Category: Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Justina Robson, die heute 45 Jahre alt wird. Die am 11. Juni 1968 in Leeds in der damaligen Verwaltungsgrafschaft West Riding of Yorkshire in England geborene Justina Louise Alice Robson debütierte (damals noch mit Mittelinitialen) mit der Kurzgeschichte “Trésor” in der dritten Ausgabe des Magazins The Third Alternative im Sommer 1994, der sporadisch noch einige mehr folgten. So richtig Aufsehen erregte sie dann mit den vier SF-Romanen, die sie im Zwei-Jahres-Abstand von 1999 bis 2005 veröffentlichte; in Silver Screen (1999) und Mappa Mundi (2001) geht es dabei im Rahmen eines Near-Future-Szenarios um KIs und Nanotechnologie, wohingegen Natural History (2003) und Living Next Door to the God of Love (2005) in einer weit ferneren Zukunft angesiedelt sind und sich – sehr vereinfacht ausgedrückt – um das Thema Transhumanismus drehen. Nach diesen, jeweils für wichtige Genrepreise nominierten und von der Kritk hoch gelobten, von erkenntnistheoretischen und gesellschaftskritischen Denkansätzen durchzogenen Romanen mag es für einen Teil ihrer Leserschaft ein kleiner Schock gewesen sein, dass Justina Robson sich danach der Fantasy zugewandt hat.
Keeping it Real von Justina RobsonAllerdings nur ein bisschen oder, anders gesagt durch die Übernahme von fantasytypischen Motiven, Elementen und Figuren in jene Welt, die sie für ihren unter dem Obertitel Quantum Gravity laufenden, bisher fünfteiligen Zyklus um die Geheimagenten Lila Black entworfen hat. In Keeping It Real (2006; dt. Willkommen in Otopia (2007)) wird die Leserschaft nach und nach mit dieser Welt vertraut gemacht – mit Otopia, wie unsere Erde heißt, seit ein schiefgegangenes quantentechnologisches Experiment die Tore zu anderen Sphären bzw. Welten geöffnet hat und die Menschheit sich plötzlich mit Elfen, Dämonen, Geistern und anderen Wesen auseinandersetzen muss. Und damit, dass neben Cybertechnologie plötzlich auch Magie funktioniert. In dieser Welt agiert Lila Black, eine junge Frau, die bei einer Bombenexplosion schwer verletzt wurde und letztlich nur dadurch überlebt hat, dass man sie mit reichlich Cybertechnologie aufgerüstet und somit zum Cyborg gemacht hat. Was unter anderem dazu führt, dass sie sich selbst immer wieder die Frage stellt, inwieweit sie noch ein Mensch ist – oder nur noch eine (allerdings höchst effektive) Kampfmaschine. Letzteres prädestiniert sie natürlich für den Undercover-Auftrag als Leibwächterin des Rockstars Zal, einen Elf und Dissidenten, der sich der tödlichen Intrigen seiner Heimatsphäre erwehren muss. Lila ist über diesen Auftrag aus mehreren Gründen nicht glücklich, und natürlich entwickeln sich die Dinge wie man es erwarten könnte – und dann doch auch wieder nicht. In den Folgebänden Selling Out (2007; dt. Unter Strom (2008)), Going Under (2008; dt. Elfentod (2009)), Chasing the Dragon (2009) und Down to the Bone (2011) wird keineswegs nur das weitere, alles andere als unkomplizierte Verhältnis von Lila und Zal beleuchtet; ganz im Gegenteil nimmt die Erforschung der für den Menschen so fremden anderen Sphären einen immer größeren Raum ein. Was gelegentlich zu überraschenden Erkenntnissen – etwa das Wesen der Magie betreffend – führt …
Vordergründig ist Lila Black (wie die Reihe im Deutschen heißt) eine rasante und zweifellos mehr als ein bisschen trashige Mischung aus SF-, Fantasy- und Liebesroman, gespickt mit Thriller- und Horrorelementen, auf die man sich einlassen muss, wenn man Spaß an ihr haben will. Wenn man allerdings etwas genauer hinschaut, kann man unter der grellbunten, bizarren Oberfläche nicht nur Down to the Bone von Justina Robsonsauber gezeichnete, stimmige Figuren erkennen, sondern wird zudem feststellen, dass Quantum Gravity durchaus universale Fragen und Themen behandelt, denen Justina Robson sich auch schon in ihren hoch gelobten SF-Romanen – sicher intensiver und tiefgründiger – gewidmet hat, wie zum Beispiel: was macht einen Menschen aus – und wie sehr brauche ich den Anderen (oder das Andere), um mich selbst zu erkennen? Mal ganz abgesehen davon, dass der Fantasy toughe Heldinnen wie Lila Black nun wirklich nicht schaden, und dass es recht erfrischend sein kann, Elfen und Dämonen und Feen etc.pp. mal in einem wirklich “anderen” Anderswelt-Setting zu erleben.

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The Name of the Wind von Patrick RothfussBibliotheka Phantastika gratuliert Patrick Rothfuss, der heute seinen 40. Geburtstag feiert. Bekannt geworden ist dieser sarakstisch, humorvolle Autor mit dem durchschlagenden Erfolg seiner noch nicht abgeschlossenen Buchreihe The Kingkiller Chronicle (dt. Die Königsmörder Chronik).
Mit kunstvoller, teils poetischer Sprache und komplex ausgearbeiteten Charakteren fesselt die epische Erzählung die Leserschaft von der ersten Seite an und macht das Warten auf Fortsetzungen schwer. Der Autor verbrachte sieben Jahre damit sein Gesamtkunstwerk zu komplettieren, aber auch beinahe noch einmal soviel Zeit für die finale Überarbeitung der einzelnen Reihentitel. So ist der dritte und abschließende Band zwar bereits geschrieben, die Überarbeitung aber noch im Gange. Ein Erscheinungstermin für The Doors of Stone ist bisher nicht bekannt.
Parallel zu seiner Arbeit an der Kingkiller Chronicle sind außerdem zwei Geschichten in Comicform erschienen. Was hier mit dem Titel The Adventures of the Princess & Mr. Whiffle zunächst wie eine süße Geschichte für Kinder anmutet, wird allerdings schnell zum blutigen Fressen mit überraschender Wendung!

