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Steven Erikson
Steven Erikson (c) Fazal Majid

Heute kann Steven Erikson seinen 55. Geburtstag feiern, was normalerweise als Anlass zu einem kleinen oder nicht ganz so kleinen Beitrag in diesem Blog dienen würde. Und gewiss hätte der Mann, der am 07. Oktober 1959 als Steve Rune Lundin in Toronto, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Ontario, geboren wurde und unter dem o.g. Pseudonym mit dem Malazan Book of the Fallen einen der beeindruckendsten und interessantesten Zyklen der modernen Fantasy geschaffen hat, einen solchen Beitrag mehr verdient als so manche/r seiner Kolleginnen und Kollegen, derer wir uns in den letzten Jahren angenommen haben. Hinzu kommt, dass ich als Übersetzer für die deutsche Version des MBotF – sprich: für Das Spiel der Götter – verantwortlich bin und eigentlich prädestiniert sein sollte, einen entsprechenden Text zu verfassen. Das ist zumindest die Theorie.
In der Praxis sieht das allerdings ein bisschen anders aus. Denn während sonst eines meiner Hauptprobleme häufig darin besteht, dass ich etliche der Romane und Geschichten, um die es im jeweiligen Beitrag geht, vor vielen Jahren gelesen habe, so dass ich mich nur noch vage (und manchmal auch sehr selektiv) an Inhalte und Handlung erinnern kann (weswegen ich im Idealfall kurz reinlese, um vielleicht etwas von dem damals empfundenen Lesegefühl wiederzuentdecken – nicht immer mit Erfolg), ist in diesem Fall das Problem die Fülle des Materials (und die Nähe, die ich logischerweise zu den Texten habe). Immerhin sprechen wir von einem aus zehn dicken Bänden bestehenden Zyklus, der Jahrhunderttausende umspannt und eine ganze Welt zum Schauplatz hat (plus gelegentlicher Ausflüge in andere Sphären). In dem aberhundert Figuren auftreten und in dem es um große Schlachten und welterschütternde Geschehnisse geht, um einsame Entscheidungen und schicksalhafte Wendungen, um Krieg, Leid und Verlust. Und in dem trotz allem immer wieder Platz für ein Lachen ist, und für viele kleine Begebenheiten voller Wärme und menschlichem Mitgefühl.
An manchen Tagen wäre es gewiss möglich, die Essenz all dessen, was Das Spiel der Götter ausmacht, in prägnante Worte zu fassen, die dem großen Ganzen ebenso gerecht werden wie all den kleinen (oder etwas größeren) erschütternden, traurigen, schrecklichen, humorvollen, ermutigenden und hoffnungsvollen Szenen. Doch heute ist kein solcher Tag. Da ich aber gerade bei einem Autor, dessen Werk mir von Anfang an gefallen hat und das ich im Laufe von etlichen tausend übersetzten Seiten sogar noch viel mehr zu schätzen gelernt habe, keinen Text abliefern will, mit dem ich nur halb zufrieden bin (das will ich nie, aber manchmal geht es eben nicht anders), wird eine etwas ausführlichere Würdigung des Malazan Book of the Fallen irgendwann in der Zukunft – vermutlich im Rahmen eines Portraits – erfolgen. Hier und heute gibt es nur noch eins zu sagen: “Happy Birthday, Steven! It’s still a hell of a ride!”

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Katharine Kerr, die heute 70 Jahre alt wird. Auch wenn die am 03. Oktober 1944 in Cleveland, Ohio, geborene Katharine Nancy Brahtin nie Romane für eines der entsprechenden Franchise-Universen geschrieben hat, verdankt sie ihr Interesse an Fantasy, das sie zu einer zeitweise Daggerspell von Katharine Kerrsehr erfolgreichen Autorin gemacht hat, dem Fantasy-Rollenspiel (und den Namen, unter dem sie ihre Romane veröffentlicht, ihrem Mann Howard Kerr, den sie 1973 geheiratet hat). Denn ein solches schenkte ihr ein Freund 1979 und öffnete damit eine Tür, die zunächst zum Spielen und einer generellen Beschäftigung mit Fantasy führte, dann zu Artikeln für verschiedene Spielemagazine und zur redaktionellen Mitarbeit am Dragon Magazine, und schließlich zu Spielmodulen für TSR und Chaosium.
Doch eigentlich wollte Katharine Kerr Geschichten erzählen, und so ist es kein Wunder, dass sie irgendwann – oder, genauer: im Februar 1982 – damit angefangen hat. Und es sollte anfangs auch nur eine Erzählung werden, die in einer keltisch geprägten Fantasywelt spielt (ein in den frühen 80er Jahren keineswegs weitverbreitetes oder gar ausgelutschtes Setting); allerdings hatte Katharine Kerr nicht mit der kreativen Woge gerechnet, die sie förmlich überschwemmt haben muss, denn binnen eines Jahres entwarf und strukturierte sie den größten Teil der Handlung der ersten sechs Bände des Zyklus, der sie bekannt und vor allem in den 90ern berühmt machen sollte: des Deverry Cycle.
