Ein öffentlicher (Buch-) Mord – Ein Fortsetzungskrimi (Teil 1)

Das Buch in der Pfütze:
Ein (Buch-) Mord, Tatortfoto 1Es war ein nasser Oktobermorgen und nicht einmal das Glas Whiskey zum Frühstück hatte die Kälte aus meinen Gliedern vertreiben können. Den Hut tief ins Gesicht gezogen und den Mantelkragen hochgeschlagen, trat ich an den Ort des Verbrechens. Die Polizeilichter flackerten stumm und warfen finstere Schemen an die spärlich beleuchteten Wände der schäbigen Seitenstraße, während die gelben Absperrbänder im Wind flatterten. Der junge Whitefeed kam mir entgegen, der Anblick hatte das Bürschchen sichtlich getroffen, wäre es nicht so ein grauenhafter Morgen gewesen, hätte ich vielleicht sogar Mitleid mit ihm gehabt, so aber drückte ich ihm einfach meinen Flachmann in die Hand, bevor er etwas stammeln konnte, und schob ihn gleichzeitig zur Seite, um mir selbst ein Bild zu machen. Ich wappnete mich gegen das bevorstehende Grauen und steuerte auf den ausdruckslosen Hünen mit seinem riesigen schwarzen Sonnenschirm zu. Nicht nur, dass dieser mit all den schwarzen und roten Rosen und Rüschen daran in den Pranken des Mannes lächerlich wirkte, mir war auch immer noch nicht klar, was der Firlefanz zum Schutz vor der Sonne beitragen sollte. Zwar war das Tageslicht bisher nur spärlich und von regenschweren Wolken verdeckt, jedoch durfte der untote Gerichtsmediziner unter dem Sonnenschirm niemals das Risiko eingehen, von einem Sonnenstrahl getroffen zu werden. Seufzend warf ich einen sehnsüchtigen Blick zu Whitefeed oder besser gesagt zu meinem Flachmann, den er gebannt in Händen hielt, bevor ich in den Schatten des Schirms trat.

Ich hatte ja schon vieles gesehen, der Abschaum dieser Stadt hatte vor meinen Augen seine ruchlosen Galavorstellungen gegeben, aber als mir das unschuldige Mordopfer entgegenstarrte, bereute ich zutiefst, den Flachmann aus der Hand gegeben zu haben …
Das Buch lag inmitten einer schlammigen Pfütze, selbst ein Blinder hätte erkannt, mit welch sadistischem Vergnügen der Mörder es so zugerichtet hatte. Die Leidenschaft des Täters war mehr als offensichtlich. Gerichtsmediziner István Nagy, genannt Tooth, blickte auf, „Sie sehen ja fast noch schlimmer aus als das Opfer, Whiskers, Sie …“ „Haben Sie schon die Identität des Opfers feststellen können, Tooth?“, fiel ich ihm ins Wort – mir fehlte ungefähr eine halbe Flasche Whiskey, um für seine Sticheleien in Stimmung zu sein.
Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto ASein Grinsen verschwand und die langen Eckzähne waren wieder hinter den Lippen verborgen. „Es gibt keine äußeren Identifikationsmöglichkeiten mehr. Der Umschlag wurde in einem Akt roher Gewalt herunter gerissen, der Schmutztitel könnte sich irgendwo in diesem… Brei befinden. Das lässt sich hier noch nicht sagen. Das Opfer war offensichtlich englisch-sprachiger Herkunft und gehörte zum Fantasy-Genre, soweit es sich an einzelnen Worten erkennen lässt. Wir müssen es näher untersuchen, um den Titel zu ermitteln. Hoffen wir, dass genug von dem Buch übrig ist, um ihm wenigstens einen Grabstein mit seinem echten Namen verschaffen zu können.“
Der Arzt erhob sich und winkte zwei seiner Mitarbeiter heran. Sie kamen mit finsteren Mienen und einer kleinen grauen Kiste auf ihn zu, setzen sie ab, hoben das Opfer vorsichtig aus der Pfütze in die Kiste hinein und verschlossen es darin.
„Wir werden es jetzt in die Gerichtsmedizin bringen und intensiv untersuchen.“ Während er mit seinen Assistenten vom Tatort verschwand, starrte ich finster in die brackige Pfütze, in der das Opfer gelegen hatte …