Um Mehr über diesen empfehlenswerten Autor und seine ebenso empfehlenswerten Werke zu erfahren, legen wir euch sein Autorenportrait ans Herz. Patrick Rothfuss sollte in keinem Fantasy Regal fehlen und ist mehr als einen Blick wert.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Rothfuss, und vielen Dank für eine Schar außergewöhnlich packender Figuren!

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Michael Chabon, der heute seinen 50. Geburtstag feiert. Ursprünglich hat die E-Literatur den am 24. Mai 1963 in Washington, DC, USA geborenen Chabon für sich beansprucht, auch wenn man bereits bei seinen früheren Werken aufgrund der Themenwahl erahnen konnte, dass er mit dem Genre nicht auf Kriegsfuß steht: Sein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes The Amazing Adventures of Kavalier and Clay (2000, dt. Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier und Clay (2002)) beschreibt den Werdegang zweier jüdischer Künstler in den 40er Jahren, die mit einem Superhelden-Comic Erfolge feiern.
Das Jugendbuch Summerland (2002, dt. Sommerland (2004)) ist dann bereits ein waschechtes Genre-Stück: Drei Freunde sind dazu ausersehen, den Weltenbaum vor den Machenschaften von Coyote zu retten, wozu sie in die mythenhaften Sommerlande reisen müssen – um dort mit Baseball Allianzen zu schmieden und Konflikte zu lösen. Die Verquickung von nordischer und indianischer Mythologie und den amerikanischen Tall tales mit Baseball ist wahrscheinlich eine Mischung, die besonders gut für Leser und Leserinnen aus den USA funktioniert – dort war der Roman auch ein großer Erfolg –, Summerland ist aber auch ein nostalgisch angehauchtes Fantasy-Märchen, das man mit seiner originellen Zusammenstellung von Motiven und liebenswerten Figuren gut lesen kann, wenn man Jugendbüchern nicht abgeneigt ist.
Gentlemen of the Road (2006, dt. Schurken der Landstraße (2010)) ist zwar keine Fantasy im eigentlichen Sinne, aber die beiden Abenteurer Zelikman und Amram schlagen und gaunern sich definitiv im Geiste der Sword & Sorcery durch die Kaukasus-Region im 10. Jahrhundert.
The Yiddish Policemen's Union von Michael ChabonUnd falls noch Fragen zu Chabons Verhältnis zur SF offen gewesen sein sollten, so wurden sie allerspätestens ausgeräumt, nachdem er für The Yiddish Policemen’s Union (2007, dt. Die Vereinigung jiddischer Polizisten (2008)) u.a. einen Hugo Award und einen Nebula Award erhielt. Der Krimi ist in einer Alternativwelt angesiedelt, in der sich die jüdischen Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg nicht in Israel, sondern in Alaska niederließen. Dort wird in der Jetzt-Zeit unter politischen Spannungen (unter anderem mit den Ureinwohnern) ein Mordfall in der inzwischen auf Großstadt-Größe gewachsenen jiddischen Kommune aufgeklärt.
Michael Chabon mag also eher am Rande des Genres residieren, an dem er aber völlig ohne Berührungsängste begeistert teilnimmt (nachzulesen etwa hier), und egal, ob man seine früheren (nicht phantastischen) oder späteren Werke zur Hand nimmt, wird man immer auf einen humorvollen, ideenreichen und warmherzigen Erzähler treffen.