Die Grundidee des Zyklus ist schlicht: ein gallischer Stamm ist dereinst vor der römischen Herrschaft mit Hilfe eines mächtigen magischen Wesens auf eine Parallelwelt namens Annwn geflohen und hat dort das Königreich Deverry gegründet. An der Spitze der feudalistischen Struktur steht ein High King – und auf den Ebenen darunter gibt es jede Menge Streitereien und Intrigen. Außerdem gibt es weitere Völker auf Annwn, die entweder schon immer dort gelebt haben – wie etwa das Westfolk (spitzohrige nomadische Pferdehirten, die auch Elves genannt werden), das Mountain Folk (Zwerge) oder die Horsekin (große haarige Menschen, die ein besonders empathisches Verhältnis zu Tieren haben) – oder ebenfalls ursprünglich aus unserer Welt stammen, wie vermutlich die Bardekians (dunkelhäutige Menschen, die in einem Äquivalent antiker Stadtstaaten leben); und es gibt die geisterhaften Guardians. Was den Zyklus allerdings zu etwas Besonderem macht, ist seine Erzählstruktur, denn die Geschichte des Königreichs Deverry und seiner Bewohner, die in Daggerspell (1986, rev. 1993) beginnt und mit Darkspell (1987, rev. 1993), The Bristling Wood (1989; auch als Dawnspell (1989) bzw. Dawnspell: The Bristling Wood (1990)) und The Dragon Revenant (1990, auch als Dragonspell: The Southern Sea (1990)) fortgeführt wird, wird nicht linear erzählt. Stattdessen gibt es mehrere, zeitlich Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte voneinander getrennte Plotlinien, in der die Hauptfiguren in verschiedenen Inkarnationen ihre Abenteuer erleben. Das erzeugt einerseits eine selten gesehene Komplexität und liefert andererseits interessante Einblicke in Charakterentwicklungen; darüberhinaus wird durch die teilweise nur wenige Seiten voneinander getrennten Erzählebenen klar erkennbar, dass fast alles, was in der Gegenwart geschieht, seine Wurzeln in Taten und Entscheidungen in der Vergangenheit hat.
ATime of Exile von Katharine KerrUrsprünglich sollte der Deverry Cycle aus drei Teilzyklen mit jeweils vier Bänden bestehen. Die zentrale Figur der ersten vier Bände (sprich: des Teilzyklus The Deverry Saga) ist der Magier Nevyn, der nicht sterben kann, solange er seinen Eid nicht erfüllt hat, das von ihm in einer früheren Inkarnation verschuldete Unrecht wiedergutzumachen. Im zweiten Teilzyklus – der aus den Bänden A Time of Exile (1991), A Time of Omens (1992), Days of Blood and Fire (1993; auch als A Time of War: Days of Blood and Fire (1993)) und Days of Air and Darkness (1994; auch als A Time of Justice (1994)) bestehenden Westlands Saga – ist es der bereits zuvor prominent aufgetretene Rhodry, der sich ins Exil und auf die Suche nach einem Drachen begibt. Der dritte Teilzyklus – The Dragon Mage – besteht nur aus drei Romanen (The Red Wyvern (1997), The Black Raven (1999) und The Fire Dragon (2000)), denn aus dem ursprünglich geplanten vierten Band wurde ein weiterer Teilzyklus mit dem Titel The Silver Wyrm, dessen vier Bände The Gold Falcon (2006), The Spirit Stone (2007), The Shadow Isle (2008) und The Silver Mage (2009) die Geschichte(n) um das Königreich von Deverry, seine Bewohner, seine Freunde und seine Feinde zum Abschluss bringen.
Die ersten elf Bände des Zyklus sind unter dem Obertitel Die Chroniken von Deverry auch auf Deutsch erschienen. Dass die aus den Einzeltiteln Der Wanderer von Deverry (1998), Die Ausgestoßen von Deverry,The Silver Mage von Katherine Kerr Dämmerung über Deverry, Der Magier von Deverry, Zeit der Verbannung, Zeit der Omen, Zeit des Dunkels (alle 1999), Zeit des Feuers, Der rote Drache, Der schwarze Rabe (alle 2000) und Die Feuerechse (2001) bestehende Geschichte nicht weiter übersetzt wurde, hat viel damit zu tun, dass Katharine Kerr gesundheitliche Probleme hatte und Band zwölf erst sechs Jahre nach Band elf vorlegen konnte. Zu diesem Zeitpunkt war die ein paar Jahre zuvor durchaus enthusiastisch gestartete Fantasyschiene des deutschen Verlags, der die ersten elf Bände veröffentlicht hatte, allerdings schon lange Vergangenheit. Was für rein deutschsprachige Leser und Leserinnen mehr als bedauerlich ist, denn so haben sie keine Chance zu erfahren, wie Katharine Kerr ihren umfangreichen komplexen Zyklus – der ihr allerdings erzählerisch nie aus dem Ruder gelaufen ist – zum Abschluss gebracht hat.