Tagebuch einer Mörderin:
Kürzlich stieß ich auf den Blogbeitrag der hinreißenden Madame Books. Todesmutig, sozusagen, misshandelte sie das Buch mit dem aussagekräftigen Titel Mach dieses Buch fertig! so wie es ihr das Buch vorgab. Es weckte etwas in mir, eine verborgene Lust darauf, es ihr gleich zu tun. Nur einen Tag zuvor hatte ich zufällig ein ähnliches Stück, das Kein Buch, aus der Buchhandlung geholt, unsicher, ob ich es würde verwenden können. Voller Vorfreude aber griff ich mir nun mein Kein Buch und begann Löcher hinein zu brennen, den Buchrücken zu zerknicken, freizügig Eselsohren zu verteilen und vieles mehr. Kurzum: ich tat dem Buch alles an, was ich mich nie getraut hatte auch nur über ein Buch zu denken. Zu meiner maßlosen Enttäuschung aber musste ich feststellen, dass ich weder Hemmungen hatte das Buch zu verunstalten, noch Genugtuung dabei empfand. Ich raufte mir frustriert die Haare. Was war das Problem?

Ich misshandelte ein Buch! Wie konnte mir das als Buchliebhaberin so entsetzlich egal sein? Nach kurzer Überlegung drängte sich die Antwort jedoch geradezu auf. Das
Kein Buch war kein Buch … Es war dazu erschaffen worden ein Opfer zu sein, dazu geboren voll geschmiert, zerrissen und verbrannt zu werden. Es war seine Bestimmung, sein Schicksal, es erfreute sich mit masochistischer Wonne daran misshandelt zu werden und verhöhnte mich.

Ich entschied mich einen Schritt weiter zu gehen, das Kein Buch links liegen zu lassen und nur noch als Ratgeber zu betrachten. Um jedoch realistische Bedingungen zu schaffen, musste ein echtes Opfer her, ein Buch das auch dazu gedacht war gelesen zu werden. So stand ich kurz darauf vor meinem Regalbrett verstoßener Bücher, die mich allesamt irgendwie enttäuscht hatten. Eins von ihnen würde dran glauben müssen. Ich betrachtete meine Stiefkinder minutenlang, bis meine Wahl mit absurder Klarheit feststand. Ein Buch hatte mich bisher geärgert und genervt wie kein anderes Buch je zuvor. Es strotzte in meinen Augen nur so vor quälender Langeweile, hatte viele Erwartungen größtmöglich enttäuscht, nicht einmal als Geschenk wurde ich es los und hätte ich damals nicht in einem spanischen Dorf ohne Alternativen fest gesessen, ich selbst hätte es niemals weiter gelesen! Nicht einmal die Twilight Saga konnte dieses Leseleid bisher überbieten. Oh ja, dieses Buch hatte es verdient gequält zu werden, nun da ich es wieder sah, kochten alle meine hasserfüllten Erinnerungen daran hoch und verlangten Rache. Fiese, süße Rache! Ich kicherte mit hoher Fistelstimme und zog meine Nemesis diabolisch grinsend aus dem Schutz seiner umstehenden Geschwister. Hübsches Cover, dachte ich bei mir und beging spontan meinen ersten Gewaltakt: Ich riss das hübsche Cover von dem schrecklichen Buch! Ha! Welche Wonne!
Ein (Buch-) Mord, Beweisfoto BIn einem Anflug von Euphorie ließ ich die Badewanne voll laufen, gab wohlig duftendes Badeöl dazu und warf das fiese Ding ins Wasser. Zwei volle Minuten schaute ich zu, wie es sich langsam vollsog, ich tunkte es ein paar mal ganz nach unten, klappte die Seiten hier und da auf, damit das Wasser auch ordentlich Zugang fand und fischte den nunmehr ertränkten, nassen Klumpen schließlich raus, um ihn, unbewacht und den Witterungen schutzlos ausgeliefert, auf dem Balkon trocknen zu lassen. Tage und Nächte lang ließ ich es dort liegen! Eine gesunde Basis für meine kommenden Taten…

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Die Ermittler bitten um Unterstützung bei der Identifizierung
des unbekannten Buchopfers:

Zeugen, die sachdienliche Hinweise zu der Identität des Buchs liefern können, haben die Chance, eine kleine Belohnung zu gewinnen.
Hinweise können in Form eines Kommentars unter dem Text eingereicht werden.

