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Pakt des Blutes von Paul S. KempDie ungleichen Freunde Egil und Nix verdienen ihr Gold mit Grabräuberei. Nachdem sie bei ihrem letzten Coup erneut knapp dem Tod entronnen sind, entschließen sich die beiden, ihren Beruf an den Nagel zu hängen, ihre Lieblingsschänke zu kaufen und als Geschäftsführer einen ruhigen Lebensabend zu verbringen. Was sie dabei jedoch nicht ahnen: Bei ihrem letzten Raubzug haben sie einen hohen Dämon getötet, der zugleich durch einen uralten Pakt an die Zaubererfamilie der Norristru gebunden ist. Das Oberhaupt Rakon Norristru sieht seine Zukunft nun gefährdet und zwingt Egil und Nix auf eine gefährliche Mission, um seine Macht auch zukünftig zu sichern …

Zur ganzen Rezension bitte hier entlag.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Michael Moorcock, der heute 75 Jahre alt wird. Auch wenn der am 18. Dezember 1939 in Mitcham (damals noch eine Stadt in der englischen Grafschaft Surrey, mittlerweile ein Stadtteil von Greater London) geborene Michael John Moorcock auf dem deutschen Buchmarkt aktuell nicht (mehr) präsent ist (oder genauer: nur in Form einer Comicadaption seines bekanntesten Helden und in Second-Hand-Ausgaben) und ein großer Teil der jüngeren deutschsprachigen Fantasyleserinnen und -leser mit dem Namen möglicherweise gar nichts mehr anfangen kann, ändert das nichts an seiner Bedeutung vor allem für die englische, aber letztlich für die gesamte angloamerikanische SF- und Fantasy-Szene. Egal, ob als Herausgeber des SF-Magazins New Worlds (1964-69), das er praktisch zu einem Sprachrohr der britischen New Wave machte, als Schöpfer des Konzepts des “Ewigen Helden” (dessen erste und bekannteste Inkarnation Elric von Melniboné anfangs ein schlichter Anti-Conan war, der seine ersten Auftritte 1961/62 auf den Seiten des Magazins Science Fantasy erlebte, und dessen Stories erst nachträglich in das Konzept des Ewigen Helden ein- und aus diesem Grund auch teilweise umgearbeitet wurden, was die Elric-Saga zu einem bibliographischen Alptraum macht) und des Multiversums (das in seinem ersten SF-Roman The Sundered Worlds (Magazinveröffentlichung 1962/63 in Science Fiction Adventures, Buchveröffentlichung 1965 bzw. als The Blood Red Game 1970) zum ersten Mal als Begriff auftaucht und als Hintergrund für seine SF- und Fantasywelten dient) oder als Verfasser teilweise locker mit dem Metazyklus um den Ewigen Helden verknüpfter, teilweise davon unabhängiger höchst unterschiedlicher Romane und Zyklen, als da beispielsweise wären: die Kane of Old Mars Trilogy (1965, ein Burroughs-Pastiche unter dem Pseudonym Edward P. Bradbury), der The Elric Saga von Michael Moorcockzumindest von gläubigen Christen als reichlich blasphemisch empfundene Zeitreiseroman Behold the Man (1969; die Erweiterung einer bereits 1966 erschienenen und mit dem Nebula ausgezeichneten gleichnamigen Erzählung), das Cornelius Quartet (1968-72) mit dem anarchistischen und amoralischen, wie eine popkulturelle Ikone des Swinging London der 60er Jahre inszenierten Antihelden Jerry Cornelius (der ein wenig wie eine Parodie des wandelnden Weltschmerz namens Elric wirkt), die Proto-Steampunk-Trilogie um Oswald Bastable (1971-81), die weit in der Zukunft in einem Dying-Earth-Szenario angesiedelte, als Dancers at the End of Time betitelte Sequenz um Jherek Carnelian (die aus einer Trilogie (1972-74) und zwei mit ihr zusammenhängenden Bänden (1976/77) besteht) oder auch der in einem elisabethanischen Fantasy-England (und dort größtenteils in einer Burg) spielende, von unterschwelliger Sexualität durchzogene Fantasyroman Gloriana, or, The Unfulfill’d Queen (1978).