Parallel zum Deverry Cycle hat Katharine Kerr noch ein bisschen SF verfasst; mittlerweile schreibt sie fast ausschließlich Urban Fantasy.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Elizabeth E. Wein, die heute 50 Jahre alt wird. Die am 02. Oktober 1964 in New York City geborene Elizabeth Eve Wein machte in der Fantasyszene erstmals 1993 mit ihrem Jugendbuch The Winter Prince – einer etwas anderen Artus-Geschichte – von sich reden. In ihrem Mittelpunkt steht nicht Artos (aka Artus), sondern Medraut (aka Mordred), der Sohn, den The Winter Prince von Elizabeth E. WeinArtos mit seiner Halbschwester Morgause gezeugt hat. Und besagter Medraut ist in diesem Fall nicht der altbekannte Schurke, der das glorreiche Camlan (aka Camelot) zu Fall bringt, sondern ein hochbegabter, weitgereister junger Mann, der unter dem Makel seiner inzestuösen Abstammung leidet, die es ihm trotz all seiner staatsmännischen und kämpferischen Fähigkeiten unmöglich macht, jemals High King zu werden.
Stattdessen soll er seinen jüngeren Halbbruder Lleu, den rechtmäßigen Thronerben, anleiten und ihm etwas von seinen Fähigkeiten vermitteln. Ein Auftrag, der von König Artos selbst kommt – und der Medraut in eine schwierige Zwickmühle bringt, denn er weiß, dass er einen viel besseren High King abgeben würde als Lleu, dessen Naivität und sorglosen Umgang mit der Macht ihn ebenso empört, wie er seinen Halbbruder um Artos’ Zuneigung beneidet. Kein Wunder, dass Morgause, die selbst die Macht erringen will, schon bald versucht, das nicht ganz einfache Verhältnis der Brüder für ihre Zwecke auszunutzen, was Medraut mehrfach vor schwierige Entscheidungen stellt – und er weiß nie, ob er wirklich die richtige getroffen hat …
Der Medraut, den Elizabeth E. Wein in diesem auch auf Deutsch als Der Winterprinz (1995) erschienenen Roman beschreibt, ist eine überaus interessante, vielschichtige Figur mit nicht nur positiven Eigenschaften, ein junger Mann, der sich immer wieder zwischen seinem Verantwortungsgefühl und seiner Eifersucht hin und her gerissen fühlt, und der um Entscheidungen förmlich ringt. Eingebettet ist diese Geschichte in ein interessant gezeichnetes, von Camlan aus regiertes Britannien, in dem man um das Erbe der Römer weiß und u.a. diplomatische Beziehungen zum nordafrikanischen Reich von Aksum unterhält. Was alles in allem The Winter Prince zu einem Fantasy-Jugendbuch macht, das man auch als Erwachsener noch mit Vergnügen lesen kann.
Zehn Jahre später hat Elizabeth E. Wein mit A Coalition of Lions (2003) eine erste Quasi-Fortsetzung verfasst, in der Goewin, die Zwillingsschwester von Lleu, die aus bestimmten Gründen aus Britannien fliehen muss, die Hauptrolle spielt. Sie flieht nach Aksum – in jenes Königreich, in dem Medraut inzwischen lebt und einen Sohn mit einer aksumitischen Adligen hat; besagter Sohn – Telemakos – wird dann seinerseits zur Hauptfigur der nächsten drei Romane, angefangen mit Sunbird (2004) und fortgesetzt mit dem aus den Bänden The Lion Hunter (2007) und The Empty Kingdom (2008) bestehenden Zweiteiler The Mark of Solomon. Wenn die genannten vier Romane auch nur annähernd die Qualitäten von The Winter Prince aufweisen, kann man es nur bedauern, dass sich niemals ein deutscher Verlag dieser wirklich originellen Artus-Geschichte (die sich zugegebenermaßen in den Folgebänden nicht nur von Artus, sondern auch von Britannien entfernt) zur Gänze angenommen hat.
Elizabeth E. Wein selbst scheint sich – zumindest im Moment – von der Fantasy abgewandt zu haben; sie schreibt inzwischen Romane über jugendliche Pilotinnen im Zweiten Weltkrieg.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Paul Park, der heute 60 Jahre alt wird. Der am 01. Oktober 1954 in North Adams im US-Bundesstaat Massachusetts geborene Paul Claiborne Park gehört zu den SF- und Fantasyautoren, deren Werke thematisch und erzählerisch immer ein wenig abseits des Genremainstreams angesiedelt waren, so dass sie zwar häufig von der Kritik sowie seinen Kollegen und Kolleginnen gelobt, jedoch selten zu Publikumserfolgen wurden.
Park begann – nach einem unveröffentlicht gebliebenen theologischen Krimi – in den 80er Jahren SF zu schreiben, und bereits sein Erstling Soldiers of Paradise (1987) erwies sich als literarisch und erzählerisch anspruchsvoller Einstieg in ein viele Jahrtausende in der Zukunft liegendes Dying-Earth-Szenario, das in den Fortsetzungen Sugar Rain (1989) und The Cult of Loving Kindness (1991) noch weiter ausgestaltet wurde. In der als Starbridge Chronicles bezeichneten Trilogie mischt Park die in einem derartigen Szenario häufig auftauchenden Motive wie den Mangel an Metallen, das Nebeneinander von Hochtechnologie und primitiven Mitteln oder auch von Menschen und menschenähnlichen Wesen mit für die Handlung zentralen religiösen Fragen und einer Endzeitthematik, die viel mit den generationenlangen Jahreszeiten (und den mit dem Wechsel der Jahreszeiten einhergehenden, keineswegs nur klimatischen Veränderungen) zu tun hat. Vor allem aber beschreibt er das Setting und das Geschehen in einer fast schon barock zu nennenden, überaus bildhaften und nicht immer leicht zu lesenden Sprache. Die Bilder, die er dabei entwirft, wurden nicht zuletzt durch mehrere lange Auslandsaufenthalte in Asien und Afrika beeinflusst, was dem Setting einen zusätzlichen exotischen Touch verleiht.