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Manly Wade Wellman, dessen Geburtstag sich heute zum 110. Mal jährt. Der am 21. Mai 1903 in Kamundongo in Portugiesisch Westafrika (dem heutigen Angola) geborene Manly Wade Wellman zählt zu den Autoren, ohne die die Pulps – diese auf Billigpapier gedruckten, alle möglichen Genres abdeckenden, zumeist monatlich erscheinenden Magazine – gar nicht möglich gewesen wären, denn er hat lange Zeit für sie geschrieben (wie später auch für die “seriöseren” SF- und Fantasymagazine). Von daher ist es nur folgerichtig, dass seine Karriere mit “Back to the Beast” 1927 in der Novemberausgabe von Weird Tales begonnen hat, das bis Ende der 40er Jahre zu seinem Hauptabnehmer werden sollte. Doch Wellman schrieb auch für andere Magazine und verfasste beispielsweise mehrere größtenteils in Amazing erschienene Stories um den prähistorischen Helden Hok, der es in der Morgendämmerung der Menschheitsgeschichte u.a. mit Neandertalern und Höhlenmenschen zu tun bekommt und einen Abstecher nach Atlantis macht. Die formal und inhaltlich nicht sonderlich aufregenden Hok-Geschichten sind klassisches Pulpmaterial mit all seinen typischen Stärken und Schwächen und wurden erst 2010 als Buchausgabe gesammelt unter dem Titel Battle in the Dawn: The Complete Hok the Mighty wieder aufgelegt. In eine ganz ähnliche Richtung geht Sojarr of Titan (komplett in Startling Stories März 1941, Buchausgabe 1949), das man am ehesten als “Tarzan im Weltall” bezeichnen könnte.
John Thunstone von Manly Wade WellmanWeitaus interessanter waren da die Geschichten, die Wellman – teils unter dem Pseudonym Gans T. Field – in den 30er und 40er Jahren für Weird Tales schrieb, und die eine erstaunliche thematische Bandbreite aufweisen. Und in Weird Tales sind (beginnend mit “The Third Cry to Legba”, November 1943) auch die etwas mehr als ein Dutzend Stories um den okkulten Detektiv John Thunstone erschienen, die zwar einen damals weit verbreiteten und auch schon zuvor von Wellman selbst genutzten Trend aufgriffen, aber die vielleicht beste Umsetzung dieses Themas darstellen. Thunstone ist einerseits ein typischer Pulpheld – groß und kräftig, intelligent, gutaussehend und reich, dazu mit reichlich okkultem Wissen und wirksamen Waffen gegen übernatürliche Wesen ausgestattet – doch seine Gegner sind nicht nur die üblichen Geister, Werwölfe und Vampire, sondern auch die Shonokins, menschenähnliche Wesen, die behaupten, lange vor dem Auftauchen der Menschen über Nordamerika geherrscht zu haben. Und natürlich hat er wie alle Serienhelden auch einen Erzfeind: den Magier Rowley Thorne (für den dem Vernehmen nach Aleister Crowley Pate gestanden haben soll). In den 80er Jahren ist Wellman nach einer Pause von mehr als dreißig Jahren noch einmal zu John Thunstone zurückgekehrt, zunächst mit einer Story und dann mit zwei Romanen – What Dreams May Come (1983) und The School of Darkness (1985) – in denen der Detektiv mit dem modernen Phänomen der Zeitreise konfrontiert wird, ehe es zum großen Showdown mit seinem Erzfeind kommt. Sämtliche Geschichten und die beiden Romane sind vor kurzem auch in dem Sammelband The Complete John Thunstone (2012) erschienen.
Weitaus bekannter – zumindest in den USA – haben Manly Wade Wellman allerdings die Stories und später auch Romane um John the Balladeer (bzw. Silver John wegen seiner mit silbernen Saiten bespannten Gitarre) gemacht, der durch das ländliche North Caroline wandert und dabei allerlei Kreaturen begegnet, die teils der amerikanischen Folklore, teils den Pulps entsprungen sind. Dass diese Begegnungen nicht immer freundlich und friedlich verlaufen, liegt auf der Hand, doch John – eine Mischung aus Johnny Cash und Johannes dem Täufer – verfügt Who Fears The Devil von Manly Wade Wellmanüber Fähigkeiten, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, und so gelingt es ihm immer, die Konflikte auf zufriedenstellende (nicht zwangsläufig gewaltsame) Weise zu lösen. Auf die erste Silver-John-Story “O Ugly Bird!” (1951 in der Dezemberausgabe des Magazine of Fantasy & Science Fiction) folgten in den 50er und 60er Jahren noch rund dreißig weitere. Ab 1979 erschienen dann fünf Romane – The Old Gods Waken (1979), After Dark (1980), The Lost and the Lurking (1981), The Hanging Stones (1982) und The Voice of the Mountain (1984) – in denen John etwas größere Abenteuer erlebt und es u.a. mit keltischen Druiden und den bereits aus den John-Thunstone-Geschichten bekannten Shonokins zu tun bekommt. Die Stories – am vollständigsten in Who Fears the Devil? The Complete Silver John (2010) gesammelt – und Romane um John the Balladeer sind durch ihr Aufgreifen folkloristischer Motive und die Verwurzelung im ländlichen Nordamerika in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich; man könnte auch sagen, es sind Heimatromane der etwas anderen Art.
Der interessanteste von Manly Wade Wellmans gelegentlichen Abstechern in die SF dürfte der gemeinsam mit seinem Sohn Wade Wellman verfasste Episodenroman Sherlock Holmes’ War of the Worlds (1975) sein, in dem der bekannte Detektiv aus der Baker Street es mit den Wells’schen Marsianern zu tun bekommt. Und auch an der Sword & Sorcery hat Wellman sich (genau wie an nicht-phantastischen Genres) versucht: In den fünf zwischen 1977 und 1979 erschienenen Ausgaben der von Andrew J. Offutt jr. herausgegebenen Anthologiereihe Swords Against Darkness finden sich ebenso viele Geschichten um Kardios, den Harfespieler und letzten Überlebenden des versunkenen Atlantis, die zwar ganz nett sind, aber verständlich machen, wieso Wellman sich diesem Subgenre zu dessen Boomzeiten nie zugewandt hat.
In Deutschland sind von ihm nur ein paar Kurzgeschichten – u.a. auch mit Hok, John Thunstone, Silver John und Kardios – sowie zwei, drei eher uninspirierte SF-Romane und ein Horrorroman (Der Schattensee (1980), OT: The Beyonders (1977)) erschienen. Der weitaus interessantere Teil des Schaffens des am 05. April 1986 im Alter von 83 Jahren verstorbenen Manly Wade Wellman ist hingegen nie übersetzt worden.

