Bibliotheka Phantastika erinnert an Hugh Cook, der heute 55 Jahre alt geworden wäre. Wenn man dem am 09.08.1956 in Essex, England, geborenen Hugh Walter Gilbert Cook eines nicht vorwerfen kann, sind das mangelnde Ambitionen. Schließlich war The Wizards and the Warriors (1986) nur der Auftakt zu den auf 20 Bände angelegten Chronicles of an Age of Darkness, auf die die ebenfalls 20-bändigen Chronicles of an Age of Wrath folgen sollten – an die sich wiederum die (Überraschung!) 20-bändigen Chronicles of an Age of Heroes anschließen sollten. Ein in jeder Hinsicht ebenso gigantisches wie ambitioniertes Konzept (vor allem, wenn man bedenkt, dass es Mitte der 80er Jahre entwickelt wurde – also zu einem Zeitpunkt, da vielbändige Epen noch kein Fantasy-Standard waren), das allerdings nach zehn Bänden (mit den Titeln The Wordsmiths and the Warguild (1987), The Women and the Warlords (1987), The Walrus and the Warwolf (1988), The Wicked and the Witless (1989), The Wishstone and the Wonderworkers (1990), The Wazir and the Witch (1990), The Werewolf and the Wormlord (1991), The Worshippers and the Way (1992) und The Witchlord and the Weaponmaster (1992) – faszinierend, oder?) aufgrund sinkender Verkaufszahlen ein rasches und so betrachtet unrühmliches Ende fand.
Was vermutlich damit zu tun hat, dass Cook in den Chronicles sowohl erzählerisch wie konzeptionell neue Wege ging. Denn die einzelnen Bände erzählen keine chronologisch fortlaufende Geschichte, und es gibt auch keine durchgängig auftretenden Hauptfiguren. Statt dessen ist jeder Band für sich allein lesbar, Handlungszeiträume und -orte überlappen sich, Hauptfiguren werden zu Nebenfiguren und umgekehrt. Noch ungewöhnlicher ist allerdings, dass die einzelnen Romane sich auch stilistisch deutlich voneinander unterscheiden. So folgt auf den noch recht tolkienesken Band I ein ziemlich derb erzählter Entwicklungsroman mit einem alles andere als kompetenten “Helden”, auf diesen wiederum ein düsterer Roman aus der Sicht einer Erzählerin in einer zutiefst frauenfeindlichen Gesellschaft, Band IV ist dann ein umfangreicher, abenteuerlicher Schelmenroman und in Band V werden schließlich erstmals Handlungsfäden enger verknüpft und gewisse Hintergründe deutlicher.
Man kann mit einer gewissen Berechtigung sagen, dass Cook in seinen Chronicles viele Entwicklungen der modernen Fantasy vorweggenommen hat und vielleicht einfach nur ein bisschen zu früh dran war, um mit seinem Konzept Erfolg zu haben: die nicht rein chronologische Erzählweise verwendet beispielsweise Steven Erikson in seinem Malazan Book of the Fallen, während der Effekt, dass die Handlungen bestimmter Figuren durch die Verwendung eines anderen personalen Erzählers in einem gänzlich anderen Licht erscheinen, von George R.R. Martin in seinem Epos A Song of Ice and Fire gerne und ausgiebig genutzt wird – und das unangenehme Gefühl, das sich bei manchen Lesern und Leserinnen bei der Lektüre von The Women and the Warlords einstellen könnte, dürfte sich nicht allzu sehr von dem unterscheiden, das R. Scott Bakkers The Prince of Nothing bei ihnen hervorrufen mag. Zumindest ist diese Betrachtungsweise angenehmer als die, dass die Chronicles einfach zu experimentell waren und die Fantasy schlicht keinen geeigneten Rahmen für Experimente aller Art bildet.
Auch nach dem (kommerziellen) Scheitern seiner ambitionierten Chronicles hat Cook noch etliche Romane verfasst (die allerdings größtenteils nur noch via lulu.com oder online veröffentlicht wurden), was beweist, dass sein kreativer Wille ungebrochen war. Von daher wäre es zweifellos interessant gewesen, die weitere Entwicklung dieses Autors zu verfolgen – und vielleicht hätten aufgrund der inzwischen deutlich veränderten Marktsituation auch die Chronicles noch einmal eine Chance bekommen. Doch das Schicksal hatte anscheinend andere Pläne mit ihm, denn am 08. November 2008 ist er nach langer Gegenwehr einer im Jahre 2005 ausgebrochenen Krebs-Erkrankung erlegen. Was bleibt, ist ein nur theoretisch unvollendeter Fantasyzyklus, der trotz unbestrittener Qualitätsschwankungen in mehrfacher Hinsicht zu den interessanteren Werken des Genres gezählt werden muss. Oder, um es mit China Miéville zu sagen: “Hugh Cook was one of the most inventive, witty, unflinching, serious, humane and criminally underrated writers in imaginative fiction. Or anywhere.”
Die ersten drei Bände der Chronicles wurden – unter dem Reihentitel Chronik des Dunklen Zeitalters – auch ins Deutsche übersetzt, wobei The Wordsmiths and the Warguild gesplittet wurde (was merkwürdig ist, da ausgerechnet dieser Band der dünnste der drei Originalbände ist). Allerdings wirken die deutschen Titel (Der Todesstein, Held wider Willen, Toguras Rückkehr und Die Traumdeuterin (alle 1998)) verglichen mit denen der Originale reichlich generisch, fad und einfallslos.
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