Bibliotheka Phantastika erinnert an Walter de la Mare, dessen Geburtstag sich heute zum 140. mal jährt. Der am 25. April 1873 in Charlton (mittlerweile ein Stadtteil von London) geborene Walter John de la Mare war ein Dichter und Autor, der im Laufe seiner Karriere hunderte von Gedichten und über hundert Erzählungen (teilweise unter dem Pseudonym Walter Ramal) verfasst hat, die sich teils an Kinder, teils an Erwachsene richten. Ein nicht gerade kleiner Teil dieser Gedichte und Erzählungen befassen sich mit phantastischen Themen bzw. haben phantastische Inhalte.
Die phantastischen Geschichten für Erwachsene finden sich größtenteils in den Sammlungen The Riddle and Other Stories (1923), Two Tales (1925), The Connoisseur and Other Stories (1926), On the Edge (1930), The Wind Blows Over (1936) und A Beginning and Other Stories (1955) bzw. in dem 2007 in einer kleinauflagigen Liebhaberausgabe veröffentlichten Band Strangers and Pilgrims, der den Anspruch erhebt, “the definitive collection of de la Mare’s supernatural and psychological stories” zu sein, was ein Blick ins Inhaltsverzeichnis zu bestätigen scheint. Während de la Mares phantastische Geschichten für Erwachsene eher der unheimlichen Phantastik zuneigen – wobei es in ihnen nie um den Kampf gegen irgendwelche Monstren geht, das Unheimliche tritt immer nur sehr subtil auf –, sind die für Kinder deutlich fantasy- bzw. märchenhafter. Etliche von ihnen sind in den Sammelbänden Broomsticks and Other Tales (1925) und The Lord Fish (1933) vereint.
Neben seinen Gedichten und Erzählungen hat Walter de la Mare auch eine Handvoll Romane verfasst. Zwei von ihnen – Henry Brocken: His Travels and Adventures in the Rich, Strange, Scarce-Imaginable Regions of Romance (1904, rev. 1924) und The Return (1910, rev. 1922, rev. 1945) – sind ebenfalls der Phantastik zuzurechnen: Im ersten begegnet der Titelheld auf einer Reise durch diverse Buchlande einer Reihe literarischer Figuren wie Jane Eyre, Dornröschen oder Criseyde, im zweiten ist die Hauptfigur vom Geist eines anderen Mannes besessen. Während die vorgenannten Romane sich an Erwachsene richten, ist The Three Mullar-Mulgars (1910, auch The Three Royal Monkeys (1927)) ein Kinderbuch – und darüber hinaus das vielleicht bekannteste und bedeutendste Werk de la Mares und nach Meinung vieler Kritiker eine der wichtigsten Animal Fantasies des 20. Jahrhunderts.
Die Reise der drei Malla-Malgars (1988) – so der deutsche Titel – erzählt die Geschichte der drei Affenbrüder Thumb, Thimble und Nod (bzw. Daum, Däumel und Nick), die auf der Suche nach ihrem königlichen Vater, der sich zu den Tälern von Tishnar begeben haben soll, durch ein an ein seltsam verändertes Afrika erinnerndes Fantasyland ziehen, unterwegs allerlei merkwürdigen Wesen – Geistern und Hexen, in Höhlen hausenden Minimuls und auf Bergen lebenden Mulgars sowie tatsächlich auch einem Menschen – begegnen und natürlich jede Menge Abenteuer erleben. Dabei vermischen sich alptraumhafte und wunderbare Begebenheiten auf selten gesehene, durch den poetischen Stil auch sprachlich überzeugende Weise. Was vielleicht mit ein Grund ist, warum The Three Mulla-Mulgars beispielsweise den zwölfjährigen Robert Silverberg so beeindruckt hat, dass er viele Jahre später eine Anspielung auf das Buch in einen seiner Romane eingebaut hat.
Silverbergs Hommage wurde allerdings von kaum jemand als solche erkannt. Denn obwohl de la Mare von mehreren Universitäten die Ehrendoktorwürde verliehen wurde und Autoren von Robert Aickman über Ramsey Campbell bis hin zu Russell Hoban ihn als wichtigen Einfluss auf ihr eigenes Schreiben genannt haben, ist er sowohl in seinem Heimatland wie in den USA (wo er ohnehin nie sehr bekannt war) schon bald nach seinem Tod am 22. Juni 1956 in Vergessenheit geraten. In Deutschland, wo außer dem bereits erwähnten Roman noch ein paar eigens für den hiesigen Markt zusammengestellte Sammelbände mit phantastischen Kurzgeschichten – Die Orgie: Eine Idylle und andere Erzählungen (1965), Aus der Tiefe. Seltsame Geschichten (1972), Sankt Valentinstag. Phantastische Erzählungen (1984) – und eine einzeln veröffentlichte längere Erzählung – Die verlorene Spur (1993) – erschienen sind, kann man ihn wohl mit Fug und Recht zu der immer größer werdenden Zahl von Autoren und Autorinnen zählen, die als obskur zu bezeichnen sind.
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