Verglichen mit der Sprachgewalt der Starbridge Chronicles ist Coelestis (1993, auch als Celestis (1995); dt. Coelestis (1996)) deutlich zurückgenommen erzählt. Die Geschichte eines irdischen Verwaltungsbeamten, der auf einem heruntergekommenen Kolonialplaneten gestrandet ist und sich in eine Eingeborene verliebt, die alles tut, um einer Menschenfrau so ähnlich wie möglich zu werden, endet auf vorhersehbare Weise tragisch (wie so ziemlich alle derartigen Liebesgeschichten) und lässt sich darüberhinaus als kritischer Kommentar zum Kolonialismus bzw. dessen Folgen lesen.
In den anschließenden zwölf Jahren erschienen mit The Gospel of Corax (1996; dt. Das Evangelium des Corax (2000)) und Three Marys (2003) nur A Princenss of Roumania von Paul Parkzwei historische Romane mit leichten phantastischen Untertönen, sowie die Kurzgeschichtensammlung If Lions Could Speak (2002) und die längere Erzählung No Traveller Returns (2004), ehe sich Paul Park mit A Princess of Roumania (2005) erstmals so richtig der Fantasy zuwandte (auch wenn es in den Starbridge Chronicles Passagen gibt, die sich in einem Fantasyroman keineswegs falsch anfühlen würden).
Obwohl – “so richtig” hat er sich der Fantasy dann auch wieder nicht zugewandt, denn die vierbändige Sequenz, die wie ihr Auftaktband A Princess of Roumania betitelt ist und mit den Romanen The Tourmaline (2006), The White Tyger (2007) und The Hidden World (2008) fortgesetzt wurde, bietet ein Setting, das alles andere als Standardfantasykost ist: In A Princess of Roumania verdankt “unsere” Welt nämlich ihr Dasein einzig und allein einem magischen Buch, und sie wurde nur geschaffen, um als Zufluchtsort für Miranda Popescu – die titelgebende Princess of Roumania – zu dienen, denn Miranda ist möglicherweise der lange prophezeite White Tyger, der Great Roumania wieder in glanzvolle Zeiten führen könnte. Great Roumania? Ja, in der Welt, aus der Miranda eigentlich stammt, ist Great Roumania eine beeindruckende europäische Großmacht, deren königliche Familie (zu der auch Miranda zählt) ihre Abstammung auf König Jesus und dessen Königin Maria Magdalena zurückführen kann. Aber in Great Roumania lebt auch Baroness Nicola Ceausescu, eine erklärte Feindin von Mirandas Eltern, die ihr Land am liebsten selbst wieder zu alter Größe führen würde. Und in der alternativen Welt gibt es nicht nur Magie und Menschen, die sich ihrer bedienen, sondern noch viele andere Dinge, die ganz anders sind als in unserer Welt. Das wird rasch deutlich, als Nicola Ceausescu das magische Buch zerstört, in dem unsere Welt beschrieben ist, und Miranda – begleitet von zwei Menschen, die mehr sind als sie zu sein scheinen – in ihre Heimatwelt zurückfällt und wir sie dabei begleiten, wie sie ihre Heimat kennenlernt und gleichzeitig versucht, sich in den politschen Intrigen und geopolitischen Machtspielchen zu behaupten bzw. sie zunächst mal zu überleben. A Princess of Roumania bietet wohl einen der bizarrsten Alternativweltentwürfe der modernen Fantasy (so sind z.B. die britischen Inseln durch ein Erdbeben im Meer versunken, während Afrika technologisch dem sich etwa an der Schwelle zum 20. Jahrhundert befindlichen Europa weit überlegen ist) sowie ein paar ebenso merkwürdige wie originelle Figuren, und selbst Nicola Ceausescu ist weit mehr als einfach nur eine machtbesessene Frau, die über Leichen geht, um ihr Ziel zu erreichen (auch wenn sie das tatsächlich tut).
Seit A Princess of Roumania hat Paul Park nur noch eine längere Erzählung in Buchform veröffentlicht – Ghosts Doing the Orange Dance: The Parke Family Scrapbook Number IV (2013) –, sowie unter dem Pseudonym Paulina Claiborne mit The Rose of Sarifal (2012) einen Roman zum Forgotten-Realms-Universum beigesteuert. Ganz aktuell ist mit All Those Vanished Engines (2014) ein Episodenroman erschienen, der sich anscheinend wieder der Alternativweltthematik (dieses Mal mit Mitteln der SF) widmet. Und der vermutlich ebensowenig übersetzt werden wird wie der größte Teil von Parks Schaffen bislang.