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Avram Davidson, dessen Todestag sich heute zum 20. Mal jährt. Es ist schier unmöglich, in knapper Form diesem vielleicht quecksilbrigsten aller amerikanischen SF- und Fantasyautoren gerecht zu werden, der leicht ein Gigant des Genres hätte werden können, wenn dem nicht Marktgegebenheiten und seine eigene Persönlichkeit entgegengestanden hätten. Stattdessen ist der am 23. April 1923 in Yonkers, New York, geborene Avram James Davidson zwanzig Jahre nach seinem Tod in seiner Heimat fast vergessen. In Deutschland ist er so gut wie unbekannt, was natürlich damit zu tun hat, dass nur ein sehr kleiner Teil seines Schaffens übersetzt wurde.
Avram Davidsons Karriere begann 1954 mit der Veröffentlichung der Kurzgeschichte “My Boy Friend’s Name is Jello” im Magazine of Fantasy & Science Fiction, das in der Folgezeit nicht nur zum Hauptabnehmer seiner Stories werden sollte, sondern das er von 1962-64 auch herausgegeben hat. Die meisten seiner zahlreichen Geschichten aus den 50er und 60er Jahren neigen eher der Phantastik zu bzw. changieren zwischen Phantastik und SF; sie sind stilistisch maniriert, mal geistreich, mal launig, mal völlig überdreht, und sie widmen sich allen möglichen Themen, bedienen sich anfangs zeitgenössischer und SF-Settings, nutzen später auch Sword-&-Sorcery-, Alternativwelt- und Horrorszenarien. Or All The Seas with Oysters (1962), die erste Sammlung seiner Kurzgeschichten (zu der sich im Laufe seiner Karriere noch neun weitere gesellen sollten) vermittelt einen guten Überblick über diese Phase seines Schaffens. Seinen ersten SF-Roman schrieb Davidson in Zusammenarbeit mit Ward Moore (Joyleg, 1962), die nächsten sieben verfasste er allein, und in ihnen bewies er, dass er auch farbige Space Operas schreiben konnte. Da sich in seinen letzten SF-Romanen bereits in einen rationalen Mantel gekleidete Drachen und toltekische Götter finden, ist es nicht weiter verwunderlich, dass Davidson sich 1969 richtig der Fantasy zuwandte.
Denn in diesem Jahr erschienen die vielversprechenden Auftaktbände zweier Zyklen: Den Anfang machte der aus der gleichnamigen, bereits Mitte der 60er veröffentlichten Erzählung hervorgegangene Roman The Phoenix and the Mirror, der erste Band der Vergil Magus-Sequenz und nach einhelliger Meinung vieler Kritiker Davidsons opus magnum. Ausgehend von der Prämisse, dass The Phoenix and the Mirror von Avram Davidsondie mittelalterlichen Legenden stimmen, die aus dem Dichter Vergil (bzw. Virgil) den berühmten Magier Vergil gemacht haben, entwarf er in diesem Buch das Bild eines Römischen Imperiums, das dem entspricht, das man sich im Mittelalter von dieser Epoche gemacht hat. Vergil Magus erhält den Auftrag, einen speculum majorum (einen jungfräulichen Spiegel) zu konstruieren, der demjenigen, der als Erster hineinblickt, das zeigt, was er sich am sehnlichsten wünscht. Um diesen Auftrag zu erfüllen, bereist Vergil die mediterrane Welt, begegnet diversen Fabelwesen und erlebt allerlei Abenteuer. Der Roman hat gewisse Schwächen in der Konstruktion, besticht aber durch sein unglaublich authentisch wirkendes Setting mit wunderbar entworfenen Szenen und Sequenzen, die nicht nur in der damals zeitgenössischen Fantasy einzigartig waren, sondern für die es bis heute kaum Parallelen gibt. Der einzige echte Makel, den The Phoenix and the Mirror aufweist, besteht darin, dass man auf die Fortsetzung (die sich als Prequel entpuppen sollte) achtzehn Jahre warten musste – und dass Vergil in Averno (1987) sich in mehrfacher Hinsicht vom Vorgängerband unterscheidet.
Ebenfalls 1969 begab sich Davidson mit The Island Under the Earth in Thomas-Burnett-Swann-Land. Allerdings spielt die an die Kentauromachie angelehnte Geschichte des Kampfes zwischen Kentauren und Lapithen nicht im irdischen Thessalien, sondern auf einer anderen Welt, die in diesem Roman allerdings nur angerissen wird. Bedauerlicherweise hat man nie mehr über diese Welt erfahren (das Wenige, das man im ersten Band zu sehen bekommt, macht durchaus neugierig), denn die bereits mit Titeln versehenen und teilweise in Verlagsvorschauen auftauchenden Fortsetzungen (The Sixlimbed Folk und The Cap of Grace) hat Davidson nie geschrieben.
1971 folgte mit Peregrine: Primus der erste Band einer in einem langsam zerfallenden Römischen Imperium angesiedelten Trilogie, die mit den Mitteln des Schelmenromans die Abenteuer eines Königssohns schildert, der von einem Zauberer in sein Wappentier verwandelt wird, dessen richtige Probleme allerdings erst anfangen, als er – leider nicht ganz perfekt – zurückverwandelt wird. Konventioneller als die beiden vorgenannten Titel und mit etwas weniger beeindruckenden und authentisch wirkenden Bildern, ist Peregrine: Primus dennoch ein Roman, der deutlich über das hinausragt, was in dieser Zeit ansonsten an Fantasy veröffentlicht wurde. Auf Peregrine: Secundus (1981) mussten die Leser dann “nur” zehn Jahre warten; Peregrine: Tertius schließlich – man ahnt es bereits – ist nie erschienen.
Über die Gründe für diese Verzögerungen bzw. das Nichterscheinen etlicher Bücher kann man nur spekulieren. Auffällig ist aber, dass sich in Vergil in Averno – der für sich betrachtet als Roman durchaus funktioniert, in struktureller Hinsicht sogar besser ist als sein Vorgänger, nur dass er eben die Wunder der durch die Brille des Mittelalters beobachteten Antike gegen die düster-bedrohliche und bedrückende Stimmung in einer “industrialisierten” Stadt im Innern eines Vulkans austauscht – Anzeichen einer Bitterkeit seines Schöpfers finden lassen, die vermutlich damit zu tun hat, dass Davidson sich zu diesem Zeitpunkt bereits schwer tat, Abnehmer für seine Geschichten und Romane zu finden. Aber da befinden wir uns schon in den 80er Jahren.
The Adventures of Doctor Eszterhazy von Avram DavidsonIn den 70ern hat Davidson noch etliche Kurzgeschichten geschrieben, die auch immer noch in den entsprechenden Magazinen veröffentlicht wurden. Dazu gehören auch die Stories um den kaiserlichen Magier Dr. Engelbert Eszterhazy, der ein paar Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit einem dampfgetriebenen Gefährt über die gepflasterten Straßen der Hauptstadt des fiktiven Kaiserreichs Scythia-Pannonia-Transbalkania brettert. In The Enquiries of Doctor Eszterhazy (1975) wurden sie zu so etwas wie einem Episodenroman zusammengefasst und sind später – ergänzt um eine Handvoll Erzählungen aus den 80ern, in denen die Abenteuer des jugendlichen Eszterhazy geschildert werden – noch einmal in dem Sammelband The Adventures of Doctor Eszterhazy (1991) erschienen.
Ebenfalls bereits in den 70ern hat Davidson die ersten Geschichten veröffentlicht, in deren Mittelpunkt Jack Limekiller und seine merkwürdigen Erlebnisse in British Hidalgo – einem fiktiven, nach dem Vorbild von Britisch-Honduras (dem heutigen Belize) modellierten zentralamerikanischen Staat – stehen und zu denen Davidson durch zwei längere Aufenthalte in Britisch-Honduras Mitte und Ende der 60er Jahre inspiriert wurde. Zehn Jahre nach seinem Tod sind sie gesammelt in Limekiller! (2003) erschienen.
Kurzgeschichten hat Davidson also in den 70er Jahren noch geschrieben (und auch in den 80ern und 90ern bis kurz vor seinem Tod), aber nach 1973 nur noch einen einzigen Roman (denn Peregrine: Secundus besteht aus zwei langen Erzählungen) bzw. deren zwei, wenn man den zusammen mit seiner Ex-Frau Grania Davis verfassten Marco Polo and the Sleeping Beauty (1988) mit dazunimmt. Und bei seinen Kurzgeschichten fällt auf, dass sein zwar manirierter, aber immer präziser und kontrollierter Stil sich allmählich verändert, dass die schon immer zu findenden Abschweifungen häufiger und länger werden und ihrerseits Abschweifungen generieren, und dass die eine oder andere gute Idee unter dem Ballast der Worte mehr oder weniger verschwindet (gut zu beobachten in den o.e. Stories um Doctor Eszterhazy). Irgendwann hat Davidson diese Schwächeperiode aber überwunden und konnte in seinen letzten Lebensjahren wieder an die Qualität seiner frühen Geschichten anknüpfen.
Nur seine Romanzyklen hat er nicht mehr beendet. Das ist vor allem im Hinblick auf die Vergil Magus Sequenz bedauerlich, von der vor einigen Jahren noch ein dritter Band – der wiederum zeitlich früher als die Vorgängerbände angesiedelt ist – in einer kleinauflagigen Liebhaberedition unter dem Titel The Scarlet Fig; or Slowly Through a Land of Stone (2005) veröffentlicht wurde. Und somit bleibt das, was Avram Davidson einst als “a trinity of trilogies” geplant hatte, und für das er umfangreiche Recherchen betrieben und eine Matrix aus Querverweisen und Hintergrundmaterial geschaffen hatte, letztlich ein Fragment. Aber auch die Nichtfortsetzung von The Island Under the Earth ist bedauerlich, auch wenn der Roman an die Vergil Magus Sequenz nicht herankommt.
Es ließe sich noch viel über Avram Davidson schreiben – etwa darüber, dass es wohl nicht immer leicht war, mit ihm umzugehen; oder darüber, dass er ein unglaublich belesener Mann gewesen sein muss, der über ein beinahe enzyklopädisches Wissen verfügt hat (was man einerseits sehr schön an den Essays in Adventures in Unhistory (1993) sehen kann, in denen er sich mit den Fakten hinter diversen Legenden – u.a. über den Phoenix, Prester John oder Hyperborea – auseinandergesetzt hat, und was man z.B. in den Vergil-Romanen deutlich spürt); oder auch darüber, dass die deutschen Leser und Leserinnen nur rund zwei Dutzend Kurzgeschichten (etliche davon – vor allem frühe – in einigen Utopia-Zukunft-Storybänden) kennenlernen können, weil er als gläubiger Jude keine Rechte nach Deutschland verkaufen wollte; oder man könnte noch erwähnen, dass Davidson zu Anfang seiner Karriere auch ein erfolgreicher Krimiautor war.
Aber das alles würde diesem komplexen, am 08. Mai 1993 gut zwei Wochen nach seinem 70. Geburtstag verstorbenen Menschen und Autor, dessen Geschichten mit denen eines Jorge Luis Borges verglichen wurden, und der vermutlich auch ein Vorbild für Gene Wolfe war, noch immer nicht annähernd gerecht werden.

