Category: Buch des Monats

Vor Harry Potter gab es eine Menge interessante Fantasy für junge Leser, die inzwischen auf den hinteren Regalplätzen verschwunden ist. Eines der schönsten Beispiele ist Wintersonnenwende, der zweite Band aus Susan Coopers mehrfach ausgezeichnetem Zyklus The Dark is Rising. Der Band mit den Abenteuern von Will Stanton, dem siebten Sohn eines siebten Sohnes, die dieser beginnend mit seinem elften Geburtstag erlebt, ist der Höhepunkt der fünfteiligen Reihe und kann problemlos für sich gelesen werden.
Will ist das jüngste von sieben Geschwistern. Wintersonnenwende, Weihnachten und damit Wills Geburtstag stehen vor der Tür, und in der großen, ländlich lebenden Familie geht es drunter und drüber. Während Will am Vorabend seines Geburtstages die letzten Pflichten erledigt, begegnet er einem unheimlichen Landstreicher, und die Merkwürdigkeiten reißen auch in der darauf folgenden Nacht nicht ab. Am nächsten Morgen hat sich die Welt verändert, und Will befindet sich mitten im Kampf von Licht und Finsternis, in dem er eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hat.

Wintersonnenwende von Susan CooperWintersonnenwende ist klassisches Garn um Gut und Böse, eine Queste und einen jungen Auserwählten, und man sollte es auch nur lesen, wenn man Lust auf eine Geschichte hat, die diese Muster nicht auf den Kopf stellt – aber dafür sorgfältig, mit Blick für Details und mit einer niveauvollen erzählerischen Umsetzung damit umgeht. Liebevolle Figuren und Schauplätze, sowohl magische als auch profane, Inspiration aus der keltischen Sagenwelt und Erdung an realen, authentisch präsentierten Orten und nicht zuletzt dunkle Magie als bedrohliches Element im Alltag sind die Zutaten, die Susan Cooper zu einer fesselnden Geschichte zusammenfügt, die Szenen enthält, die einem lange im Gedächtnis bleiben werden. Sie ist schaurig, ohne brutal zu sein, und baut vielmehr auf die Atmosphäre, die Dunkelheit, Landschaft, Wind und Wetter und ein paar wohlgesetzte bedrohliche Worte schaffen können.
Den Kontrast zu diesen Szenen bilden hoffnungsvolle Momente mit Wills Verbündeten, und vor allem das turbulente Familienleben des elfjährigen Helden, das – ungewöhnlich für eine Questengeschichte – gleichrangig neben den Abenteuern Platz findet und mit großer Wärme erzählt wird, ohne Spannungen auszusparen.
So ist es nicht verwunderlich, dass auch thematisiert wird, wie Will zwischen seiner neuen Aufgabe und der Familie hin- und hergerissen ist, wenn in den Tagen um Weihnachten herum, in denen Magie und Aberglaube stark sind, die Ereignisse sowohl in der magischen als auch in der Alltagswelt kulminieren und die Wechselwirkungen sich verstärken.

Die nahezu vierzig Jahre, die Wintersonnenwende inzwischen alt ist, verschwimmen ein wenig durch den ländlichen Schauplatz, der wahrscheinlich auch im Erscheinungsjahr bereits einen altmodischen Charme versprüht hat. Der Band, der 2007 auch mit wenig Erfolg (und außerdem weit vom Roman abweichend) verfilmt wurde, ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie eine mit einfachen Mitteln und traditionellen Elementen erzählte Geschichte letztendlich zu mehr als der Summe ihrer Teile wird.
Im Deutschen ist der Roman momentan nur antiquarisch erhältlich. ISBN 978-3-570-30303-0, Original: The Dark is Rising, übersetzt von Annemarie Böll

Buch des Monats

Als Buch des Monats Mai möchten wir euch einen Klassiker von 1954 präsentieren: Poul Andersons The Broken Sword (ISBN: 978-0575082724; in deutscher Übersetzung als Das zerbrochene Schwert erschienen).

