: Seefahrt & Leben im Meer

Cover des Buches "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" von Walter MoersEin Blaubär, wie ihn keiner kennt, entführt die Leser in eine Welt, in der die Fantasie und der Humor abenteuerlich außer Kontrolle geraten sind: nach Zamonien, wo Intelligenz eine Krankheit ist und Sandstürme viereckig sind, wo hinter jeder Idylle eine Gefahr lauert und wo all jene Wesen hausen, die aus unserem alltäglichen Leben verbannt sind.

In 13 ½ Lebensabschnitten kämpft sich der Held durch ein märchenhaftes Reich, bei dem alles möglich ist.

-Ein Leben beginnt gewöhnlich mit der Geburt – meins nicht.-
1. Mein Leben als Zwergpirat

Ich gebe zu, dass ich sehr skeptisch war, das Buch anzufangen. Eigentlich mag ich den Käpt’n Blaubär aus dem Fernsehen nicht sonderlich, mit Moers verbinde ich immer Das Kleine Arschloch und beim Durchblättern störten mich die vielen seltsamen Zeichnungen. Da ich aber gerade kein anderes Buch zur Hand hatte, warf ich doch mal einen Blick hinein – und konnte gar nicht mehr aufhören!

Moers schubst zwar den Leser, genau wie den armen Blaubär, nach Zamonien und konfrontiert ihn gleich zu Beginn damit, dass auf dieser Insel wirklich nichts ist, wie man es gewohnt ist: Zwergpiraten, fleischfressende Inseln oder kilometergroße Bolloggs ohne Kopf, die ganze Landstriche verwüsten, gehören in Zamonien zum Alltag. Stattdessen sind Menschen schon was besonders, haben in Antlantis sogar Hausverbot!

Der kleine Blaubär besteht in seinen 13 ½ Leben viele Gefahren und man hat den Eindruck, der Autor will jedes Leben davor mit noch mehr Fantasie übertreffen. Fast nebenbei werden auch noch große Fragen der Menschheit gelöst: gab es Atlantis und was ist damit passiert? Gibt es Außerirdische oder andere Dimensionen? Was geschah mit den Dinosauriern?
Der Blaubär begegnet auf seinen Reisen natürlich auch vielen Wesen, die ihm entweder helfen oder ihn fressen oder einfach nur ins Verderben stürzen wollen. Mit viel Sorgfalt erschafft Moers Hempelchen, Hutzen, Waldspinnenhexen, Finsterbergmaden, Tratschwellen, Nattifftoffen, Wolpertinger, Rikschadämonen, Mittagsgespenster, Midgardschlangen und die zig anderen Wesen, die Zamonien bevölkern.

Natürlich quillt auch Zamonien selbst fast vor originellen Ideen über: Der ewige Tornade, rechteckige Sandstürme, Unbiskant (ein unerforschter Landstrich, der seinen Namen aus “unbekannt” und “riskant” erhielt), der Malstrom – das könnte hier noch ewig so weitergehen. So viele Ideen hab ich wohl noch nie in einem Buch gesehen. Und trotzdem ist der Leser nicht gleich nach den ersten Seiten gesättigt, man wartet praktisch schon auf die nächste ungewöhnliche Idee, die Moers eingebaut hat. Die Zeichnungen, mit denen ich vorher nicht anfangen konnte, fügten sich plötzlich wie von selbst in die Geschichte und von mal zu mal gefielen sie mir besser.
Und die Reise an sich? Man darf nicht vergessen, ein Blaubär neigt zum Flunkern und ein bisschen zum Übertreiben. Man sollte also mit einem Augenzwinkern den Zufall Zufall sein lassen und einfach die Geschichte genießen. Fantasie ist schließlich keine Realität. 😉

The Assassin's Curse von Cassadra Rose ClarkeAnanna von den Tanarau ist eine Piratin und Tochter eines hochgestellten Kapitäns. Ihr Leben lang träumte sie davon, eines Tages selbst Kapitänin eines Schiffes zu sein. Als ihre Eltern jedoch entscheiden, sie mit dem Sohn eines anderen Piratenkapitäns zu verheiraten, brennt die junge Frau an ihrem Hochzeitstag kurzerhand auf einem gestohlenen Kamel durch. Im Stolz verletzt schickt die Familie ihres Verlobten einen Assassinen aus, um Ananna zu töten. Doch es kommt alles ganz anders, als sie dem Auftragsmörder versehentlich das Leben rettet und damit einen alten Fluch auslöst, der Ananna und den Assassinen aneinander bindet.

– I ain’t never been one to trust beautiful people, and Tarrin of the Hariri was the most beautiful man I ever saw. (…) Golden skin and huge black eyes and this smile that probably worked on every girl from here to the ice-islands. I hated him on sight. –
Kapitel 1

The Assassin’s Curse ist der Debütroman der Autorin Cassandra Rose Clarke, die gleich in ein ungewöhnliches Setting eintaucht. Piraten auf hoher See treffen auf die Wüste des historischen Orients, wo man wiederum auf Ninja-mäßige Assassinen treffen kann, wenn man Pech hat. Ein wilder Mix von Inhalten und Persönlichkeiten, der jedoch gut funktioniert und sich von den üblichen Handlungsorten klassischer Fantasy positiv abhebt. Dieses Buch mutet an wie ein Crossover von Fluch der Karibik, Prince of Persia und Assassin’s Creed.

Man darf sich dabei über ein subtiles Magiesystem freuen, über Erdmagie, Wassermagie und vor allem die dunkle Blutmagie der Assassinen. Subtil deswegen, weil sich nicht alle Probleme durch Magie lösen lassen und sie eher ein Hilfsmittel im Hintergrund darstellt. Perfekt ausgereift ist das Ganze noch nicht, und bisher steht vor allem die Blutmagie im Vordergrund, doch das Potential ist da und lässt darauf hoffen, dass Band 2 dieser Reihe, The Pirate’s Wish, hier noch mehr ins Detail gehen und die restlichen Magiearten weiter ausarbeiten wird.

Was die Charaktere angeht, so sind diese im doppelten Sinne nicht perfekt. Ananna ist eine starke Frauenfigur, die man im heutigen Jargon mit “kickass” beschreiben würde. Sie weiß, was sie will, sie weiß nicht genau, wie sie es kriegt, aber wie sie es nicht erreichen kann, ist ihr stets klar, und entsprechend praktisch handelt sie. Sie ist bewaffnet mit Dolch, Schwert, schlagfertigem Mundwerk und kann sich mit Fäusten wehren. Auf der anderen Seite ist Ananna aber keine unverwundbare, perfekt gezeichnete Superheldin, die nicht gelegentlich auch mal schwache Momente hätte. Ihre Entscheidungen sind nicht völlig makellos, sie macht ihre Fehler, manchmal wirkt sie dabei etwas zu egoistisch und gedankenlos, andererseits … sie ist Piratin. Taktgefühl und Höflichkeit sind vermutlich nichts, was man auf einem Piratenschiff beigebracht bekommt.
Naji, der Assassine, ist Anannas Gegenteil. Er kommt einem wie ein magisch bewanderter Ninja vor, der sich unsichtbar durch Schatten bewegen kann und der nicht so eiskalt mordet, wie man von einem Assassinen erst einmal erwarten würde. Tatsächlich erinnern er und sein Orden ein wenig an Assassin’s Creed (s.o.), dessen Auftragskiller auch nicht so richtig blutrünstig sind und eher als Instrumente politischer Geplänkel benutzt werden, während sie darüber hinaus auch eine menschliche Seite haben und von eigenen Beweggründen getrieben werden. Naji ist der klassische Eigenbrödler mit einem gut gehüteten Geheimnis (vielleicht auch zwei oder drei …) , der von einer dunklen Aura umgeben wird und die gefürchtete Blutmagie beherrscht. Irgendwo in ihm aber versteckt sich auch noch ein Hauch kindlicher Verwundbarkeit, die ab und an aufblitzt und Naji Menschlichkeit verleiht.
Zusammengenommen sind Clarkes Charaktere durchaus sympathisch, vor allem weil sie nicht vollkommen sind und gerne mal aus stereotypen Rollen ausbrechen. Sie sind aber auch noch nicht völlig ausgereift und bieten genügend Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln.

Wenn es nun einen männlichen und einen weiblich Protagonisten gibt, die unfreiwillig zusammengewürfelt werden, ist natürlich zunächst auch schnell klar, wo das vermutlich mal enden wird. Auf der Pro-Seite steht dabei immerhin, dass das Abenteuer, die Aufgabe den Fluch zu brechen, im Vordergrund steht und die sich entwickelnde Freundschaft zwischen Ananna und Naji sich mehr nebenbei und nur sehr langsam einschleicht. Es wird zwischen den beiden nie zum Thema, was und ob überhaupt sie füreinander empfinden, man kann lediglich erahnen, was sich höchst wahrscheinlich entwickeln wird. Die Schmachtalarm-Glocke braucht man für dieses Buch erst einmal nicht, und so kann man sich in Ruhe an dem ungewöhnlichen Setting erfreuen.

Um die größten Mängel dieses Romans aufzuzählen: die Sprache hinkt oft ein wenig und kann sich nicht ganz entscheiden zwischen modern und historisch. Oft fallen Begriffe wie “bullshit”, “fuck off” und dergleichen, was in diesem Zeitkontinuum leider völlig fehlplatziert wirkt. Des weiteren war der Verlag bei der Korrektur nicht sehr ordentlich und hat etliche Rechtschreib- und Satzfehler übersehen bis hin zu einem Buchstabendreher im Namen. Gerade im letzten Drittel des Buches fällt das verstärkt auf, als wäre den Korrektoren die Lust ausgegangen.

Trotz einiger typischer Anfängerschwächen in The Assassin’s Curse überwiegen letzten Endes die positiven Eigenschaften. Wer mal wieder mit Piraten reisen oder Wüsten durchqueren will und einem Jugendbuch nicht gänzlich abgeneigt ist, der kann nicht viel verkehrt machen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Fortsetzung an die starken Elemente anzuknüpfen weiß und diese weiter ausbauen wird.

The Daedalus Incident von Michael J. MartinezLieutenant Weatherby dient im Jahr 1779 auf der stolzen Fregatte Daedalus in der Flotte Seiner Majestät, des Königs von England, inmitten eines Konflikts mit den Vereinigten Staaten von Ganymed, die sich soeben von der Krone abgespalten haben. Draußen in der Leere des Weltraums, den die riesigen Segler durchpflügen, nutzen aber noch ganz andere Kräfte diese Auseinandersetzung, um ihre hinterhältigen Pläne zu verdecken …
Im Jahr 2132 dient Lieutenant Jain in der Schutzmannschaft eines Bergbauunternehmens auf dem Mars, und sie erlebt hautnah, wie der Planet plötzlich geologisch verrückt spielt und die Minenkolonie in ernste Gefahr gerät …

-Mars is supposed to be dead, just a big hunk of cold rock hanging in space.-
July 24, 2132

Michael J. Martinez’ The Daedalus Incident ist für den geneigten Weltraum-Romantiker wie Ostern und Weihnachten an einem Tag: Es warten farbenprächtige Segelabenteuer, in denen Gentlemen säbelschwingend für Krone und Vaterland mit den Gewalten des Weltraums ringen, Freibeuter bekämpfen und auf den Sonnenwinden ihre Gegner einholen müssen – ja, wir sprechen hier von klassischen Segelschiffen, die sich in bester Space-1889-Manier aus den Ozeanen erheben und ins All aufsteigen. Und wenn man sich gerade mal in den unerfahrenen, aber dafür umso eifrigeren jungen Offizier Weatherby eingelesen hat, findet man sich gleich wieder in der Zukunft, ohne Äther und Segelschiffe, in einer beengten Minenkolonie auf dem Mars, wo es nicht mit rechten Dingen zugeht – dort ist die Raumfahrt zur Dienerin des Kommerzes geworden, und Lieutenant Shaila Jain hat bereits eine bewegte Karriere hinter sich, als sie auf diesem vermeintlichen Abstellposten landet.
Was haben die beiden völlig voneinander abweichenden Szenarien miteinander zu tun? Nun, diese Frage ist für einen Teil der Spannung verantwortlich, mit der The Daedalus Incident zu fesseln vermag.

Man liest abwechselnd entweder Weatherbys getreulich verfasstes Tagebuch über die immer haarsträubenderen Ereignisse, in die sich die Mannschaft der Daedalus verstrickt, nachdem sie zunächst als nette Geste einen Mord auf Merkur aufklären hilft, oder von den Fährnissen Jains, die inmitten von Erdbeben, rätselnden Wissenschaftlern und ungehaltenen Kumpeln die Ordnung zu wahren versucht und sich und ihrer Karriere mit ihrem ungezügelten Forscherdrang immer wieder ins Knie schießt. Die beiden Handlungsstränge sind perfekt abgestimmt: Es ergibt sich nicht nur nach und nach ein Bild der Zusammenhänge, sondern auch eine treibende Dynamik. Weatherbys Segelabenteuer sind eine Achterbahnfahrt aus Kämpfen, wilden Verfolgungsjagden, alchemistischen Wundern und Reisen durch den Raum und auf die Planeten des Sonnensystems. Während Weatherby energisch durch venusianische Dschungel stapft, ist Jain dagegen in ihre Mars-Station oder ihren Raumanzug eingepfercht und muss Informationen zusammenbringen und Geheimnisse ergründen, um zu verstehen, was auf dem Planeten vorgeht. Beim Lesen steht man damit vor dem herrlichen Dilemma, bei jedem Wechsel eigentlich am liebsten ein Kapitel überspringen zu wollen, nur um bei der Rückreise in den ersten Handlungsstrang wieder genauso fest am zweiten zu kleben.

Sowohl in den Mysterien auf dem modernen bzw. zukünftigen Mars als auch in den Abenteuern der Vergangenheit bildet Martinez gekonnt die Zwänge der jeweiligen Zeit in seinen gut ausgearbeiteten Hauptfiguren ab. Weatherby hält sich für einen sehr anständigen Menschen, obwohl er gerade erst an der Schwelle ist, vielleicht zu einem solchen heranzureifen, und seine Menschlichkeit unter Pflicht, Ehre und Anstand begräbt. Mit seiner aufrechten Haltung ist er ein Vorzeigeoffizier, gerade jung genug für den Krieg, aber für die Herausforderungen, die vor ihm stehen, muss er noch wachsen. Diesem etwas steifen Protagonisten stellt Martinez die progressive Frauenfigur Jain gegenüber, die immer kurz vor einem Disziplinarverfahren steht und den wirtschaftlichen Zwängen ihrer Zeit trotzdem relativ machtlos ausgeliefert ist, obwohl sie genau weiß, dass es eine schlechte Idee ist, den Rohstoffabbau unter den gegebenen Umständen weiterzutreiben. Auch die Nebenfiguren sind eine Pracht – auf der einen Seite der bescheidene Kapitän Morrow und ein Alchemist, der gerne zu tief in seinen Alembik schaut, auf der anderen Seite ein koketter französischer Geologe und die Stationskommandantin Diaz, die diplomatisch zwischen Bossen und Militär vermitteln muss, obwohl sie genauso gut zupackt und zuhaut wie Lieutenant Jain.

Das doppelte Abenteuergarn gipfelt schließlich in einige geniale Szenen, die die Herzen von SF-Fans höher schlagen lassen – Auftritte für den Mars-Rover, Sonnenstürme, Planetenseelen und Benjamin Franklin (auch ein Beispiel dafür, dass man nach und nach Abweichungen und Übereinstimmungen von Weatherbys Welt mit der realen Geschichte entdecken kann) sind dabei inkludiert.
Am Ende sind der verzauberte Kosmos und die Welt der “realen” Raumfahrt (mitsamt realem Kapitalismus) gleich spannend – vielleicht auch, weil The Daedalus Incident zwei Elemente prominent zur Schau stellt, die sonst in der SF ein wenig zu selten vorkommen: Schiffe, die durch den Äther fliegen, und Astronautinnen, die zum Jupiter fliegen.