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Peter Jacksons Hobbit-Verfilmung ist erst kürzlich auf DVD erschienen, aber man hat dennoch den Eindruck, dass die allgemeine Begeisterung schneller nachgelassen hat als bei den Herr-der-Ringe-Filmen und anderen Franchises und Blockbustern. An den kommerziellen Erfolg der vorausgehenden Trilogie wird sie wohl schon allein aufgrund der Ausmaße anknüpfen, mit denen sie auf allen Kanälen präsent ist; der zweite und dritte Film werden es zeigen.
The Hobbit. An Unexpected JourneyEines ist jedoch bereits jetzt klar: Die allergrößte Freude, die Peter Jackson den Fans gemacht hat, ist zugleich das größte Problem der Hobbit-Verfilmung. Es gibt beim Hobbit in erster Linie mehr von Peter Jacksons Mittelerde zu sehen, eine Rückkehr zum Herr der Ringe und ein Fest von Anspielungen auf die Trilogie, die nicht nur in den direkten Verknüpfungen (etwa durch die Rahmengeschichte mit Frodo) offenbar werden. Monumentale Minen, angeschmutzte, aber edle Helden, ätherische Elbenheime, der Zwergenwitz in zwölffacher Ausführung – sie sind alle wieder da, sogar noch ein bisschen größer und glänzender als zuvor. Konnte man beim Herr der Ringe durchaus von einem Gesamtkunstwerk sprechen (ob es in allen Aspekten gelungen ist, ist eine andere Frage – aber ohne Zweifel hat die Trilogie den Fantasy-Film maßgeblich beeinflusst), brüht der Hobbit schlicht ein zweites Mal auf, was erprobt ist und beim Publikum ankommt.
Das Traurige an der Tatsache, dass Peter Jackson den Hobbit einfach als ein weiteres episches Mittelerde-Heldenstück ausgeführt hat, für das keine neue Bildsprache und Erzählweise vonnöten waren, ist die Allgegenwart seiner Interpretation, die durch den Hobbit so zementiert wurde, dass Mittelerde für Künstler nun vermutlich jahrelang verbrannte Erde sein wird.

Betrachtet man dagegen die Vielzahl an künstlerischen Interpretationen, die in der Vergangenheit allein nur der Hobbit angeregt hat, erkennt man, dass Mittelerde viel mehr hergibt als den hyperrealistischen, häufig zwischen bierernst und albern changierenden Stil von Peter Jackson.
Aber wer kann sich jetzt noch von den omnipräsenten Filmbildern freimachen? Wer eigene, neue finden (oder sich noch an die alten erinnern, die man vor den Filmen hatte)?
Ganz besonders bedauerlich ist, dass wir von Guillermo del Toros Interpretation wohl so gut wie gar nichts zu Gesicht bekommen. Vielleicht hätte sein Einfluss dem Hobbit die dringend nötige Eigenständigkeit und jene spielerisch-zauberhafte, aber auch leicht unheimliche Atmosphäre angedeihen lassen können, auf die Peter Jackson zugunsten einer realistischeren und mit aufgeblasener Dramaturgie aufgemotzten Darstellung verzichtet hat. Hellboy (vor allem der zweite Teil) und Pans Labyrinth wären auf jeden Fall Hausnummern gewesen, nach deren Beispiel man sich auch einen anderen Hobbit gut hätte vorstellen können.

