Tag: Jubiläen

Bibliotheka Phantastika erinnert an Manly Wade Wellman, dessen Geburtstag sich heute zum 110. Mal jährt. Der am 21. Mai 1903 in Kamundongo in Portugiesisch Westafrika (dem heutigen Angola) geborene Manly Wade Wellman zählt zu den Autoren, ohne die die Pulps – diese auf Billigpapier gedruckten, alle möglichen Genres abdeckenden, zumeist monatlich erscheinenden Magazine – gar nicht möglich gewesen wären, denn er hat lange Zeit für sie geschrieben (wie später auch für die “seriöseren” SF- und Fantasymagazine). Von daher ist es nur folgerichtig, dass seine Karriere mit “Back to the Beast” 1927 in der Novemberausgabe von Weird Tales begonnen hat, das bis Ende der 40er Jahre zu seinem Hauptabnehmer werden sollte. Doch Wellman schrieb auch für andere Magazine und verfasste beispielsweise mehrere größtenteils in Amazing erschienene Stories um den prähistorischen Helden Hok, der es in der Morgendämmerung der Menschheitsgeschichte u.a. mit Neandertalern und Höhlenmenschen zu tun bekommt und einen Abstecher nach Atlantis macht. Die formal und inhaltlich nicht sonderlich aufregenden Hok-Geschichten sind klassisches Pulpmaterial mit all seinen typischen Stärken und Schwächen und wurden erst 2010 als Buchausgabe gesammelt unter dem Titel Battle in the Dawn: The Complete Hok the Mighty wieder aufgelegt. In eine ganz ähnliche Richtung geht Sojarr of Titan (komplett in Startling Stories März 1941, Buchausgabe 1949), das man am ehesten als “Tarzan im Weltall” bezeichnen könnte.
John Thunstone von Manly Wade WellmanWeitaus interessanter waren da die Geschichten, die Wellman – teils unter dem Pseudonym Gans T. Field – in den 30er und 40er Jahren für Weird Tales schrieb, und die eine erstaunliche thematische Bandbreite aufweisen. Und in Weird Tales sind (beginnend mit “The Third Cry to Legba”, November 1943) auch die etwas mehr als ein Dutzend Stories um den okkulten Detektiv John Thunstone erschienen, die zwar einen damals weit verbreiteten und auch schon zuvor von Wellman selbst genutzten Trend aufgriffen, aber die vielleicht beste Umsetzung dieses Themas darstellen. Thunstone ist einerseits ein typischer Pulpheld – groß und kräftig, intelligent, gutaussehend und reich, dazu mit reichlich okkultem Wissen und wirksamen Waffen gegen übernatürliche Wesen ausgestattet – doch seine Gegner sind nicht nur die üblichen Geister, Werwölfe und Vampire, sondern auch die Shonokins, menschenähnliche Wesen, die behaupten, lange vor dem Auftauchen der Menschen über Nordamerika geherrscht zu haben. Und natürlich hat er wie alle Serienhelden auch einen Erzfeind: den Magier Rowley Thorne (für den dem Vernehmen nach Aleister Crowley Pate gestanden haben soll). In den 80er Jahren ist Wellman nach einer Pause von mehr als dreißig Jahren noch einmal zu John Thunstone zurückgekehrt, zunächst mit einer Story und dann mit zwei Romanen – What Dreams May Come (1983) und The School of Darkness (1985) – in denen der Detektiv mit dem modernen Phänomen der Zeitreise konfrontiert wird, ehe es zum großen Showdown mit seinem Erzfeind kommt. Sämtliche Geschichten und die beiden Romane sind vor kurzem auch in dem Sammelband The Complete John Thunstone (2012) erschienen.
Weitaus bekannter – zumindest in den USA – haben Manly Wade Wellman allerdings die Stories und später auch Romane um John the Balladeer (bzw. Silver John wegen seiner mit silbernen Saiten bespannten Gitarre) gemacht, der durch das ländliche North Caroline wandert und dabei allerlei Kreaturen begegnet, die teils der amerikanischen Folklore, teils den Pulps entsprungen sind. Dass diese Begegnungen nicht immer freundlich und friedlich verlaufen, liegt auf der Hand, doch John – eine Mischung aus Johnny Cash und Johannes dem Täufer – verfügt Who Fears The Devil von Manly Wade Wellmanüber Fähigkeiten, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, und so gelingt es ihm immer, die Konflikte auf zufriedenstellende (nicht zwangsläufig gewaltsame) Weise zu lösen. Auf die erste Silver-John-Story “O Ugly Bird!” (1951 in der Dezemberausgabe des Magazine of Fantasy & Science Fiction) folgten in den 50er und 60er Jahren noch rund dreißig weitere. Ab 1979 erschienen dann fünf Romane – The Old Gods Waken (1979), After Dark (1980), The Lost and the Lurking (1981), The Hanging Stones (1982) und The Voice of the Mountain (1984) – in denen John etwas größere Abenteuer erlebt und es u.a. mit keltischen Druiden und den bereits aus den John-Thunstone-Geschichten bekannten Shonokins zu tun bekommt. Die Stories – am vollständigsten in Who Fears the Devil? The Complete Silver John (2010) gesammelt – und Romane um John the Balladeer sind durch ihr Aufgreifen folkloristischer Motive und die Verwurzelung im ländlichen Nordamerika in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich; man könnte auch sagen, es sind Heimatromane der etwas anderen Art.
Der interessanteste von Manly Wade Wellmans gelegentlichen Abstechern in die SF dürfte der gemeinsam mit seinem Sohn Wade Wellman verfasste Episodenroman Sherlock Holmes’ War of the Worlds (1975) sein, in dem der bekannte Detektiv aus der Baker Street es mit den Wells’schen Marsianern zu tun bekommt. Und auch an der Sword & Sorcery hat Wellman sich (genau wie an nicht-phantastischen Genres) versucht: In den fünf zwischen 1977 und 1979 erschienenen Ausgaben der von Andrew J. Offutt jr. herausgegebenen Anthologiereihe Swords Against Darkness finden sich ebenso viele Geschichten um Kardios, den Harfespieler und letzten Überlebenden des versunkenen Atlantis, die zwar ganz nett sind, aber verständlich machen, wieso Wellman sich diesem Subgenre zu dessen Boomzeiten nie zugewandt hat.