Degrees of Wrong von Anna Scarlett2053: Nach dem Tod ihrer Eltern lebt Dr. Elyse Morgan ein bescheidenes Leben auf einer kleinen Insel, wo sie die Menschen ihres Dorfes behandelt und recht abgeschottet von den politischen Machtspielen der Außenwelt lebt. Alles ändert sich, als eines Tages die beiden großen gegnerischen Parteien auf der kleinen Insel einfallen um dort ihren Disput auszutragen. Bis klar wird, dass sie beide nur ein Ziel haben: Elyse.
Ehe sich die junge Ärztin versieht, wird sie von den Soldaten der UOC gerettet (gekidnappt) und auf ein Unterwasserschiff gebracht, wo sie die Heilung für den tödlichen Virus findet soll, der auch ihre Eltern getötet hat.

– I was too tired for his charm to be charming. In fact, since I’d already bludgeoned the medical code of ethics today, overdosing him to shut him up seemed an acceptable degree of wrong. –

Degrees of Wrong startet mitten im Geschehen und ohne lange Eingewöhnungsphase mit Dr. Elyse Morgan, die gerade einen vorlauten Soldaten zusammenflickt. Es ist ein mildes Science-Fiction Abenteuer, das einen in die Tiefen der Ozeane entführt und dabei mindestens einmal pro Seite dazu verführt, laut aufzulachen. Vielleicht erinnert sich noch jemand an die TV-Serie SeaQuest, die in den 90ern lief? Degrees of Wrong erinnert sehr stark an diese Serie und weckt vielleicht auch deshalb nostalgische Gefühle in mir, war ich doch ein bekennender Fan der SeaQuest und wollte fast nichts lieber, als auf diesem Unterwasserschiff durch die Ozeane streifen.

In Degrees of Wrong nun befinden wir uns im Jahre 2053 n.Chr. und die politische Situation hat sich recht umfangreich verändert. Die Nationen haben sich zusammengeschlossen in der Organisation UOC (United Ocean Corps) und den unabhängigen Nationen, die nicht näher benannt werden, aber als Rebellen gelten und terroristische Bio-Angriffe auf die Nationen der UOC verüben. Die schlimmste Erfindung dieser Terroristen ist das Virus HTN 4 – eine der Pest ähnliche Krankheit, die innerhalb von 48 Stunden zum unweigerlichen Tod führt und für die es noch keine Heilung gibt.
Dr. Elyse Morgan ist aufgrund einer ihrer Studien zu diesem Virus auf den Radar der Rebellen gelangt und die UOC greift ein, um Elyse vor der Entführung zu bewahren. Dummerweise müssen die eigentlich helfend gesinnten Soldaten dafür ebenfalls zu Entführern werden, denn unsere Ärztin reagiert auf beide Parteien recht allergisch. Im Nu wird Elyse mit einem Elektroschocker in die Bewusstlosigkeit geschickt und zu ihrer eigenen Sicherheit auf die »Bellator« gebracht, ein Unterwasser-Militärschiff, auf dem nicht nur ein modernes Labor wartet, mit allem, was sie sich nur wünschen kann, sondern auch ein Kapitän, der es sich schon bald zur Aufgabe macht, Elyse für sich zu gewinnen.
An dieser Stelle kommt jene Thematik ins Spiel, die die Hälfte der Leser nun vermutlich in die Flucht schlagen wird: Romantik!

So peinlich es mir vielleicht sein sollte, ich komme nicht umhin zu sagen, dass Degrees of Wrong gerade wegen dieser sich entwickelnden Beziehung zwischen Elyse und Nicoli Marek zu einem Pageturner wurde. Der Handlungsstrang nimmt recht viel Platz ein, man muss also wirklich dafür aufgeschlossen sein, sich einem romantischen Katz-und-Maus-Spiel zu stellen, das seinesgleichen sucht. Es ist einfach zu komisch, wie sich Elyse und Nicoli mit bissigem Witz ebenbürtig begegnen, denn ganz so einfach ist die Lage nicht. Elyses Weigerung, sich trotz ihrer Zuneigung nicht mit dem Kapitän einzulassen, erhält eine verständliche Begründung. Während man als Leser nun mitfiebern darf, ob sie sich am Ende kriegen oder es doch besser sein lassen, wird man mit viel Humor und neckischen Streitereien belohnt, während Elyses mütterliche Freundin zusätzlich regelmäßig Sabotage an deren Standhaftigkeit verübt.

Hiervon einmal abgesehen bietet Degrees of Wrong eine Heldin mit Verstand und messerscharfer Zunge in jeder Lebenslage. Egal ob sie gerade entführt, verhört, becirct, vergiftet oder zurechtgewiesen wird, Elyse kann einfach nicht aus ihrer Haut und kontert alles mit einem frechen Mundwerk – auch wenn sie genau weiß, dass sie dafür noch mehr Ärger bekommen wird. Sie ist selbstbewusst und lässt sich nicht gerne Vorschriften machen. Zum Glück befinden sich gut 40 Kilo Schokolade an Bord, mit denen sich die Nerven beruhigen lassen. Unfehlbar ist sie dabei wahrlich nicht, und das macht sie umso sympathischer.
Nebenrollen gibt es bei diesem Roman nur wenige, die wirken dafür größtenteils recht familiär und bringen ihre eigene Prise Witz mit in die Geschichte ein. Die Wendungen sind oft überraschend und unerwartet und kündigen sich nicht schon 50 Seiten vorher an. Sicherlich, ein zwei Dinge muss man davon ausnehmen.

Der Weltenbau in Degrees of Wrong kommt subtil daher. Man gewinnt ein gutes Gefühl für das Schiff und seine Besatzung und auch für den Grund der Meere, so dass man als Leser den dringenden Wunsch entwickelt, sich in einen der Pods (kleine Transport-U-Boote, um sich zwischen dem Festland und der Bellator zu bewegen) zu setzen und selbst auf Unterwasserabenteuer zu gehen. Unnötig lange Umschreibungen sucht man hier vergeblich, die bestehenden Gegebenheiten werden eher beiläufig und selbstverständlich erklärt. Positiv aufgefallen ist auch die selbstverständliche Vermischung aller möglichen ethnischen Gruppen.

Was man negativ ankreiden könnte, ist, dass die Suche nach der Heilung ein wenig ins Abseits gerät und die Lösung letztlich etwas zu einfach scheint. Denn Degrees of Wrong ist vordergründig eine locker-leichte Romanze für Erwachsene mit Science-Fiction-Hintergrund. Wem also einmal der Sinn nach dieser Kombination steht, der wird mit Degrees of Wrong viele amüsierte Stunden verbringen können.

Drowntide von Sydney J. Van ScyocAls die letzte Tochter der Königin Amelyor auf dem Meer stirbt, scheint ihr Volk verloren: Sobald die Königin mit dem Alter die Gabe verliert, mit den Meeressäugern zu kommunizieren, die die Schiffe der Fischer beschützen, wird das Meer sie alle fordern. Verzweifelt gesteht Amelyor ihrem Sohn Keiris eine längst vergangene Affäre mit einem Fremden ein, aus der eine weitere Tochter hervorgegangen ist – Keiris’ Zwillingsschwester, die nach der Geburt vom Vater entführt wurde und seither verschollen ist. Mit wenigen Anhaltspunkten macht sich Keiris auf den Weg, um seine Schwester zu finden und damit sein Volk zu retten. Auf der Suche nach seinem mysteriösem Vater stößt er auf Gerüchte über ein im Meer lebendes Nomadenvolk. Und so muß er sich seiner größten Angst stellen – dem Ozean.

-Keiris woke at dawn and lay for a moment with eyes closed and breath held, listening – hearing nothing but the distant rush of the sea.-
One

Auf der Suche nach kleinen Geschichten, die ohne Bombast, Weltrettung und epische Ausmaße auskommen, landet man schnell bei Schriftstellern wie Patricia McKillip, Peter S. Beagle oder Ursula K. LeGuin – allesamt Autoren, die den Zenit ihrer Beliebtheit wohl bereits überschritten haben und eher nicht an prominenter Stelle in der Fantasy-Ecke der Buchhandlung präsentiert werden. Nach überschaubaren Geschichten, in denen eher etwas in den Charakteren als in der Welt in Bewegung gesetzt wird, wühlt man am besten in der Literatur vergangener Dekaden.
Einen besonders delikaten kleinen Happen aus den 80ern stellt Drowntide dar, eine Geschichte, die in eine Meereswelt voller kleiner Inseln führt und ganz und gar auf den jungen Keiris ausgerichtet ist, der seine Wurzeln und seine verschollene Schwester sucht. Diese Suche – anfangs eine klassische Queste, wenn der Held sich auf Wanderschaft begeben muß, um sein eigenes Volk zu retten, das ohne weiblichen Abkömmling der Herrscherfamilie dem Meer schutzlos ausgeliefert sein wird – bringt ihn viel näher an das von ihm gefürchtete Meer, als er je geglaubt hätte, und konfrontiert ihn mit allen Ängsten und Vorurteilen, die er in seinem kurzen Leben bereits angehäuft hat. Damit ist Drowntide auch ein Entwicklungsroman, der in inhaltlichen Belangen im ersten Teil tatsächlich anderer Fantasy mit jungen Protagonisten sehr stark ähnelt.

Allerdings springt rasch der wahrhaft familiäre Rahmen der Geschichte ins Auge, der bis zum Ende beibehalten wird, ohne daß die Autorin der Versuchung nachgibt, ihn zu etwas Größerem aufzublasen. Die Ereignisse betreffen hauptsächlich die vorgestellten Charaktere, die Umwälzungen finden in ihrem Inneren statt, denn sobald die Suche von Keiris beendet ist, stellt ihn der verschollene Teil seiner Familie vor viel größere Herausforderungen.
Trotzdem weht die Ahnung von Größerem durch das Buch – eine Folge der ungewöhnlichen, mit Vergangenem angereicherten Welt: Ein vom Meer abhängiges Fischervolk lebt auf den kleinen, stets vom Wasser bedrohten Inseln, seine Geschichten rufen unweigerlich den Atlantis-Mythos ins Gedächtnis, und sowohl die Namen als auch die Naturbeschreibungen legen eine Verortung des Geschehens zu mythischen Zeiten im Mittelmeerraum nahe. Aber weit gefehlt – und an dieser Stelle hat die Autorin leider auch etwas zu viel in ihre Weltschöpfung gepackt: Ihr kurzer Ausflug in die SF, der das Setting mit dem Lost Colonies-Motiv auf einem fremden Planeten verankert, wirkt reichlich aufgesetzt und deplaziert, da der Hintergrund um den Einbruch des Fremden in die Welt der Fischer und Bootsbauer auch ohne das SF-Element hervorragend funktioniert hätte. Dieser erklärende Einschub betrifft aber gerade einmal ein paar Absätze der Geschichte, wirkt sich kaum weiter aus und kann mit einem Schulterzucken hingenommen werden.

Man erlebt das Geschehen komplett aus der Sicht des jungen Keiris, und seine Ängste vor der unbekannten Herkunft und seine Schwierigkeiten, diesen Teil seines Erbes schließlich anzunehmen, sind anrührend und authentisch beschrieben. Andere Charaktere sind eher angezeichnet und bleiben durch die Fokussierung auf den Hauptcharakter teilweise sehr blass. Während am Rande auch Platz für eine muntere, nur zart ins Spiel gebrachte Liebesgeschichte ist, steht im Mittelpunkt immer das Ausloten der familiären Verhältnisse und die Akzeptanz neuer Aspekte am eigenen Ich.
Mit recht wenig Aufwand wird die Wasserwelt in Szene gesetzt, aber gerade auch die angedeutete Liebesgeschichte in ihrer Ungewöhnlichkeit und etliche andere Details lassen doch ein lebendiges Bild der drei auftretenden Kulturen entstehen, wobei immer nur das für die Geschichte Notwendige ausgearbeitet scheint.
Ein weiteres zentrales Element sind die „sea mams“, die Meeressäugetiere, die hier die Gefährten der Menschen darstellen und die hilfreiche und freundliche Seite des Meeres repräsentieren. Die Kommunikation mit den Walen ist auch ein Schlüsselelement der Handlung und erinnert heute an die Entstehungszeit der Geschichte in den 80ern, als die Wale zu den Maskottchen des Umweltschutzes wurden.

Die Sprache ist weder so ausgeklügelt noch so poetisch wie bei den eingangs genannten Autoren, doch die Faszination der Insel- und schließlich Meereswelt kann durchaus eingefangen und transportiert werden. Das Meer – zweifellos einer der Hauptakteure in diesem Roman – bleibt bis zum Schluß etwas Fremdes, das mit seiner Unberechenbarkeit und Weite dem Protagonisten stets Überwindung abfordert, und das er höchstens als Teil seines Lebens akzeptieren und achten lernt, aber nicht lieben. Trotz der vielen Meeresbewohner, die in Drowntide auftauchen, bleibt also eine gewisse Scheu vor dem Unbekannten erhalten, und es geht eher um das Leben mit dem Meer als das Leben im Meer. Ein Stück dieser Fremde entdeckt der Held Keiris aber auch in seinem Inneren, und die unüberwindbare Zerrissenheit bekommt am Ende zumindest positive Aspekte und die Möglichkeit zu einer versöhnlichen Zukunft.
Wenn man also das große Blau schätzt und sich für eine kleine Geschichte erwärmen kann, die an seinen Ufern spielt, ist Drowntide eine unbedingte Empfehlung.

The Emerald Storm von Michael J. SullivanKönig Alric wird ein Brief zugespielt, aus dem hervorgeht, dass für den Kriegserfolg des feindlichen Kaiserreichs die geheime Mission des Schiffs Emerald Storm von entscheidender Bedeutung ist. Obwohl Royce, dessen Hochzeit unmittelbar bevorsteht, und der mit einer privaten Queste beschäftigte Hadrian eigentlich andere Pläne haben, lassen sie sich breitschlagen, die Fahrt als Seeleute getarnt mitzumachen, um mehr herauszufinden. Doch diesmal hat Royces Erzfeind Merrick Marius die Hand im Spiel, und das droht nicht nur den beiden Gaunern zum Verhängnis zu werden, sondern auch Prinzessin Arista zu gefährden, die mittlerweile auf eigene Faust nach dem gefangenen Rebellen Degan Gaunt sucht …

– “Why does this always happen?“ Royce asked. “Why are we always hanging on a wall waiting to die by slow vivisection? I just want to point out that this was your idea – again.“ –
(Chapter 25 – Invasion)

The Emerald Storm ist in mehrerlei Hinsicht der bisher schwächste Roman der Riyria Revelations.  Zum Teil hängt das sicher damit zusammen, dass Michael J. Sullivan an dieser Stelle in der übergreifenden Geschichte schon zu weit vorangekommen ist, um sie noch sinnvoll mit seinem eigentlich angestrebten Konzept der in sich abgeschlossenen Einzelepisode verbinden zu können: Er muss sein Figurenensemble erkennbar für die beiden abschließenden Bände der Serie in Stellung bringen und immerhin einige der bisher aufgeworfenen Sachfragen klären.