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Der Hexer Geralt von Rivia – dem medienaffinen Publikum vielleicht sogar besser bekannt als der Witcher – ist inzwischen ein eigenes kleines Franchise mit Comic und vor allem einer erfolgreichen Reihe von Computerspielen, aber begonnen hat alles vor mehr als zwanzig Jahren mit den Hexer-Kurzgeschichten des polnischen Autors Andrzej Sapkowski, die so manchem Geralt-Connaisseur immer noch als das Beste gelten, was man sich in Sachen Hexer zu Gemüte führen kann.
Das Schwert der Vorsehung von Andrzej SapkowskiIn den beiden Bänden Der letzte Wunsch (ISBN: 9783423209939) und Das Schwert der Vorsehung (9783423210690), die erstmals 1998 erschienen und ab 2007 bei der Veröffentlichung des PC-Spiels neu aufgelegt wurden, begleitet man Geralt auf Monsterjagd. Das eigentlich Spannende daran sind letztlich nicht die Kämpfe, auch wenn sich der rätselhafte Geralt mit einem nicht zu leugnenden Coolness-Faktor ans Werk macht, um gegen klimpernde Münze geplagten Dorfbewohnern und Herrschern mit einem Problem im Keller beizustehen.
Die Monster sind häufig Geralts geringste Sorge, und seine Aufträge führen ihn auf moralisch wackligen Boden und zwischen Fronten, bei denen jede Seite Dreck am Stecken hat und irgendjemand ganz unten in der Fresskette den Hals hinhalten darf – und das sind erstaunlich häufig die Monster. Die Feudalgesellschaft, in der sich Geralt bewegt, und die mit ihren vielen Burgen, Wäldern und Dörfchen mehr von Osteuropa als vom Standard-Fantasyland hat, bietet dafür eine hervorragende Kulisse. Man begegnet dort auch alten Bekannten, denn Sapkowski bedient sich vieler tradierter Märchenmotive, die er teilweise neu interpretiert und teilweise augenzwinkernd anspricht. Wiederkehrende liebenswerte Nebenfiguren und eine Menge witzige Interaktion lenken den Fokus der Geschichten weg von der Action und auf die Charaktere.
Die einzelnen Episoden sind anfangs locker durch eine Rahmenhandlung verbunden, haben aber natürlich schon etwas von “Monster of the Week” und leiten schließlich zur Handlung der darauf folgenden Romanreihe über, können aber im Grunde für sich stehen. Wenn man sich übrigens nur eine einzige Geralt-Geschichte anschauen möchte, lautet meine Empfehlung “Die Grenze des Möglichen” aus dem zweiten Band, die mit viel Situationskomik und einem etwas leichteren Ton als sonst das Genre der Ritter- und Drachengeschichten auf die Schippe nimmt.

Buch des Monats

Bibliotheka Phantastika gratuliert Christoph Hardebusch, der heute 40 Jahre alt wird. Dem am 24. September 1974 in Lüdenscheid geborenen Christoph Hardebusch ist etwas gelungen, von dem die meisten Autoren und Autorinnen nur träumen können, denn bereits sein Erstling Die Trolle (2006) brachte es zu Bestsellerehren. Das hat gewiss nicht zuletzt damit zu tun, dass Die Trolle zu den Tolkienvölker-Romanen zählen, jenem so ziemlich ausschließlich auf den deutschen Sprachraum begrenzten Phänomen, das im Gefolge der Herr-der-Ringe-Filme entstanden ist und erheblich zum Fantasyboom der 2000er Jahre auf dem deutschen Buchmarkt beigetragen und dafür gesorgt hat, dass deutschsprachige Autoren und Autorinnen in der Fantasy hierzulande zu einer festen Größe wurden.
Doch Hardebusch scheint darüberhinaus auch Einiges richtig gemacht zu haben; zum einen konnte er mit den Fortsetzungen Die Schlacht der Trolle (2007) und Der Zorn der Trolle (2008) den Erfolg seines Erstlings – der 2007 als bestes deutschsprachiges Romandebüt mit dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichnet wurde – wiederholen, und zum anderen gilt er seit seinen ersten drei Romanen um die Trolle als einer der “Großen Vier” der Tolkienvölker-Fantasy. Interessanterweise hat er sich nach dieser ersten Trilogie – die 2008 noch um das Abenteuer-Spielbuch Trollblut ergänzt wurde – erst einmal von der Welt der Trolle (und damit auch von der letztlich immer recht generischen Tolkienvölker-Fantasy) ab- und einem anderen Setting zugewandt – und zwar einem, das zu den originellsten Schöpfungen gehört, die die deutschsprachige Fantasy bislang hervorgebracht hat.
