Bei meinem zweiten nostalgischen Ausflug hatte ich größere Sorgen als bei Das letzte Einhorn: Ein früheres Lieblingsbuch von einem Autor, der nach wie vor (seit mehr als 30 Jahren!) an seiner Shannara-Saga werkelt und ziemlich an Ruf eingebüßt hat. Mit seinem verstorbenen Kollegen Robert Jordan – zusammen ergeben sie so etwas wie das Dreamteam der generischen epischen Fantasy – kann Terry Brooks längst nicht mehr an Beliebtheit mithalten. Und ich war sicher, dass die Shannara-Bücher mir heute nicht mehr viel bieten würden. Unter dieser pessimistischen Prämisse hieß es also: Ran an den Schinken!
Die Elfensteine von Shannara (Terry Brooks, 1982)
Wann gelesen?
Zum ersten Mal vor ca. 20 Jahren. Und bald drauf nochmal – damals war die Zeit unendlich und das Geld knapp, da konnte man alles mehrmals lesen …
Besonderheiten?
Die Elfensteine von Shannara (Original: The Elfstones of Shannara) ist der zweite Band der ursprünglichen Shannara-Trilogie. In der Übersetzung wurden daraus drei Trilogien; es ist einer der kuriosen Fälle, in denen Bücher gedrittelt wurden (in Die Dämonen/Der Druide/Die Elfensteine … von Shannara). Allerdings gibt es auch schon seit 1986, drei Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Einzelbandes, eine Sammelausgabe, die alle drei Bände vereint (und dafür von einem mittlerweile etwas speckigen Aufkleber mit dem Text „Sonderleistung“ geadelt wird). Neue Seitenzahlen waren bei der Sonderleistung allerdings nicht mehr drin, wir haben es mit dreimal etwas über 200 Seiten zu tun.
Es reichen nur wenige, zum Verständnis nicht nötige Fäden zurück in den Vorgänger Das Schwert von Shannara (den ultimativen Tolkien-Ripoff). Und in die Zukunft reicht gar nichts, man kann Die Elfensteine also bedenkenlos als Standalone lesen.
Was hat mir damals gefallen?
Spannung und Abenteuer: Terry Brooks war vielleicht der erste Autor, der mir begegnet ist, der mit abwechselnd erzählten Handlungssträngen arbeitet. Man begleitet einerseits Wil Ohmsford, den unerfahrenen Hüter der Elfensteine, der das Mädchen Amberle, die letzte Hoffnung auf Rettung vor den einfallenden Dämonenhorden, auf ihrer Queste beschützt, andererseits verfolgt man den verheerenden Rückzugskrieg des Elfenkönigs und seiner Verbündeten. Die finsteren Verfolger, dramatischen Kämpfe und riesigen Schlachten waren eine wahre Freude.
Die Geschichte: Man mag es kaum glauben, aber Die Elfensteine haben eine sehr schöne Grundhandlung. Die Mär vom sterbenden Lebensbaum der Elfen, dessen Samenkorn zu neuem Leben erweckt werden muss, war das Richtige für eine kleine Baumfreundin. Und dann gab es da noch die Überraschung, die mich damals mit offenem Mund vor dem Buch sitzen hat lassen, wahrscheinlich mit dem ganzen Reaktionsspektrum von „Frechheit!“ bis hin zu einem zufriedenen Seufzen.
starke Einzelszenen: Neben besagter Überraschung gibt es noch einige sehr einprägsame Szenen, die mir auch heute noch eine Gänsehaut verursachen, wenn ich daran denke. Der Kampf auf der Brücke, die erste Begegnung mit dem Raffer (dem fiesesten aller Dämonen), der letzte Kampf des Elfenkönigs …
Figuren und Welt: Die Figuren haben mich beeindruckt, besonders angetan war ich von Terry Brooks’ Gandalf-Ersatz, dem Druiden Allanon. Überhaupt sind die Vier Länder ein sehr farbenprächtiges Spektakel, in dem Platz für alle möglichen Kuriositäten ist. Für mich hieß das damals, dass einem alles begegnen konnte: Gestaltwandelnde Dämonen, eiskalte Hexen, Elfen, die auf Rocs fliegen …
Und heute?
Überraschung! Die Elfensteine von Shannara geben noch immer ein feines Abenteuer ab. Für gewisse Verwunderung sorgt der gemächliche Aufbau: die erste Action kommt nach 50 Seiten (und zwar off-screen), vorher wurden die Protagonisten vorgestellt und in die Situation eingeführt. Terry Brooks bedient sich in Plot und Figuren freilich Stereotypen (die damals für die Fantasy auch noch nicht so verfestigt waren), doch er weiß, wie man damit Effekte erzielt. Originell ist daran heute fast nichts mehr, aber die klug gesetzten Details machen wett, dass keinerlei Brüche und nicht viel Subtiles auftauchen. Mein spezieller Freund Allanon ist hauptsächlich dafür zuständig, blaues Feuer aus den Fingern zu schießen und hochgeheimnisvoll zu tun, macht aber trotzdem etwas her, denn die groben Striche, die Brooks verwendet, die immer gleichen Attribute, mit denen er beschreibt, sitzen und zeichnen schnell ein deutliches Bild.