So aber weiß Mittelerde eigentlich nicht mehr zu überraschen, auch nicht im Aufbau, der ohne Rücksicht auf Verluste bewährte Muster abspult. Wohl auch der Aufspaltung in drei Filme geschuldet wird nicht einmal der Versuch unternommen, die allmähliche und fast unmerkliche Steigerung vom beschaulichen Hobbitdasein über erst eher burleske bis groteske Abenteuer bis hin zur Katastrophe der epischen Schlacht nachzuzeichnen. Nicht zuletzt durch die Einführung bedrohlicher und durchaus ernstzunehmender Dauergegner in Gestalt von Azog und seinem Gefolge herrscht in Peter Jacksons Filmfassung schon früh fast durchgehend munteres Kampfgetümmel, das unabhängig vom kurzfristigen Unterhaltungsfaktor Figurenzeichnung und Gesamtaussage in sehr konventionelle Bahnen verschiebt.
Der in diese Rachefehde eingebundene Thorin ist von seiner Buchvorlage ohnehin ein gutes Stück entfernt, da es ihm weit weniger auf die Rückgewinnung des Schatzes (die ja erst die Mitnahme eines vorgeblichen Meistereinbrechers auf die Queste motiviert) als auf den patriotischen Kampf um die verlorene Heimat anzukommen scheint. Kein Wunder, dass Bilbo sich bemüßigt fühlt, einem solchen Ersatz-Aragorn seine Heldenqualitäten zu demonstrieren und sich mit seiner hochdramatischen Rettungstat einen Respekt zu verdienen, der in dieser Version von Mittelerde anscheinend nur arg stereotypen echten Kerlen gebührt. Wie Thorin aus dieser Konstellation heraus noch glaubwürdig zu seiner Erkenntnis gelangen soll, dass man das Kind des freundlichen Westens vielleicht gerade für seine unkriegerischen Seiten würdigen sollte, erschließt sich nicht ganz, und so wird zumindest in diesem ersten Teil eine potentiell differenzierte Geschichte einem recht beliebigen Actionspektakel geopfert. Dagegen können auch liebevolle Anspielungen und seelenvolle Zwergengesänge nur sehr begrenzt ankommen.

Es drängt sich (wie bei vielen Blockbustern) der Verdacht auf, das Überbemühte, das jedes Haar im Zwergenbart sichtbar macht und eine dramaturgische Formel umsetzt, die das Publikum dort abholt, wo es gerade zu eigenen Überlegungen ansetzen könnte, soll nur einen Mangel an Charme und Phantasielosigkeit übertünchen. Wo ideenreicher und risikofreudigerer visueller Zauber Mittelerde als lebendiges und vielseitiges Setting hätte vertiefen können, ist lediglich solides Handwerk herausgekommen, ebenso wie erzählerisch das gewünschte “more of the same” geliefert wurde. Was der Hobbit letztlich in keiner Form aufweist, ist eine künstlerische Vision, und damit wird Mittelerde, das in der Vergangenheit so viele zu eigenen Geschichten, Bildern und Musik inspiriert hat, zu einem Kontinent der Einfallslosigkeit.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Naomi Novik, die heute ihren 40. Geburtstag feiert. Das Standbein der am 30. April 1973 in New York City geborenen Autorin in der Fantasy hört auf den Namen Temeraire und ist ein schwarzer Drache im Dienste des Britischen Empire. In der gleichnamigen bisher auf sieben Bände angewachsenen Reihe setzen die Streitkräfte bereits in den Koalitionskriegen eine Luftwaffe ein – mit Hilfe von Drachen, die an jeweils einen Menschen besonders gebunden sind. In Temeraires Fall Temeraire von Naomi Novikist das der anfangs nicht gerade begeisterte Captain Will Laurence, und der Auftaktband His Majesty’s Dragon (2006, dt. Drachenbrut (2007)) beschreibt vor allem, wie Drache und Mensch einander kennen- und vertrauen lernen und sich in die militärische Struktur einleben, die durch die Existenz der Drachen erheblich vom historischen Vorbild abweicht, so dass z.B. auch Frauen militärische Ränge bekleiden können. Obwohl bei der recht frei behandelten Ereignisgeschichte durchaus schweres Geschütz aufgefahren wird (so muss z.B. ein napoleonischer Invasionsversuch in England zurückgeschlagen werden), prägen also nicht allein kriegerische Abenteuer den Roman, sondern auch ein guter Schuss comedy of manners. Ganz “Aubrey und Maturin mit Drachen” ist das, was Novik dabei bietet, zwar nicht, aber immerhin eine solide und vergnüglich erzählte Geschichte in einem in der Fantasy noch recht unverbrauchten Setting.
Die Fortsetzungen Throne of Jade (2006, dt. Drachenprinz (2007)), Black Powder War (2006, dt. Drachenzorn (2007)), Empire of Ivory (2007, dt. Drachenglanz (2008)), Victory of Eagles (2008, dt. Drachenwacht (2009)), Tongues of Serpents (2010, dt. Drachenflamme (2010)) und Crucible of Gold (2012, dt. Drachengold (2012)) führen in Temeraires Herkunftsland China, nach Vorderasien, Australien, Südamerika und Afrika, während Laurence und Temeraire immer wieder an historischen Schlachten teilnehmen und versuchen, eine Gleichstellung der Drachen in der britischen Gesellschaft zu erreichen.
Im August erscheint der achte Band Blood of Tyrants. Ob Temeraire der Höhenflug noch gelingt, zu dem er kurzzeitig angesetzt hat, nachdem sich Peter Jackson 2006 um die Filmrechte bemühte, bleibt abzuwarten, die Kombination aus historischen Ereignissen und von nautischen Abenteuern inspirierter Fantasy hat auf jeden Fall eine Weile für Furore gesorgt.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Larry Niven, der heute 75 Jahre alt wird. Es mag manche Leser und Leserinnen vielleicht überraschen, diesen Namen – unter dem der am 30. April 1938 in Los Angeles geborene Laurence van Cott Niven seine schriftstellerischen Arbeiten veröffentlicht – hier in diesem Zusammenhang zu lesen, steht er doch für einen Hard-SF-Autor par excellence, der mit seinen Tales of Known Space das Subgenre der future history vor allem in den 60er und frühen 70er Jahren um etliche lesenswerte Kurzgeschichten und Romane bereichert hat, doch Larry Niven hat tatsächlich auch Fantasy geschrieben – und zwar mehrfach, in sehr unterschiedlicher Auspägung.
Am interessantesten für Fantasyleser und -leserinnen ist dabei zweifellos der Ansatz, an dem sich Niven zum ersten Mal 1969 in der Story “Not Long Before the End” (in der Aprilausgabe des Magazine of Fantasy & Science Fiction) versuchte und dem er sich einige Jahre später in einem Roman ausführlicher zuwandte, unter dessen programmatischem Titel schließlich die ganze Sequenz bekannt werden sollte: The Magic Goes Away (1978; dt. Wenn der Zauber vergeht (1981)). So richtig überraschend ist es wohl nicht, dass der Hard-SF-Autor Niven sich ausgerechnet mit dem Motiv des thinning, des Verschwindens der Magie aus der Welt befasst, und noch weniger überraschend ist, wie er das Thema angeht. Denn auf Larry Nivens vorgeschichtlicher Erde wird Magie durch einen Stoff namens Mana (manchmal auch Manna) ermöglicht, und dieses Mana geht allmählich zur Neige – mit fatalen Folgen etwa hinsichtlich der Zaubersprüche, die die tektonischen Spannungen unter Atlantis im Zaum halten …
The Magic Goes Away von Larry NivenNach besagtem Roman und einer Handvoll Kurzgeschichten hat Larry Niven das Konzept zu einer Art shared world gemacht und zwei Anthologien mit Geschichten befreundeter Autoren herausgegeben – The Magic May Return (1981) und More Magic (1984) –, ohne dass dabei dem Thema etwas wesentlich Neues hinzugefügt worden wäre. Immerhin sind diese beiden Anthologien noch wesentlich lesbarer als die beiden zusammen mit seinem alten Kumpel Jerry Pournelle verfassten und unter dem Obertitel Golden Road erschienenen Romane The Burning City (2000; dt. Stadt des Feuers (2001)) und Burning Tower (2005), mit denen er nach einer langen Pause noch einmal zu diesem Setting zurückgekehrt ist.
Ebenfalls bereits 1969 hatte Hanville Svetz seinen ersten Auftritt, und zwar in der Geschichte “Get a Horse!” (in der Oktoberausgabe des Magazine of F & SF). Svetz lebt auf der Erde des 31. Jahrhunderts und ist Angestellter des Temporal Research Institute, in dessen Auftrag er diverse Zeitreisen unternimmt. Doch Zeitreisen sind für einen Hard-SF-Autor eigentlich pure Fantasy, weswegen Svetz bei seinen Reisen in die Vergangenheit – die dazu dienen, längst ausgestorbene Pflanzen und Tiere in die Zukunft zu holen – regelmäßig in Parallelwelten landet, die eindeutig der Fantasy zuzurechnen sind, was man nicht zuletzt an Fauna und Flora deutlich merkt. Nur Svetz selbst begreift nie so recht, was da eigentlich passiert.
Die größtenteils wirklich amüsanten Svetz-Geschichten wurden in dem Band The Flight of the Horse (1973; dt. Der Flug des Pferdes (1981)) gesammelt und sind auch – zusammen mit dem gleichnamigen Roman – in dem Sammelband Rainbow Mars (1999; dt. Rainbow Mars (2000)) enthalten. Allerdings erweist sich auch hier wieder, dass es nicht unbedingt eine gute Idee ist, nach vielen Jahren zu einem früher besuchten Setting zurückzukehren und dazu noch eine vielleicht für ein paar Kurzgeschichten taugliche Idee auf Romanlänge aufzublasen.
Dass Larry Niven auch vor metaphysischer Fantasy nicht zurückschreckt, hat er schließlich mit Inferno (1976; dt. Das zweite Inferno (1979) bewiesen, wiederum in Zusammenarbeit mit Jerry Pournelle. Der Roman, in dem die beiden einen amerikanischen SF-Autor auf eine us-mainstreamtaugliche Variante von Dantes Höllenreise schicken, und der der Göttlichen Komödie im Aufbau recht genau folgt – einschließlich des Jenseitsführers, bei dem es sich in diesem Fall um Benito Mussolini handelt –, funktioniert zumindest als Abenteuerroman noch ganz ordentlich, solange man sich an den immer mal wieder deutlich erkennbaren politischen Ansichten von Niven und Pournelle nicht allzu sehr stört. Zu mehr taugt er allerdings nicht. Die ebenfalls mit Jerry Pournelle geschriebene späte Fortsetzung Escape from Hell (2009) taugt allerdings noch nicht einmal dazu.
Der frühe Larry Niven hingegen ist fast immer lesbar – unabhängig davon, ob er allein oder mit einem Co-Autor schreibt und ob es sich dabei um SF oder Fantasy handelt – und zumindest The Magic Goes Away (der Roman wurde zusammen mit fast allen zur Sequenz gehörenden Kurzgeschichten Nivens noch einmal in dem Sammelband The Time of the Warlock (1984) veröffentlicht) und die Hanville-Svetz-Geschichten in The Flight of the Horse sind deutlich mehr als nur lesbar; Ersterer ist vor allem thematisch interessant, Letztere machen teilweise richtig Spaß.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Sir Terry Pratchett, der am 28. April 1948 in Beaconsfield geboren wurde und bekannt ist für seine … Moment.