In Deutschland sind von ihm nur ein paar Kurzgeschichten – u.a. auch mit Hok, John Thunstone, Silver John und Kardios – sowie zwei, drei eher uninspirierte SF-Romane und ein Horrorroman (Der Schattensee (1980), OT: The Beyonders (1977)) erschienen. Der weitaus interessantere Teil des Schaffens des am 05. April 1986 im Alter von 83 Jahren verstorbenen Manly Wade Wellman ist hingegen nie übersetzt worden.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika erinnert an Avram Davidson, dessen Todestag sich heute zum 20. Mal jährt. Es ist schier unmöglich, in knapper Form diesem vielleicht quecksilbrigsten aller amerikanischen SF- und Fantasyautoren gerecht zu werden, der leicht ein Gigant des Genres hätte werden können, wenn dem nicht Marktgegebenheiten und seine eigene Persönlichkeit entgegengestanden hätten. Stattdessen ist der am 23. April 1923 in Yonkers, New York, geborene Avram James Davidson zwanzig Jahre nach seinem Tod in seiner Heimat fast vergessen. In Deutschland ist er so gut wie unbekannt, was natürlich damit zu tun hat, dass nur ein sehr kleiner Teil seines Schaffens übersetzt wurde.
Avram Davidsons Karriere begann 1954 mit der Veröffentlichung der Kurzgeschichte “My Boy Friend’s Name is Jello” im Magazine of Fantasy & Science Fiction, das in der Folgezeit nicht nur zum Hauptabnehmer seiner Stories werden sollte, sondern das er von 1962-64 auch herausgegeben hat. Die meisten seiner zahlreichen Geschichten aus den 50er und 60er Jahren neigen eher der Phantastik zu bzw. changieren zwischen Phantastik und SF; sie sind stilistisch maniriert, mal geistreich, mal launig, mal völlig überdreht, und sie widmen sich allen möglichen Themen, bedienen sich anfangs zeitgenössischer und SF-Settings, nutzen später auch Sword-&-Sorcery-, Alternativwelt- und Horrorszenarien. Or All The Seas with Oysters (1962), die erste Sammlung seiner Kurzgeschichten (zu der sich im Laufe seiner Karriere noch neun weitere gesellen sollten) vermittelt einen guten Überblick über diese Phase seines Schaffens. Seinen ersten SF-Roman schrieb Davidson in Zusammenarbeit mit Ward Moore (Joyleg, 1962), die nächsten sieben verfasste er allein, und in ihnen bewies er, dass er auch farbige Space Operas schreiben konnte. Da sich in seinen letzten SF-Romanen bereits in einen rationalen Mantel gekleidete Drachen und toltekische Götter finden, ist es nicht weiter verwunderlich, dass Davidson sich 1969 richtig der Fantasy zuwandte.
Denn in diesem Jahr erschienen die vielversprechenden Auftaktbände zweier Zyklen: Den Anfang machte der aus der gleichnamigen, bereits Mitte der 60er veröffentlichten Erzählung hervorgegangene Roman The Phoenix and the Mirror, der erste Band der Vergil Magus-Sequenz und nach einhelliger Meinung vieler Kritiker Davidsons opus magnum. Ausgehend von der Prämisse, dass The Phoenix and the Mirror von Avram Davidsondie mittelalterlichen Legenden stimmen, die aus dem Dichter Vergil (bzw. Virgil) den berühmten Magier Vergil gemacht haben, entwarf er in diesem Buch das Bild eines Römischen Imperiums, das dem entspricht, das man sich im Mittelalter von dieser Epoche gemacht hat. Vergil Magus erhält den Auftrag, einen speculum majorum (einen jungfräulichen Spiegel) zu konstruieren, der demjenigen, der als Erster hineinblickt, das zeigt, was er sich am sehnlichsten wünscht. Um diesen Auftrag zu erfüllen, bereist Vergil die mediterrane Welt, begegnet diversen Fabelwesen und erlebt allerlei Abenteuer. Der Roman hat gewisse Schwächen in der Konstruktion, besticht aber durch sein unglaublich authentisch wirkendes Setting mit wunderbar entworfenen Szenen und Sequenzen, die nicht nur in der damals zeitgenössischen Fantasy einzigartig waren, sondern für die es bis heute kaum Parallelen gibt. Der einzige echte Makel, den The Phoenix and the Mirror aufweist, besteht darin, dass man auf die Fortsetzung (die sich als Prequel entpuppen sollte) achtzehn Jahre warten musste – und dass Vergil in Averno (1987) sich in mehrfacher Hinsicht vom Vorgängerband unterscheidet.
Ebenfalls 1969 begab sich Davidson mit The Island Under the Earth in Thomas-Burnett-Swann-Land. Allerdings spielt die an die Kentauromachie angelehnte Geschichte des Kampfes zwischen Kentauren und Lapithen nicht im irdischen Thessalien, sondern auf einer anderen Welt, die in diesem Roman allerdings nur angerissen wird. Bedauerlicherweise hat man nie mehr über diese Welt erfahren (das Wenige, das man im ersten Band zu sehen bekommt, macht durchaus neugierig), denn die bereits mit Titeln versehenen und teilweise in Verlagsvorschauen auftauchenden Fortsetzungen (The Sixlimbed Folk und The Cap of Grace) hat Davidson nie geschrieben.
1971 folgte mit Peregrine: Primus der erste Band einer in einem langsam zerfallenden Römischen Imperium angesiedelten Trilogie, die mit den Mitteln des Schelmenromans die Abenteuer eines Königssohns schildert, der von einem Zauberer in sein Wappentier verwandelt wird, dessen richtige Probleme allerdings erst anfangen, als er – leider nicht ganz perfekt – zurückverwandelt wird. Konventioneller als die beiden vorgenannten Titel und mit etwas weniger beeindruckenden und authentisch wirkenden Bildern, ist Peregrine: Primus dennoch ein Roman, der deutlich über das hinausragt, was in dieser Zeit ansonsten an Fantasy veröffentlicht wurde. Auf Peregrine: Secundus (1981) mussten die Leser dann “nur” zehn Jahre warten; Peregrine: Tertius schließlich – man ahnt es bereits – ist nie erschienen.
Über die Gründe für diese Verzögerungen bzw. das Nichterscheinen etlicher Bücher kann man nur spekulieren. Auffällig ist aber, dass sich in Vergil in Averno – der für sich betrachtet als Roman durchaus funktioniert, in struktureller Hinsicht sogar besser ist als sein Vorgänger, nur dass er eben die Wunder der durch die Brille des Mittelalters beobachteten Antike gegen die düster-bedrohliche und bedrückende Stimmung in einer “industrialisierten” Stadt im Innern eines Vulkans austauscht – Anzeichen einer Bitterkeit seines Schöpfers finden lassen, die vermutlich damit zu tun hat, dass Davidson sich zu diesem Zeitpunkt bereits schwer tat, Abnehmer für seine Geschichten und Romane zu finden. Aber da befinden wir uns schon in den 80er Jahren.