Happig wird es, wenn es an die Figurenpsychologie geht und Brooks in diesem Bereich der ebenso weitverbreiteten wie häufig grundfalschen Forderung „Show, don’t tell“ folgt: Dann kommen mitunter seitenlange, sehr bemühte Blicke ins Innenleben, die das Prädikat „nicht hilfreich“ verdient haben.
Trotz des langsamen Aufbaus (der auch erstaunlich atmosphärische Landschaftsbeschreibungen bietet) ist die Geschichte nach wie vor äußerst dynamisch: Brooks hat für Die Elfensteine die richtigen Elemente richtig zusammengesetzt; die Bilder, die die Höhepunkte markieren, funktionieren.
Spannungsszenen sind auch heute noch äußerst mitreißend, in den hochgelobten Brooks’schen Schlachtszenen dagegen: massenhaftes Dämonenschnetzeln, wenn man einen erschlägt, kommen drei neue nach, Ausfall, Rückfall, Todesfall – Beifall dafür eher nicht …
Fazit: Alte Liebe rostet (fast) nicht
Erinnerung und neuerliche Leseerfahrung klaffen gar nicht so weit auseinander. Man ist abgeklärter, aber die Kenntnis der Klischees nimmt dem Roman nicht viel von seiner Wirkung – die natürlich auch damals schon rein vordergründig war. Die Shannara-Reihe hat definitiv einige Gurken zu bieten, Die Elfensteine gehören nicht dazu. Wenn man bei der sorgsam aufbauenden Erzählweise nicht ungeduldig wird, wartet ein klassisches Abenteuer, das man am Ende nach einer schönen, runden und letztendlich doch nicht ganz unoriginellen Geschichte zuklappt.
Hey, klasse Artikel. Ich habe in letzter Zeit (2-3 Jahre) auch einige Rereads solcher Jungendlieben(sünden)gemacht. Die ersten Bände der Midkemiasaga kann ich immer wieder lesen, ohne dass sie gelitten hätte (die erste Liebe eben). Auch Drizzt hat mich sofort wieder gepackt, obwohl ich dachte, dass es mir nicht mehr gefallen würde. Mein jüngstes Leseerlebnis war etwas durchwachsener. Die Drachenlanze hat ich irgendwie besser in Erinnerung. Die Lektüre war immer noch in Ordnung, doch hier traten die Defizite (flache Figuren, platte und klischeehafte Handlung) stark hervor. Terry Brooks kommt auch noch dran.
Großes Lob für die vielen guten Artikel seit dem Reboot. Meine Stimme für den DPP habt ihr.
Gruß Markus
Vielen Dank für das konkrete und allgemeine Lob, das freut mich sehr 🙂
“Drachenlanze” steht bei mir auch noch auf dem Plan, wenn ich mich mal rantraue. Aber da fürchte ich ernsthaft, dass es mir ähnlich gehen wird wie dir, ich brauche nur drüber nachzudenken, dann weiß ich schon, dass es keine sonderlich ausgegorenen Romane sind. Ich finde es trotzdem interessant, dass einem diese Dinge (die flachen Figuren und so) so im Gedächtnis haften bleiben. Irgendwas muss es dann ja doch haben, oder wäre das bei jedem beliebigen Buch passiert? Aber dem nachzugehen macht die Rereads so interessant, auch wenn vielleicht mal eine Enttäuschung rauskommt.
Zur Drachenlanze kommen ja demnächst die Hörspiele raus. Deswegen habe ich da mein Wiederlesen abgebrochen.
Ach ja, die Shannara-Bücher. Ich fand sie damals bis zu einem gewissen Grad auch sehr unterhaltsam und war regelrecht schockiert, als Allanon irgendwann seinem Schicksal nicht entrinnen konnte. Selbst das HdR-Plagiat der ersten Trilogie fand ich gar nicht so übel. Selbst bei einem reread vor etlichen Jahren nicht. Zur richtigen Zeit und mit leicht verklärt-nostalgischem Blick kann das wirklich Spaß machen … und gäbe es mal eine wirklich schön aufgemachte Ausgabe der Shannara-Bücher würde ich warhscheinlich zuschlagen. Naja, vielleicht werde ich aber auch nur langsam alt. *g*
'Pingback: Zum 70. Geburtstag von Terry Brooks in der Bibliotheka Phantastika
Es hat ein wenig gedauert, aber aufgrund der nahenden Verfilmung habe ich jetzt die englische Fassung angefangen. Nach 150 Seiten bin ich bisher begeistert. Vor allem Brooks einfacher aber eleganter Stil gefällt mir. “der auch erstaunlich atmosphärische Landschaftsbeschreibungen bietet” Das trifft es ganz gut, atomosphärisch dichte Beschreibungen ohne ins blumige abzuschweifen. Effizient aber schön.
Oh, toll, dass du es noch zur Hand genommen hast. Ich habe für den Band immer noch einen soft spot (und der drauffolgende ist auch nicht ganz schlecht, finde ich).
Bin gespannt, wie sich der Stoff in der Verfilmung macht (für mich ist es halt eher Film- als Serienstoff, aber man wird sehen).