Sturmwelten von Christoph HardebuschDenn Sturmwelten (2008), der Auftakt der gleichnamigen Trilogie, führt die Leser und Leserinnen keineswegs in eine der typischen pseudomittelalterlichen Fantasywelten, sondern in eine Epoche, die in etwa dem ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert unserer Welt entspricht. Und man erkundet große Teile dieser Welt auf den schwankenden Planken von Segelschiffen. Natürlich gibt es in den Sturmwelten auch Magie, so dass man die mit den Bänden Sturmwelten – Unter Schwarzen Segeln (2009) und Sturmwelten – Jenseits der Drachenküste (2010) fortgesetzte Trilogie vielleicht am ehesten kurz und knapp als “Hornblower mit Magie” bezeichnen könnte (was natürlich nur denjenigen etwas nützt, die mit dem guten alten Horatio Hornblower noch etwas anfangen können). Immerhin bezeichnet Christoph Hardebusch Sturmwelten selbst als Hommage an die marinehistorischen Bücher und Serien, die er gerne gelesen hat, und diese Hommage ist ihm fraglos gelungen. Abenteuer auf hoher See mischen sich mit politischen Intrigen, es kommt zu einer Revolution, und durch den Umgang mit der Sklaverei kommt eine ernste Note in die ansonsten größtenteils mit leichter Hand erzählte Geschichte, die wir durch die Augen einer Reihe sehr unterschiedlicher Figuren – etwa Jaquento, den jungen Adligen im Exil, der zum Freibeuter wird, oder Roxane, deren Karriere in der königlichen Marine als Leutnant an Bord der Fregatte Mantikor beginnt, oder Sinao, die Sklavin, die viel mehr ist als sie zu sein scheint, oder auch Franigo, den Poeten, dessen Spottgedichte einen politischen Umsturz herbeiführen – miterleben.
Parallel zu den Bänden zwei und drei der Sturmwelten-Trilogie hat Christoph Hardebusch mit Die Werwölfe (2009) eine moderne gothic novel verfasst und mit Justifiers – Missing in Action (2010) einen Beitrag zu der von Markus Heitz initiierten Justifiers-Reihe geleistet, sowie kurz danach mit Smart Magic (2011) eine Portalfantasy im All-Age-Gewand vorgelegt, ehe er mit Der Krieg der Trolle (2012) und Die dunkle Horde (2013) wieder an seinen größten Erfolg angeknüpft hat.
Auch wenn diese Entscheidung aus vielerlei Gründen nachvollziehbar ist – immerhin wurden Die Trolle (und einige Fortsetzungen) mehrfach ins Ausland verkauft, und die ersten vier Bände der Saga gibt es auch als Hörbücher –, wäre es dennoch zu wünschen, dass Christoph Hardebusch sich vielleicht irgendwann noch einmal der Abenteuerfantasy in einem etwas weniger generischen Setting annimmt, denn dass er das kann, hat er mit der Sturmwelten-Trilogie bewiesen. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch, Christoph! Und weiterhin viel Erfolg!

Außerdem möchten wir an John Brunner erinnern, der heute 80 Jahre alt geworden wäre. Zwar war der am 24. September 1934 in Preston Crowmarsh in der südostenglischen Grafschaft Oxfordshire geborene John Kilian Houston Brunner vor allem und fast ausschließlich ein ungemein fleißiger SF-Autor, der in der besten Phase seines Schaffens mit The Whole Man (1964, auch als Telepathist (1965); dt. Der ganze Mensch (1978)), Stand on Zanzibar (1968); dt. Morgenwelt (1980)), The Jagged Orbit (1969; dt. (gek.) Morgen geht die Welt aus den Angeln, ungek. NA als Das Gottschalk-Komplott (1982), auch als Ein irrer Orbit (1993)), The Sheep Look Up (1972; dt. Schafe blicken auf (1978)) und The Shockwave Rider (1975; dt. Der Schockwellenreiter (1979)) – um nur die wichtigsten zu nennen – einige auch und gerade heute noch mehr als lesenswerte Meilensteine des Genres verfasst hat, doch Brunner hat außerdem tatsächlich ein paar mehr der Phantastik zuneigende Geschichten und sogar ein bisschen Fantasy (im engeren Sinn) geschrieben.
The Compleat Traveller in Black von John BrunnerMit ein bisschen Fantasy (im engeren Sinn) sind vier längere Erzählungen gemeint, die zwischen 1960 und 1971 in Magazinen wie Science Fantasy oder Fantastic erschienen sind und in dem Band The Traveler in Black (1971; dt. Reisender in Schwarz (1982)) gesammelt wurden. Der titelgebende Reisende in Schwarz ist ein Mann mit vielen Namen und dennoch namenlos, in eine mitternachtsschwarze Robe gekleidet und mit einem Stab aus geronnenem Licht in der Hand, der … Wünsche erfüllt. Da er allerdings über einen deutlich ausgeprägten Gerechtigkeitssinn verfügt und seine eigentliche Aufgabe darin sieht, die Mächte des ursprünglichen Chaos zu bekämpfen, werden jene, deren Wünsche er erfüllt, nicht unbedingt glücklich mit dem, was er ihnen gewährt – vor allem, wenn sie auf der Seite des Chaos stehen oder mit ihm sympathisieren.
Die fast schon barock geschilderte, sich immer wieder auf gefährliche Weise verändernde Welt, die der Reisende durchwandert, der ironische Grundton, der die Geschichten durchzieht, und last but not least die Figur des Reisenden selbst lassen ihn ein bisschen wie einen engen literarischen Verwandten von Cugel the Clever aussehen – auch wenn sein Wirken letztlich erfolgreicher ist als das des (zugegebenermaßen auch deutlich selbstsüchtigeren) von Jack Vance ersonnenen Magiers. Wer epische Abenteuer, heroische Taten und blutige Schlachten sucht, wird eher nicht fündig werden, wer sich hingegen für einen augenzwinkernden, aber dennoch ernsthaften Umgang mit existenzialistischen Fragen im Fantasygewand begeistern kann, der könnte Spaß daran haben, den Reisenden in Schwarz auf seiner Reise durch eine etwas andere Fantasywelt zu begeistern.