The Adventures of Doctor Eszterhazy von Avram DavidsonIn den 70ern hat Davidson noch etliche Kurzgeschichten geschrieben, die auch immer noch in den entsprechenden Magazinen veröffentlicht wurden. Dazu gehören auch die Stories um den kaiserlichen Magier Dr. Engelbert Eszterhazy, der ein paar Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit einem dampfgetriebenen Gefährt über die gepflasterten Straßen der Hauptstadt des fiktiven Kaiserreichs Scythia-Pannonia-Transbalkania brettert. In The Enquiries of Doctor Eszterhazy (1975) wurden sie zu so etwas wie einem Episodenroman zusammengefasst und sind später – ergänzt um eine Handvoll Erzählungen aus den 80ern, in denen die Abenteuer des jugendlichen Eszterhazy geschildert werden – noch einmal in dem Sammelband The Adventures of Doctor Eszterhazy (1991) erschienen.
Ebenfalls bereits in den 70ern hat Davidson die ersten Geschichten veröffentlicht, in deren Mittelpunkt Jack Limekiller und seine merkwürdigen Erlebnisse in British Hidalgo – einem fiktiven, nach dem Vorbild von Britisch-Honduras (dem heutigen Belize) modellierten zentralamerikanischen Staat – stehen und zu denen Davidson durch zwei längere Aufenthalte in Britisch-Honduras Mitte und Ende der 60er Jahre inspiriert wurde. Zehn Jahre nach seinem Tod sind sie gesammelt in Limekiller! (2003) erschienen.
Kurzgeschichten hat Davidson also in den 70er Jahren noch geschrieben (und auch in den 80ern und 90ern bis kurz vor seinem Tod), aber nach 1973 nur noch einen einzigen Roman (denn Peregrine: Secundus besteht aus zwei langen Erzählungen) bzw. deren zwei, wenn man den zusammen mit seiner Ex-Frau Grania Davis verfassten Marco Polo and the Sleeping Beauty (1988) mit dazunimmt. Und bei seinen Kurzgeschichten fällt auf, dass sein zwar manirierter, aber immer präziser und kontrollierter Stil sich allmählich verändert, dass die schon immer zu findenden Abschweifungen häufiger und länger werden und ihrerseits Abschweifungen generieren, und dass die eine oder andere gute Idee unter dem Ballast der Worte mehr oder weniger verschwindet (gut zu beobachten in den o.e. Stories um Doctor Eszterhazy). Irgendwann hat Davidson diese Schwächeperiode aber überwunden und konnte in seinen letzten Lebensjahren wieder an die Qualität seiner frühen Geschichten anknüpfen.
Nur seine Romanzyklen hat er nicht mehr beendet. Das ist vor allem im Hinblick auf die Vergil Magus Sequenz bedauerlich, von der vor einigen Jahren noch ein dritter Band – der wiederum zeitlich früher als die Vorgängerbände angesiedelt ist – in einer kleinauflagigen Liebhaberedition unter dem Titel The Scarlet Fig; or Slowly Through a Land of Stone (2005) veröffentlicht wurde. Und somit bleibt das, was Avram Davidson einst als “a trinity of trilogies” geplant hatte, und für das er umfangreiche Recherchen betrieben und eine Matrix aus Querverweisen und Hintergrundmaterial geschaffen hatte, letztlich ein Fragment. Aber auch die Nichtfortsetzung von The Island Under the Earth ist bedauerlich, auch wenn der Roman an die Vergil Magus Sequenz nicht herankommt.
Es ließe sich noch viel über Avram Davidson schreiben – etwa darüber, dass es wohl nicht immer leicht war, mit ihm umzugehen; oder darüber, dass er ein unglaublich belesener Mann gewesen sein muss, der über ein beinahe enzyklopädisches Wissen verfügt hat (was man einerseits sehr schön an den Essays in Adventures in Unhistory (1993) sehen kann, in denen er sich mit den Fakten hinter diversen Legenden – u.a. über den Phoenix, Prester John oder Hyperborea – auseinandergesetzt hat, und was man z.B. in den Vergil-Romanen deutlich spürt); oder auch darüber, dass die deutschen Leser und Leserinnen nur rund zwei Dutzend Kurzgeschichten (etliche davon – vor allem frühe – in einigen Utopia-Zukunft-Storybänden) kennenlernen können, weil er als gläubiger Jude keine Rechte nach Deutschland verkaufen wollte; oder man könnte noch erwähnen, dass Davidson zu Anfang seiner Karriere auch ein erfolgreicher Krimiautor war.
Aber das alles würde diesem komplexen, am 08. Mai 1993 gut zwei Wochen nach seinem 70. Geburtstag verstorbenen Menschen und Autor, dessen Geschichten mit denen eines Jorge Luis Borges verglichen wurden, und der vermutlich auch ein Vorbild für Gene Wolfe war, noch immer nicht annähernd gerecht werden.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Naomi Novik, die heute ihren 40. Geburtstag feiert. Das Standbein der am 30. April 1973 in New York City geborenen Autorin in der Fantasy hört auf den Namen Temeraire und ist ein schwarzer Drache im Dienste des Britischen Empire. In der gleichnamigen bisher auf sieben Bände angewachsenen Reihe setzen die Streitkräfte bereits in den Koalitionskriegen eine Luftwaffe ein – mit Hilfe von Drachen, die an jeweils einen Menschen besonders gebunden sind. In Temeraires Fall Temeraire von Naomi Novikist das der anfangs nicht gerade begeisterte Captain Will Laurence, und der Auftaktband His Majesty’s Dragon (2006, dt. Drachenbrut (2007)) beschreibt vor allem, wie Drache und Mensch einander kennen- und vertrauen lernen und sich in die militärische Struktur einleben, die durch die Existenz der Drachen erheblich vom historischen Vorbild abweicht, so dass z.B. auch Frauen militärische Ränge bekleiden können. Obwohl bei der recht frei behandelten Ereignisgeschichte durchaus schweres Geschütz aufgefahren wird (so muss z.B. ein napoleonischer Invasionsversuch in England zurückgeschlagen werden), prägen also nicht allein kriegerische Abenteuer den Roman, sondern auch ein guter Schuss comedy of manners. Ganz “Aubrey und Maturin mit Drachen” ist das, was Novik dabei bietet, zwar nicht, aber immerhin eine solide und vergnüglich erzählte Geschichte in einem in der Fantasy noch recht unverbrauchten Setting.
