Wenn wir zu einem Buch greifen, dann haben wir doch immer gewisse Vorlieben, was das Setting und die Handlung angeht. Für den einen ist es das Wüstenabenteuer, den nächsten die Mittelalterwelt und der dritte hat es vielleicht lieber möglichst urban. Unsere Vorlieben schwanken zwar, doch was uns beide schon seit jeher fasziniert, ist das Wasser. Dieses feuchte, kühle Nass, das unser Leben ermöglicht. In manch alten Mythen und Sagen bewegen sich die Protagonisten auf oder durch die See, und der Mensch fühlt sich, ob bewusst oder unbewusst, zu Quellen, Gewässern und Meeren hingezogen.
Das Wasser hat etwas Außerweltliches an sich und ist der „Ort“, den wir mit allerlei phantastischen und unheimlichen Geschichten assoziieren. Das Rauschen der Wellen, das dumpfe Gluckern, wenn man abtaucht, das Schweben auf und unter der Wasseroberfläche, die Lichtspiele des Sonnenlichts darin … all das ist ungeheuer faszinierend. Dabei ist keine von uns eine gute Schwimmerin. Seit einer Weile haben wir jedoch gemeinsam unsere Faszination für die Tiefsee neu entdeckt, der wir schon zu Jugendzeiten mit der TV-Serie SeaQuest gefrönt haben und die kürzlich durch den von moyashi gelesenen Roman Degrees of Wrong, der an die Serie erinnert, eine Wiederbelebung erfuhr. Seitdem versuchen wir wieder in die Stille der Tiefsee abzutauchen (etwa mit solchen Bildern) und auf Unterseeschiffen Abenteuer zu erleben.
Die Faszination für das, was sich unter der Oberfläche der Meere verbirgt, treibt die Menschheit schon lange um und schlägt sich seit der Antike in der Literatur nieder, zum Beispiel im Alexanderroman, in dem Alexander der Große mit einer Taucherglocke den Meeresboden erkundet. Die frühen Entwürfe von Leonardo da Vinci für ein Unterwasser-Vehikel greift Terry Pratchett in Jingo (Fliegende Fetzen) in all ihrer humoristischen Konsequenz auf. Im großen Stil tauchte jedoch als einer der ersten Jules Verne mit der Nautilus in 20.000 Meilen unter dem Meer hinab in die unerforschten Tiefen und brachte damit die Idee der U-Boote aufs literarische Tableau. Heutzutage sind viele seiner Ideen eingeholt, und wer sich nach eher futuristischen Unterseeabenteuern sehnt, muss ein bisschen suchen. Relativ aktuell hat sich Geoffrey Morrison mit seinem Roman Undersea der Thematik angenommen, und immerhin noch in diesem Jahrzehnt beendet wurde die Rifters-Trilogie von Peter Watts, einem Meeresbiologen, der in den Bänden Starfish, Maelstrom und βehemoth (dt. Abgrund, Mahlstrom, Wellen) eine Zukunft beschreibt, in der sogenannte Rifters, für das Unterwasserleben modifizierte Menschen, die Energiegewinnung aus der Tiefsee am Laufen halten. An dieser Stelle muss wohl auch Frank Schätzing mit Der Schwarm genannt werden, auch wenn darauf das Label SF niemals offiziell abgedruckt wurde.
Ohne Frage werden auch viele den Titel Sphere von Michael Crichton kennen, wenigstens als Film, ebenso The Abyss mit seiner Novelization von Orson Scott Card – beide spielen mit der Tatsache, dass das Meer dem Menschen fremd bleibt, und auch, wenn er es erkunden kann, ein feindlicher Lebensraum ist, der ihm bestimmte Limits und Verhaltensregeln auferlegt. Auch Mauren F. McHugh versuchte es in diesem Fahrwasser mit dem Titel Half the Day is Night und schuf eine klaustrophobische, marode Unterwasserkuppel in der Karibik, die aber politische und wirtschaftliche Machenschaften in den Vordergrund stellt.
Wer auf der Suche nach mehr Unterwasser-Science-Fiction ist, dem hilft vielleicht diese kleine Liste als erste Orientierung.
