ohne dass man den Roman kaufen muss, denn auf Robert Hoods für Fragments geschaffener Webseite finden sich – neben u.a. einem Beitrag zu William Blake, in dem Hood auch erklärt, wie er überhaupt auf die Idee gekommen ist, Blakes Visionen und Bilder für seinen Roman zu verwenden – drei Erzählungen, die man kostenlos downloaden kann: “Tamed” (Hoods erster Ausflug nach Thamenweyr, der in der Anthologie Dreaming Down-Under (1998) erschienen ist), “Dark Witness” (ursprünglich in Fragments als Flashback enthalten, aber während des Editionsprozesses dort gestrichen) und “Garuthgonar and the Abyss” (eine Story, die zeitlich lange vor dem Roman angesiedelt ist und die Abenteuer des Vaters von Shaan – einer weiteren Hauptfigur aus dem Roman, die aus Umfangs- und Übersichtlichkeitsgründen im obigen Text nicht erwähnt wurde – erzählt).
* – Ditmar und Aurealis Award werden für Werke aus den Bereichen SF, Fantasy und Horror vergeben.
** – ich selbst kannte vorher auch nur das Gedicht The Tyger und ein paar Bilder, habe mich dann aber parallel zur Lektüre von Fragments ein bisschen über Blake und sein Werk schlau gemacht; aber wie gesagt: das muss man nicht tun (auch wenn’s durchaus spannend ist). Der deutsche Wikipedia-Eintrag zu Blake ist übrigens … sagen wir dürftig, aber ich habe auf die Schnelle keine deutschsprachige Seite gefunden, die etwas dezidierter auf Blakes Werk – vor allem auf dessen mystische Komponente – eingeht.
Wie man unschwer erkennen kann, habe ich den im Kommentar zum Beitrag über Richard Meade angedrohten Text jetzt doch noch geschrieben. Die Gründe sind schnell erklärt:
Fragments ist vor mittlerweile vier Jahren erschienen und hat außerhalb Australiens kaum Aufmerksamkeit erregt (bei Amazon.com finden sich gerade mal zwei Rezensionen, und bei Goodreads – dessen Rating- und Reviewzahlen einen guten Trendmesser darstellen, inwieweit ein Werk wahrgenommen wird – hat der Roman siebzehn Ratings und fünf Reviews); zwar wird er in fünf Jahren – wenn die nächste Gelegenheit zu einem entsprechenden Jubitext anstünde – vermutlich nicht vom Markt verschwunden sein, aber er wird trotz allem älter und noch ein bisschen obskurer sein. Deshalb wollte ich denjenigen, die sich vielleicht für diese Art von Fantasy interessieren, die Chance geben, sich das Werk (“printed by BOD in Norderstedt” 😉 ) vielleicht zu einem Zeitpunkt anschauen zu können, an dem die Webseite mit den Hintergründen noch online ist.
Außerdem mag ich diese etwas schrägen Ansätze, gerade wenn sie so konsequent durchgezogen werden und das Ergebnis sich (zumindest für mich) als trotz gewisser Mühen eminent lesenswert erweist; auch von daher wollte ich die sich ohnehin nur selten bietende Chance, einem solchen Autor bzw. Buch einen Geburtstagstext zu widmen, dann doch nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Ein bisschen blöd ist, dass der ursprüngliche Plan, den Text am Mittwoch (und damit im passenden Abstand zum Meade/Haas-Text) zu veröffentlichen, aus … äh … technischen Gründen nicht geklappt hat (und am Donnerstag habe ich es dann verschludert). Aber so what – jetzt steht er trotz allem im Blog. 😉
In Zukunft wird’s die entsprechenden Texte dann hoffentlich wieder etwas “zeitnaher” geben; zumindest derart rekordverdächtige Verspätungen wie bei den letzten beiden Kandidaten sollen und sollten eigentlich nicht mehr vorkommen.