Die Fortsetzungen Throne of Jade (2006, dt. Drachenprinz (2007)), Black Powder War (2006, dt. Drachenzorn (2007)), Empire of Ivory (2007, dt. Drachenglanz (2008)), Victory of Eagles (2008, dt. Drachenwacht (2009)), Tongues of Serpents (2010, dt. Drachenflamme (2010)) und Crucible of Gold (2012, dt. Drachengold (2012)) führen in Temeraires Herkunftsland China, nach Vorderasien, Australien, Südamerika und Afrika, während Laurence und Temeraire immer wieder an historischen Schlachten teilnehmen und versuchen, eine Gleichstellung der Drachen in der britischen Gesellschaft zu erreichen.
Im August erscheint der achte Band Blood of Tyrants. Ob Temeraire der Höhenflug noch gelingt, zu dem er kurzzeitig angesetzt hat, nachdem sich Peter Jackson 2006 um die Filmrechte bemühte, bleibt abzuwarten, die Kombination aus historischen Ereignissen und von nautischen Abenteuern inspirierter Fantasy hat auf jeden Fall eine Weile für Furore gesorgt.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Larry Niven, der heute 75 Jahre alt wird. Es mag manche Leser und Leserinnen vielleicht überraschen, diesen Namen – unter dem der am 30. April 1938 in Los Angeles geborene Laurence van Cott Niven seine schriftstellerischen Arbeiten veröffentlicht – hier in diesem Zusammenhang zu lesen, steht er doch für einen Hard-SF-Autor par excellence, der mit seinen Tales of Known Space das Subgenre der future history vor allem in den 60er und frühen 70er Jahren um etliche lesenswerte Kurzgeschichten und Romane bereichert hat, doch Larry Niven hat tatsächlich auch Fantasy geschrieben – und zwar mehrfach, in sehr unterschiedlicher Auspägung.
Am interessantesten für Fantasyleser und -leserinnen ist dabei zweifellos der Ansatz, an dem sich Niven zum ersten Mal 1969 in der Story “Not Long Before the End” (in der Aprilausgabe des Magazine of Fantasy & Science Fiction) versuchte und dem er sich einige Jahre später in einem Roman ausführlicher zuwandte, unter dessen programmatischem Titel schließlich die ganze Sequenz bekannt werden sollte: The Magic Goes Away (1978; dt. Wenn der Zauber vergeht (1981)). So richtig überraschend ist es wohl nicht, dass der Hard-SF-Autor Niven sich ausgerechnet mit dem Motiv des thinning, des Verschwindens der Magie aus der Welt befasst, und noch weniger überraschend ist, wie er das Thema angeht. Denn auf Larry Nivens vorgeschichtlicher Erde wird Magie durch einen Stoff namens Mana (manchmal auch Manna) ermöglicht, und dieses Mana geht allmählich zur Neige – mit fatalen Folgen etwa hinsichtlich der Zaubersprüche, die die tektonischen Spannungen unter Atlantis im Zaum halten …
The Magic Goes Away von Larry NivenNach besagtem Roman und einer Handvoll Kurzgeschichten hat Larry Niven das Konzept zu einer Art shared world gemacht und zwei Anthologien mit Geschichten befreundeter Autoren herausgegeben – The Magic May Return (1981) und More Magic (1984) –, ohne dass dabei dem Thema etwas wesentlich Neues hinzugefügt worden wäre. Immerhin sind diese beiden Anthologien noch wesentlich lesbarer als die beiden zusammen mit seinem alten Kumpel Jerry Pournelle verfassten und unter dem Obertitel Golden Road erschienenen Romane The Burning City (2000; dt. Stadt des Feuers (2001)) und Burning Tower (2005), mit denen er nach einer langen Pause noch einmal zu diesem Setting zurückgekehrt ist.
Ebenfalls bereits 1969 hatte Hanville Svetz seinen ersten Auftritt, und zwar in der Geschichte “Get a Horse!” (in der Oktoberausgabe des Magazine of F & SF). Svetz lebt auf der Erde des 31. Jahrhunderts und ist Angestellter des Temporal Research Institute, in dessen Auftrag er diverse Zeitreisen unternimmt. Doch Zeitreisen sind für einen Hard-SF-Autor eigentlich pure Fantasy, weswegen Svetz bei seinen Reisen in die Vergangenheit – die dazu dienen, längst ausgestorbene Pflanzen und Tiere in die Zukunft zu holen – regelmäßig in Parallelwelten landet, die eindeutig der Fantasy zuzurechnen sind, was man nicht zuletzt an Fauna und Flora deutlich merkt. Nur Svetz selbst begreift nie so recht, was da eigentlich passiert.
Die größtenteils wirklich amüsanten Svetz-Geschichten wurden in dem Band The Flight of the Horse (1973; dt. Der Flug des Pferdes (1981)) gesammelt und sind auch – zusammen mit dem gleichnamigen Roman – in dem Sammelband Rainbow Mars (1999; dt. Rainbow Mars (2000)) enthalten. Allerdings erweist sich auch hier wieder, dass es nicht unbedingt eine gute Idee ist, nach vielen Jahren zu einem früher besuchten Setting zurückzukehren und dazu noch eine vielleicht für ein paar Kurzgeschichten taugliche Idee auf Romanlänge aufzublasen.
Dass Larry Niven auch vor metaphysischer Fantasy nicht zurückschreckt, hat er schließlich mit Inferno (1976; dt. Das zweite Inferno (1979) bewiesen, wiederum in Zusammenarbeit mit Jerry Pournelle. Der Roman, in dem die beiden einen amerikanischen SF-Autor auf eine us-mainstreamtaugliche Variante von Dantes Höllenreise schicken, und der der Göttlichen Komödie im Aufbau recht genau folgt – einschließlich des Jenseitsführers, bei dem es sich in diesem Fall um Benito Mussolini handelt –, funktioniert zumindest als Abenteuerroman noch ganz ordentlich, solange man sich an den immer mal wieder deutlich erkennbaren politischen Ansichten von Niven und Pournelle nicht allzu sehr stört. Zu mehr taugt er allerdings nicht. Die ebenfalls mit Jerry Pournelle geschriebene späte Fortsetzung Escape from Hell (2009) taugt allerdings noch nicht einmal dazu.
Der frühe Larry Niven hingegen ist fast immer lesbar – unabhängig davon, ob er allein oder mit einem Co-Autor schreibt und ob es sich dabei um SF oder Fantasy handelt – und zumindest The Magic Goes Away (der Roman wurde zusammen mit fast allen zur Sequenz gehörenden Kurzgeschichten Nivens noch einmal in dem Sammelband The Time of the Warlock (1984) veröffentlicht) und die Hanville-Svetz-Geschichten in The Flight of the Horse sind deutlich mehr als nur lesbar; Ersterer ist vor allem thematisch interessant, Letztere machen teilweise richtig Spaß.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Sir Terry Pratchett, der am 28. April 1948 in Beaconsfield geboren wurde und bekannt ist für seine … Moment.