The Broken Sword von Poul AndersonDer Elfenfürst Imric tauscht Skafloc, den Sohn eines Wikingers und einer Angelsächsin, gegen einen Wechselbalg aus, denn anders als die Elfen und ihre Erzfeinde, die Trolle, können Menschen gefahrlos mit Eisen umgehen und sind daher für die Bewohner der mit menschlichen Sinnen nicht ohne weiteres wahrnehmbaren Anderswelt vor allem in militärischer Hinsicht höchst wertvoll. In der Tat wächst Skafloc zu einem mächtigen Kämpfer heran, der dem nächsten Kriegszug gegen die Trolle förmlich entgegenfiebert. Doch auf seiner menschlichen Familie lastet ein Fluch, der auch ihm zum Verhängnis zu werden droht, und das Vorrücken des Christentums stellt eine schleichende Gefahr für die nichtmenschlichen Völker und sogar für die alten Götter dar …

Die Melancholie, die zwangsläufig mit dem Motiv der mitsamt ihren Bewohnern dem langsamen Untergang geweihten magischen Welt einhergeht, erinnert ein wenig an Tolkiens etwa zeitgleich erschienenen Herrn der Ringe. Doch damit und mit der von beiden Autoren als Inspirationsquelle genutzten altnordischen und keltischen Mythologie enden die Gemeinsamkeiten bereits, denn während Tolkiens Werk eine durchaus tröstliche Grundstimmung vermittelt und auf die Erkenntnis abzielt, dass das Ringen um moralisch richtiges Handeln trotz des Preises, den man dafür vielleicht zahlt, nicht vergeblich ist, erzählt Anderson eine brutale, unbarmherzige Geschichte, deren Protagonisten selbst dann, wenn sie oberflächliche Erfolge erzielen, nicht viel gegen ihr unerfreuliches Schicksal ausrichten können. Umso fragwürdiger erscheint alles, was sie einander antun, denn was inhaltlich aufgetischt wird, ist durchaus so starker Tobak, dass man bisweilen geradezu dankbar ist, diese Ideen nicht im Stile des modernen grim&gritty präsentiert zu bekommen: Mord, Krieg, Folter, Vergewaltigung und Inzest prägen die Handlung. Da noch dazu bei allen Konfliktparteien Sklavenhaltung, Raubüberfälle und Entführungen als durchaus legitime Mittel zur Wahrung der eigenen Interessen gelten, ist eine simple Aufteilung in Gut und Böse ohnehin unmöglich.

Nur ein Panoptikum der Scheußlichkeiten also, ein deprimierendes Buch? Nicht ganz, denn die erschreckenden Ereignisse spielen sich in einer Welt ab, die im wahrsten Sinne des Wortes zauberhaft ist und mit einer Fülle von Fabelwesen, sprechenden Tieren und für menschliche Augen unsichtbaren Elfenburgen aufwartet, vor allem aber auch mit einem herrlich unbefangenen und phantasievollen Einsatz von Magie,  die es gestattet, im Handumdrehen zur Möwe oder zum Wolf werden, mitten im Winter ein Stück Sommerlandschaft heraufzubeschwören oder den rechten Fahrtwind für ein Schiff herbeizuzaubern. Dass all dies nicht wie eine künstliche Märchenkulisse, sondern ausgesprochen glaubwürdig und authentisch wirkt, ist vor allem Andersons Erzählstil zu verdanken, der den lakonischen Tonfall altnordischer Sagas mit poetischen Wendungen verknüpft und gelegentlich sogar einen Hauch von grimmigem Humor und Situationskomik aufblitzen lässt. Vor allem aber bleibt den gesamten Roman hindurch die Nähe zu den Quellen spürbar, die neben den bekannten mittelalterlichen Mythen und Sagen auch allerlei Elemente des späteren europäischen Volksglaubens umfassen, vom Erlkönig bis hin zum Hexentanz auf dem Brocken.

Gerade dieses direkte Schöpfen aus einer älteren Tradition macht The Broken Sword so reizvoll für den modernen Leser, der viele der darin auftauchenden Motive womöglich nur in ihrer durch das inzwischen gefestigte Genre gefilterten Form kennt und hier mit Staunen feststellen wird, dass sich aus demselben Ausgangsmaterial, das auch Tolkien vorlag, etwas ganz anderes als „typische Fantasy“ machen lässt.