Die ursprünglichen vier Geschichten um den Travel(l)er in Black wurden 1979 um eine weitere Erzählung mit dem Titel “The Things That Are Gods” (erstmals in der Herbstausgabe ’79 von Asimov’s SF Adventure Magazine veröffentlicht) ergänzt; alle fünf Geschichten sind in dem Band The Compleat Traveller in Black (1986) zu finden. Und alle gleichermaßen lesenswert.

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Labyrinth: The Novelization von Jim Henson und A.C.H. SmithDie 15-jährige Sarah verbringt ihre Tage am liebsten tagträumend damit, Szenen aus ihrem Lieblingsbuch Labyrinth nachzuspielen. Sie ist schrecklich genervt von ihrer Stiefmutter, und das schlimmste von allem, sie muss den Babysitter für ihren kleinen Bruder Toby spielen. Als sie sich leichtisinnigerweise wünscht, der Goblinkönig möge Toby holen und in sein Schloss unter der Goblinstadt bringen, werden Sarahs Tagträume plötzlich zur Realität. Goblingkönig Jareth lässt Sarah 13 Stunden Zeit, um ihren Bruder wiederzubekommen, doch das Labyrinth hält viele Tücken und Tricks bereit.

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Ghost Planet von Sharon Lynn FisherDie Therapeutin Elizabeth Cole möchte ein neues Leben beginnen und verlässt daher die Erde, um auf Ardagh 1 zu arbeiten. Ardagh 1 ist ein besonderer Planet, denn dort erhält jeder menschliche Kolonist aus unerklärbaren Gründen einen “Geist” aus seiner Vergangenheit – eine eigentlich verstorbene Person, die ihrem Menschen überall hin folgt. Elizabeth kennt die Protokolle auf Ardagh 1, wonach eine Interaktion mit diesen Aliens streng untersagt ist. Doch es dauert nicht lange, bis Elizabeth feststellen muss, dass sie eine unerwartet enge Verbindung zu den Geistern hat, die ihr eigenes Leben und das ihrer Sympathisanten in Gefahr bringt.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Martha Wells, die heute ihren 50. Geburtstag feiert. Die am 1. September 1964 in Fort Worth, Texas, geborene Martha Wells zählt zu jenen Autoren und Autorinnen, die nie den ganz großen Durchbruch geschafft, aber über die Jahre hinweg viel zum Genre beigetragen haben.
Mit ihrem Debut-Roman The Element of Fire führte Martha Wells ihre Leser und Leserinnen 1993 zum ersten Mal nach Ile-Rien – ein Land, das mit seiner von Hofintrigen und Gardisten und später Opiumhöhlen, Theatern und einer pulsierenden Halbwelt geprägten Hauptstadt Vienne Frankreich an der Schwelle zur Moderne ähnelt. Während in The Element of Fire noch eine Verschwörung gegen den schwächelnden Thronerben durch die Garde der Königinmutter abzuwehren ist, bedroht in The Death of the Necromancer – dem einzigen (als Necromancer, 2008) auf Deutsch erschienen Roman von Martha Wells – echte Nekromantie die Metropole, und der Edelganove Nicholas Valiarde, der eigentlich schon genug mit der Polizei zu tun hat, wird mit seinen Gefährten aus dem Halbweltmilieu zum unwahrscheinlichen Retter der Stadt. In The Wizard Hunters (2003), The Ships of Air (2004) und The Gate of Gods (2005), die zusammen die Trilogie The Fall of Ile-Rien bilden, liegt das Schicksal des Landes in den Händen von Nicholas’ Tochter, der Stückeschreiberin Tremaine Valiarde, als geheimnisvolle Luftschiffe angreifen, die selbst mit magischen Mitteln nur mehr schlecht als recht aufzuhalten sind.
Wheel of the Infinite von Martha WellsDie Ile-Rien-Romane könnte man dem Steampunk zurechnen, wobei die aus diesem Subgenre bekannten Elemente nur sehr zurückhaltend in Szene gesetzt und eher als stimmungsvolle Kulissen genutzt werden.
Auch Martha Wells’ alleinstehende Romane zeichnen sich durch Settings aus, die ein Stück weit vom üblichen Repertoire der Fantasy entfernt sind: In City of Bones (1995) ist es eine Endzeit-Welt, in der wenige Städte sich inmitten einer lebensfeindlichen Wüstenei behaupten, in Wheel of the Infinite (1998) ist es eine spirituell geprägte Gesellschaft, deren Ahnenkult und das titelgebende Rad, das das Schicksal der Welt in sandgemalten Mustern birgt, eine asiatische Anmutung haben.