Ist bekannt? Na schön.

Der Mann, der heute 65 Jahre alt wird, hat mehr als 60 Millionen Bücher verkauft und mag Orang Utans.

bored_gif

Ich gebe zu, auch das ist vielleicht nichts Neues. Es ist gar nicht so einfach, einen Geburtstagstext über einen Mann zu verfassen, der sich mit nicht-von-dieser-welt-licher Phantasie, mit ewig spitzem, flachem, schwarzem, bissigem, intelligentem Humor und einem Händchen für Fußnoten in die Herzen von unzähligen Lesern und Leserinnen geschrieben hat. Er ist Protagonist einiger Sekundärwerke und wird sogar in Deutschland bisweilen feuilletonisiert. Keiner schreibt über die Welt, ihre inneren Zusammenhänge, lustig geformte Kartoffeln und das menschliche Gemüt so wie Pterry, und Galilei hätte sich an ihm die Zähne ausgebissen, denn es besteht kein Zweifel mehr: unsere Welt ist eine Scheibe.

Auch eine Werkschau würde an dieser Stelle den Rahmen etwas sprengen; die fantastilliarden-teilige Blogreihe mit kommentierter Bibliographie werden wir erst zum 70. Geburtstag starten. Was bleibt hier also noch zu sagen?

Vielleicht, dass ich persönlich Pratchett als einen Autor verehre, der mir, neben Tolkien, die Tür zur Fantasyliteratur geöffnet hat und der Grund war, sich in diesem Genre häuslich niederzulassen. Seitdem sind die Nachbarn in meinem inneren Lesehaus zwar an Schrulligkeit und Skurrilität nicht zu übertreffen – Elrond schaut bisweilen recht pikiert –, doch wer einmal in Ughs kommuniziert hat, will nie wieder damit aufhören.

Ich verehre Pratchett als Aktivist, der sich dem letzten aller Rechte unermüdlich annimmt und trotz seiner Krankheit engagierter ist als viele, die von Binkys Hufgetrappel noch nicht einmal etwas ahnen.

Ich verehre Pratchett als einen Autor, der sich vor keinem Thema fürchtet, dem kein Witz zu albern und keine Anspielung zu abwegig ist. Und wenn er schreibt, Feldwebel Detrius hätte die Weltformel gefunden, so bin ich mir sicher, dass der Troll sie aufgrund hitziger Umstände zwar wieder vergessen hat, der Autor sie aber in Schönschrift in seiner Schreibtischschublade verwahrt.

Und ich verehre Pratchett als den Autor, der uns Leser und Leserinnen mit Figuren beschenkt hat, DIE UNSTERBLICH SIND. Oma Wetterwachs, Lord Vetinari, Feucht von Lipwig, Mumm, Tiffany, Karotte oder Susanne: wenn es ein Pantheon literarischer Figuren gibt, dann besprühen diese gerade die marmorne Außenwand mit unflätigen Sprüchen.

Bibliotheka Phantastika gratuliert also Sir Terry Pratchett zum Geburtstag und wünscht von Herzen viel Zeit und Gesundheit zum Schreiben und großartig sein.