Die Konzentration darauf geht zulasten der Handlung. Der Paukenschlag, mit dem sie einsetzt, als gleich im ersten Kapitel eine zentrale Gestalt einem Attentat zum Opfer fällt, täuscht: Was folgt, ist streckenweise nichts als eine mehr oder minder übersteigerte Wiederholung von Elementen der vergangenen Bände. Besonders Aristas Erlebnisse – ein riskanter Alleingang, das Hineinwachsen in die eigenen magischen Fähigkeiten und eine tragisch endende Beziehung zu einem nicht standesgemäßen Mann – wärmen fast exakt das wieder auf, was schon in Nyphron Rising geschildert wurde. Doch auch Hadrian und Royce ergeht es kaum besser. Zwar ist ihr Handlungsstrang auf den ersten Blick komplexer aufgebaut, doch im Grunde wiederholt sich auch hier ein vertrautes Schema.

Wie zum Ausgleich für das, was das Grundgerüst des Plots nicht bieten kann, zwängt Sullivan eine Überfülle von Einzelabenteuern häufig exotischer Prägung in diesen einen Band. Von einem Seegefecht über eine Dschungelexpedition und Begegnungen mit klischeebefrachteten Eingeborenen (die zu allem Elend auch noch mit ausgeschriebenem Akzent sprechen) bis hin zu einem aufgezwungenen Gladiatorenkampf ist wirklich für jeden Geschmack etwas dabei.

In der Summe ist das etwas zu viel des Guten. Gerade die Szenen auf dem titelgebenden Schiff wirken wie ein Fremdkörper in dem vagen Pseudomittelalter, das Royce und Hadrian gewöhnlich durchstreifen. Sullivan schildert Schiffstypen, Kommandostrukturen und Segelmanöver, die eher im 18. bis 19. Jahrhundert zu verorten wären, und wenn auch in einer Fantasywelt per definitionem keine echten Anachronismen möglich sind, werden doch die falschen Assoziationen wachgerufen. Dass Sullivan diesen unvereinbaren Kontrast beabsichtigt hat, ist kaum anzunehmen, und es bleibt ein unfreiwillig merkwürdiges Leseerlebnis, wenn die seekranken Helden sich in eine Mannschaft in bester Age-of-Sail-Tradition einzufügen versuchen, während unter Deck eine Mischung aus Tempelritter und Inquisitor Folter- und Mordgelüste an gefangenen Elfen auslebt.

Das amüsante bis anrührende Zusammenspiel der beiden Protagonisten funktioniert allerdings immer noch, und spätestens, als ein sehr heterogener Trupp von der Emerald Storm in den Dschungel aufbricht, gelingt es Sullivan auch, eine durchaus interessante Gruppendynamik herzustellen. Über einen Mangel an Action kann man sich ebenfalls nicht beklagen, und so ist das Buch insgesamt nicht ohne Unterhaltungswert – nur eben ganz gewiss nicht mehr als die Summe seiner Teile.

Die Fahrt der Shadowmoon von Sean McMullenAuf dem Kontinent Torea ist ein machthungriger Kaiser auf dem Weg, alle anderen Reiche zu erobern – und er schreckt dazu auch vor dem Gebrauch einer zerstörerischen Waffe nicht zurück.
Zur selben Zeit tingelt das kleine Schiff Shadowmoon durch die Häfen der Küste. Niemand weiß, daß die Mannschaft aus Spionen besteht, die Informationen sammeln – unter anderem über die Waffe des Kaisers Wasrovan. Doch wer wem vertrauen kann und wer für wen arbeitet, ist niemals ganz klar. Die Katastrophe droht bereits über Torea hereinzubrechen, und die Spione und zufällig auf der Shadowmoon gestrandeten Passagiere müssen zusammenarbeiten, um dem verrückten Wasrovan seine Waffe abzunehmen…

– Miral beherrschte den Himmel, als der Hochsee-Kauffahrer anlegte, eine immense grün gestreifte Scheibe im Zentrum dreier schillender grüner Ringe. –
Prolog

Zu Die Fahrt der Shadowmoon liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Anmerkung: Das englischsprachige Original wurde in der deutschen Übersetzung gesplittet. Die verlinkte Rezension bezieht sich daher auf die beiden deutschsprachigen Bücher Die Fahrt der Shadowmoon und Der Fluch der Shadowmoon.

Die Fernen Lande von David Anthony DurhamAuf den Krieg gegen die Mein sind einige Jahre des friedlichen Wiederaufbaus gefolgt, doch nun brechen für die Geschwister Akaran erneut turbulente Zeiten an: Soziale Unruhen bedrohen den Zusammenhalt des Reichs, das zudem von Dürreperioden und rätselhaften, magisch veränderten Kreaturen heimgesucht wird. Die Fernen Lande, in die seit Jahren Kindersklaven aus Acacia verkauft werden, sind da noch die geringste Sorge der Herrscherfamilie. Doch als sich dem jüngsten Bruder, Dariel, überraschend die Möglichkeit bietet, eine Reise dorthin zu unternehmen, erweist sich, dass die Entwicklungen jenseits des Meeres für Acacia weit bedrohlicher werden könnten als alle inneren Wirren …

– Als der Balbara-Wächter seinen Warnschrei ausstieß, sprang Prinzessin Mena Akaran augenblicklich von ihrem Feldstuhl auf. Eilig verließ sie den Kreis, in dem sie mit ihren Offizieren gesessen hatte, und rannte zum Grat hinauf. Oben angekommen trat sie zu dem scharfäugigen jungen Mann, spähte seinen schlanken, braunen Arm entlang und über seinen deutenden Finger hinaus auf die karge Weite im Zentrum von Talay. Es dauerte einen Moment, bis sie erblickte, was er ausgemacht hatte. –
(Kapitel 1)

Der zweite Roman aus David Anthony Durhams Reihe Acacia ist ein würdiger Nachfolger des ersten Bandes Macht und Verrat (The War With the Mein), lässt sich aber zunächst recht gemächlich an. Die ersten hundert Seiten benötigt der Autor, um seine Figuren in Position zu bringen, doch dann gewinnt der Reigen aus Machtspielen und tödlichen Gefahren deutlich an Schwung. Positiv fällt auf, dass Die Fernen Lande (The Other Lands) kein inhaltsleerer Übergangsband ist, sondern die Geschichte tatsächlich voranbringt. So wird etwa die zu Beginn der Serie aufgeworfene Frage nach dem Schicksal der in die Fremde geschickten Kindersklaven beantwortet, das sich als noch verstörender erweist, als man hätte vermuten können, und es ergeben sich neue politische Konstellationen.

Ein wenig tappt Durham dabei in die Falle, ein bewährtes bedrohliches Element in gesteigerter Form wiederaufzuwärmen. Ohnehin wird die lenkende Hand des Autors an manchen Stellen sichtbarer, als es nötig wäre: Die Abenteuer, denen sich die Akarans stellen müssen, wirken ein bisschen zu sehr auf ihre jeweiligen Begabungen zugeschnitten, und die Häufung günstiger Zufälle, die es dem neu eingeführten Unsympathen Delivegu gestattet, immer genau das herauszufinden, was er erfahren muss, um den Plot voranzubringen, überschreitet irgendwann ein realistisches Maß.

Dafür entschädigen einen jedoch überzeugendere Handlungsstränge (wie etwa die in ihrer Schlichtheit anrührende Queste des Kriegers Kelis) und die weiterhin sehr differenzierte, eindringliche Charakterisierung der einzelnen Personen, allen voran der glaubhaft ambivalenten Corinn.

Wie schon im ersten Band wagt Durham sich an durchaus tiefgründige philosophische Fragestellungen, darunter auch an ein Thema, das sonst in der Fantasy kaum jemals auf so breiter Front erörtert wird: Die Elternschaft. Ob sich eine Herrscherin zur Fruchtbarkeit spendenden Landesmutter stilisiert oder das Verhältnis verschiedenster Figuren zu ihren leiblichen oder angenommenen Kindern beleuchtet wird, ob Nachkommen in ihrer Rolle als Erben und Hoffnungsträger erscheinen, als Geiseln dienen oder gar ihr Verlust zu beklagen ist, ob schließlich Kinderlosigkeit bewusst gewählt oder als Fluch empfunden wird – kaum eine zentrale Gestalt kommt umhin, sich in irgendeiner Form mit ihrer (potentiellen) Elternrolle auseinanderzusetzen.

Subtiler, aber nicht weniger allgegenwärtig, scheint in all den Intrigen, Kämpfen und Sinnsuchen immer wieder der Bereich menschlicher Selbsteinschätzung auf, konfrontiert und bisweilen kontrastiert mit der nach außen hin betriebenen Selbstdarstellung. Von völliger Hybris (mit teilweise dramatischen Konsequenzen) bis hin zur aufrichtigen Bereitschaft, sich vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse selbst infrage zu stellen, sind so gut wie alle Spielarten vertreten. Anders als auf der reinen Handlungsebene macht Durham es sich und seinen Charakteren dabei nicht leicht. So bleibt man als Leser nicht nur aufgrund des ebenso offenen wie überraschenden Endes nachdenklich und mit mehr Fragen als Antworten zurück.

Dem alles in allem überdurchschnittlichen Roman wäre eine adäquate sprachliche Umsetzung zu wünschen gewesen. In die Übersetzung haben sich aber leider zahlreiche Tipp- und Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen, besonders bei Eigennamen (ob eine Figur nun „Paddel“ oder „Baddel“ heißt, ist mir z.B. bis zum Schluss nicht ganz klar geworden – beide Varianten sind vielfach vertreten). Daneben finden sich manche Formulierungen, die in ihrer engen Anlehnung ans Englische im Deutschen umständlich oder ungebräuchlich wirken (so etwa die Aufforderung Lasst eure Schwerter!). Das ist man von dem sonst so versierten Tim Straetmann eigentlich nicht gewohnt, und so kann man nur annehmen, dass es bei Redaktion und Korrektur des Texts zu Pannen gekommen ist. Schade!

Der Fluch der Shadowmoon von Sean McMullenAuf dem Kontinent Torea ist ein machthungriger Kaiser auf dem Weg, alle anderen Reiche zu erobern – und er schreckt dazu auch vor dem Gebrauch einer zerstörerischen Waffe nicht zurück.
Zur selben Zeit tingelt das kleine Schiff Shadowmoon durch die Häfen der Küste. Niemand weiß, daß die Mannschaft aus Spionen besteht, die Informationen sammeln – unter anderem über die Waffe des Kaisers Wasrovan. Doch wer wem vertrauen kann und wer für wen arbeitet, ist niemals ganz klar. Die Katastrophe droht bereits über Torea hereinzubrechen, und die Spione und zufällig auf der Shadowmoon gestrandeten Passagiere müssen zusammenarbeiten, um dem verrückten Wasrovan seine Waffe abzunehmen…

– Eine Stunde, nachdem Miral hinter den Hügeln rund um die Ebene von Diomeda versunken war, ging Feran in die Taverne Zum Bernstein. –
1, Fahrt nach Nord-Scalticar

Zu Der Fluch der Shadowmoon liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Anmerkung: Das englischsprachige Original wurde in der deutschen Übersetzung gesplittet. Die verlinkte Rezension bezieht sich daher auf die beiden deutschsprachigen Bücher Die Fahrt der Shadowmoon und Der Fluch der Shadowmoon.

Leviathan von China MiévilleBellis Coldwine muß ihre Heimatstadt New Crobuzon verlassen und mit einem Schiff in eine ferne Kolonie zu flüchten. Mit ihr an Bord sind andere Passagiere und ein ganzer Rumpf voller Gefangener – Arbeitssklaven für die Kolonie. Doch sie erreichen niemals ihr Ziel: Nach einem Überfall werden alle Reisenden zwangsweise zu Bürgern von Armada gemacht – einer Piratenstadt, die über die Meere von Bas-Lag treibt. Während die Gefangenen nun frei sind und Armada loyal gegenüberstehen, kann sich Bellis nicht damit abfinden, bis ans Ende ihrer Tage dort bleiben zu müssen. Als sie herausfindet, daß die Führer der Stadt nach dem größten aller Meeresungeheuer fischen wollen, versucht sie ihr Wissen zur Flucht einzusetzen.

Zu Leviathan liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Anmerkung: Das englischsprachige Original wurde in der deutschen Übersetzung gesplittet. Die verlinkte Rezension bezieht sich daher auf die beiden deutschsprachigen Bücher Die Narbe und Der Leviathan.

Acacia: Macht und Verrat von David Anthony DurhamLeodan Akkaran herrscht über das mächtige Reich Acacia, doch hinter der prunkvollen und Frieden stiftenden Fassade lauern finstere Geheimnisse und Abkommen, die diese Vormachtstellung garantieren. Während Leodan bemüht ist, seine Kinder in ihre Rollen als zukünftige Herrscher einzuführen und sie gleichzeitig zu Erbauern einer besseren Welt zu erziehen, droht Hanish Mein das Volk der Mein aus dem eisigen Norden herabzuführen und Leodans Platz einzunehmen. Dabei verlässt er sich nicht nur auf die Militärmacht der Mein, sondern auch auf ein Netz von Intrigen, das von jenseits der Bekannten Welt bis in den innersten Zirkel des Königs reicht …

– Obwohl er seine unterschiedlichen Verkleidungen mit Würde trug, war er in Wahrheit nichts von alledem, was er darstellte. – S. 14

Acacia: Macht und Verrat (The War With the Mein) stellt den äußerst gelungenen Auftaktband der Acacia-Trilogie von David Anthony Durham dar und ist vor allem eine Empfehlung für Fans epischer Fantasy in epischen Ausmaßen. Dabei ist der Roman trotz seiner knapp 800 Seiten sehr dicht, und Durham erzählt in diesem einen Band eine Geschichte, die andere auf mindestens eine Trilogie ausgewalzt hätten (Yes, I’m looking at you, Mr. Martin!).

Dabei verleiht dem Einsatz bekannter Topoi ((Königs-)Kinder müssen die Welt vor einem großen Übel bewahren) und Stilmittel (wechselnde Figuren, aus deren Sicht geschildert wird) zum Trotz besonders Durhams Erzählweise dem Werk seine Eigenständigkeit. Zwar mag deren Gerafftheit zu Anfang gewöhnungsbedürftig erscheinen, nach kurzer Zeit werden ihre Vorteile aber offenbar: Sie gewährt dem Leser/der Leserin nicht nur eine willkommene Abwechslung vom Beschreibungsschwall typischer High Fantasy, sondern sie lässt auch wesentlich mehr Raum (und hält an) zum Mitdenken, bleibt die Subjektivität der Eindrücke doch in den gerafften, aber erzählerisch dichten Passagen erhalten.

Beim Weltenbau offenbart Durham sein feines Gespür für die engen Verflechtungen von Wirtschaft und Politik und weckt mit regelmäßigen Hinweisen auf eine viel größere „Arena“, die sich wohl im zweiten Band weiter öffnen wird, Interesse an den Folgebänden. Auch bei der Entwicklung der Figuren nimmt sich Durham viel Zeit und schafft nicht nur ein ausgewogenes Verhältnis zwischen gelungenen männlichen und weiblichen Protagonisten, sondern verleiht auch den Antagonisten entweder Tiefe oder belässt ihnen ihre Undurchschaubarkeit, wobei sogar die Fronten zwischen HeldInnen und „Bösewichten“ gegen Ende verschwimmen. Scheinen sich bei der Geschichte der Königskinder zunächst sehr traditionelle Handlungsmuster Bahn zu brechen, schafft Durham es, hier am Ende der Erwachsenwerdungen mehrere gelungene Entwicklungen zu kreieren, die teilweise mit den überkommenen Mustern brechen. Dies sind die Aspekte, die mit den größten Raum im Roman einnehmen, und sie sind eng mit den Entwicklungen in der Bekannten Welt verwoben, das Ende des Konfliktes zwischen Acaciern und Mein wirkt gegen diesen umfangreichen Mittelteil beinahe hastig, lässt einen aber auch gespannt den zweiten Band erwarten.