Buch des Monats

Mit einem unbeschwerten, charmanten und durchs Hintertürchen erstaunlich klugen Klassiker der phantastischen Literatur hoffen wir, euch im neuen Monat ein paar Frühlingsgefühle bei der Lektüre verschaffen zu können, ganz gleich, ob es ein Re-Read ist, der bei Matt Ruffs Fool on the Hill eigentlich immer geht, oder der magische Erstkontakt.
Fool on the Hill von Matt RuffDer Roman bietet alles, was man sich als Phantastik-Fan erhoffen kann – ein wenig Tierfantasy mit dem naiven Hund Luther und dem abgebrühten Kater Blackjack, ein bisschen gepflegten Horror mit der grusligen Gummimaid, eine Studentenverbindung namens Tolkienia, die Magie in den Campusalltag bringt, eine verzauberte Liebesgeschichte, wenn sich der Schriftsteller Stephen Titus George in die schönste Frau der Welt verliebt, und nicht zuletzt einen Drachen.
Was bei vielen humorvollen Fantasy-Romanen danebengeht, nämlich eine stringente und packende Geschichte zu erzählen, gelingt in Fool on the Hill scheinbar mühelos. Die an Archetypen orientierten Figuren wirken in ihrer ungewöhnlichen Umgebung – dem von Kobolden, Hunden und Katzen und wirklich abgefahrenen Studentenverbindungen besiedelten Campus von Ithaca – frisch und glaubwürdig, während im Hintergrund der Autor die Fäden in der Hand hält und die vielen kleinen, aber niemals unbedeutenden Stränge langsam zusammenführt. Jede Episode ist für sich gesehen ein Vergnügen, doch verwoben in die ausgefeilte Handlung sind es anspruchsvolle Puzzlestücke – bei denen zwar Humor, unzählige Anspielungen und Ideenreichtum im Vordergrund stehen, die aber immer eine aufrichtige und bedeutende Geschichte erzählen, die nicht dem nächsten Gag geopfert wird, und dadurch zugleich rührend, mitreißend und ernst sein kann.
Der wohltuend unbedarfte und nichtsahnende Narr S.T. George wird zur Hauptfigur des Geschehens gemacht und lernt, was Schreiben ohne Papier bedeutet. “Wird gemacht” übrigens im wahrsten Wortsinn, denn Fool on the Hill steuert sehr zielgerichtet auf ein bravourös ausgeführtes philosophisches Manöver zu. Der Roman ist eine Bühne für den Kampf von Gut gegen Böse – den Campus-Kobolden gegen den verbannten Finsterling Rasferret der Engerling – der alsbald die Grenzen des Alltags sprengt und, ohne seine archetypische Relevanz zu verlieren, über die vertrauten Abläufe weit hinausweist.
Am besten macht man es wie der verschmitzte Mr Sunshine – zurücklehnen und die vielen guten Geschichten genießen: George auf der Suche nach schriftstellerischer Inspiration, die unvergleichlichen Bohemier auf der Suche nach Alkohol und Gerechtigkeit, die Promenadenmischung Luther auf der Suche nach dem Himmel, die Campuspolizei auf der Suche nach Verdächtigen. Und nachher nimmt man das Leben auf einmal leichter und glaubt ein bisschen ans Schicksal.

Fool on the Hill ist 1988 erschienen, die gleichnamige Übersetzung von Ditte König und Giovanni Bandini 1991 unter der ISBN 3-423-11737-0.

Buch des Monats

Wenn draußen der nimmermüde Regen niedergeht und der Frühling auf sich warten lässt, gibt es nichts besseres als einen Ausflug in literarische Gefilde. Und auch wenn die Älteren Inseln in ihrer Nähe zu Britannien nicht eben regenarm sind, so bieten sie dennoch ein wunderschönes, wenn auch nicht sehr bekanntes Urlaubsziel für Bücherwürmer. Das soll sich mit diesem Buch-des-Monats-Artikel ändern!

Die Lyonesse-Trilogie von Jack Vance, angesiedelt auf besagten Älteren Inseln, führt den Leser ein in eine Welt von geheimen Gärten, prächtigen Schlössern, unglücklichen Königstöchtern, hinterlistigen Feengestalten und ruhmreichen Ritterfiguren – richtig, wir befinden uns im tiefsten High-Fantasy-Gelände. Die unzähligen Stereotypen, die das Genre zu bieten hat, greift Vance bereitwillig auf, um sie mit einem Augenzwinkern auf die Reise zu schicken. Und was für Reisen das sind! Schlachten, Affären, Staatsgeschäfte, Spionage, Verfolgungen – Aventiure reiht sich an Aventiure, und Vance, gewissenhafter Chronist, der er ist, erzählt das Geschehen distanziert, ohne sich in blumigen Ausschweifungen zu ergehen. Und so entsteht eine Chronik von Heldentaten, von Abgründen und tollkühnen Questen, welche den Leser vollständig in die Welt der Älteren Inseln eintauchen lässt. Aber Vorsicht: man sollte seine Rückfahrt buchen, bevor die Inseln vollständig vom Atlantik verschluckt werden.