Und um noch einmal auf den Anfang zurückzukommen: Hier ist ein Bild von Terry Pratchett mit einem Orang Utan. You’re welcome.

pratchett_Orangutan

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Marta Randall, die heute 65 Jahre alt wird. Nach ihrem Debüt mit der Story “Smack Run” in der von Michael Moorcock herausgegebenen Anthologie New Worlds 5 (1973) machte sich die am 26. April 1948 in Mexico City, Mexico, geborene Marta Randall ab Mitte der 70er Jahre mit zwar nicht allzu vielen, aber meist geistreichen und dicht geschriebenen, häufig leicht feministisch angehauchten SF-Stories rasch einen Namen. Auch ihre SF-Romane – der erste, Islands, erschien 1976 (dt. Versunkene Inseln (1983)) – trugen aufgrund der in ihnen behandelten Themen und deren Umsetzung mit dazu bei, in ihr eine weitere neue Autorin am Anfang einer vielversprechenden Karriere zu sehen.
The Sword of Winter von Marta RandallMit The Sword of Winter (1983; dt. Die Reiter von Jentesi (1985)) wandte sie sich – nach vier SF-Romanen – der Fantasy zu, und es zeigte sich, dass sie auch in diesem Genre zu überzeugen wusste (wobei man fairerweise zugeben muss, dass der Roman mit ein paar kleinen Änderungen auch als Planetary Romance funktionieren würde): Lyeth gehört einer aus Männern und Frauen bestehenden Gilde an, deren Mitglieder als Boten, Erkunder und Kartographen von den Herrschern der Provinzen des Reiches Cherek dienstverpflichtet werden können. Durch einen persönlichen Eid ist sie als reitende Botin an Lord Gambin, den tyrannischen Herrscher der Provinz Jentesi gebunden – einen Mann, den sie aus tiefstem Herzen verabscheut, denn er hat die eigentliche Aufgabe der Gilde pervertiert und die ihm zur Verfügung stehenden Gildenmitglieder zu seiner von der einfachen Bevölkerung gehassten und gefürchteten Geheimpolizei gemacht. Jetzt liegt Gambin im Sterben, und Lyeth wartet auf seinen Tod, wünscht ihn aus nachvollziehbaren Gründen geradezu sehnlichst herbei. Doch Gambin hat es nicht sonderlich eilig mit dem Sterben, und er weigert sich außerdem, einen Nachfolger zu benennen, was dazu führt, dass die vier potentiellen Anwärter auf das Schwert und Amt des Herrschers eifrigst gegeneinander intrigieren. Und Lyeth, die den kalten, unwirtlichen Norden lieber heute als morgen verlassen und in die Halle ihrer Gilde in der Hauptstadt zurückkehren will, und die sich nebenbei noch um einen Waisenjungen kümmern muss, der keinen Grund hat, die Mitglieder der Gilde zu mögen, wird – so sehr sie sich auch dagegen wehrt – mehr und mehr in diese Intrigen hineingezogen.
The Sword of Winter punktet nicht nur mit glaubhaften Figuren – allen voran Lyeth, einer wirklich überzeugend gezeichneten starken Frauenfigur – und einer schlüssig konzipierten, auf politische Machenschaften statt Action setzenden Handlung, sondern auch mit dem Setting: das Reich Cherek und seine Provinzen stehen an der Schwelle zum industriellen Zeitalter, es gibt u.a. bereits Dampfmaschinen und Telegraphen, wohingegen Magie etwas ist, dass die meisten Menschen nur noch vom Hörensagen kennen. Hinzu kommt eine düstere, fast schon bedrückende Atmosphäre, die einerseits auf die karge, winterliche Landschaft zurückzuführen ist, andererseits auf die Angst und den Hass der einfachen Dorfbewohner, denen Lyeth begegnet – und auf die Intrigen in der Burg, die es schier unmöglich machen, Freund und Feind voneinander zu unterscheiden.
Eigentlich hätte all das ausreichen sollen, um The Sword of Winter zumindest einigermaßen erfolgreich werden zu lassen, doch dem war nicht so. Ganz im Gegenteil scheint der Roman – der vermutlich als Breakthrough Book geplant war (es war ihre erste Veröffentlichung im Hardcover) – einen Wendepunkt in der bis dahin so vielversprechenden Karriere Marta Randalls darzustellen. Zumindest sind danach zwischen 1984 und 1993 nur noch ein SF-Roman und ein paar Stories, eine Kennedy-Biografie und ein Krimi von ihr erschienen. Natürlich kann es viele Gründe geben, warum sie seither verstummt ist, bedauerlich ist es allemal. The Sword of Winter mag zwar noch kein echtes Meisterwerk sein, ist aber auf alle Fälle ein weiteres Beispiel dafür, dass die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts für die Fantasy ein verdammt gutes Jahrzehnt waren.
Bliebe nur noch die Frage, ob Kate Elliott den Roman jemals gelesen hat …