Ist bekannt? Na schön.

Der Mann, der heute 65 Jahre alt wird, hat mehr als 60 Millionen Bücher verkauft und mag Orang Utans.

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Ich gebe zu, auch das ist vielleicht nichts Neues. Es ist gar nicht so einfach, einen Geburtstagstext über einen Mann zu verfassen, der sich mit nicht-von-dieser-welt-licher Phantasie, mit ewig spitzem, flachem, schwarzem, bissigem, intelligentem Humor und einem Händchen für Fußnoten in die Herzen von unzähligen Lesern und Leserinnen geschrieben hat. Er ist Protagonist einiger Sekundärwerke und wird sogar in Deutschland bisweilen feuilletonisiert. Keiner schreibt über die Welt, ihre inneren Zusammenhänge, lustig geformte Kartoffeln und das menschliche Gemüt so wie Pterry, und Galilei hätte sich an ihm die Zähne ausgebissen, denn es besteht kein Zweifel mehr: unsere Welt ist eine Scheibe.

Auch eine Werkschau würde an dieser Stelle den Rahmen etwas sprengen; die fantastilliarden-teilige Blogreihe mit kommentierter Bibliographie werden wir erst zum 70. Geburtstag starten. Was bleibt hier also noch zu sagen?

Vielleicht, dass ich persönlich Pratchett als einen Autor verehre, der mir, neben Tolkien, die Tür zur Fantasyliteratur geöffnet hat und der Grund war, sich in diesem Genre häuslich niederzulassen. Seitdem sind die Nachbarn in meinem inneren Lesehaus zwar an Schrulligkeit und Skurrilität nicht zu übertreffen – Elrond schaut bisweilen recht pikiert –, doch wer einmal in Ughs kommuniziert hat, will nie wieder damit aufhören.