Während in der Science Fiction der Fokus häufig auf der Erkundung oder Eroberung (als menschlicher Lebensraum oder Rückzugsort) der Meereswelten liegt, steht in der Phantastik meist die Bedrohung im Vordergrund, die das Andere, das Unbekannte oder sogar Unbewusste darstellt. Ein Meister dieses Meeresschauers ist William Hope Hodgson (siehe Stimme in der Nacht), bei dem Seeleuten oder Schiffbrüchigen ständige Gefahr aus dem Meer droht, mitunter mit cthulhoider Anmutung. Dass das Meer vor dem 20. Jahrhundert und den technischen Errungenschaften zu seiner Vermessung terra (oder vielmehr aqua) incognita war, ist dabei sicher von Bedeutung und trägt auch dazu bei, dass in der Fantasy die mythischen Qualitäten des nassen Elements im Vordergrund stehen.
Wenn wir an das Thema Wasserwelten in der Fantasy denken, so fällt uns vermutlich ad hoc ein Name ein: Atlantis. Macht Atlantis im Genre seine Aufwartung, dann häufig als Herkunftsmythos für außergewöhnliche Figuren von Kull (Robert E. Howard) bis Merlin (Stephen Lawhead), doch auch der Untergang wird thematisiert, unter anderem bei Marion Zimmer Bradley (Web of Light/Web of Darkness, dt. Das Licht von Atlantis) und J.R.R. Tolkien in Form von Atalante/Númenor im Silmarillion und Unfinished Tales of Númenor and Middle-earth (Tolkien hatte, nebenbei bemerkt, auch ein Faible für Meeresgötter und Seefahrer). Dass Atlantis als Unterwasserschauplatz auftaucht, ist dagegen eher selten, doch in Kara Dalkeys Water Trilogy mit den Bänden Ascension, Reunion und Transformation ist genau das die Heimat der letzten Atlanter, die mit Alien-Technologie in einer unterseeischen Stadt überleben konnte, und Arthur Conan Doyle hat in The Maracot Deep (Die Maracot-Tiefe) eine Forschungsreise in einem Tauchboot zum versunkenen (und mitnichten verlassenen) Atlantis beschrieben.
Da das Wasser an sich aber ein sehr weites Thema ist, dem sich die Fantasy auf vielfältige Weise widmen kann – von überfluteten Welten und Seefahrergeschichten bis hin zu Archipel- und Inselkulturen, oder, wie bei E.L. Greiff mit ihrer Trilogie Zwölf Wasser, die es gleich zum konzeptionellen Mittelpunkt ihrer Romane macht, in all seinen Erscheinungsformen – wollen wir uns hier auf das konzentrieren, was unter der Oberfläche stattfindet und es ansonsten bei einem Verweis auf unsere Liste mit Meeresabenteuern und unser Seeungeheuer-Special belassen.
Wenn man nämlich in die Tiefe taucht, kann man noch ein paar Fantasy-Titel aufstöbern – und Unterwasserwelten, die das Leben an Land widerspiegeln, mit eigenen Völkern, Gefahren und Fischfreunden für die Helden, mögen wir doch spätestens, seit wir Otfried Preußlers Der kleine Wassermann kennengelernt haben, oder?
Meeresvölker treten in etlichen High-Fantasy-Welten am Rande in Erscheinung und tragen eventuell das Ihre zum Sieg gegen das Böse bei, so z.B. bei James Clemens Wit’ch Storm (dt. Das Buch des Sturms), wo die Basis der Meeresbewohner eine von einem Leviathan beförderte Stadt ist. Uschi Zietschs Nauraka, das geheimnisvolle Wasservolk ihrer Welt Waldsee, darf sich sogar in einem eigenen (gleichnamigen) Roman breit machen. Auch Sydney J. Van Scyocs Drowntide und Alida Van Gores The Mermaid’s Song widmen sich vollständig mehr oder weniger klassischen Unterwasservölkern, wobei ersteres die Angst vor dem Fremden unter den Wellen betont, zweiteres sich in seinem Element dagegen vollkommen wohlfühlt, wenn Meerjungfrau Elan mit ihren Freunden (einem Delphin und einem Kraken) auf eine Queste ausschwimmt. Bei China Miévilles The Scar gibt es nicht nur bizarre bis unangenehme Unterwasservölker, es spielt als Bonus auch noch auf einer Stadt aus Schiffen und angelt nach einem richtig großen Fisch. Das mythische Meervolk in seinem “historischen” Kontext trifft man u.a. in Poul Andersons The Merman’s Children (Kinder des Wassermanns) an, denen die Veränderung der Welt durch die Christianisierung zu schaffen macht.