Die meisterliche, präzise Sprache von Vance und sein Sprachwitz grenzen an Sandestin-Magie. Auf weit über 1.000 Seiten sitzt jedes Wort an der richtigen Stelle, und leerstellenüberbrückendes Gefasel sucht man vergebens. Vielmehr kann man sich an humoristisch-philosophischen Disputen erfreuen und begegnet zudem immer wieder Namen und Begriffen, die einen lustigen Reigen auf der Zunge tanzen: Twitten, Thripsey Shee, Tutterwit und Tanjecterly entfalten ihre wahre Pracht erst beim Laut-Lesen. Unbedingt ausprobieren!

Doch nicht zuletzt ist die Lyonesse-Trilogie auch eine Chronik der Wunderlichkeit, und damit hat Vance meine größte Schwäche gefunden. Wer schon immer einmal mehr über das zu Unrecht unterschätze Volk der Fortschrittlichen Aale erfahren wollte, sollte – wie ich – alle High-Fantasy-Skepsis fahren lassen und sich auf die lange, abenteuerliche und höchst erquickliche Reise von Lyonesse nach Troicinet, von Tintzin Fyral nach Teach tac Teach und von Poëlitetz nach Tantrevalles begeben!

 

Band 1, Herrscher von Lyonesse (Suldrun’s Garden, 1983) und Band 2, Die Grüne Perle (The Green Pearl, 1984) sind in einem area-Doppelband erschienen (ISBN 9783899963977); Band 3, Madouc (Madouc, 1989), als Einzelband (ISBN 978-3899963984). Die Bücher sind nur noch gebraucht erhältlich.

Buch des Monats

I am Legend von Richard MathesonSeit der sintflutartigen Welle glitzernder, schmachtender und moralisch übermenschlich guter Herzschmerzvampire, die softer sind als Butter in der Sonne, hat das Image des blutdurstigen Vampirs ein klein wenig an Glaubhaftigkeit verloren. Als willkommene Abwechslung zu dieser neuen Generation Spitzzähnchen möchten wir euch in diesem Monat daher ein Buch mit eher klassisch animalischen Vampiren ans Herz legen: I am Legend (Ich bin Legende) von Richard Matheson.
In diesem dünnen Roman erlebt der Leser auf eindringliche Weise den täglichen Überlebenskampf von Robert Neville in einer Welt, in der dieser der letzte nicht infizierte Mensch ist.

Ganz der typische Vampir (ich beiße dich, du wirst auch zum Vampir) findet sich in I am Legen nicht unbedingt, denn das Buch liefert eine eher wissenschaftlich-biologische Erklärung für die Übertragung der Infizierung, die ohne den obligatorischen Biss eines mythischen Wesens auskommt. Ebensowenig ist Robert Neville der klassische Vampirjäger à la Van Helsing, denn auch wenn er sich des Tags auf Vampirjagd begibt, ist er doch vor allem eines: allein. Davon einmal abgesehen sind Richard Mathesons Vampire jedoch deutlich auf Blut fokussiert, basieren auf traditionellen Fakten wie der Verwundbarkeit durch Sonnenlicht, einer Abneigung gegen Knoblauch und vermögen einem in einer ungewöhnlichen Endzeit-Story echte Schauer über den Rücken zu jagen. Für uns ein Klassiker der Science-Fiction, den man nicht missen sollte. Auch – und gerade dann – nicht, wenn man die Verfilmung mit Will Smith gesehen hat, die erstens nicht mit der dichten Atmosphäre des Romans mithalten kann und zweitens durch einige Abänderungen (besonders des Endes) das fundamentale Thema des Buches untergräbt.

I am Legend (ISBN 978-1-85798809-3) liegt unter dem Titel Ich bin Legende (ISBN 978-3453501553) auch in deutscher Übersetzung vor.

