Bibliotheka Phantastika gratuliert Marta Randall, die heute 65 Jahre alt wird. Nach ihrem Debüt mit der Story “Smack Run” in der von Michael Moorcock herausgegebenen Anthologie New Worlds 5 (1973) machte sich die am 26. April 1948 in Mexico City, Mexico, geborene Marta Randall ab Mitte der 70er Jahre mit zwar nicht allzu vielen, aber meist geistreichen und dicht geschriebenen, häufig leicht feministisch angehauchten SF-Stories rasch einen Namen. Auch ihre SF-Romane – der erste, Islands, erschien 1976 (dt. Versunkene Inseln (1983)) – trugen aufgrund der in ihnen behandelten Themen und deren Umsetzung mit dazu bei, in ihr eine weitere neue Autorin am Anfang einer vielversprechenden Karriere zu sehen.
Mit The Sword of Winter (1983; dt. Die Reiter von Jentesi (1985)) wandte sie sich – nach vier SF-Romanen – der Fantasy zu, und es zeigte sich, dass sie auch in diesem Genre zu überzeugen wusste (wobei man fairerweise zugeben muss, dass der Roman mit ein paar kleinen Änderungen auch als Planetary Romance funktionieren würde): Lyeth gehört einer aus Männern und Frauen bestehenden Gilde an, deren Mitglieder als Boten, Erkunder und Kartographen von den Herrschern der Provinzen des Reiches Cherek dienstverpflichtet werden können. Durch einen persönlichen Eid ist sie als reitende Botin an Lord Gambin, den tyrannischen Herrscher der Provinz Jentesi gebunden – einen Mann, den sie aus tiefstem Herzen verabscheut, denn er hat die eigentliche Aufgabe der Gilde pervertiert und die ihm zur Verfügung stehenden Gildenmitglieder zu seiner von der einfachen Bevölkerung gehassten und gefürchteten Geheimpolizei gemacht. Jetzt liegt Gambin im Sterben, und Lyeth wartet auf seinen Tod, wünscht ihn aus nachvollziehbaren Gründen geradezu sehnlichst herbei. Doch Gambin hat es nicht sonderlich eilig mit dem Sterben, und er weigert sich außerdem, einen Nachfolger zu benennen, was dazu führt, dass die vier potentiellen Anwärter auf das Schwert und Amt des Herrschers eifrigst gegeneinander intrigieren. Und Lyeth, die den kalten, unwirtlichen Norden lieber heute als morgen verlassen und in die Halle ihrer Gilde in der Hauptstadt zurückkehren will, und die sich nebenbei noch um einen Waisenjungen kümmern muss, der keinen Grund hat, die Mitglieder der Gilde zu mögen, wird – so sehr sie sich auch dagegen wehrt – mehr und mehr in diese Intrigen hineingezogen.
The Sword of Winter punktet nicht nur mit glaubhaften Figuren – allen voran Lyeth, einer wirklich überzeugend gezeichneten starken Frauenfigur – und einer schlüssig konzipierten, auf politische Machenschaften statt Action setzenden Handlung, sondern auch mit dem Setting: das Reich Cherek und seine Provinzen stehen an der Schwelle zum industriellen Zeitalter, es gibt u.a. bereits Dampfmaschinen und Telegraphen, wohingegen Magie etwas ist, dass die meisten Menschen nur noch vom Hörensagen kennen. Hinzu kommt eine düstere, fast schon bedrückende Atmosphäre, die einerseits auf die karge, winterliche Landschaft zurückzuführen ist, andererseits auf die Angst und den Hass der einfachen Dorfbewohner, denen Lyeth begegnet – und auf die Intrigen in der Burg, die es schier unmöglich machen, Freund und Feind voneinander zu unterscheiden.
Eigentlich hätte all das ausreichen sollen, um The Sword of Winter zumindest einigermaßen erfolgreich werden zu lassen, doch dem war nicht so. Ganz im Gegenteil scheint der Roman – der vermutlich als Breakthrough Book geplant war (es war ihre erste Veröffentlichung im Hardcover) – einen Wendepunkt in der bis dahin so vielversprechenden Karriere Marta Randalls darzustellen. Zumindest sind danach zwischen 1984 und 1993 nur noch ein SF-Roman und ein paar Stories, eine Kennedy-Biografie und ein Krimi von ihr erschienen. Natürlich kann es viele Gründe geben, warum sie seither verstummt ist, bedauerlich ist es allemal. The Sword of Winter mag zwar noch kein echtes Meisterwerk sein, ist aber auf alle Fälle ein weiteres Beispiel dafür, dass die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts für die Fantasy ein verdammt gutes Jahrzehnt waren.
Bliebe nur noch die Frage, ob Kate Elliott den Roman jemals gelesen hat …
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“Die Reiter von Jentesi” hatte ich mir vor vielen Jahren gebraucht gekauft, weil ich die Knaur-Reihe sammeln wollte. Vielleicht versteckte sich da in einer Kiste ein Schatz, den es sich zu bergen lohnen könnte…
Schön und informativ, diese Rubrik!
Dann schau gelegentlich mal in der Kiste nach, wenn du Zeit hast. 😉
Marta Randalls SF-Romane – von denen allerdings nur drei auf Deutsch erschienen sind – sind übrigens auch sehr lesenswert. Ich habe es immer bedauert, dass die Autorin Mitte/Ende der 80er praktisch zu schreiben aufgehört hat.
Andererseits … gibt’s immer noch viel zu viele Bücher, die man lesen will. Oder muss. Oder sollte. 😉