Ich verehre Pratchett als Aktivist, der sich dem letzten aller Rechte unermüdlich annimmt und trotz seiner Krankheit engagierter ist als viele, die von Binkys Hufgetrappel noch nicht einmal etwas ahnen.

Ich verehre Pratchett als einen Autor, der sich vor keinem Thema fürchtet, dem kein Witz zu albern und keine Anspielung zu abwegig ist. Und wenn er schreibt, Feldwebel Detrius hätte die Weltformel gefunden, so bin ich mir sicher, dass der Troll sie aufgrund hitziger Umstände zwar wieder vergessen hat, der Autor sie aber in Schönschrift in seiner Schreibtischschublade verwahrt.

Und ich verehre Pratchett als den Autor, der uns Leser und Leserinnen mit Figuren beschenkt hat, DIE UNSTERBLICH SIND. Oma Wetterwachs, Lord Vetinari, Feucht von Lipwig, Mumm, Tiffany, Karotte oder Susanne: wenn es ein Pantheon literarischer Figuren gibt, dann besprühen diese gerade die marmorne Außenwand mit unflätigen Sprüchen.

Bibliotheka Phantastika gratuliert also Sir Terry Pratchett zum Geburtstag und wünscht von Herzen viel Zeit und Gesundheit zum Schreiben und großartig sein.

Und um noch einmal auf den Anfang zurückzukommen: Hier ist ein Bild von Terry Pratchett mit einem Orang Utan. You’re welcome.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Marta Randall, die heute 65 Jahre alt wird. Nach ihrem Debüt mit der Story “Smack Run” in der von Michael Moorcock herausgegebenen Anthologie New Worlds 5 (1973) machte sich die am 26. April 1948 in Mexico City, Mexico, geborene Marta Randall ab Mitte der 70er Jahre mit zwar nicht allzu vielen, aber meist geistreichen und dicht geschriebenen, häufig leicht feministisch angehauchten SF-Stories rasch einen Namen. Auch ihre SF-Romane – der erste, Islands, erschien 1976 (dt. Versunkene Inseln (1983)) – trugen aufgrund der in ihnen behandelten Themen und deren Umsetzung mit dazu bei, in ihr eine weitere neue Autorin am Anfang einer vielversprechenden Karriere zu sehen.
The Sword of Winter von Marta RandallMit The Sword of Winter (1983; dt. Die Reiter von Jentesi (1985)) wandte sie sich – nach vier SF-Romanen – der Fantasy zu, und es zeigte sich, dass sie auch in diesem Genre zu überzeugen wusste (wobei man fairerweise zugeben muss, dass der Roman mit ein paar kleinen Änderungen auch als Planetary Romance funktionieren würde): Lyeth gehört einer aus Männern und Frauen bestehenden Gilde an, deren Mitglieder als Boten, Erkunder und Kartographen von den Herrschern der Provinzen des Reiches Cherek dienstverpflichtet werden können. Durch einen persönlichen Eid ist sie als reitende Botin an Lord Gambin, den tyrannischen Herrscher der Provinz Jentesi gebunden – einen Mann, den sie aus tiefstem Herzen verabscheut, denn er hat die eigentliche Aufgabe der Gilde pervertiert und die ihm zur Verfügung stehenden Gildenmitglieder zu seiner von der einfachen Bevölkerung gehassten und gefürchteten Geheimpolizei gemacht. Jetzt liegt Gambin im Sterben, und Lyeth wartet auf seinen Tod, wünscht ihn aus nachvollziehbaren Gründen geradezu sehnlichst herbei. Doch Gambin hat es nicht sonderlich eilig mit dem Sterben, und er weigert sich außerdem, einen Nachfolger zu benennen, was dazu führt, dass die vier potentiellen Anwärter auf das Schwert und Amt des Herrschers eifrigst gegeneinander intrigieren. Und Lyeth, die den kalten, unwirtlichen Norden lieber heute als morgen verlassen und in die Halle ihrer Gilde in der Hauptstadt zurückkehren will, und die sich nebenbei noch um einen Waisenjungen kümmern muss, der keinen Grund hat, die Mitglieder der Gilde zu mögen, wird – so sehr sie sich auch dagegen wehrt – mehr und mehr in diese Intrigen hineingezogen.
The Sword of Winter punktet nicht nur mit glaubhaften Figuren – allen voran Lyeth, einer wirklich überzeugend gezeichneten starken Frauenfigur – und einer schlüssig konzipierten, auf politische Machenschaften statt Action setzenden Handlung, sondern auch mit dem Setting: das Reich Cherek und seine Provinzen stehen an der Schwelle zum industriellen Zeitalter, es gibt u.a. bereits Dampfmaschinen und Telegraphen, wohingegen Magie etwas ist, dass die meisten Menschen nur noch vom Hörensagen kennen. Hinzu kommt eine düstere, fast schon bedrückende Atmosphäre, die einerseits auf die karge, winterliche Landschaft zurückzuführen ist, andererseits auf die Angst und den Hass der einfachen Dorfbewohner, denen Lyeth begegnet – und auf die Intrigen in der Burg, die es schier unmöglich machen, Freund und Feind voneinander zu unterscheiden.
Eigentlich hätte all das ausreichen sollen, um The Sword of Winter zumindest einigermaßen erfolgreich werden zu lassen, doch dem war nicht so. Ganz im Gegenteil scheint der Roman – der vermutlich als Breakthrough Book geplant war (es war ihre erste Veröffentlichung im Hardcover) – einen Wendepunkt in der bis dahin so vielversprechenden Karriere Marta Randalls darzustellen. Zumindest sind danach zwischen 1984 und 1993 nur noch ein SF-Roman und ein paar Stories, eine Kennedy-Biografie und ein Krimi von ihr erschienen. Natürlich kann es viele Gründe geben, warum sie seither verstummt ist, bedauerlich ist es allemal. The Sword of Winter mag zwar noch kein echtes Meisterwerk sein, ist aber auf alle Fälle ein weiteres Beispiel dafür, dass die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts für die Fantasy ein verdammt gutes Jahrzehnt waren.
Bliebe nur noch die Frage, ob Kate Elliott den Roman jemals gelesen hat …

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