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika erinnert an Walter de la Mare, dessen Geburtstag sich heute zum 140. mal jährt. Der am 25. April 1873 in Charlton (mittlerweile ein Stadtteil von London) geborene Walter John de la Mare war ein Dichter und Autor, der im Laufe seiner Karriere hunderte von Gedichten und über hundert Erzählungen (teilweise unter dem Pseudonym Walter Ramal) verfasst hat, die sich teils an Kinder, teils an Erwachsene richten. Ein nicht gerade kleiner Teil dieser Gedichte und Erzählungen befassen sich mit phantastischen Themen bzw. haben phantastische Inhalte.
Die phantastischen Geschichten für Erwachsene finden sich größtenteils in den Sammlungen The Riddle and Other Stories (1923), Two Tales (1925), The Connoisseur and Other Stories (1926), On the Edge (1930), The Wind Blows Over (1936) und A Beginning and Other Stories (1955) bzw. in dem 2007 in einer kleinauflagigen Liebhaberausgabe veröffentlichten Band Strangers and Pilgrims, der den Anspruch erhebt, “the definitive collection of de la Mare’s supernatural and psychological stories” zu sein, was ein Blick ins Inhaltsverzeichnis zu bestätigen scheint. Während de la Mares phantastische Geschichten für Erwachsene eher der unheimlichen Phantastik zuneigen – wobei es in ihnen nie um den Kampf gegen irgendwelche Monstren geht, das Unheimliche tritt immer nur sehr subtil auf –, sind die für Kinder deutlich fantasy- bzw. märchenhafter. Etliche von ihnen sind in den Sammelbänden Broomsticks and Other Tales (1925) und The Lord Fish (1933) vereint.
Neben seinen Gedichten und Erzählungen hat Walter de la Mare auch eine Handvoll Romane verfasst. Zwei von ihnen – Henry Brocken: His Travels and Adventures in the Rich, Strange, Scarce-Imaginable Regions of Romance (1904, rev. 1924) und The Return (1910, rev. 1922, rev. 1945) – sind ebenfalls der Phantastik zuzurechnen: Im ersten begegnet der Titelheld auf einer Reise durch diverse Buchlande einer Reihe literarischer Figuren wie Jane Eyre, Dornröschen oder Criseyde, im zweiten ist die Hauptfigur vom Geist eines anderen Mannes besesDie Reise der drei Malla-Malgars von Walter de la Maresen. Während die vorgenannten Romane sich an Erwachsene richten, ist The Three Mullar-Mulgars (1910, auch The Three Royal Monkeys (1927)) ein Kinderbuch – und darüber hinaus das vielleicht bekannteste und bedeutendste Werk de la Mares und nach Meinung vieler Kritiker eine der wichtigsten Animal Fantasies des 20. Jahrhunderts.
Die Reise der drei Malla-Malgars (1988) – so der deutsche Titel – erzählt die Geschichte der drei Affenbrüder Thumb, Thimble und Nod (bzw. Daum, Däumel und Nick), die auf der Suche nach ihrem königlichen Vater, der sich zu den Tälern von Tishnar begeben haben soll, durch ein an ein seltsam verändertes Afrika erinnerndes Fantasyland ziehen, unterwegs allerlei merkwürdigen Wesen – Geistern und Hexen, in Höhlen hausenden Minimuls und auf Bergen lebenden Mulgars sowie tatsächlich auch einem Menschen – begegnen und natürlich jede Menge Abenteuer erleben. Dabei vermischen sich alptraumhafte und wunderbare Begebenheiten auf selten gesehene, durch den poetischen Stil auch sprachlich überzeugende Weise. Was vielleicht mit ein Grund ist, warum The Three Mulla-Mulgars beispielsweise den zwölfjährigen Robert Silverberg so beeindruckt hat, dass er viele Jahre später eine Anspielung auf das Buch in einen seiner Romane eingebaut hat.
Silverbergs Hommage wurde allerdings von kaum jemand als solche erkannt. Denn obwohl de la Mare von mehreren Universitäten die Ehrendoktorwürde verliehen wurde und Autoren von Robert Aickman über Ramsey Campbell bis hin zu Russell Hoban ihn als wichtigen Einfluss auf ihr eigenes Schreiben genannt haben, ist er sowohl in seinem Heimatland wie in den USA (wo er ohnehin nie sehr bekannt war) schon bald nach seinem Tod am 22. Juni 1956 in Vergessenheit geraten. In Deutschland, wo außer dem bereits erwähnten Roman noch ein paar eigens für den hiesigen Markt zusammengestellte Sammelbände mit phantastischen Kurzgeschichten – Die Orgie: Eine Idylle und andere Erzählungen (1965), Aus der Tiefe. Seltsame Geschichten (1972), Sankt Valentinstag. Phantastische Erzählungen (1984) – und eine einzeln veröffentlichte längere Erzählung – Die verlorene Spur (1993) – erschienen sind, kann man ihn wohl mit Fug und Recht zu der immer größer werdenden Zahl von Autoren und Autorinnen zählen, die als obskur zu bezeichnen sind.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Ian Watson, der heute 70 Jahre alt wird. Auch wenn der am 20. April 1943 in North Shield in der nordenglischen Grafschaft Northumberland geborene Ian Watson immer zuallererst als SF-Autor betrachtet werden wird – denn in diesem Genre ist seit seinem Debut 1969 mit der Story “Roof Garden Under Saturn” im Magazin New Worlds mit deutlich mehr als 150 Erzählungen und mehr als einem Dutzend Romanen der weitaus größte Teil seines Schaffens angesiedelt –, hat er sich darüber hinaus gelegentlich dem Horror oder der Fantasy zugewandt (oder, anders gesagt: einige SF-Romane geschrieben, die sich eines Fantasy-Instrumentariums bedienen und der Fantasy zumindest nahestehen).
Auf seinen Romanerstling The Embedding (1976; dt. Das Babel-Syndrom (1983)), in dem u.a. die Sapir-Whorf-Hypothese eine wichtige Rolle spielt und der bereits auf die Art clever konstruierter, nachdenklich machender SF-Romane verweist, die für Watson charakteristisch werden sollten, folgten fünf ähnlich gelagerte SF-Romane, ehe er sich in The Gardens of Delight (1980; dt. Die Gärten des Meisters (1983)) erstmals an einem Stoff versuchte, der einen deutlichen Fantasy-Einschlag besitzt: ein Raumschiff von der Erde stößt auf einen fremden Planeten, der bis in die kleinste Einzelheit eine Nachbildung des Hieronymus-Bosch-Gemäldes Der Garten der Lüste darstellt. Ungeachtet seiner sf-typischen Rahmenhandlung leitet Gardens Watsons Hinwendung zu phantastischeren Themen ein, die in den Romanen der Folgejahre immer bestimmender werden sollten.
The Book of the River von Ian WatsonSo richtig deutlich wird dies zum ersten Mal in den aus den drei Einzelbänden The Book of the River, The Book of the Stars (beide 1984) und The Book of Being (1985) bestehenden Books of the Black Current (unter diesem Titel 1986 auch als Sammelband). Die Trilogie schildert die Abenteuer der jungen Yaleen auf einer Welt, die von einem gigantischen Fluss in zwei Hälften geteilt wird. Verantwortlich für diese Teilung ist vor allem die schwarze Strömung inmitten des Flusses, die sehr unterschiedlich mit Männern und Frauen umgeht, was wiederum dazu geführt hat, dass am einen Ufer ein feministisches Utopia entstanden ist, während am anderen Ufer eine barbarische, von Männern dominierte und dystopische Züge tragende Gesellschaft existiert. Bei der schwarzen Strömung handelt es sich um ein seelensammelndes, lebendiges Wesen, das in eine Auseinandersetzung mit einem außerweltlichen Gott verstrickt ist – und in diese Auseinandersetzung wird Yaleen nicht nur hineingezogen, sondern ihr wird im Laufe der Geschichte eine überaus wichtige Rolle darin zuteil. Letzteres ist vermutlich der Grund, warum die Neuausgabe des Sammelbands unter dem Titel Yaleen (2004) erschienen ist und auch die deutsche Ausgabe als Yaleen-Trilogie (Einzelbände: Das Buch vom Fluss, Das Buch von den Sternen und Das Buch vom Sein (alle 1987)) auf den Markt kam.
Mit Queenmagic, Kingmagic (1986) folgte daraufhin zunächst ein Fantasyroman, der auf einer Welt spielt, die nach den Regeln des Schachspiels funktioniert, während es sich bei The Power (1987; dt. Die Macht des Bösen (1990)), Meat (1988) und The Fire Worm (1988; dt. Feuerwurm (2000)) um teils mehr, teils weniger konventionelle Horrorromane handelt, von denen vor allem Letzterer durchaus lesenswert ist.
Deutlich fantasyhafter – man könnte auch sagen ähnlich metaphysisch wie in den Books of the Black Current – geht es dann wieder in Lucky’s Harvest (1993) und The Fallen Moon (1994), den Books of Mana zu, einem überaus farbigen und bizarren Konglomerat aus Elementen der finnischen Kalevala, allerlei komplizierten dynastischen Rangeleien und Verwicklungen, den Problemen, die die menschlichen Kolonisten auf dem Planeten Kaleva mit dessen Ureinwohnern, den schlangenähnlichen Isi haben, und einem bisschen Space Opera. Seinen Anfang nimmt alles mit Lucky Sariola, die als kleines Mädchen im Asteroidengürtel einen merkwürdigen Gesteinsbrocken entdeckt, der sich als Ukko – als ein sehr spezielles lebendes Wesen – entpuppt, das sie und ihre Familie durch den bisher unbekannten Mana-Raum Lucky's Harvest von Ian Watsonauf einen Planeten namens Kaleva bringt. Doch das ist nur der Ausgangspunkt einer ebenso spannenden wie verrückten Geschichte, die einerseits durch ihre Figuren und die Handlung überzeugt, andererseits durch die Anlehnung an die Kalevala eine Tiefe und Dichte erreicht, die sich in ähnlichen phantastischen Planetenabenteuern nur selten finden lässt. Dass die – auf Deutsch in drei Bänden als Dämonen-Kind, Kuckucks-Fluch (beide 1996) und Mond-Fall (1997) – erschienene Mana-Sequenz darüber hinaus so elegant und überzeugend durch die Grauzone zwischen SF und Fantasy tänzelt wie kaum ein anderes Werk, macht es umso bedauerlicher, dass Ian Watson in Deutschland mittlerweile fast völlig vergessen ist. Aber auch in seiner Heimat ist der Autor – der nie zu den Bestseller-Autoren zählte, auch wenn er in den 90er Jahren mehrere Warhammer-40.000-Romane geschrieben hat – inzwischen kaum noch im Buchhandel präsent. Ein weiteres Opfer des Verschwindens der Midlist, aber eines, nach dessen Romanen oder Kurzgeschichtensammlungen zu suchen sich durchaus lohnen kann.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Greg Keyes, der heute seinen 50. Geburtstag feiert. Der am 11. April 1963 in Meridian, Mississippi, geborene J. Gregory Keyes ist einer der Lieblingsautoren des bp-Teams, auch wenn es um ihn in letzter Zeit sehr still geworden ist. Mit seinen Reihen Chosen of the Changeling und The Age of Unreason hat er eher ungewöhnliche Fantasy-Terrains erkundet, während er sich mit The Kingdoms of Thorn and Bone in vertrautere Gefilde begab.
Wir haben Greg Keyes bereits mit einem Portrait bedacht, und wer mehr über diesen sehr lesenswerten, aber niemals ganz groß herausgekommenen Autor und sein Werk erfahren möchte, kann sich dort ein umfassendes Bild verschaffen.
Wir wünschen alles Gute und haben die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass er der Fantasy weiterhin erhalten bleibt und auch in Zukunft wieder Romane veröffentlicht!