Meer ohne Ufer von Sean RussellVom Palast auf eine Reise um die halbe Welt geschickt, findet sich Tristam mitten im Ozean auf einer geheimnisvollen Insel wieder. Die Bewohner empfangen die Fremdlinge offenherzig. Doch der Friede wärt nicht lange, denn Tristams Kameraden ist jedes Mittel recht, um ihren Auftrag zu erfüllen – die magische regis-Pflanze zu erlangen und zurück nach Farrland zu segeln, wo der altersschwache König bereits auf sie wartet. Doch auch zu Hause in Farrland geht es nicht gerade ruhig zu: Tristams Cousin Jaimas gerät sieht sich einer ungeheuren Intrige gegenüber, in die sogar der Kronprinz selbst verwickelt zu sein scheint. Doch was wollen die Verschwörer und was hat das Ganze mit Tristams verstorbenem Onkel zu tun, der angeblich der letzte Magierlehrling gewesen sein soll?

Zu Meer ohne Ufer liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

20.000 Meilen unter dem Meer von Jules VerneAls Ende des 18. Jh. die Meldung von einem ,,riesigen Seeungeheuer” durch die Weltpresse geht, schließen sich der Naturkundler Pierre Arronax zusammen mit seinem Diener und der Walfänger Ned Land einer Expedition an, die das Tier finden und zur Strecke bringen soll. Bald ist das Objekt ausgemacht, doch als die Jagd beginnt, setzt sich der vermeintliche Wal heftig zur Wehr; die drei Freunde werden über Bord gespühlt. So gelangen sie an Bord des unglaublichen Unterseebootes “Nautilus”, mit dem sie sich, gemeinsam mit dem rätselhaften Kapitän Nemo und seiner Mannschaft, auf eine phantastische Kreuzfahrt durch die sieben Weltmeere begeben …

-Eine seltsame, unerklährliche Naturerscheinung erregte im Jahr 1866 großes Aufsehen.
Die Bevölkerung war durch Gerüchte beunruhigt; Matrosen und Kapitäne, Kaufleute und Reeder sowie Offiziere der Kriegsmarine gerieten in Aufregung, ja sogar die Regierungen in Europa und Amerika schalteten sich ein.-

Eines vorweg: Wer actiongeladene, rasante Unterwassergefechte und ergreifende Romantik erwartet, der wird von diesem Buch enttäuscht sein. In weiten Teilen gleicht es nämlich eher einer utopischen Studie als einem Roman.
Jules Verne schickt den Leser mit seinen Helden auf eine Entdeckungsreise in die Welt unter Wasser, bei der sein Gespür für Zukunftstrends deutlich wird. Es ist schon erstaunlich, wie die beschriebenen Technologien den heutigen ähneln, obgleich Autor und Gegenwart über ein Jahrhundert trennen.
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht des Forschers Pierre Arronax, der eher ein Mittel zum Zweck denn ein echter Charakter zu sein scheint. Die Ereignisse werden meist (wie für die damalige Literatur üblich) recht neutral und unbeteiligt geschildert, so dass auch der Leser stets eine gewisse Distanz wahrt. Nur gelegentlich sind dramatische oder emotionale Momente zu spüren. Zumal ist Arronax ein Forscher, das heißt, er interessiert sich meist nur für die naturwissenschaftliche Komponente der Reise.
Und hier liegt auch einer der Schwachpunkte der Geschichte: Viel von dem, was Jules Verne erdachte, ist heute entweder wissenschaftlich belegt und bekannt, sodass der Leser eher gelangweilt ist, oder es ist widerlegt, was die auf Realitätsnähe ausgelegte Geschichte unglaubwürdig werden lässt. Was heutzutage ebenfalls befremdlich anmutet, ist der Umgang mit Natur und Tierwelt. Da werden schonmal die “bösen” Pottwale herdenweise von der “guten” Nautilus abgeschlachtet, weil sie ja so fies sind. Damals sicher ein verbreiteter Standpunkt, heute eher empörend.

Aber das Buch hat durchaus auch seine guten Seiten. Gerade am Anfang kann man sich unglaublich gut in die Geschichte hineinträumen, in die einmalige Atmosphäre unter dem Meer und an Bord der Nautilus. Jules Verne beschreibt das Panorama der unterseeischen Wildnis und die barock anmutende Borddeko des Bootes oft so lebendig (wenn auch sparsam), dass man sich sehnsüchtig dorthin wünscht. Der zweite grosse Pluspunkt ist die Figur des Kapitän Nemo. Geheimnisvoll und verschlossen, aber dennoch höflich, wird der Leser bis zuletzt im Unklaren über dessen Identität gelassen. Der Kapitän ist das Mysterium, das Unbekannte, das die Spannung stets aufrechterhält.
Gegen Ende wiederholt sich der Autor dann oft; das Buch bietet wenig neues mehr, nur zum Showdown wird’s nochmal spannend. Ab und an werden seitenweise unwichtige geschichtliche Zusammenhänge erörtert, was der Spannung auch nicht gerade gut tut. Dennoch habe ich die Lektüre dieses Buches nicht bereut; am Ende überwogen doch die positiven Aspekte.
Wer ein wenig vom Ozean träumt, der sollte einen Blick riskieren.

Mit Mantel und Degen, Band 7: Der ChimärenjägerAls die beiden Edelleute Don Lope de Villalobos y Sangrin und Don Armand Raynal de Maupertuis edelmütig ihre Hilfe bei einem Entführungsfall in Venedig anbieten, ahnen sie noch nicht, dass sie damit in ein Abenteuer schlittern, das sie auf die Galeere, zu exotischen Inseln und letzten Endes sogar auf die dunkle Seite des Mondes führen wird. Nie sind sie um eine Herausforderung zum Duell oder einen treffenden Spruch verlegen. Sie gehen keinem Kampf aus dem Weg, finden unerwartete Freunde, verlieren ihre Herzen an schöne Damen und machen sich einen Todfeind …

»Das unverschämte Substantiv,
das Ihr mit viel Emphase
zu nennen Euch erkühntet …
nun sagt schon, war es …« »Nase?«
Akt VIII: Der Fechtmeister

Eine comédie heroïque nennt der französische Verlag in einem Teaser-Video zu Band 8 die inzwischen beinahe vollendete Comic-Reihe Mit Mantel und Degen (De cape et de crocs) und trifft damit den Nagel auf den Kopf – in jedem Band öffnet sich der Bühnenvorhang erneut für Abenteuer und Humor, Action, Heldenmut, Charme und Verse voller Witz. Wer beim Titel an Errol Flynn, den roten Korsar oder drei Musketiere denkt, liegt damit goldrichtig, aber: Don Lope ist ein Wolf und Maupertuis ein Fuchs. Vereinzelt treten in der Überzahl menschlicher Figuren auch andere Tiere auf – und das funktioniert nicht nur, es funktioniert sogar hervorragend, da die Tatsache immer wieder in die Handlung eingeflochten und mancher Schabernack mit Fabelmotiven getrieben wird.
Formal steht Mit Mantel und Degen (im Original: De cape et de crocs, mit Mantel und Zähnen 😉 ) in bester frankobelgischer Albentradition: Es gibt einen durchgehenden, abwechslungsreichen Handlungsbogen und viele prominente Nebenfiguren, die den Weg des caniden Heldenduos immer wieder kreuzen, der Zeichenstil ist opulent und detailreich mit teils sehr atmosphärischer Farbpalette und holt auch aus einigen Klassikern des Comics (z.B. Panels ganz in schwarz, bei denen man nur Augen und Sprechblasen sieht) immer wieder etwas Neues heraus. Herrlich spritzige Dialoge stehen neben einem Ideenreichtum, der bei identitätsgestörten Piraten und kleinen, weißen Hasen, auf die der Kapitän eine Golddublone ausgesetzt hat, nur seinen Anfang nimmt.

Während der erste Band, Das Geheimnis des Janitscharen, fast schon betulich in die Geschichte einführt, geht es spätestens ab Unter schwarzer Flagge (Band 2) richtig zur Mit Mantel und Degen, Band 2: Unter schwarzer FlaggeSache: wahnwitzige Verfolgungsjagden, Meuterei auf der Galeere und später anhängliche Kraken und ein verbannter Prinz erwarten die Helden, deren anfängliche Schatzsuche schnell zu einer Sache der Ehre und der Rettung von Idealen wird.
Wer nun glaubt, Mit Mantel und Degen wäre vor allem laut, bunt und actionreich, kann beruhigt werden, denn Szenarist Alain Ayroles beherrscht vor allem die leisen Töne: Famoser Slapstick und subtiler Witz gehen stets Hand in Hand, und es wird niemals plump, auch nicht bei den grandiosen Abenteuern, deren viele Zufälle sich oft als geschickt verzahnte Entwürfe erweisen, die genauso elegant ineinandergreifen wie die geistreichen Dialoge, die mitunter zum Schlagabtausch in Versen ausarten.
Und während Handlung und Schauplätze immer phantastischer werden, atmet Mit Mantel und Degen doch immer den Hauch seiner Epoche und ist fest im 17. Jahrhundert verankert.

Dazu trägt zu einem nicht unerheblichen Teil die Fülle an Anspielungen bei, die sich in dieser Comic-Reihe verbergen: Neben den naheliegenden Klassikern von La Fontaine bis Dumas wird die französische Literatur in einem Maße abgegrast, dass der nicht-frankophile Leser das Nachsehen hat und gerade noch seinen Molière und Cyrano de Bergerac zusammenkratzt. Des weiteren blitzt immer wieder die Commedia dell’arte auf, zeitgemäße Staatsutopien werden aufgegriffen, die Geschichte der Dichtung, Philosophie und Wissenschaften bemüht, und sogar Gemälde finden sich in Bildanspielungen, von Théodore Géricault über Munch bis Warhol. Man sieht also, auch die Moderne kommt zum Zug, auch in Verweisen auf Lemmings, Der weiße Hai oder Alien. Es geht aber mitnichten nur um ein Abspulen möglichst vieler Referenzen, besonders die Metaebene der Dichtkunst wirkt immer wieder auf die Handlung zurück, und dabei drängt sich durchaus auch einmal ein Kommentar zum aktuellen Literaturschaffen auf, etwa wenn die Gedichtproduktion auf dem Mond angekurbelt wird, wo Verse als Zahlungsmittel dienen.

Mit Mantel und Degen, Band 8: Der FechtmeisterEine weitere Ebene von Mit Mantel und Degen sind die vielen Details – Nebensächlichkeiten, aber auch Genaueres zur Haupthandlung findet man immer wieder im Hintergrund der Bilder, zwischen den Zeilen, subtil verschleiert. Es lohnt sich, ganz genau hinzuschauen – oder genauso, einfach zu lesen und großen Spaß zu haben, und dann, bei einem zweiten Durchgang, noch viel größeren. Denn Mit Mantel und Degen funktioniert auf jeder Ebene und ist auf der vordergründigen bei aller Feinheit eine gute Geschichte für Freunde von Seeabenteuern (die nicht immer mit Schiffen bestritten werden), phantastisch-verrückten Maschinen und der Erkundung weißer Flecken der Landkarte.

In einer Welt, in der das Wort Waffe oder Währung sein kann, auch wenn genauso oft der Degen zum Zug kommt, spielen auch rhetorische Figuren und Sprache eine große Rolle. Übersetzer Harald Sachse hat hier hervorragende Arbeit geleistet, die Gedichte übertragen, auch wenn der vom Dichterhelden Maupertuis vielgepriesene und -verwendete Alexandriner im Deutschen problematisch ist. Die ein oder andere Anspielung geht verloren (woher die Mitglieder des lunaren Kadettenkorps ihre Namen haben, wird z.B. einem französischen Leser eher aufgehen, wenn ihm Colin, Aldrin und Fort-à-Bras (=Armstrong), der im Deutschen “Ursus” genannt wird, zum ersten Mal begegnen), doch im Bereich des Möglichen ist die deutsche Ausgabe eindeutig gelungen.

Wer das charmante, kluge Ensemble rund um Fuchs und Wolf kennenlernen will, darf sich auf 10 randvolle Bände freuen, in denen sich keine überflüssige Szene findet. Nach dem noch nicht erschienenen letzten Band (im Original für Ende des Jahres angekündigt) soll es evtl. mit einem Spin-off weitergehen.
Auch wenn das grand finale noch aussteht: Mit Mantel und Degen hat alles, was man von bester franko-belgischer Comic-Fabulierkunst erwartet – und legt immer noch eine Schippe obendrauf.

Als Bildbeispiel soll das oben erwähnte Teaser-Video dienen, das aus den Bänden 1-7 zusammengestellt ist:
http://www.youtube.com/watch?v=JK20JfbAB9Y

Die Narbe von China MiévilleBellis Coldwine muß ihre Heimatstadt New Crobuzon verlassen und mit einem Schiff in eine ferne Kolonie zu flüchten. Mit ihr an Bord sind andere Passagiere und ein ganzer Rumpf voller Gefangener – Arbeitssklaven für die Kolonie. Doch sie erreichen niemals ihr Ziel: Nach einem Überfall werden alle Reisenden zwangsweise zu Bürgern von Armada gemacht – einer Piratenstadt, die über die Meere von Bas-Lag treibt. Während die Gefangenen nun frei sind und Armada loyal gegenüberstehen, kann sich Bellis nicht damit abfinden, bis ans Ende ihrer Tage dort bleiben zu müssen. Als sie herausfindet, daß die Führer der Stadt nach dem größten aller Meeresungeheuer fischen wollen, versucht sie ihr Wissen zur Flucht einzusetzen.

– Eingezwängt in das winzige Tauchboot mit seinen wuchernden Eingeweiden aus Kupferrohren und Skalen, musste Bellis den Hals recken, um an Cumbershum und Kapitän Myzovic und dem Steuermann vorbeisehen zu können, die ihr die Sicht versperrten. –
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Zu Die Narbe liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Anmerkung: Das englischsprachige Original wurde in der deutschen Übersetzung gesplittet. Die verlinkte Rezension bezieht sich daher auf die beiden deutschsprachigen Bücher Die Narbe und Der Leviathan.

The Pirate's Wish von Cassandra Rose ClarkeAnanna und Naji sitzen noch immer auf der geheimnisvollen Insel fest und sind durch den Fluch aneinander gebunden. Mit Hilfe einer unerwarteten Verbündeten gelingt es ihnen, die Insel schließlich zu verlassen und sich auf die Suche nach Wegen zu machen, die drei unmöglichen Aufgaben zu erfüllen. Die Lage zwischen den beiden ist angespannt und wird nicht leichter, denn beide werden von alten Feinden verfolgt.

– When it comes to dealing with people who think of themselves as important, it’s usually best to keep your mouth shut. –

The Pirate’s Wish setzt The Assassin’s Curse erfolgreich fort und macht vieles noch besser als im Vorgänger. Es gibt noch mehr Piratenatmosphäre, Abenteuer auf See und darunter, Wüstenstädte, Verfolger aus allen Richtungen, unterhaltsame Dialoge und außergewöhnliche Bündnisse. Besonders hervorzuheben neben einer interessant gezeichneten, exotischen Welt, sind die Charaktere.