Buch des Monats

Das zweite Jahr, in dem wir euch jeden Monat ein hoffentlich interessantes Buch besonders ans Herz legen möchten, starten wir klassisch: Der Auftakt-Band von David Anthony Durhams Acacia-Trilogie ist epische Fantasy – Königsmord, Invasion und Rachepläne bestimmen die Handlung, aufflackernde Magie, das Hineinwachsen in Rollen und ein Blick auf die Welt durch viele Augen und in mehreren Handlungssträngen lassen erzählerisch Vertrautes anklingen. Doch sollte man sich von der vordergründigen Ähnlichkeit zu anderen Fantasy-Zyklen und vor allem, nicht zuletzt aufgrund der Figurenkonstellation, zu George R. R. Martins Lied von Eis und Feuer auf keinen Fall täuschen lassen.
Acacia: Macht und Verrat von David Anthony DurhamWenn Durham seinem Reich Acacia, dem vertraut wirkenden, aber wackelnden zivilisatorischen Mittelpunkt der Welt, Insel- oder Steppenkulturen gegenüberstellt, fügen diese sich in das Weltgeschehen ein, ohne wie aufgemalte Exotismen zu wirken. Wenn er Figuren aufbaut, die ein Coming-of-age erleben, dann schlagen sie oft unerwartete, aber immer nachvollziehbare Wege ein, vor allem auch in Bezug auf Geschlechterrollen – als Paradebeispiel sei Corrin Akaran genannt, die zunächst das Schicksal etlicher Fantasy-Prinzessinnen zu teilen scheint, sich aber auf gänzlich andere Art als ihre Geschwister und gewissermaßen auch effektiver zu behaupten weiß.
An der Politik, die in Macht und Verrat geführt wird und die weit entfernt von der häufig stark vereinfachten “Fantasy-Politik” ist, und am Auge für Zusammenhänge erkennt man Durhams Ansätze, die er mit Sicherheit aus den historischen Romanen mitgebracht hat, in denen er vor seinem ersten Ausflug in die Fantasy zu Hause war.

Es gibt also viele Gründe, sich Acacia anzuschauen, und um nicht einer kommenden Rezension vorauszugreifen, möchte ich hier vor allem noch einen Grund hervorheben: David Anthony Durhams Erzählstil hat Qualitäten, die im modernen Fantasy-Roman nur vereinzelt zu finden sind und dadurch geradezu ungewöhnlich scheinen: Wo andere alles zu breiten Szenen auswalzen und den Leser mit cineastischer Bildgewalt bombardieren, pflegt Durham einen häufig narrativen Stil und zeigt mal eben ganz gekonnt, wie mitreißend geraffte und gestraffte Ereignisse sein können und dass in einen dicken Roman ein Handlungsbogen passt, für den andere ein paar Bände verbraten hätten. Für eine Kostprobe dieses elegant fließenden Stils genügt es, einfach die ersten Seiten zu lesen, in denen man den Weg eines Attentäters vom hohen Norden herab an den Königshof verfolgt.
Darüber murren, dass etwas zu kurz gekommen ist, muss man trotzdem nicht: Neben dem vielfältigen Figurenspektrum gibt es auch Beschreibungen der Welt und ihrer Kulturen und prägnante Dialoge (teils, nicht minder prägnant, ebenfalls in geraffter Form). Konsequenterweise findet die größte Bildgewalt von Macht und Verrat dann auch außerhalb der beschriebenen Handlung statt – dass Durham sie trotzdem im Kopf des Lesers heraufbeschwören kann, sollte Grund genug sein, den Roman auszuprobieren. Man greift damit garantiert zu einem der interessantesten Autoren der gegenwärtigen Fantasy.

Acacia – Macht und Verrat (ISBN: 978-3-442-24494-2) ist der erste Band einer Trilogie, die mit Die Fernen Lande fortgesetzt wird. Vom Abschlussband The Sacred Band steht die Übersetzung noch aus.

Buch des Monats

Es kamen drei Damen im Abendrot von Peter S. BeagleAls Buch des Monats im Dezember haben wir ein kuschliges, kleines Kammerspiel von Peter S. Beagle erkoren: In Es kamen drei Damen im Abendrot (der Originaltitel The Innkeeper’s Song wird dem Fokus der Handlung besser gerecht, die Übersetzung von Hans J. Schütz ist aber durchaus empfehlenswert) sieht der Wirt Karsch drei merkwürdige Frauen in seiner Herberge eintreffen (“eine weiße, eine schwarze und eine braune”), und er ahnt gleich, dass sie ihm Ärger ins Haus bringen: Bei den Damen handelt es sich um die ertrunkene und wiedererweckte Lukassa, Lal, offenbar mit magischen Kräften ausgestattet, und die flüchtende Nyateneri, die von einem Fuchs begleitet wird. Die drei Damen sind ein erzwungenes Bündnis eingegangen, gerufen von einem gemeinsamen alten Freund, einem Magier – und Karschs Wirtshaus wird ihre Basisstation und der Nexus der folgenden Ereignisse, und ist damit beinahe einziger Schauplatz dieses kompakten Romans.