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Scott Lynch, der heute seinen 35. Geburtstag feiert. Mit seinem Debutroman konnte der am 2. April 1978 in St. Paul, Minnesota, geborene Lynch große Erwartungen wecken und wurde als einer der erfolgversprechendsten Newcomer des Genres gefeiert. The Lies of Locke Lamora (2006, dt. Die Lügen des Locke Lamora (2007)), der Auftakt der auf sieben Bände ausgelegten Reihe um die Gentleman Bastards, hat nicht nur ein The Lies of Locke Lamora von Scott Lynchungewöhnliches Setting zu bieten, nämlich die an Venedig erinnernde Handelsmetropole Camorr, die über eine ebenso ausgedehnte Unterwelt wie dekadente Oberschicht verfügt, sondern schafft es auch, die Figur des charmanten Trickbetrügers sehr erfolgreich in dieses hochmagische Fantasy-Setting zu übertragen, und weist außerdem eine geschickte Handlungsführung auf zwei Zeitebenen auf. Im zweiten Band Red Seas Under Red Skies (dt. Sturm über roten Wassern (2008)), der ein Jahr darauf folgte, verlagert sich der Handlungsort in einen anderen Stadtstaat, und Locke Lamora muss nicht nur mit einem neuen Großbetrug und alten Feinden fertig werden, sondern auch mit Piraten.
Mit dem angekündigten dritten Band The Republic of Thieves kam die Reihe zu einem vorläufigen Stillstand, da sich die Veröffentlichung aufgrund verschiedener (unter anderem gesundheitlicher) Probleme des Autors immer weiter verschob. Ob die Gentleman Bastards letztlich eine Reihe von Gaunerepisoden werden oder doch ein epischer Handlungsbogen auf Locke Lamora und Jean Tannen wartet, der auch zu dem durchaus immer wieder durchbrechenden Hang zur Brutalität in den Beschreibungen passen würde, muss sich erst noch erweisen – vielleicht noch in diesem Jahr, denn es sieht so aus, als könne es mit dem aktuellen Erscheinungstermin von The Republic of Thieves tatsächlich klappen. Zu wünschen wäre es Scott Lynch und seinen Lesern und Leserinnen, nicht zuletzt, weil er auch mit seinem unvollendeten Online-Romanprojekt Queen of the Iron Sands bewiesen hat, dass durchaus noch andere Geschichten als die der Gentleman Bastards in ihm stecken.

Reaktionen