Ananna ist, mehr noch als Naji, die Hauptfigur dieses Romans und mit ihr kann man den Charakter der jungen, selbstständigen Frau in einem Jugendbuch endlich einmal ernst nehmen. Mit ihren siebzehn Jahren ist sie nicht immer auf der Spur der vernünftigsten Entscheidung, aber wer ist das schon? Die Autorin zeichnet Ananna als selbstbewusste junge Frau, die ihren Zielen treu ist, ungeachtet der Ablenkungen, die ihr auf ihrem Weg begegnen.
Durch den Fluch gebunden, ist die Piratin widerwillig in der Rolle der Damsel in Distress gerutscht, was sie nur hinnimmt, um Naji körperliche Schmerzen zu ersparen, die er jedesmal erfährt, wenn sie sich in Gefahr befindet. Es hält sie jedoch nicht immer davon ab, auch einmal selbst zum Schwert zu greifen oder auf dem Rücken eines Mantikor wie eine wilde Furie in die Schlacht zu reiten. Eine der positiven Eigenschaften von The Pirate’s Wish ist die, dass sich Ananna und Naji ähnlich oft regelmäßig gegenseitig retten und beschützen und beide Stärke beweisen. Naji ist dabei weder ein übertrieben unfehlbar gezeichneter Traumprinz, noch ein mit Muskeln bepackter Schönling, bei dem Frau sofort in die Knie gehen möchte und sich bereitwillig retten lässt. Er hat Schattenseiten, Makel, Gelüste und gegensätzliche Emotionen die er, man mag es “typisch Mann nennen”, eher selten nach außen hin zeigt.
Was die Genderfrage angeht, schafft es Cassandra R. Clarke sehr authentisch wirkende Personen zu schreiben, die weder völlig utopisch erscheinen, noch in die Formen gängiger Klischees gepresst werden. Ananna und Naji wirken wie zwei Menschen von nebenan. Normal. Durchwachsen.
Die wenigen Nebenfiguren bleiben teilweise etwas blass hinter den beiden Hauptfiguren, sind aber solide aufgebaut und verstehen den Leser an den richtigen Stellen zu packen. Sie sorgen für Überraschungen, wenn man es nicht erwartet, und verhindern oft, dass der Roman eine reine Romanze wird.

Womit die Autorin ganz klar einen weiteren Sack voller Sympathiepunkte gewinnt, ist ihr offener Umgang mit der Sexualität ihrer Figuren. Ohne wirklich in Details zu gehen, werden hier Themen angesprochen, die in fast allen anderen Jugendbüchern dieser Tage zugunsten einer altbackenen Prüderie und unerfüllbaren romantischen Vorstellung von Beziehungen vermieden werden. Sex vor der Ehe, Sex mit verschiedenen Partnern im Leben, ja gar die Möglichkeit sexueller Selbstbefriedigung werden ohne falsche Scham angesprochen. Es ist schlicht erfrischend, mal zu lesen, dass beinahe volljährige (oder bereits eindeutig volljährige) Charaktere auch menschliche Eigenschaften, Bedürfnisse und Phantasien haben dürfen, die in der heutigen Zeit ein ganz normaler und gesunder Teil des Erwachsenwerdens sein sollten.
Frau Clarke überschreitet dabei nie die Grenze zum Abstoßenden oder nicht Jugendfreien. Sie erwähnt Möglichkeiten, deutet manches mal mehr, mal weniger an, überlässt die Details jedoch der Phantasie des Lesers und bricht ihre Schilderungen an der entsprechenden Stelle ab. Wer es leid ist, sich andauernd mit den Boyfriend-Issues einer flachen Protagonistin in Nöten und unwirklichen Männerfiguren, die zur Rettung angeeilt kommen, konfrontiert zu sehen, sobald man ein Jugendbuch aufschlägt, der wird von The Pirate’s Wish positiv überrascht. Wenn man Vorbildfiguren suchen sollte, dann lieber Ananna & Naji als Bella & Edward und andere weinerliche Pseudo-Paare.
In The Pirate’s Wish ist die Liebe eine Möglichkeit und eine Entscheidung, aber nicht die einzige Option, für die alles andere unwichtig wird. Wenn einen dieser Roman etwas lehrt, dann, dass alles möglich ist, wenn man bereit ist, Kompromisse einzugehen, um Liebe und persönliche Lebensziele unter ein Dach zu bringen.

The Pirate’s Wish macht von Anfang bis Ende Spaß. Es gibt vielleicht eine Stelle, die etwas mehr Kritik ertragen muss, doch die tut dem Lesegenuss keinen Abbruch. Die Magie bleibt wie in The Assassin’s Curse eher subtil im Hintergrund und das Ende kommt bittersüß, aber sehr passend daher. Entsprechend gibt es für diese Duologie eine klare Leseempfehlung.

Cover von Planet der Sonnen von Karl SchroederNachdem Haydens Eltern bei dem gescheiterten Versuch umgebracht werden, ihrem Clan, den Aerie, mit einer Eigenbau-Sonne die Unabhängigkeit von der mächtigen Slipstream-Nation zu verschaffen, wächst der Junge zu einem rachsüchtigen Erwachsenen heran. Angetrieben von dem Wunsch Admiral Chaison Fanning umzubringen, den er für den Tod seiner Eltern verantwortlich macht, lässt er sich für dessen waghalsige Schifffahrtsmission anheuern. An Bord des Flaggschiffs befindet sich jedoch nicht nur Fanning selbst, sondern auch dessen Frau, die ebenfalls auf Rache sinnt, sowie die geheimnisvolle Waffenmeisterin Aubri Mahallan.

-Hayden Griffin rupfte gerade einen Fisch, als der Schwerkraftalarm ertönte.-
1

Der kanadische Science-Fiction-Autor Karl Schroeder wendet sich mit seinem neuesten Zyklus Virga dem Steampunk zu – zumindest teilweise. Denn bereits im Auftaktband der Pentalogie Planet der Sonnen kündigen sich einige vielversprechende SF-Elemente an.

Die mit Abstand größte Stärke des Romans ist das wahrhaft faszinierende Setting, in dem sich alles um eines dreht: Sonnen. Denn diese versprechen in dem großen, gravitationslosen Raum Virgas vor allem zwei Dinge: Licht und Schwerkraft. Schwerkraft bedeutet politische Macht und Anziehungskraft im wahrsten Sinne des Wortes. Hat man die richtige Ausrüstung, kann man sich in Virga seine eigene Sonne machen, allerdings wird das von den bestehenden politischen Entitäten, die auf Aetherwinden quasi nomadisch auf ihren großteils selbstgebauten Lebensräumen durch den Raum „reiten“, alles andere als gut geheißen, geht damit doch politische Unabhängigkeit einher.

Wer glaubt, damit wäre schon das ganze Pulver des Romans verschossen, der irrt gewaltig, offenbart sich doch im Verlauf der Handlung eine vielversprechende Ebene des an sich schon beeindruckenden Weltenbaus, das für politisches Intrigenspiel ebenso Platz bietet wie für Seefahrerflair versprühende Reisen auf steampunkigen Aetherschiffen durch die schwerelose Weite Virgas.

Leider wird das Lesevergnügen durch den Protagonisten geschmälert, der relativ bald den Eindruck eines Handlungsvehikels erweckt. Seine tragische Vergangenheit und das daraus resultierende rebellisch-rachsüchtige Gemüt scheinen zu verpuffen, sobald sie der Handlung im Wege stehen, sodass das Potential zu einer ambivalenten Hauptfigur ungenützt bleibt. Die weitere Entwicklung Haydens lässt sich eher als eine seltsame Mischung aus Inkonsequenz und Vorhersehbarkeit beschreiben. Die zweite, weibliche Hauptfigur, Venera Fanning, könnte zwar als interessantere Alternative dienen, sie bleibt aber noch zu eindimensional. Hier besteht für die Folgebände noch genug Verbesserungspotential. Die Handlung entwickelt dennoch einen gewissen Sogfaktor, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie auch neue Facetten der Welt beleuchtet und das Ensemble an Haupt- und Nebenfiguren im Verlauf des Romans doch eine unterhaltsame Dynamik entwickelt, Sympathie weckt sowie Potential für die Folgebände erhoffen lässt.

Wer sich also in eine faszinierende Welt entführen lassen will, ohne sich von einer (bisher) deutlich weniger innovativen Charakterzeichnung und Handlungsentwicklung im Lesevergnügen beeinträchtigt zu fühlen, dem sei Planet der Sonnen (Sun of Suns) wärmstens empfohlen – inzwischen sind auch schon zwei Folgeromane auf Deutsch erschienen. Im Original ist die Reihe bereits abgeschlossen.

Cover des Buches "Prinzessin der Haie" von Thomas Burnett Swann Als Charlie auf einen Schlag Mutter und Bruder verliert, verfällt er in eine tiefe Depression. Damit endet sein bisher so glückliches und behütetes Leben. Er verlässt die Universität und bewirbt sich für eine Stelle als Hauslehrer auf einer einsamen Karibikinsel.
Dort findet er nicht nur einen guten Freund und seine erste große Liebe, sondern er begegnet auch dem seltsamen Mädchen Jill und Curk, einem mysteriösen Fremden, der der eigentliche Herr der Insel zu sein scheint. Während Charlie versucht, Jill ein wenig Benehmen und klassiche Bildung zu vermitteln, gerät er in große Gefahr.

-Ich richte meine Geschichte nicht an meine Mitdelphine, obwohl ich sie natürlich, wie es bei meiner Rasse üblich ist, immer und immer wieder meinem erstgeborenen Sohn erzählen werde, bis er sie, Wort für Wort, einmal an seinen Erstgeborenen weitergeben kann.-
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In Prinzessin der Haie (The Goat without Horns) wendet sich Thomas Burnett Swann von der klassischen antiken Mythologie ab und verarbeitet Elemente aus der Sagenwelt der Karibik und der Seefahrt.
Gleich zu Beginn lernt der Leser “Grübler”, den Erzähler, kennen. Dessen Perspektive wechselt im Laufe der Geschichte mehrfach: so gehen Passagen, die in der ersten Person erzählt werden, nahtlos in Kapitel über, in denen Grübler eine reine Beobachter- oder Nacherzählerstellung einnimmt. Diese für Swann typische Art des Erzählens schafft eine fast authentische Atmosphäre, da sie das Gefühl vermittelt, die Geschichte von einem direkt Beteiligten zu hören.
Und wie für Swann auch typisch, ist Grübler nicht einfach ein Mensch, sondern diesmal lässt er die Geschichte von einem Delphin erzählen. Ähnlich wie Charlie, die Hauptperson der Erzählung, hat Grübler vor kurzem seine Mutter verloren und hat sich von seinen Artgenossen zurückgezogen. So ist es nur logisch, dass die Beiden gleich bei ihrer ersten Begegnung einen Seelenverwandten im jeweils anderen finden und sofort Freundschaft schließen. Nachdem Grübler kurz erzählt hat, wie er selber zur Insel “Oleandra” kam und den Leser bei dieser Gelegenheit mit der Welt der Delphine vertraut gemacht hat, wendet er sich bald Charlie und dessen Geschichte zu.

Charlie wirkt, aus Grüblers Sicht beschrieben, wie der perfekte Held einer romantischen Geschichte: gutaussehend, sportlich, empfindsam, bescheiden und klug. Auf Grund des Erzählstils wird aber schnell klar, dass Grübler ein sehr junger Delphin ist. So relativiert sich die beschriebene Perfektion zur Schwärmerei eines Jugendlichen, dessen fehlende Lebenserfahrung einen Großteil seines Urteilsvermögens ausmacht. Genauso unerfahren kommt auch Charlie auf die Insel. Bis zum gleichzeitigen Tod seiner Mutter und seines Zwillingsbruders wohlbehütet aufgewachsen, in einer Atmosphäre der Liebe und Harmonie, begegnet er seiner Umwelt mit einer Selbstgerechtigkeit, die nahezu kindlich wirkt und den Leser eher nachsichtig lächeln lässt, als dass er Charlies Verhalten übel nimmt.
Sicher trägt auch Swanns leichte und poetische Sprache zu diesem Lächeln bei, die gerade in den Begenungen Charlies mit Elisabeth, seiner Arbeitgeberin, so weit aufblüht, dass sie fast ironisch wirkt.

Elisabeth, um einiges älter als Charlie, doch in ewiger Jugend erstarrt, ist die Frau, in der Charlie seine erste große Liebe findet. Beide schwärmen für die gleichen Dichter und nehmen ihre Umwelt durch einen romantisch verklärten Schleier der Melancholie wahr. So erschafft Swann mit Elisabeth einen Charakter, der für Charlie tröstende Mutter, geheimnisvolle Fremde und romantische Geliebte zugleich sein kann.
Ihre Tochter Jill ist so ganz anders als Elisabeth. Ihre direkte, forsche Art des Auftretens, frei von jeglicher Konvention, wirkt fast brutal in diesem Umfeld und lässt Charlie anfangs heftig erschrecken. Da ihre Mutter gesundheitlich stark angeschlagen ist, wurde Jill von Curk erzogen.
Dieser wiederum ist ein Eingeborener, der fest in den Werten und Mythen seines Volkes verankert ist. Er besetzt für Jill die Vaterrolle und Elisabeth kann seiner kraftvollen und düsteren Ausstrahlung wenig entgegensetzen. Da erstaunt es den Leser wenig, dass Jill mit einer Art Geringschätzung auf ihre Mutter herabschaut und Curk nahezu vergöttert.

Erscheint Curk dem Leser geheimnisvoll und stark, so kommen seine Stammesgenossen gar nicht gut weg. Sie werden durchgehend als böse, faul und degeneriert dargestellt. Ob Swann mit dieser Art der Beschreibung provozieren wollte, ob er der Meinung war, dass diese Darstellung einer richtigen Abenteuergeschichte angemessen ist oder ob er wirklich in dieser typisch kolonialen Sichtweise gefangen war, muss wohl jeder Leser für sich selbst entscheiden.
Auch verlangt die Erzählung die Bereitschaft, sich auf die Idealisierung des viktorianischen Frauenbildes einzulassen: wunderschön, gebildet aber auch zurückhaltend und wohlerzogen soll SIE sein. Zwar wird dieses Idealbild zwischendurch gebrochen – erst durch die Grenzüberschreitung Elisabeths wird die Romanze zwischen ihr und Charlie möglich, und auch Jill fasziniert diesen anfangs mit ihrem betont “unweiblichen” Auftreten – doch am Ende unterwerfen sich beide Protagonistinnen wieder dem klassischen Frauenbild ganz bewusst und nahezu begeistert: “Auf dem Schiff werde ich mein Haar wachsen lassen. Es wächst sehr schnell. In ein paar Monaten müßte ich eigentlich präsentabel aussehen.” (Jill, Kap. 12) und können nur dadurch wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden.

So begegnet dem Leser hier also eine Erzählung, die nicht frei von Ecken und Kanten ist. Doch hier ist es nun wieder Grübler, dessen ganz eigene Sicht auf das menschliche Verhalten die Ecken abmildert, der Geschichte ihre Unschuld bewahrt und ihr einen heiteren Nebenton verleiht. Grüblers jugendliche, ja fast kindliche Sicht auf die Geschehnisse, gepaart mit Swanns schon erwähntem blumigen Schreibstil und einem fast schwülen kolonialen Setting, machen aus Prinzessin der Haie das, was es ist: eine unterhaltsame Geschichte für Liebhaber poetisch-melancholischer Abenteuer mit einem Hauch Mystik.

The Scar von China MiévilleBellis Coldwine muß ihre Heimatstadt New Crobuzon verlassen und mit einem Schiff in eine ferne Kolonie zu flüchten. Mit ihr an Bord sind andere Passagiere und ein ganzer Rumpf voller Gefangener – Arbeitssklaven für die Kolonie. Doch sie erreichen niemals ihr Ziel: Nach einem Überfall werden alle Reisenden zwangsweise zu Bürgern von Armada gemacht – einer Piratenstadt, die über die Meere von Bas-Lag treibt. Während die Gefangenen nun frei sind und Armada loyal gegenüberstehen, kann sich Bellis nicht damit abfinden, bis ans Ende ihrer Tage dort bleiben zu müssen. Als sie herausfindet, daß die Führer der Stadt nach dem größten aller Meeresungeheuer fischen wollen, versucht sie ihr Wissen zur Flucht einzusetzen.