Martha Wells ist eine Autorin, die zwar stark auf ihre Protagonisten und deren Hintergründe und vergnügliche Figurenensembles setzt, aber trotzdem zu leiseren Charakteren neigt, genauso wie sie ihre Settings selten grell gestaltet, und das könnte auch der Grund sein, warum sie zu den Midlist-Autorinnen gehört, die es auf dem aktuellen Buchmarkt nicht ganz leicht haben. Da ist es umso bedauerlicher, dass sie in jüngerer Zeit auch gleich zweimal das Pech hatte, von Verlagsumstrukturierungen oder –auflösungen betroffen gewesen zu sein: Mit ihren Raksura-Romanen (The Cloud Roads (2011), The Serpent Sea (2012) und The Siren Depths (2012)), einer bunten und abenteuerlichen Fantasy-Reihe, die ganz ohne Menschen auskommt und bei Nightshade Books veröffentlicht wurde, scheint es immerhin weiterzugehen, denn gerade eben erschien The Stories of the Raksura: Volume 1. Mit ihrer vom kürzlich eingestellten Angry-Robot-Imprint Strange Chemistry veröffentlichten steampunkigen Jugendbuch-Reihe ist nach den beiden Bänden Emily and the Hollow World (2013) und Emily and the Sky World (2014) dagegen Schluss. Man kann Martha Wells nur das Beste für zukünftige Veröffentlichungen wünschen und hoffen, dass sich das Schreiben für Autorinnen ihres Kalibers auch in Zukunft noch lohnt.

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In der Wahrnehmung der Fantasyleserschaft haben “Frauenromane” es oft schwer, wie so manch eine Diskussion in unserem Forum belegt. Während an chronischer Testosteronvergiftung leidenden Helden in der Regel die Existenzberechtigung nicht abgesprochen wird, stehen eindeutig weiblich konnotierte Geschichten schnell unter Generalverdacht, zumal wenn Liebesleben und soziale Beziehungen der Protagonistinnen eine wichtige Rolle spielen: Ist das nicht alles nur seichter Kitsch um lüsterne Vampire, der bestenfalls als belächelnswerter Zeitvertreib taugt?
Grund genug für uns, als Buch des Monats September einen Roman vorzustellen, der belegt, dass es sich lohnen kann, dieses Vorurteil noch einmal zu überdenken: Sharon Shinns Summers at Castle Auburn (ISBN 978-0-441-00928-2, bisher keine deutsche Übersetzung).Summers at Castle Auburn von Sharon Shinn
Als uneheliche Tochter eines Adligen müsste die Ich-Erzählerin Coriel sich damit begnügen, dereinst ihrer Großmutter als Kräuterhexe nachzufolgen, wäre da nicht ihr Onkel Jaxon, der sie allsommerlich auf den titelgebenden Königssitz mitnimmt. Dort wird der Hofstaat von den elfengleichen Aliora umsorgt, gefügigen Sklaven, an deren Los niemand Anstoß nimmt, gelten sie doch als kaum besser als sprachbegabte Tiere. Genießt Coriel es zunächst noch unbefangen, wie alle Mädchen auf der Burg den strahlenden Kronprinzen Bryan anzuhimmeln und sich von der gebändigten Magie der Aliora aufheitern zu lassen, erkennt sie auf einer Aliorajagd, zu der Jaxon sie einlädt, zum ersten Mal, dass nicht alles ist, wie es scheint: Unter dem oberflächlichen Glanz des Hoflebens lauern Abgründe, die ihr und ihrer heißgeliebten Halbschwester Elisandra zum Verhängnis zu werden drohen.
Doch die Gefahr kommt – ganz wie die Geschichte selbst – auf leisen Sohlen daher: Schlachtengetümmel, menschenfressende Monster oder physisch herausfordernde Abenteuer sucht man hier vergebens, und wenngleich das Geschehen auf Castle Auburn nicht frei von Gewalttaten ist, treiben überwiegend nicht sie die Handlung voran, sondern die alltäglichen Interaktionen der glänzend geschilderten Charaktere und die allmähliche Erweiterung von Coriels Sicht von der einer naiven Jugendlichen zur Perspektive einer herangereiften (wenn auch vielleicht nicht von allen Lebenslügen freien) jungen Frau.
Nur ein um feenhafte Magie, Kräuterzauber und Andersweltthematik angereicherter, aber ansonsten unspektakulärer Entwicklungsroman? Ja und nein, denn von der Präsenz mehrerer unaufdringlich erzählter Liebesgeschichten, dem Schwelgen in gesellschaftlichen Anlässen und dem Gebrauch manch eines Märchenklischees sollte man sich nicht einlullen lassen. Zwischen Ballkleidauswahl und Hexenküche wird hier viel über das Scheitern von und an Erwartungen, das Abfinden mit Unerquicklichem (und den etwaigen Preis dafür, sich ihm zu verweigern), Freiheit und Unfreiheit erzählt. Selbst das scheinbar so konventionelle Ende ist auf den zweiten Blick weitaus ambivalenter und offener, als man bei flüchtiger Lektüre glauben könnte.
Wer also Lust hat, es einmal mit einem Fantasyroman abseits von Krieg, Weltrettung und vordergründiger Dramatik zu versuchen, dem sei ein Ausflug nach Castle Auburn ans Herz gelegt.

Buch des Monats