Zum 95. Geburtstag von Jack Vance

Bibliotheka Phantastika gratuliert Jack Vance, der heute 95 Jahre alt wird und damit der älteste noch lebende SF- und Fantasyautor sein dürfte. Man kann den am 28. August 1916 in San Francisco, Kalifornien, geborenen Jack (eigentlich John Holbrook) Vance wohl mit Fug und Recht als einen Giganten der SF bezeichnen, dessen Romane und Erzählungen weltweit eine begeisterte Leserschaft gefunden haben, und der eine Sonderstellung im Genre einnimmt. Kein anderer Autor ist so überzeugend darin, fremdartige Kulturen zu entwerfen und sie detailreich auszumalen (und sich dabei nicht nur auf Gesellschaftssysteme zu beschränken, sondern auch deren Überbau aus Literatur, Kunst und Musik mit einzubeziehen) – ein Aspekt, der zumindest Teile von Vances (nie technokratischer) SF auch für Fantasyleser und -leserinnen interessant machen sollte, von seinen richtigen Fantasyromanen und -erzählungen ganz zu schweigen.

The Dying Earth von Jack VanceSchon mit seinem ersten größeren Beitrag zur Fantasy – dem aus locker miteinander verbundenen Geschichten bestehenden Sammelband The Dying Earth (1950) – schuf Vance das gleichnamige Subgenre: Fantasy, die in einer fernen Zukunft auf einer alt und müde gewordenen Erde spielt, an deren Himmel die Sonne zu verlöschen droht und Magie die Technik längst abgelöst hat (ein Setting, das Clark Ashton Smiths Zothique Einiges verdankt). Hinzu kommen stilistische Elemente wie ein ironischer Erzählduktus und zwielichtige, häufig reinweg amoralische Protagonisten, die sich bevorzugt in gestelzt wirkenden Dialogen miteinander austauschen – Elemente, die in fast allen Werken von Vance auftauchen und zu einem Markenzeichen werden sollten.
Nachdem Vance sich einige Jahre lang der SF und dem Krimi zugewandt hatte, kehrte er mit dem Episodenroman The Eyes of the Overworld (1966), in dem die Abenteuer von Cugel the Clever – einem charismatischen, aber wiederum moralisch höchst fragwürdigen Trickster – geschildert wurden, zum ersten Mal ins Dying-Earth-Setting zurück. Auch danach sollten wieder etliche Jahre vergehen, in denen Vance vor allem SF schrieb (auch wenn einzelne Dying-Earth-Erzählungen beispielsweise im Magazine of Fantasy and Science Fiction oder Lin Carters Flashing-Swords-Anthologien erschienen, zu denen Vance als SAGA-Mitglied Beiträge beisteuerte), bis mit Cugel’s Saga (fixup 1983) und Rhialto the Marvelous (1984, wiederum ein Sammelband aus locker miteinander verknüpften, bereits zuvor veröffentlichten Stories) die bis dato letzten Geschichten vor dem Hintergrund der “sterbenden Erde” – zumindest aus seiner Feder – auf den Markt kamen. (Mit A Quest for Simbilis hatte der Autor Michael Shea bereits 1974 eine von Vance genehmigte Fortsetzung des ersten Cugel-Romans geschrieben, die den Ton des großen Vorbilds stilistisch und erzählerisch erstaunlich gut trifft. Und in der von George R.R. Martin und Gardner Dozois 2009 herausgegebenen Anthologie Songs of the Dying Earth erwiesen Stars des Genres von Neil Gaiman über Martin selbst bis hin zu Dan Simmons Vance ihre schriftstellerische Reverenz – mit teilweise beeindruckendem Ergebnis.)

