Bibliotheka Phantastika erinnert an H.P. Lovecraft, dessen Todestag sich heute zum 75. Mal jährt. Es ist einerseits fast unmöglich, im Rahmen eines kurzen Erinnerungstextes auf das umfangreiche Ouevre des am 20. August 1890 in Providence, Rhode Island, USA, geborenen und am 15. März 1937 verstorbenen Howard Phillips Lovecraft einzugehen – und es käme andererseits wohl auch dem Versuch gleich, Eulen nach Athen zu tragen, denn Lovecraft, der wohl wichtigste Autor des Pulpmagazins Weird Tales und Schöpfer des Cthulhu-Mythos, ist auch in Deutschland einer der bekanntesten Autoren phantastischer Literatur, dessen Werk praktisch komplett in drei verschiedenen Übersetzungen vorliegt.* Deshalb soll es an dieser Stelle auch gar nicht um die Großen Alten und ihre Handlanger gehen, sondern um jenen Text, der klassischer Fantasy am nächsten kommt.
Anfang 1927 beendete Lovecraft nämlich eine längere Erzählung mit dem Titel “The Dream-Quest of Unknown Kadath”, die erst einige Jahre nach seinem Tode veröffentlicht wurde – das erste Mal 1943 in dem Sammelband Beyond the Wall of Sleep – und in der ein gewisser Randolph Carter (ein Protagonist, der in mehreren Lovecraft-Stories auftaucht und mehr oder weniger als Alter Ego des Autors betrachtet werden kann) eine von immer wieder abrupt unterbrochenen Träumen inspirierte Reise in die Dreamlands unternimmt – d.h. einen Weg sucht und findet, wach und willentlich die Lande des Traums zu betreten –, um sich dort auf die Suche nach der ihm in seinen Träumen erschienenen Stadt Kadath zu begeben, in der angeblich die Götter leben sollen. Unterwegs begegnet er allerlei bizarren Kreaturen und besucht merkwürdige Orte, um am Ende zu finden, was er gesucht hat – und doch auch wieder nicht.
“The Dream-Quest of Unknown Kadath” ist stilistisch gewiss nicht jedermanns Sache, denn in dieser wie den übrigen Geschichten des Dream Cycle (das sind im wesentlichen “The White Ship”, “The Cats of Ulthar”, “Celephaïs” und “The Silver Key”) ist der Einfluss, den die Erzählungen Lord Dunsanys auf das Frühwerk Lovecrafts hatten, deutlich spürbar – und das Ergebnis ist nicht immer gelungen. Andererseits bietet die Reise Randolph Carters eine durch die merkwürdige Traumlogik bedingte, ziemlich einzigartige Atmosphäre. Und sie hat andere Autoren inspiriert, ihre eigene Version der Dreamlands zu erschaffen, was wiederum bei Lovecraft, dessen Cthulhu-Mythos inzwischen unzählige Autoren mit ihren eigenen Geschichten und Visionen erweitert haben (oder auch nicht), nicht weiter verwunderlich sein dürfte. Auf Deutsch ist Die Traumfahrt zum unbekannten Kadath (1980) bzw. Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath (1992) zweimal als einzelnes Buch erschienen (und mehrfach neu aufgelegt worden), findet sich aber auch – genau wie die übrigen Geschichten des Traumlande-Zyklus – in dem Sammelband Die Katzen von Ulthar (1980) so wie in den entsprechenden Bänden der Lovecraft-Werkausgaben.
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* Ebenso bekannt sein dürften - spätestens nach Nnedi Okorafors Auseinandersetzung mit ihrer World-Fantasy-Award-Statuette und der sich daraus entspinnenden Diskussion - Lovecrafts zutiefst rassistische und antisemitische Überzeugungen, die sich besonders in seinen Cthulhu-Werken widerspiegeln. Damit hat sich auch unser geschätzter Kollege Anubis in diesem Blogbeitrag auseinandergesetzt, der mit weiteren interessanten Links aufwartet.
Hui, danke für die Verlinkung!
Schön, dass Lovecraft einmal nicht nur als der Schöpfer des Cthulhu-Mythos gefeiert wird. Persönlich halte ich ja nicht gerade viel von der ‘Dream-Quest’ (HPL hat mMn nie das Niveau seines Vorbilds Dunsany erreicht), doch zum Verständnis seines Gesamtwerks sind die ‘Dreamland’-Geschichten zweifelsohne von großer Bedeutung. Ich glaube sogar, dass die schleimigen Abgründe des Cthulhu-Mythos nur im Kontrast zur strahlenden ‘Stadt im Sonnuntergang’ aus der ‘Dream-Quest’ richtig verstanden werden können.
Was Lovecrafts Rassismus betrifft, mag es manchen vielleicht interessieren, dass ich vor einiger Zeit einen zweiteiligen Beitrag dazu auf meinem Blog veröffentlicht habe:
http://katzenklaue.blogspot.de/2012/01/der-gentleman-von-providence-und-seine.html
http://katzenklaue.blogspot.de/2012/02/der-gentleman-von-providence-und-seine.html
(Tut mir leid, aber ich weiß leider nicht, wie ich hier auf elegantere Weise irgendwelche Links angeben kann.)