14 Kommentare zu Ein öffentlicher (Buch-) Mord – Ein Fortsetzungskrimi (Teil 1)

  1. Elric sagt:

    Ich komm mir grad vor wie bei “Aktenzeichen XY ungelöst”! 😀
    Armes Buch – selbst meinem schlechtesten Band kann ich so was nicht antun! Nein, sicher nicht, so schlechte Bücher hab ich nicht zu Hause!
    Allerdings: es ist ziemlich dick, scheint ein TB gewesen zu sein (würde ich tippen) und hat der Mörderin nicht gefallen… dazu ein schönes Cover? Hm…
    Ich würde auf jeden Fall sagen, dass es sich dabei um ein Vampirbuch gehandelt hat – das würde den Vampir in der Geschichte erklären… :gruebel:

    In jedem Fall find ich die Idee total prima! 😀

  2. sisterdew sagt:

    Englisch. Ziemlich dick. Langweilig.
    “Atlas Shrugged” ?

  3. Elric sagt:

    Ich bin jetzt mal ganz dreist und vermute, dass Moya das geschrieben hat. Daraus folgt für mich, dass sie das Buch nicht beendet hat. Wenn es so langweilig war: Lord of the Rings???

  4. moyashi sagt:

    Ich las die Schlagzeile gleich auf Seite eins meiner Morgenzeitung. Sie sprachen von einem grausamen Mord, das Opfer bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Hinweise aus der Bevölkerung wurden erbeten. Erste Zeugen glaubten bereits klüger als die Ermittler zu sein, hatten verschiedene Titel für das Buch genannt, doch sie hatten alle keine Ahnung. Man würde die erwähnten Titel natürlich prüfen, doch ich wusste bereits, dass sie leer ausgehen würden. Ich grinste in mich hinein. Doch dann entdeckte ich es. Einen nützlichen Hinweis, das erkannte ich mit einem Anflug von Panik, hatte es doch gegeben. Das Taschenbuch. Ich hätte die Bindung des Buches besser verschleiern müssen! Doch ruhig Blut… es gab viele Taschenbücher da draußen, warum sollten sie gerade *meinen* Titel herauspicken?
    Ich schnitt den Artikel aus und heftete ihn mit einer Reißzwecke an die Wand neben das Cover des “entstellten Mordopfers” und wartete auf die nächste Schlagzeile, die nächsten Hinweise…

  5. Ivy sagt:

    Was hab ich da angerichtet??? Aber schön, jemanden inspirieren zu können…

  6. moyashi sagt:

    Du hast Pandoras Büchse geöffnet. 😀

  7. Elric sagt:

    Pandora’s Box… 😉 Schön ausgedrückt!
    Okay, wenigstens mit dem TB lag ich richtig. Darf man davon ausgehen, dass Frau Mörderin das Buch wirklich aus ihrem Regal gezogen hat?
    Ist es ein Klassiker bzw. ein etwas älteres Buch? Hm…

  8. sisterdew sagt:

    Ich sehe da was von “London 18irgendwas”….

  9. elora sagt:

    @Elric
    Es heißt im Deutschen wirklich “Pandoras Büchse” oder besser noch “Die Büchse der Pandora” – die “Box” ist nur die englische Entsprechung… 😉

  10. Elric sagt:

    😉 Deswegen steht da auch die englische Entsprechung mit dem Apostroph. 😉 (ich hab dabei immer die CD von Aerosmith im Kopf…)
    Aber irgendwie kommen wir hier mit dem Opfer nicht weiter. Hat denn unser Herr Detektiv irgendwelche Fortschritte gemacht!?

  11. moyashi sagt:

    Dem Herr Detektiv ist gestern das Netzteil des Computers abgeraucht, da wird der Bericht noch ein wenig auf sich warten lassen.

    Das Entchen hat schon einen weiteren gültigen Hinweis entdeckt und es folgt spätestens nächste Woche (denke ich) die noch viel fiesere und mörderischere Fortsetzung. Wäre ja auch langweilig, wenn schon gleich im 1. Teil gelöst würde! 😉

  12. Elric sagt:

    *grummel* noch ein kaputtes Netzteil? Kann doch gar nicht sein! Dabei find ich das so spannend… 😀

    Auch wenn mein Tipp wahrscheinlich falsch ist: Jonathan Strange & Mr. Norrell ???
    Ansonsten werd ich mich wohl noch gedulden müssen. *seufz*

  13. moyashi sagt:

    Da ich noch frei herum laufe, müssen die Ermittler wohl noch im Dunkeln tappen. 😀
    Dein Tipp ist natürlich nicht schlecht… andererseits habe ich viele schlechte Bücher gelesen! *naughty*

  14. 'Pingback: Fünf Bücher … die ich wegen ihrer Cover kaufen musste. in der Bibliotheka Phantastika

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