In den 80ern erschien aber außerdem auch die Lyonesse Trilogy (Suldrun’s Garden (1983), The Green Pearl (1985) und Madouc (1989)), die fraglos zu den Meisterwerken der modernen Fantasy gezählt werden kann und Vance auf Suldrun's Garden von Jack Vancedem Höhepunkt seines Schaffens zeigt. Die Geschichte, die etwa zwei Generationen vor der Zeit von König Artus in den zehn Königreichen der westlich von Frankreich gelegenen – und mittlerweile längst im Atlantik versunkenen – “Älteren Inseln” spielt, wartet dabei mit allem auf, was man von Vance mittlerweile gewohnt war: politischen Intrigen, merkwürdigen Sitten und Gebräuchen, amoralischen “Helden”, bizarrer Magie, einem Wechselbalg, zweideutigen Prophezeiungen und Besuchen in von allerlei mehr oder weniger netten – oder bösartigen – Geschöpfen bewohnten Anderswelten. Wenn man diesem Panoptikum origineller Ideen und Motive eines vorwerfen könnte, dann vielleicht, dass die Geschichte ein bisschen episodenhaft wirkt, dass der große Rahmen, dem sich vor allem die epische Fantasy seit den frühen 80ern verpflichtet fühlt, von geringerer Bedeutung ist, als die einzelnen Episoden es sind. Doch dafür entschädigt die Qualität etlicher dieser Episoden wie beispielsweise die um die traurige Prinzessin Suldrun und ihren dem ersten Band seinen Titel verleihenden Garten.

Vances Sonderstellung im Genre dürfte unumstritten sein, seine Bedeutung für die SF und die Fantasy schon eher. Immerhin haben seine Dying-Earth-Geschichten über die o.e. Bücher hinaus auch Autoren wie Gene Wolfe (in seinem Book of the New Sun) oder Matthew Hughes (sein Archonate Universe) beeinflusst – und abgesehen von Letzterem ist bis heute kein Autor, der wirklich in seine Fußstapfen treten könnte, in Sicht.
Was Veröffentlichungen in deutscher Sprache angeht, dürfte Jack Vance zu den meist- und am vollständigsten übersetzten SF- und Fantasyautoren überhaupt gehören; selbst seine Autobiographie This is me, Jack Vance! (2009) hat es (wenn auch bisher nur in einer kleinauflagigen Liebhaberausgabe) nach Deutschland geschafft. Als Schlusswort in diesem Geburtstagsgruß für den großen alten Mann der SF & Fantasy eignet sich vielleicht am besten, was Hanns Kneifel – seinerseits ein erfolgreicher Autor von SF-, Fantasy- und historischen Romanen – einst in einem Interview über seinen berühmten Kollegen gesagt hat: “Ich bin ein leidenschaftlicher Jack-Vance-Fan. Seine Protagonisten sind mir zwar manchmal ein wenig zu indifferent – obwohl sie alles können und am Schluss auch überleben, wie es sich gehört –, aber der Mann hat wahrlich Phantasie und vor allem eine hervorragende Disziplin, mit ihr umzugehen. Er zeichnet kühne, in sich stimmige Bilder, er verweilt selten länger darin, und er ist auf jeder zweiten Seite für eine Überraschung gut – und wer kann das sonst?”

3 Kommentare zu Zum 95. Geburtstag von Jack Vance

  1. wurling sagt:

    Happy Birthday Jack Vance! Und danke für viele schöne Stunden mit Cugel & Co.. Und hoffentlich schafft es Andreas Irle irgendwann die Lyonesse-Trilogie in seiner Edition unterzubringen.

  2. Colophonius sagt:

    Ich möchte hier noch ein verspätetes “Herzlichen Glückwunsch!” loswerden. Ah, Vance! Die Lyoness-Trilogie gehört zu dem ungewöhnlich-besten, was ich je gelesen habe. Danke für dieses Lesevergnügen!
    Und ich freue mich wie ein Schneekönig, dass es für mich noch viele, viele Bücher von ihm zu entdecken gibt.

  3. Pegasus sagt:

    Auch von mir ein verspätetes “Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!”.
    Und besten Dank vor allem für “Die sterbende Erde” sowie die Lyonesse-Trilogie.

Hinterlasse einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst diese HTML Tags und Attribute nutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>