-A mile below the lowest cloud, rock breaches water and the sea begins.
It has been given many names. Each inlet and bay and stream has been classified as if it were a discrete.-

Zum zweiten Mal gelingt China Miéville das Kunststück, vorzuführen, was Fantasy alles könnte und wie wenig davon in vielen Fällen realisiert wird. Zeitlich knüpft The Scar direkt an den Vorgänger Perdido Street Station an, steht aber im Bezug auf Handlung und Figuren seperat und erzählt ein völlig neues Kapitel aus der Geschichte der Welt Bas-Lag.

Komplex, kreativ, realistisch und ausufernd ist Miévilles Bas-Lag, es gibt faszinierende neue Völker und Wesen zu entdecken, die Strukturen der Gesellschaft sind ungewohnt gut ausgearbeitet, und auch wenn die großen Zusammenhänge obskur bleiben, hat man stets das Gefühl, sich in einer Umgebung mit politischem und geschichtlich authentischem Hintergrundgeschehen und verschiedenen koheränten Kulturen zu bewegen – doch Fans klassischer Fantasy seien gewarnt: Das Zeitalter entspricht ungefähr der frühen Moderne, in der Maschinen, Wissenschaft und sozialer Sprengstoff, aber auch Thaumaturgie und “magische” Schwerter an der Tagesordnung sind.
Gerade die sozialkritische Komponente kommt immer wieder zum Tragen – in der freien, anarchistischen Piratenstadt Armada entwickelt sich unweigerlich die altbekannte Dynamik und die Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen bleiben letztendlich unveränderlich. Für Leser, von die brisanten Themen in der Fantasy lieber verschont bleiben möchten, ist der Roman daher wenig empfehlenswert.

Auf der anderen Seite wartet allerdings ein großartiges Entdecker- und Meeres-Abenteuer in The Scar (daß Miéville auch submarine Spezies im Portfolio hat, macht gleich zu Beginn des Romans ganz neue Welten zugänglich), und dort kann sich der Autor beim Schöpfen von Monstern und Schauplätzen und in aberwitzigen Ideen austoben, und hat zugleich eine schillernde Projektsionsfläche für Denkansätze verschiedenster Art geschaffen. The Scar mutet teils wie ein bizarrer Fiebertraum an, bleibt aber doch von einer brutalen Realität, in der einem mit grandioser und auch schonungsloser Sprache verstörende und einprägsame Bilder vermittelt werden.
Damit man nicht ganz von der mitreißenden maritimen Entdeckungsreise weggespült wird, sorgt die Protagonistin Bellis für etwas Distanz – sie ist eine spröde Hauptfigur, die sich nicht mit Armada identifizieren kann und sich ihr erzwungenes neues Dasein um keinen Preis aneignen will, selbst als sich ihr ungeahnte Möglichkeiten auftun. Unterstützt wird sie von weiteren Figuren, aus deren Sicht berichtet wird, und die teils zugänglicher als die Heldin sind. Doch Miéville spielt ohnehin mit dem Leser und seinen Figuren, und die Haupthandlung, die am Anfang eher ruhig vor sich hintreibt, gewinnt Schlag auf Schlag an Dynamik und führt einen immer wieder an der Nase herum.
Helden, Pathos und Vorhersehbarkeit gestattet diese Geschichte nicht, statt dessen hat alles einen hohen Preis und läßt Leser wie Figuren verändert zurück. Schon allein wegen dieser emotionalen Kraft lohnt sich der Besuch in Armada – nebenbei sicherlich eine der außergewöhnlichsten Fantasy-Städte, die je beschrieben wurden.

Schiffsdiebe von Paolo BacigalupiNailer verdingt sich an einem der neu entstandenen Strände als Schiffsbrecher, das heißt, er schlachtet Öltanker nach wiederverwertbaren Materialien aus. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen sind hart, Freunde hat er wenige, sein brutaler, drogensüchtiger Vater macht Nailers Leben zusätzlich zur Hölle. Hoffnung auf Besserung hat er keine, bis er nach einem schweren Sturm auf einen gestrandeten Klipper stößt – ein Schiff, das ebenso zu einer anderen (reicheren) Welt gehört wie das Mädchen, das er darin findet. Doch der Luxus, den sich Nailer nun erhofft, hat einen Preis, denn das reiche Mädchen hat nicht weniger mächtige Feinde …

-Es herrschte ein Treiben wie auf einem Ameisenhaufen, mit einem einzigen Ziel: die Knochen dieses gestrandeten Riesen aller wiederverwertbaren Teile zu entkleiden und damit eine neue Welt aufzubauen.- S. 11

Schöne, neue Welt! Schiffe fahren mit Segeln über die See, die hoch in die Atmosphäre geschossen werden, Motoren laufen mit Biodiesel – der Klimawandel scheint der Vergangenheit anzugehören. Wäre Paolo Bacigalupis Schiffsdiebe aus einer anderen Perspektive erzählt, könnte man es für eine Utopie halten. Doch durch die Augen Nailers, der an einem Strand mit Blick auf die Spitzen vom Meer verschluckter Hochhäuser lebt, erhält man einen Eindruck nicht nur von den ökologischen Schattenseiten der neuen Welt, sondern gerade auch von den sozialen. Hierin liegt auch das wirklich Bemerkenswerte des Romans, denn für Nailers Welt müsste man nicht in eine (nicht allzu ferne) Zukunft blicken – seine Lebensumstände ließen sich auch an heutigen Küsten der Dritten Welt finden – Bacigalupi fügt dem Setting nur noch einige Science-Fiction-Facetten hinzu, etwa die als Leibwächter herangezüchteten Tiermenschen.

Auch ansonsten bleibt Schiffsdiebe ein gelungenes Jugendbuch. Nailer ist keineswegs ein strahlender Held, äußerst belastende Familienverhältnisse plagen ihn, sein Umfeld hat ihn geprägt und zu den „richtigen“ Entscheidungen muss er sich erst mühsam durchringen. Leider ist er damit auch die einzige Figur mit etwas Tiefe, die übrigen Pro- wie Antagonisten bleiben großteils Vehikel für die Handlung. Immerhin wirbelt Bacigalupi auch ein paar Geschlechterrollen durcheinander und verpasst Nailer mit Pima ein Mädchen als knallharten Kumpel.
Von derselben Zweckmäßigkeit wie bei den Figuren kann man auch bei der Handlung sprechen, die einen mit Leichtigkeit durch das Buch trägt. Leider fehlen ihr echte Höhepunkte und auch die weiteren Schauplätze, an die sie führt, bleiben etwas farblos. Im letzten Drittel entfaltet der Roman aber nochmals eine Portion Abenteurerflair. Dank dem etwas rasch abgehandelten, aber runden Ende kann man Schiffsdiebe getrost als Einzelroman lesen, es gibt aber einige Anknüpfungspunkte für den bereits erschienenen Folgeband.

Als Jugendbuch ist Schiffsdiebe sehr gelungen und bietet jugendlichem Publikum eine spannende Geschichte mit teilweise drastischen Szenen sowie interessanten Parallelen zu aktuellen Verhältnissen in der Dritten Welt. Erfahrenere LeserInnen könnten von Figuren und Handlungsverlauf allerdings enttäuscht werden, die sollten es vielleicht eher mit The Windup Girl (auf Deutsch als Biokrieg erschienen) versuchen.

Cover des Buches "Sea Without a Shore" von Sean Russell Vom Palast auf eine Reise um die halbe Welt geschickt, findet sich Tristam mitten im Ozean auf einer geheimnisvollen Insel wieder. Die Bewohner empfangen die Fremdlinge offenherzig. Doch der Friede wärt nicht lange, denn Tristams Kameraden ist jedes Mittel recht, um ihren Auftrag zu erfüllen – die magische regis-Pflanze zu erlangen und zurück nach Farrland zu segeln, wo der altersschwache König bereits auf sie wartet. Doch auch zu Hause in Farrland geht es nicht gerade ruhig zu: Tristams Cousin Jaimas gerät sieht sich einer ungeheuren Intrige gegenüber, in die sogar der Kronprinz selbst verwickelt zu sein scheint. Doch was wollen die Verschwörer und was hat das Ganze mit Tristams verstorbenem Onkel zu tun, der angeblich der letzte Magierlehrling gewesen sein soll?

-No one understands, he thought. Has there ever been such an occurrence in known history? The powerful of two nations racing toward a ruined abbey for a purpose that no on can articulate. It is like a madness.-
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Ich gebe zu, dass ich mich mit der Zusammenfassung etwas schwer getan habe. Im Nachhinein sind es doch sehr viele Handlungsstränge, die man schlecht zusammenfassen kann, ohne gleich die halbe Geschichte zu verraten. Noch dazu sind die Handlungen nicht streng voneinander getrennt, sondern haben oft Einfluss aufeinander, obwohl sie eigentlich eine halbe Welt voneinander getrennt spielen. Das macht ja eigentlich gerade eine gute Geschichte aus und ich kann bestätigen: schlecht ist der zweite Teil von Sean Russels Zyklus nicht. Zumindest für diejenigen Leser, die gerne Intrigen- und Machtspiele verfolgen und sich in jedem Adelshaus zu Hause fühlen. Für Leser, die das Schlachtgetümmel oder wilde Magieduelle vorziehen, sicher kein Buch, das ihnen Freude bereiten würde.

Im Prinzip bleibt sich der Autor treu und man kann das kritisieren oder loben, was man auch im ersten Teil kritisiert/gelobt hat. Dass es keine großen Kämpfe oder fiesen Monster gibt, heißt aber nicht gleich, dass der Roman völlig langweilig dahin plätschert und sich an den Intrigen an irgendeinem Königshof aufhält. Der Autor beweist, dass man auch mit subtilen Mitteln durchaus Spannung erzeugen kann. Obwohl sich doch alles um Magie dreht, bleibt sie bis auf den Schluss völlig im Hintergrund. Nicht umsonst steht auf dem Cover, dass die Ära der Magier vorbei ist und nicht bloß in den Untergrund verdrängt wurde.

Die Charaktere sind meiner Meinung nach wunderbar gelungen. Nicht nur die Hauptpersonen Tristam und Jaimy, sondern besonders die Fülle an Nebenpersonen, die jede ihre eigene Geschichte zu erzählen hat. Namentlich Alissa, die Duchess of Morland, die Countess Chilton, der Maler Kent und Captain Stern sind großartige Charaktere, die sehr detailgetreu ausgearbeitet sind und lebendig wirken. Das müssen sie allerdings auch, da sich der Roman über weite Teile eher auf die Personen als auf die Handlung verlässt (wie gesagt, Magieduelle Fehlanzeige).

Erst am Ende kommt dann auch mal richtige Magie zum Zug. Das Ende führt alle Handlungsstränge zu einem interessanten Finale, das gleichzeitig in Ozeana und in Farrland spielt und hier anscheinend die vorher vermisste Magie auf 50 Seiten komprimiert aufholen will. Trotzdem passt das Ende hervorragend in die Geschichte und führt sie zu einem würdigen Abschluss, der einem dann auch am meisten in Erinnerung bleibt.

Auch für den zweiten Teil sollte der Leser solide Englischkenntnisse haben. Die Figuren gehören allesamt zu “höheren Schichten” und die Ausdrucksweise ist etwas schwieriger, als man heute im normalen Schulenglisch gelehrt bekommt.

Insgesamt also eine ruhige, aber nicht allzu leichte Geschichte über Intrigen, Macht und schließlich doch über Magie. 😉

Seaserpents! von Jack Dann und Gardner DozoisSeaserpents! gehört zu einer von Jack Dann und Gardner Dozois herausgegebenen Reihe von Anthologien, die jeweils ein bestimmtes phantastisches Thema oder Motiv behandeln. Sie enthält zehn Geschichten über Seeungeheuer. Alle Geschichten sind vorab schon an anderer Stelle erschienen und werden von einem kurzen Text über den Autor bzw. die Autorin eingeleitet. Eine Liste mit weiterführender Literatur zum Thema schließt die Anthologie ab.

-The moonlight was muted and scattered by the mist above the loch. A chill breeze stirred the white tendrils to a sliding, skating motion upon the water’s surface.-
The Horses of Lir

Wäre ich ein Seeungeheuer, ich würde mich beschweren, dass Nessie mir so schamlos die Show stiehlt. In Seaserpents! ist Loch Ness viel präsenter als das Meer und liefert – direkt oder indirekt – u.a. das Material für die ersten beiden Geschichten, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Auf den plumpen Machismo von L. Sprague de Camp in Algy, der Geschichte über ein mutmaßliches Ungeheuer im Lake Algonquin, dem eine (natürlich) schottische Gruppe von Abenteurer nachspürt, die sich dabei überaus männlich gibt und der ortsansässigen Damenwelt nachstellt, folgt mit Lillian Stewart Carls Out of the Darkness eine gefühlsbetonte Geschichte, bei der die Monsterjagd (diesmal direkt am Loch Ness) nur eine Nebenhandlung zu einer Beziehungskrise ist, in der wissenschaftliche und künstlerische Weltsicht aufeinanderprallen. Bei beiden Geschichten ist das Unvermögen zentral, die Existenz des Monsters zu beweisen, aber richtig in Fahrt kommt Seaserpents! mit keiner davon. Das gelingt erst ganz zaghaft mit Leviathan von Larry Niven, der seinen (auch in anderen Geschichten von ähnlichen Aufträgen geplagten) Helden Svetz aus einer fernen Zukunft in die Vergangenheit schickt, um dort Exemplare inzwischen ausgestorbener Spezies einzufangen, in diesem Fall einen Wal. Leider hat die zuständige Behörde eine fatale Tendenz zur Fehlinterpretation der überlieferten Daten – oder läuft etwas ganz anderes schief?

Ein erstes Highlight ist The Horses of Lir von Roger Zelazny, das zeigt, wie Wunderbares (und Schreckliches) im Verborgenen bis in die Gegenwart überdauert haben könnte und was es bedeutet, damit in Berührung zu kommen. Der Schauplatz der Geschichte ist abermals ein schottischer Loch, doch diesmal ist die Atmosphäre einmalig und Zelaznys eleganter Stil macht The Horses of Lir sehr lesenswert.
Mit Gordon R. Dicksons The Mortal and the Monster geht es grandios weiter, auch wenn der Titel, unter dem der Kurzroman ursprünglich veröffentlicht wurde, nämlich The Monster and the Maiden, treffender gewesen wäre – wozu man wissen muss, dass besagte Maid gerne Lachs frisst und ziemlich groß ist. Wir befinden uns wieder einmal am Loch Ness, immerhin sorgt in dieser Geschichte ganz Dickson-typisch ein Perspektivwechsel für Spannung: Man erfährt die Geschichte aus der Sicht des Seeungeheuers. Es ist ein trauriges, aus der Zeit gefallenes Monster, das gleichzeitig jugendlich sprühend wirkt, während sich beim Leser oder der Leserin Melancholie breitmacht, da man die Welt zu gut kennt, durch die die Protagonistin schwimmt. Die Geschichte enthält auch eine bezaubernde Darstellung eines Kommunikationsversuchs zwischen zwei intelligenten Spezies, die in völlig unterschiedlichen Bedingungen leben, und ist rundum gelungen.