Auf die verschlungene Geschichte, die sich dort abspielt, muss man sich einlassen. Weder die (durchaus detailreiche) Welt noch die Haupthandlung stehen im Vordergrund, sondern vielmehr das Verhältnis der beteiligten Figuren – neben den Damen noch etliche Nebenfiguren bis hin zu Nyateneris Fuchs, die abwechselnd als Erzähler berichten und die Ereignisse in einem unterschiedlichen Licht erscheinen lassen. Beagles poetische Sprache lässt die Figuren, jede auf ihre Art, lebendig werden, besonderen Genuss bereiten Lals Kapitel – und die des Fuchses, eines ausgewachsenen Schlitzohrs, der einige wunderbare Szenen hat und Untaten ohne Reue ausplaudert (“Wachhund taugt nichts, wann kommen neue Tauben?”).
Trotz der Künstlichkeit der Erzählperspektive (Ich-Erzähler, die nach einigen Jahren auf die Ereignisse zurückblicken) wirken die Stimmen unmittelbar und authentisch. Dass noch dazu (zunächst) drei von Klischees unbeleckte Heldinnen das Zentrum der Geschichte bilden, ist das Tüpfelchen auf dem i. Die Themen, die über diese Figuren verhandelt werden, sind universell und Beagles Lieblingsthemen – Liebe und Tod. Gefühlvoll stellt er Beziehungen und ihre Nähe, aber auch ihr Zerbrechen dar, vieles steht vernehmlich, aber zurückhaltend zwischen den Zeilen.

Das erstaunlichste an Es kamen drei Damen im Abendrot ist vielleicht, dass sich durchaus eine große Geschichte abspielt, dass die drei Damen auf einer Queste sind, doch die wird relativ unwichtig, findet letzten Endes sogar teilweise außerhalb der erzählten Handlung statt, die epischen Elemente treten zugunsten der persönlichen in den Hintergrund.
Es kamen drei Damen im Abendrot (ISBN:3-423-20179-7) ist ein Einzelband, Figuren und Schauplätze sind in Beagles Erzählkosmos eingeflochten – mit Lal gibt es eine Kurzgeschichte in Der Zauberer von Karakosk, und man kann raten, wer der Magier in Nöten eigentlich ist. 😉

Buch des Monats

Die Entscheidung für das Buch des Monats haben wir uns diesmal nicht leicht gemacht, denn eigentlich wollten wir in dieser Rubrik weniger auf aktuelle Bücher, als vielmehr auf versunkene Perlen eingehen. Doch als wir uns vor einigen Tagen darüber unterhielten, welches in diesem Jahr erschienene Buch uns denn besonders in Erinnerung geblieben ist, fiel immer wieder der Name Lobgesang, so dass wir gar nicht umhin kamen, dieses Buch zum Buch des Monats November zu küren.
So entschieden wir kurzerhand, diesmal eine Ausnahme zu machen, zumal der Nachfolgeband Hohelied vor kurzem erschienen ist und somit Lobgesang nun keine echte Neuerscheinung mehr ist. 😉

Der wunderbaren Rezi von Colo ist natürlich nur schwerlich etwas hinzuzufügen, doch da uns ein profanes “das müsst ihr lesen!” selbstverständlich nicht ausreicht, wollen wir versuchen euch zu erklären, weshalb  Lobgesang zu recht das aktuelle Buch des Monats ist.

Als zweiter Band der Legende von Isaak macht das Buch alles richtig, was man als Folgeband richtig machen kann. Das beginnt bei der Story, die eine ganz neue Perspektive auf die Ereignisse aus Sündenfall eröffnet, als sich eine neue Fraktion rücksichtslos ihren Weg in die Benannten Lande bahnt. Aber nicht nur die politische Landschaft erfährt eine Erweiterung, sondern Scholes enthüllt uns neue Regionen des Kontinents, zu deren faszinierendsten sicher die Mahlenden Ödlande zählen, in denen sich weit mehr verbirgt als Wüstenei. In gewohnter Manier wird uns die Geschichte in kleinen Kapitelchen präsentiert, die jeweils aus der Sicht eines Charakters erzählt werden und die sofort die berühmt-berüchtigte “Eines les’ ich noch”-Lesewut aufkommen lassen.