Sogar richtige U-Boote kann man in der Fantasy finden: In Anselm Audleys Aquasilva Trilogy (Sturmwelt-Saga) gibt es die sogenannten “Mantas” als Transportmittel auf der größtenteils von Wasser bedeckten Welt.
Einen trockengelegten, in eindrucksvollen Bildern beschriebenen Meeresgrund kann man dagegen schließlich mit Hexer Geralt in “Ein kleines Opfer” (Das Schwert der Vorsehung) erkunden.
Sehr einfallsreiche Unterwasserwelten trifft man übrigens auch im phantastischen Jugendbuch an, sei es im Science-Fiction-Stil wie in D.J. McHales Die verlorene Stadt Faar, dessen in ökologische Bedrängnis geratene Meereszivilisation allerdings nach anfänglicher Begeisterung etwas eintönig wird, oder als detailfreudig geschildertes Fantasy-Szenario wie in Die Wassermagier von Alua (Jonas T. Krüger), und mit Sicherheit bekannter, Kai Meyers karibisch angehauchter und von vielen klassischen Meeresabenteuern inspirierter Wellenläufer-Trilogie, in der man unter anderem ins Innere eines Wales gerät.
Das sollte genug Stoff sein, um den Lesesessel flugs in ein Tauchboot zu verwandeln, und weitere, in unserem eab gesammelte Tipps haben wir in untenstehender Liste verlinkt. Wenn ihr noch Ergänzungen habt, fügen wir sie gerne an!
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- Matt Ruff – Gas, Sewers Electric (G.A.S.): Handlungsstrang auf einem U-Boot voller Ökoterroristen, der Yabba-Dabba-Doo
- Kate Elliott – Crown of Stars (Sternenkrone): ein Meeresvolk, die “Mermen” treten auf
- Fritz Leiber – “When the Sea King’s away”: Fafhrd & der Graue Mausling erleben in ein Unterwasserabenteuer
- Walter John Williams – Implied Spaces: ein Teil der Handlung spielt auf einer (Unter-)Wasserwelt
- Paul Hazel – Undersea (Meeresgrund): ein Totenreich unter Wasser wird besucht
- Sheila Finch – The Guild of Xenolinguists: einige Kurzgeschichten spielen auf (Unter-)Wasserwelten
- Robert Shea und Robert Anton Wilson – “Illuminatus!”-Trilogie: Es gibt eine Reise im U-Boot Yellow Submarine zum versunkenen Atlantis
Liebe Leute,
ich bin über die Behandlung des Alexander-Romans auf die außerordentlich frühe Erwähnung einer Glaskugel zum Tauchen aufmerksam gemacht worden. Es gibt wohl Miniaturen aus der Zeit um 1320, die Alexander d.Gr. in einer Glaskugel auf dem Meeresboden zeigt. Ich selber stamme beruflich aus der Meeresforschung und arbeite derzeit an einem Buch über die Geschichte der wissenschaftlichen Erforschung der Ozeane. Daher suche ich weitere Quellen, die sich mit den Taucherkugeln Alexanders befassen. Nach meiner Kenntnis konnte man 1320 noch keine Glaskugeln dieser Größe herstellen.
Wer kann mir helfen?
Vielen Dank
Peter Kewitsch
Hallo Peter,
so einen richtig guten Tipp habe ich leider nicht. Ich würde am ehesten etwas zu U-Booten suchen. Vom Deutschen Museum gibt es einen Band “Das Unterseeboot – Auftauchende Technologien”, der in die Technikgeschichte auch mit Alexanders Tauchkugel einsteigt. Aber ob du darin mehr Infos findest, als du ohnehin schon hast, ist fraglich.