In John Colliers Club Story Man Overboard darf man dann endlich Seeluft schnuppern und den gewitzten Ich-Erzähler auf eine Luxus-Yacht begleiten, die nur einem Zweck dient – dem Aufspüren eines Seeungeheuers. Die Geschichte ist klassisches Kurzgeschichten-Material, was man auch von Manly Wade Wellmans The Dakwa behaupten könnte, das allerdings wegen der Nutzung von amerikanischem Sagenstoff und einem schönen Ambiente die Nase weit vorn hat. Hier gelingt auch mühelos, was in der Eröffnungsgeschichte von de Camp gescheitert ist: Männliche Helden tun männliche Dinge … wenn sie nicht gerade im Bademantel herumlaufen, weil sie ein unfreiwilliges Bad mit dem Dakwa, einem ziemlich unheimlichen und bizarren Wassermonster, genommen haben. Wellman beschwört dabei ein phantastisches Nordamerika herauf, in dem man abends in einer einsamen Hütte das Banjo auspackt und hofft, dass die Wesen der Nacht draußen bleiben.
Eine weitere solide Club Story ist The Kings of the Sea von Sterling E. Lanier, in der Brigadier Ffellowes von einem Abenteuer während eines Urlaubs in Skandinavien berichtet. Sie kann mit einem starken Ende und einer bedrohlichen Atmosphäre punkten, während an der Oberfläche eigentlich nur sehr wenig passiert.

Grumblefritz von Marvin Kaye bringt mit nur vier Seiten in Form einer Zeitungsannonce das Format der Kurzgeschichte an seine Grenzen. Das Plädoyer für ein bedrängtes Seeungeheuer von New York ist eine spielerische Satire mit einem wunderbaren Konzept.
Die abschließende Geschichte, The Devil of Malkirk, ist die beste von Charles Sheffields Doctor-Darwin-Geschichten und wirft einige schottische Mythen in den Topf. Die Verortung am Loch Ness und in der Zeit von Erasmus Darwin wirkt aufgrund der sorgfältigen Recherche sehr lebendig. Außerdem gebührt der Geschichte, die zu den besseren dieser etwas durchwachsenen, aber mit sehr starken Höhepunkten ausgestatteten Anthologie gehört, immerhin der Ruhm, den Schlachtruf aller Kryptozoologen einzuführen: »What in the name of Linnaeus is this?«

Stimme in der Nacht von William Hope HodgsonDie Boote der Glen Carrig sind zwei Rettungsboote, die sich durch unbekannte Gewässer schlagen und auf Inseln mit geheimnisvollen  Bewohnern treffen, immer auf der Suche nach Nahrung, Wasser und einer Möglichkeit, wieder in die Heimat zu gelangen.
Die Herrenlose ist ein treibendes Wrack, das von der Besatzung eines vorüberkommenden Schiffes entdeckt wird und ein unheimliches Geheimnis verbirgt.
Die Nachtwache eines kleinen Schiffes hört eine Stimme in der Nacht. Der Sprecher sitzt in einem kleinen Boot und fleht um Nahrung, aber er will sich um keinen Preis zeigen.
Die Crew der Lancing segelt durch tropische Gewässer, als plötzlich Dampf aus dem Meer aufsteigt. Ein fremdes Schiff nimmt ihre Verfolgung auf.

-Wir waren nun seit fünf Tagen in den Booten und hatten während dieser ganzen Zeit kein Land entdeckt.-
Die Boote der “Glen Carrig”: 1 Das Land der Einsamkeit

In vier Geschichten wendet sich der britische Autor William Hope Hodgson seinem Lieblingsthema – der See – zu. Aber nicht Riffe, Haie, Piraten oder Skorbut sind es, gegen die die Seeleute hier bestehen müssen, sondern vielmehr übernatürliche Schrecken der Meere. Hodgson, der selbst zur See gefahren ist, plaudert aus dem Nähkästchen und verlangt dem Leser einiges an maritimem Vokabular ab, aber die Geschichten sind auch ohne Spezialkenntnisse verständlich – auf die Gefahr hin, nicht ganz genau zu wissen, welcher der Masten gerade vom Sturm geknickt wurde …
Die Crew der Lancing ist die längste der vier Geschichten, mit 160 Seiten eigentlich ein eigener Roman. Sie wartet mit dem unkommodesten der vier Ich-Erzähler auf – keinem einfachen Seemann, sondern eine wohlhabenden, gebildeten Passagier, der einen affektierten, sehr ausführlichen Sprachstil pflegt. Deshalb eignet sich die Geschichte nicht sonderlich gut zum Einlesen ins Hodgsons Stil; sie ist auch die am wenigsten überzeugende der Sammlung. Ursprünglich als Fortsetzungsroman erschienen, gibt es in den kurzen Episoden zwar massenhaft Abenteuer zu bestehen, Kämpfe gegen tückische Meeresteufel, schleimige Blutsauger und heulende Bäume; Stürme werden überstanden und fremde Länder erkundet – aber einen großen Spannungsbogen oder eine Entwicklung der Geschichte gibt es nicht.
Die Herrenlose wird von einem Schiff entdeckt, das mit dem Schiffsarzt und dem naturwissenschaftlich interessierten Ich-Erzähler eine Besatzung aufbietet, die eine wissenschaftliche Erklärung für die übernatürlichen Vorgänge auf dem Wrack sucht – aber sie scheitert und erfährt, daß die See unerklärlich und unerfassbar bleibt. Auch in dieser Geschichte gibt es Kämpfe und Action, und Hodgson versteht es, die Atmosphäre des Übernatürlichen langsam aufzubauen und in Form eines treibenden Wracks in den Alltag der Seeleute eindringen zu lassen.
Die beeindruckendste Geschichte der Sammlung ist allerdings das titelgebende Stimme in der Nacht. Hier erfährt nicht der Ich-Erzähler und mit ihm die Besatzung des Schiffes am eigenen Leib, welche Schrecken das Meer bereithält, sondern nur durch die Worte der geheimnisvollen Stimme, die ihr Schicksal von einem Rettungsboot aus erzählt, wird das reine Grauen vermittelt. Hodgson vermag es, den Leser an die unglaublich Erzählung des Fremden zu bannen. Die Thematik ist eine ähnliche wie bei der vorausgehenden Geschichte, aber hier läuft alles ohne Action ab und das Unheimliche stiehlt sich leise und eindringlich in die Vorstellung des Lesers.
Die Crew der Lancing schließlich setzt auch auf eine unheimliche Begegnung mit einem anderen Schiff, und hat aufgrund des tropischen Settings einen etwas anderen Charakter als die vorausgehenden Erzählungen. Dennoch ist sie nach einem ähnlichen Muster aufgebaut.

Wenn man sich auf Hodgsons mittlerweile etwas antiquierten Stil einläßt, wird man feststellen, daß die Faszination des Unbekannten, das auf und unter den endlosen Wassern lauert, bis heute nicht nachgelassen hat. Der Autor versteht es, der Nachtseite des Meeres erschreckende Gesichter zu verleihen. Anklänge an den Cthulhu-Mythos werden wach bei den Gestalten, die die See in diesen Geschichten ausspuckt, und es verwundert nicht, daß H.P. Lovecraft Hodgsons Werk schätzte.

Undersea von Geoffrey MorrisonNach einer Katastrophe, die das Leben auf der verstrahlten Erdoberfläche unmöglich macht, befinden sich die letzten Überlebenden der Menschheit auf zwei großen Unterseeschiffen. Generationen sind vergangen, als die Stadträtin Ralla eine Entdeckung macht, die das Überleben auf ihrem Schiff, der »Universalis«, gefährdet. Doch ihre Kollegen schenken ihr kein Gehör. Unterdessen schafft es der Fischer und gelangweilte Trunkenbold Thom Vargas, einen Schritt auf der Karriereleiter nach oben zu tun und einen Posten als Shuttle-Pilot zu ergattern. Noch bevor er sich darüber freuen kann, bringt ihn sein erster Passagier, Ralla Gattley, in Schwierigkeiten, denen er sich in keiner Form gewachsen fühlt.

– In the darkness of the deep, Thom Vargas slept. The damp, cramped, cold cockpit pressed in around him, a dormant barrier to the sea beyond. At their dimmest, the backlit buttons on the console before him normally wouldn’t have looked lit at all. But at this depth, they pierced the darkness like suns. – Part I

Postapokalyptische Szenarien haben eine lange Tradition in Horror und Science Fiction. Mit Undersea kämpfen wir jedoch nicht in verfallen(d)en Städten gegen Zombies, Banden oder kanibalistische Stämme, sondern tauchen ab in die Tiefsee, wo riesige Unterwasserschiffe die Reste der Menschheit und eine funktionierende, moderne Gesellschaft beherbergen. Lange bleibt dabei unklar, was der Grund für den Rückzug ins Meer war. Ein Krieg? Eine Naturkatastrophe? In der nunmehr dritten Generation interessieren sich nur noch die wenigsten Nachkommen für die Gründe und gehen ihrem täglichen Leben nach. Undersea ist das ideale Buch für LeserInnen, die auf der Suche nach waschechter Unterwasser-Action und Tauchgängen in futuristischen Anzügen sind. Der einfache, aber wirkungsvolle Plot wird ausgeschmückt von zahlreichen U-Boot-Schlachten, politischen und militärischen Intrigen, einer stattlichen Anzahl von technischen Gadgets und einem manipulativen Gegenspieler, dessen blinde Machtgier die endgültige Auslöschung der verbliebenen Menschheit bedeuten könnte. Die technischen und wissenschaftlichen Details sind aus ästhetischer Sicht spannend und geben ein sehr interessantes Bild für Unterwasserfans ab. Ob sie dabei immer realistisch sind, allen voran die doch etwas wilde Konstruktion der beiden Stadt-Schiffe »Universalis« und »Population«, bleibt manchmal etwas fraglich. Wer von seiner Science Fiction absolut realistische Technik erwartet, wird hier vielleicht an die Grenzen seiner Toleranz geführt, wer sich dagegen mehr auf die Atmosphäre und den Unterhaltungswert der vorhandenen Technik konzentriert, statt sie zu intensiv zu hinterfragen, bekommt ein fulminantes Spektakel, das sich als Pageturner erweist. Kleine Details wie z.B. der Filmtitel »It came from the Surface II« sorgen außerdem für eine Prise Humor. Neben dem stimmungsvollen Weltenbau vermögen auch die Charaktere zu unterhalten. Frei nach dem Motto: ab ins kalte Wasser mit ihnen! – schickt Autor Morrison seine beiden Hauptfiguren in ansehnlichem Tempo von einem Problem ins nächste. Ralla Gattley hat ein gemütliches Leben, einen Partner, der ihre Zukunft schon geplant hat, und sie könnte sich eigentlich entspannt zurücklehnen, hätte sie da nicht diesen eigenwilligen Kopf und eine selbst auferlegte Mission vor Augen. Mit Fakten und starkem Willen kämpft sie gegen die Ignoranz der älteren Ratsmitglieder an und versucht schließlich auf eigene Faust das Überleben der Bewohner ihres Schiffes zu sichern. Dazu bereist sie die Unterwasserproduktionsstätten, die sich am Grund der Meere in gigantischen Domkuppeln befinden, legt sich mit mächtigen Widersachern an und lässt sich auch in brenzligen Situationen nicht von Furcht oder Hoffnungslosigkeit übermannen. Gerade als man denkt, sie verfalle doch dem Klischee der Jungfrau in Nöten, packt sie die Ellbogen aus und nimmt das Problem einmal mehr selbst in die Hand. Es macht Spaß, ihre Bemühungen und Entscheidungen zu beobachten und sie als eine Frauenfigur zu erleben die intelligent, zielstrebig und gleichzeitig emotional glaubwürdig bleibt. Thom Vargas dagegen ist ein junger Mann, der sich bereits dem Schicksal ergeben hat, zur untersten Schicht der Gesellschaft zu gehören, und sein Glück allabendlich darin sucht, sich zu betrinken, um die Ödnis für eine Weile vergessen zu können. Er ist das ganze Gegenteil eines weißen Ritters und von willentlichem Engagement kann schon gar nicht die Rede sein. Seine Versuche, seiner Herzdame zur Rettung zu eilen, enden meist auch noch darin, dass er zu spät kommt und nur noch zusehen kann, wie sie Chaos schaffend voran eilt. Im Laufe des Romans macht er eine rasante Entwicklung durch, die ab und an etwas zu übereifrig und einfach wirkt. Andererseits ist der Roman auch in drei Abschnitte unterteilt, die längere Zeiträume überbrücken, um direkt weiter zum interessanten Part zu springen. Im Krieg herrschen zudem sicher Zustände, die eine lange Akzeptanz- und Entwicklungsphase nicht ermöglichen. Alles in allem ergeben Ralla und Thom letztlich ein ungleiches Gespann mit Unterhaltungswert, das seine Leser zu interessieren versteht. Es gibt bei Undersea sicher auch einiges, dass man als Manko nennen muss. Der Roman ist in Eigenregie von Autor Geoffrey Morrison herausgegeben worden, und man merkt es dem Text gelegentlich an. Ein professioneller Lektor hätte hier sicher noch ein paar Details perfektionieren können, doch das sind letztlich Kleinigkeiten. Mit den vorhanden Rechtschreibfehlern verhält es sich ähnlich. Obwohl ein Korrektor bemüht wurde, der im Anhang genannt wird, finden sich gelegentlich fehlende Buchstaben, Satzzeichen oder Buchstabendreher, jedoch nicht mehr, als es nicht auch schon bei bekannten Verlagen vorgekommen wäre. Den Lesefluss stören diese Fehler nur selten. Daneben ist der Buchsatz lesefreundlich gestaltet und auch beim Buchcover hat man sich offenkundig Mühe gegeben, das sind zusätzliche Pluspunkte. Zusammenfassend kann man sagen, dass Undersea trotz einiger Anfängerschwächen ein gelungenes Beispiel für einen selbstpublizierten Roman darstellt. Gerade wenn man auf der Suche nach Unterwasser-Science-Fiction ist, wo die Auswahl aktuellerer Bücher bisher doch stark begrenzt ist, sollte man dem Roman eine Chance geben und den abenteuerlichen Ausflug in das Reich der Tiefsee genießen.

Cover von Das verlorene Land von Michael A. StackpoleDas Land der Neun Dynastien wurde vor über 700 Jahren von einem magischen Kataklysmus verwüstet und erholt sich erst langsam davon. In Nalenyr leben die Brüder Keles und Jorim, beide gehören zur Anturasi-Familie, durch besondere Fähigkeiten in der Kartografie die mächtigste Familie neben dem Prinzdynasten Cyron. Eigentlich könnten sie ein angenehmes Leben führen, wäre da nicht Qiro, ihr Großvater, der seine Stellung als Oberhaupt der Familie behaupten will und seine Enkel deswegen auf gefährliche Missionen nach Osten und nach Westen schickt, wo noch immer wilde Magie tobt. Gleichzeitig hofft Prinz Cyron auf neue Handelswege, deren Reichtümer Nalenyr vor den expansionsfreudigen Nachbardynastien schützen sollen.