Zwei großen Stärken kommen in Lobgesang noch deutlicher als im Vorgänger zur Geltung und machen es damit zu einem echten Buch des Monats. Da wären erstens die wunderbaren Protagonisten, die Ken Scholes mit neuen Konflikten konfrontiert und mit neuen Facetten versieht. Scholes öffnet dem Leser die Gefühls- und Gedankenwelt seiner Charaktere ohne langatmig zu wirken oder in gängige Klischees abzurutschen. Etwas, das beim zentralen Thema des Buches – Familie – leicht hätte passieren können, stattdessen liefert der Autor uns durch seine Figuren unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungswelten. Die zweite Stärke ist die wunderschöne Sprache, welche die Stimmung der Szenen einfängt und die auch in der Übersetzung eine eindrucksvolle Strahlkraft entfaltet.

Buch des Monats

Als der Seelenmeister starb von Octavia ButlerFalls sich jemand angesichts des Covers wundert, keine Sorge, ihr seid nicht irrtümlich beim Fremdlesen gelandet. 😉
Denn obwohl auf dem Cover Science Fiction draufsteht, ist in Als der Seelenmeister starb hauptsächlich Fantasy drin bzw. kann man den Inhalt durchaus als Fantasy durchgehen lassen, die SF-Elemente sind auf wenige Sätze beschränkt.
Teray ist ein besonders starkes Mitglied der „Musternisten“, die telepathisch über die übrige Menschheit herrschen, denn sie können nicht nur telepathisch kommunizieren, sondern auch kämpfen und töten. Das Oberhaupt dieser Gruppe, der als einziger Zugriff auf die Psyche aller Musternisten hat, ist jedoch geschwächt, und so können sich die Clayark zunehmend ausbreiten, denn nur die geballte Kraft aller Musternisten hatte sie von den Grenzen ferngehalten. Zwischen den beiden Kulturen werden Differenz und Krieg propagiert und praktiziert, dementsprechend unsicher ist die Welt inzwischen geworden. Frisch aus der Schule entlassen und auf der Suche nach einem geeigneten Haus, in dessen Dienst sie ihre Fähigkeiten entwickeln können, geraten Teray und seine Frau Iray in die Fänge des machtbesessenen Coransee. Im Kampf um seine Freiheit erfährt Teray mehr über sich, seine Welt und sein eigenes Schicksal, als er erwartet hatte …

Besonders faszinierend an diesem Buch war, wie Octavia Butler es schafft, differenzierte Machtbeziehungen und -verhältnisse darzustellen und dabei die Verwobenheit von Geschlecht, Rasse und Klasse mit diesen Machtverhältnissen deutlich zu machen – und das alles ist fast schon beiläufig in die Story und die Handlungen ihrer (lebendigen) Figuren eingeflochten. Zum facettenreichen Gesellschaftsentwurf kommt das komplexe Telepathie-Konzept hinzu, das ein tragendes Element der Handlung ist und bis zum Schluss immer mehr ausgeleuchtet wird.

Die deutsche Ausgabe von Bastei weist leider einige Schlampigkeiten (gerne werden Buchstaben bei Namen vertauscht) und eine manchmal leicht holpernde Übersetzung auf, das Lesevergnügen wird also etwas geschmälert, aber nicht wirklich beeinträchtigt. Das Buch ist Teil eines Zyklus aus sehr, sehr lose miteinander verknüpften Romanen. Das hier vorgestellte Buch kann also problemlos alleine gelesen werden. In deutscher Übersetzung sind noch Der Seelenplan und Wilde Saat erschienen, während Clay’s Ark unübersetzt blieb. Alle vier sind auf Englisch im Sammelband Seed to Harvest zusammengefasst worden

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Octavia Butler – Als der Seelenmeister starb (ISBN: 978-3404240371)
Octavia E. Butler – Seed to Harvest (ISBN: 978-0446698900)

Buch des Monats

Cover des Buches "Tor der Vewandlung" von Carol Berg Gleich nachdem wir uns in der Bibliothek darüber einig waren, dass der Roman Tor der Verwandlung (ISBN: 978-3-442-24361-7) im September unser Buch des Monats sein soll, nahm ich es zur Hand, um noch einmal kurz reinzulesen. Meine letzte Lektüre des Buches liegt nun schon ca. zwei Jahre zurück, und so wollte ich meine Erinnerungen etwas auffrischen, bevor ich mich an diesen Beitrag machte.
Nach zwei Tagen hatte ich zwei wichtige Termine verpasst, meinen Freund wegen völliger Vernachlässigung verärgert und die Hälfte des Buches gelesen. Wie schon beim ersten Mal zog mich die Geschichte sofort in ihren Bann.