-»Falls ihr immer noch kämpfen wollt, nennt eure Bedingungen.«
Ich hab keine Angst vor euch.« Pavyntis braune Augen wurden schmal. »Natürlich bis zum Tod.«
Moraven nickt. »Zeichnet den Kreis.«-
1

Der seitenstarke Auftakt des neuen Zyklus von Michael Stackpole platzt zwar nicht gerade vor Spannung, beweist aber, dass der Zyklus durchaus Potential hat und sich einiges daraus entwickeln kann. Besonders das Ende beinhaltet einige gemeine Cliffhanger, die einen neugierig auf den nächsten Teil machen. Aber erstmal zu diesem Buch:
Das schwierige an Auftaktbänden ist natürlich, dass der Leser in eine völlig fremde Welt eingeführt wird und sich zurechtfinden muss. Aber gerade da macht es uns der Autor nicht sonderlich einfach. Schon im ersten Kapitel wird man mit fremden Bezeichnungen überhäuft, ohne irgendeine Erklärung zu erhalten. Im Laufe des Buches erhält man zwar ansatzweise ein paar Erläuterungen, aber diese Hilfe kommt spärlich und spät. Besonders Anfänger dürften bei Wörtern wie Xidantzu, Pavynti Syolsar und Ummummorar schnell die Lust am Weiterlesen verlieren. Aber keine Sorge, mit etwas Geduld durchschaut man auch diesen Wirrwarr an Wörtern und kann relativ unbeschwert der Handlung folgen.
Diese ist, wie bereits geschrieben, nicht gerade die pure Spannung. Eher langsam und bedächtig steigt die Spannungskurve bis zum Ende hin an und fesselt erst auf den letzten Seiten richtig. Schade nur, dass man dann auf den nächsten Band warten muss. Außerdem erkennt man einige “ausgeliehene” Ideen anderer Geschichten und Mythen. So entspringt etwa die Idee der Kaiserin, die eines Tages wiederkommen wird, um ihr Volk gegen Feinde zu verteidigen, eindeutig der Artus-Sage.

Zwischendrin gibt es dafür jede Menge Intrigen und Mordkomplotte, die zwar einen detaillierteren Blick auf die Welt und die Dynastien erlauben, aber dafür recht umständlich und vor allem langatmig geschrieben wurden. Dennoch muss man Stackpole für die Komplexität der Welt Respekt zollen, alles ist gut durchdacht und ausgearbeitet. Würde man nur besser in die Welt eingeführt werden, könnte man diesen Aspekt des Buches vielleicht mehr Beachtung schenken. Doch genau wie etwa bei Steven Erikson geschieht das zu wenig, sodass der Leser eher außen vorbleibt, anstatt sich in die Welt hineinversetzen zu können. Geübte Leser werden dabei allerdings nicht so große Probleme haben wie Fantasyneulinge.
Bei den Charakteren jedoch gab sich Stackpole größte Mühe, und das merkt man auch. Die Personen sind vielschichtig und lebendig dargestellt, jede hat ihre Vergangenheit. Besonders Qiro als tragischste Person fällt dabei ins Auge. Bei Nebencharakteren lässt diese Sorgfalt etwas nach, etwa wenn die “Mutter der Schatten”, eine alte Frau im Dienste des Prinzdynasten von Deseirion, immer nur ans Töten denkt und der Prinz sie jedes Mal davon abhalten muss, jeden Feind persönlich aus dem Weg zu räumen.
Insofern verspricht das Anfangsbuch des Zyklus mehr für die kommenden Bände, hoffentlich können diese die Versprechen auch halten.

Voyage of the Shadowmoon von Sean McMullenAuf dem Kontinent Torea ist ein machthungriger Kaiser auf dem Weg, alle anderen Reiche zu erobern – und er schreckt dazu auch vor dem Gebrauch einer zerstörerischen Waffe nicht zurück.
Zur selben Zeit tingelt das kleine Schiff Shadowmoon durch die Häfen der Küste. Niemand weiß, daß die Mannschaft aus Spionen besteht, die Informationen sammeln – unter anderem über die Waffe des Kaisers Wasrovan. Doch wer wem vertrauen kann und wer für wen arbeitet, ist niemals ganz klar. Die Katastrophe droht bereits über Torea hereinzubrechen, und die Spione und zufällig auf der Shadowmoon gestrandeten Passagiere müssen zusammenarbeiten, um dem verrückten Wasrovan seine Waffe abzunehmen…

-Miral dominated the sky as the deepwater trader docked, an immense green, banded disk at the center of threee scintillating green rings.-
Prologue

Sean McMullen schafft in diesem Roman den Spagat zwischen einer epischen, mitreißenden Handlung und nahezu unglaublicher Komik, die entweder aus absurden Situationen oder aus dem trockenen Humor der Figuren erwächst. Der rote Faden wird allerdings nie dem Witz untergeordnet, auch wenn der Autor sämtliche Gelegenheiten für skurrilen Szenen auskostet.
Schon die Charaktere allein bieten Anlaß für einige Lacher: Da wäre in erster Linie Laron, der einzige Vampir der Welt Verral, der seit Jahrhunderten im Körper eines pickeligen 14jährigen steckt, und der auf seinen Beutezügen immer das Wohl der Menschheit im Auge hat; außerdem der Krieger und Magier Roval, der seine Probleme mit dem anderen Geschlecht am liebsten in Alkohol ertränkt, die erstaunlich resourcenreiche Priesterin Terikel und etliche andere. Der Leser wird in schneller Folge von einem Charakter zum nächsten gejagt und wird dabei Zeuge unglaublicher Abenteuer in schönster Mantel- und Degen-Manier, die nicht selten auf einem äußerst wagemutigen Plan fußen. Der Spaß und die amourösen Episoden kommen dabei keinesfalls zu kurz, dennoch nimmt sich die Handlung im Grunde genommen ernst – auch wenn sie meistens locker und leichtfüßig von einem Punkt zum nächsten hastet, von einem lakonischen Erzählstil geerdet, der Voyage of the Shadowmoon zu einem einzigartigen Vergnügen macht.

Auf den zweiten Blick erscheinen die Zusammenhänge kompliziert und mitunter verwirrend, denn es ist teilweise recht schwer, sich zu merken, wer mit wem gemeinsame Sache macht und was die jeweiligen Charaktere über die anderen wissen. McMullen behält sich auch vor, den Leser mehrmals kräftig zu überraschen, indem er die eigentlichen Ziele einer im Grunde wohlbekannten Figur erst recht spät in der Handlung eröffnet.

Erwähnenswert ist auch die Welt Verral – der Mond eines größeren Planeten – die Magie in rauhen Mengen aufweist und sich noch in jeder Menge anderer exotischer Einzelheiten  von unserer Welt (die übrigens am Rande eine Rolle spielt) unterscheidet. Zahlreiche Orden, Vereinigungen und Reiche bieten Raum für die Spionage-Arbeit der Agenten, denen James Bond wohl nicht das Wasser reichen könnte. Als wäre das alles nicht schon sensationell genug, macht McMullen zu Beginn des Buches etwas, das in Fantasy-Romanen normalerweise immer in letzter Sekunde verhindert wird, und benutzt es als Ausgangspunkt für die Handlung (und beeindruckenden Schauplatz).
Wenn man sich in dieses grandiose Abenteuer auf See, an intrigenreichen Höfen und anderen exotischen Schauplätzen stürzt, wird man feststellen, daß sich wunderbarer Nonsens-Humor und Spannung und bedeutsame Ereignisse nicht gegenseiutig ausschließen; und auch die Charaktere setzen sich im Gedächtnis fest, obwohl sie vordergründig hauptsächlich durch ihre Schrullen zum Leben erweckt werden.

Cover von Die Wellenläufer von Kai MeyerAls ein magisches Beben die Küsten der Karibik erschüttert, werden in den Piratenhäfen Kinder geboren, die ungewöhnliches Talent besitzen. Sie können über das Wasser gehen.
Nach vierzehn Jahren, glaubt Jolly, dass sie die einzige Wellenläuferin ist.
Doch als sie Munk begegnet – der ebenfalls auf dem Wasser geht und aus Muscheln einen alten Zauber erwecken kann – belehrt das Schicksal sie eines besseren. Den beiden Wellenläufern steht ein schweres Schicksal bevor: Im Atlantik dreht sich ein riesiger Mahlstrom, den nur die beiden Freunde wieder verschließen können.

– Mit weiten Schritten lief Jolly über den Ozean.-
Die Quappe

Nach knapp zweitausend Jahren schreibt ein Autor zum erstenmal wieder eine Geschichte über jemanden, der auf dem Wasser gehen kann. Und das Warten hat sich gelohnt, auch wenn Ähnlichkeiten mit lebenden, verstorbenen oder fiktiven Personen nicht rein zufällig sein dürften. Als Quellen, aus denen Kai Meyer seine Inspiration geschöpft haben könnte, bieten sich an: Das Neue Testament, Das Alte Testament, wahlweise Hauffs Geschichte vom Gespensterschiff oder Der fliegende Holländer, und Poe’s A Descent into the Maelstrom. Die mythologische Unterwelt Acheron stand als Namensgeber Pate für das furchterregende Ungeheuer Acherus, dem Jolly und Munk mit knapper Not entrinnen und wie man bei Seneca nachlesen kann, bezeichneten schon die alten Römer den Atlantik als das mare tenebrosum und Festus Avienus behauptete, dies sei der Ozean, auf dem noch nie ein Schiff gefahren sei. Der Name des Schiffes Natividad stammt aus C.S. Foresters Hornblower-Romanen. Und natürlich kennt man die Welt, die Meyer zeichnet, aus sämtlichen Hollywood-Piratenfilmen seit Captain Blood. Die Piratenprinzessin Soledad gleicht bis aufs Haar der Korsarin Feuerkopf Stevens, die Maureen O’Hara in dem Film Gegen alle Flaggen so hervorragend gespielt hat.
Aber alle diese Déjà vus mindern die Qualität des Romans kein bißchen. Erstens werden die jungen Leser, für die der Roman eigentlich gedacht ist, all diese Parallelen nicht wahrnehmen und zweitens hat Meyer keineswegs von diesen Werken und Mythen einfach abgekupfert und Versatzstücke in seinen Roman eingebaut, wie das schlechte Autoren so gerne tun. Meyer ist es gelungen mit Die Wellenläufer einen ganz eigenen Roman zu schaffen, der immer wieder mit neuen Überraschungen aufwartet und dessen Ende nicht vorhersehbar ist. Aufregende und komische Passagen wechseln sich ab. Man darf gespannt sein auf die Entwicklung einer der Hauptpersonen, von der man am Schluß des Buches nicht weiß, ob sie den Weg des Guten oder des Bösen einschlagen wird. Mit dem eigenwilligen Orakel, das abwechselnd dichtet oder rülpst (wobei beide Äußerungen ungefähr die gleiche künstlerische Qualität haben) ist Meyer eine besonders originelle Figur gelungen, die dafür sorgt, daß der Schrecken in dieser Geschichte nicht die Überhand gewinnt. Denn es steht zu befürchten, daß der Tod und Verwüstung bringende Acherus nicht das letzte Ungeheuer ist, das dem unheimlichen Mahlstrom entsteigt.

Welt ohne Ende von Sean RussellDie Zeit der Magier ist vorbei und all ihre Geheimnisse sind mit ihnen verloren gegangen. Es ist der Beginn einer neuen Ära, ein Zeitalter der Wissenschaft und der Entdeckungen, und Tristam Flattery ist einer der vielversprechendsten jungen Wissenschaftler. Er wird an den königlichen Hof von Farrland gerufen, um eine geheimnisvolle Pflanze wieder zum Blühen zu bringen, die das Leben des Königs retten soll. Dort erkennt Tristam schnell, dass er direkt zwischen die Fronten eines langjährigen politischen Konfliktes geraten ist. Er muss sich zum Ende der bekannten Welt aufmachen – eine Reise, die mehr mit Magie zu tun hat als mit Wissenschaft …

Zu Welt ohne Ende liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von World Without End von Sean RussellDie Zeit der Magier ist vorbei und all ihre Geheimnisse sind mit ihnen verloren gegangen. Es ist der Beginn einer neuen Ära, ein Zeitalter der Wissenschaft und der Entdeckungen, und Tristam Flattery ist einer der vielversprechendsten jungen Wissenschaftler. Er wird an den königlichen Hof von Farrland gerufen, um eine geheimnisvolle Pflanze wieder zum Blühen zu bringen, die das Leben des Königs retten soll. Dort erkennt Tristam schnell, dass er direkt zwischen die Fronten eines langjährigen politischen Konfliktes geraten ist. Er muss sich zum Ende der bekannten Welt aufmachen – eine Reise, die mehr mit Magie zu tun hat als mit Wissenschaft …

-The drama unfolding in the field below seemed so improbable that it could have been nothing more than two groups of players preparing a performance – the duel that would bring down the curtain on the first act.-
One

Wer aufgrund der Inhaltsangabe ein Übermaß an Magie oder magischen Elementen erwartet, wird wohl bitterlich enttäuscht werden. Die Welt, von der Sean Russell hier schreibt, hat wenig mit den allgemein bekannten “magischen” Ländern anderer Bücher gemein: Die Vernunft und die Wissenschaft gelten als höchste Instanz, Wissenschaftler haben die Magier ersetzt und es werden Entdeckungsfahrten rund um den Globus gemacht, um neue Länder und Spezies zu entdecken. Ganz offensichtlich bedient sich Russell dabei an unserer eigenen Geschichte: Farr gleicht in fast allen Einzelheiten Großbritannien im 18. Jahrhundert, angefangen von der sozialen Struktur bis hin zu den großen Entdeckungen dieser Tage, so z.B. taucht der automatische Webstuhl ganz nebenbei mit auf. Und selbst der Dauerkonflikt mit anderen Ländern wie z.B. Frankreich wird adoptiert, hier heißt das Land dann “Entonne” und man spricht zufällig eine Sprache, die für unsereins unter den Begriff “französisch” fallen dürfte. Daher hatte ich zwischendurch oft das Gefühl, einen historischen Roman und kein Fantasy-Buch zu lesen. Man kann Russell jedenfalls nicht vorwerfen, dass seine Welt daher “platt” sei. Nach und nach wird ein sehr differenziertes Bild der Welt gezeigt, das nicht nur die Vorteile der großen Entdeckungen, sondern auch die Nachteile – Arbeitslosigkeit und Umweltverschmutzung – zeigt. Und auch Russells Schreibstil passt sich dem “alten England” an, er kopiert perfekt den Stil des 18. Jahrhunderts. Man hat also wirklich das Gefühl, man stehe am Beginn der Industrialisierung, zwar nicht in England, sondern in Farr, das aber bis auf die Ortsnamen keine großen Unterschiede aufweist.

Auch die Handlung präsentiert sich weniger fantastisch, als zunächst erwartet. Die erste Hälfte spielt noch am Hofe des Königs bzw. in Farr selbst. Die Hofintrigen und der Kampf um gesellschaftliche Akzeptanz der Hauptperson stehen noch im Vordergrund, Magie wird wenn überhaupt nur sehr am Rande angesprochen. Der zweite Teil – die Reise ans Ende der bekannten Welt – präsentiert sich auch nicht sonderlich anders. Zwar verstärken sich jetzt die merkwürdigen Ereignisse und der Autor lässt mehr oder weniger Andeutungen fallen, was aber bei weitem nicht ausreicht, ein klares Bild zu erzeugen, wo das ganze denn nun hinführen soll. Genauso wie Tristam wird auch der Leser das ganze Buch über im Unklaren gelassen, worauf alles nun hinausläuft. Auf Seite 600 ist man in Bezug auf Magie nicht sehr viel weiter als auf Seite 1, kein sonderlich guter Schnitt.
Ich kann zwar nicht gerade behaupten, dass mich die Handlung gefesselt hat, aber immerhin passiert immer genug, um weiterzulesen. Das aber auch nur, weil man bis zum Ende nicht eindeutig weiß, wer denn nun auf wessen Seite steht und ob derjenige zu den Guten oder den Böse gehört. Zwar erkennt man die konkurrierenden Parteien untereinander, aber weder Tristam noch der Leser erfährt mehr als nötig über deren Absichten. Und da darf man sich nicht zu sicher sein, ob es auch wirklich stimmt, was einem da erzählt wird.
Bleibt einem nur zu hoffen, dass der zweite Teil die Andeutungen des ersten umsetzt und uns ein bißchen mehr Magie präsentiert.