Dabei macht das Buch von außen gar nicht nicht soviel her – okay, das Coverbild ist passend und wesentlich weniger kitschig als das Originalcover, aber es ist nicht unbedingt etwas Besonderes, und auch der Klappentext verspricht eigentlich nichts weiter als einen soliden Fantasyroman:
“Seit vielen Jahren lebt der ehemalige Magier Seyonne unter dem Joch der Sklaverei. Die Erniedrigung und das Elend dieser Zeit konnte Seyonne nur überleben, indem er alles vergaß, was ihm einst bedeutsam erschien. Doch nun muss er sich wieder seiner Zauberkräfte entsinnen: Denn ein uraltes dämonisches Übel ist aufgetaucht und droht alles zu vernichten, was dem gebrochenen Mann jetzt noch wichtig ist…”
Doch gleich auf den ersten Seiten wird klar, dass in diesem Roman die starken Charaktere viel wichtiger sind als die Geschichte vom Kampf gegen uralte Übel oder finstere Dämonen.

Seyonne, der seit 16 Jahren als Sklave in derzhischer Gefangenschaft lebt, hat längst alle Hoffnungen auf ein würdiges Leben aufgegeben. Zwischen prügelnden Herren, erniedrigenden Arbeiten, Dreck und Elend versucht er einfach nur noch zu überleben und seinen Verstand nicht völlig zu verlieren. Dafür musste er nicht nur seinen Stolz aufgeben, sondern auch die Erinnerungen an sein Leben vor der Sklaverei.
Eines Tages wird er von Kronprinz Aleksander als Schreibsklave gekauft. Für diesen ist es ein Kauf aus rein praktischen Gründen: als ranghohes Mitglied der Gesellschaft hat er nie Lesen und Schreiben gelernt, und nun benötigt er für seine vertraulichen Korrespondenzen ein vertrauenswürdiges Werkzeug. Was wäre da besser geeignet als ein Sklave, den man im Fall eines vermeintlichen Vertrauensbruches einfach töten kann, ohne dass es Nachfragen gibt?
Und besser als ein Werkzeug wird Seyonne anfangs auch nicht von Aleksander behandelt, denn dieser ist ein hochmütiger, arroganter und absolut verzogener Charakter. Als Thronerben werden ihm kaum Grenzen im Umgang mit seiner Umwelt gesetzt, und so begegnet er den meisten Menschen in seiner Umgebung mit Verachtung und Geringschätzung.

Diese beiden so unterschiedlichen Charaktere und ihre sich entwickelnde Beziehung zueinander tragen die Handlung des Buches über weite Strecken und es wird nie langweilig zu lesen, wie die Beiden miteinander agieren. Eingebettet in eine detailreich ausgearbeitete Welt, entwickelt sich die Geschichte in einer ruhigen, ja fast gemächlichen Erzählweise.

Seyonne berichtet von den Ereignissen aus seiner Sicht. Als Mann in der Mitte seines Lebens ist er reif genug, um dem Leser genügend Tiefgründigkeit zu bieten, ohne bemüht geheimnisvoll zu wirken. Es macht einfach Spaß, ihm zuzuhören, denn inmitten seines Leidens hat er sich einen sehr feinen Humor bewahrt, der so ganz anders ist als der demonstrative Zynismus eines Tyrion Lannister oder eines Sand dan Glokta.
So meistert die Autorin die Hürden des Ich-Erzählers mit Bravour und erschafft glaubhafte Protagonisten, die den Leser des öfteren an die Charaktere aus den Büchern eines G.G. Kay denken lassen und gleich von der ersten Seite an zu fesseln vermögen.

Tor der Verwandlung ist zwar der Auftakt zu einer Trilogie, doch das Buch endet so befriedigend, dass es auch gut für sich allein gelesen werden kann. Die beiden Folgebände lassen sich gut lesen, können aber leider nicht das hohe Niveau des ersten Teils halten.

Buch des Monats