Alle bisher genannten Titel sind – teilweise mehrfach – auch auf Deutsch erschienen, und in den 70er und 80er Jahren war der Ewige Held in seinen Inkarnationen Elric von Melniboné, Corum Jhaelen Irsei, Dorian Hawkmoon und Erekosë alias John Daker auf dem deutschen Buchmarkt ebenso präsent wie Königin Gloriana, der Zeitreisende Karl Glogauer, Michael Kane, Jerry Cornelius, Oswald Bastable und Jherek Carnelian. Doch auch wenn sich hinter diesen Namen eine erkleckliche Anzahl von Büchern verbirgt, decken sie nur einen Teil von Michael Moorcocks Schaffen ab – und zwar bis auf wenige Ausnahmen den Teil, den man den trivialeren nennen könnte. Denn in gewisser Hinsicht hat sich Moorcock eigentlich immer in einem Spannungsfeld aus Anspruch und Trivialität bewegt, hat beispielsweise mit dem Ewigen Helden ein Konzept geschaffen, das deutlich über das hinausgeht, was bis dahin in der Sword & Sorcery üblich war. Die Umsetzung dieses Konzepts ist jedoch nur teilweise gelungen, denn die Geschichten um Elric und die anderen bereits genannten Inkarnationen des Ewigen Helden sind – ungeachtet ihres Unterhaltungswerts – ebenso trivial wie die Stories und Romane, deren Antithese sie eigentlich bilden sollten (nur sind sie manchmal cleverer inszeniert).
Allerdings hat Michael Moorcock sehr wohl Romane verfasst, in denen ein anspruchsvolleres Konzept auch angemessen umgesetzt wurde, die es aber längst nicht alle nach Deutschland geschafft haben. Gloriana, or, The Unfulfill’d Queen gehört dazu, genau wie das Cornelius Quartet, aber dann wird’s allmählich düster. Die interessantesten Inkarnationen des Ewigen Helden dürften die Mitglieder der Familie von Bek sein, doch von den Romanen, in denen sie auftreten, haben die deutschen Leser und Leserinnen nur The Warhound and the World’s Pain (1981) als Die Kriegsmeute (1985) und The Brothel in Rosenstrasse (1982) als Das Bordell in der Rosenstrasse (1988) sowie The Dreamthief’s Daughter (2001) als Tochter der Traumdiebe (2002) und Teil einer neuen Elric-Sequenz zu Gesicht bekommen. Von der vierbändigen Serie Between the Wars (1981, ’84, ’96 und 2006), in deren Mittelpunkt mit Colonel Pyat eine nicht unbedingt sympathische Figur steht, durch deren Augen wir einen Blick auf ein grotesk verzerrtes, aber angeblich wahres 20. Jahrhundert werfen können, ist nur der erste Band Byzantium Endures (1981) als Byzanz ist überall (1984) auf Deutsch erschienen, und Moorcocks vielleicht ambitioniertestes Werk Mother London (1988), mit dem er sich nicht zuletzt seine frühesten Kindheitserinnerungen an das brennende London zu Kriegszeiten von der Seele geschrieben haben dürfte, harrt ebenso noch einer Übersetzung wie so ziemlich alles, was er seit Mitte der 90er Jahre geschrieben hat. Dass Wizardry and Wild Romance: A Study of Epic Fantasy (1987), seine nicht unumstrittene “Abrechnung” mit der Fantasy hierzulande nie erschienen ist, ist einerseits zu verschmerzen, andererseits ein Beleg für die sekundärliterarische Diaspora, die Deutschland in Sachen SF und Fantasy immer noch darstellt.
Wer also nur Michael Moorcocks auf Deutsch erhältliche Zyklen, Romane und Geschichten kennt, kennt nur einen Teil seines Schaffens. Wer sie nicht kennt, kennt einen der wichtigsten und bedeutendsten englischen SF-und Fantasyautoren nicht, der etliche angloamerikanische Autoren und Autorinnen beeinflusst hat und in England und den USA auch heute noch hohes Ansehen genießt. Und das, obwohl einer seiner wichtigsten Helden ein blasser, schwächlicher Jammerlappen ist … 😉

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Bibliotheka Phantastika gratuliert J.M. McDermott, der heute seinen 35. Geburtstag feiert. Als relativ junger und eher in der literarischen Ecke des Genres beheimateter Autor ist der am 17. Dezember 1979 geborene J.M. McDermott für die meisten deutschen Leser und Leserinnen wahrscheinlich keine bekannte Größe, zumal sein Werk nicht in Großverlagen erscheint und bisher auch nicht übersetzt wurde.
Schon sei Debütroman Last Dragon (2008) lässt erahnen, woran das vielleicht liegen könnte: Die als Rückblick erzählte Geschichte von Zhan, die einst auszog, um ihren Großvater aufzuspüren, der offensichtlich nach einem von ihm angerichteten Gemetzel an der Familie geflohen ist, besteht aus vielen ineinandergreifenden Fragmenten, in denen Zeiten, Personen und Geschehnisse verschwimmen.
Never Knew Another von J.M. McDermottVieles, was man über Last Dragon sagen könnte – etwa über die eindringlichen Einblicke ins Innenleben der Figuren, die düstere, hauptsächlich durch die unteren gesellschaftlichen Gruppen betrachtete Welt und den poetischen Stil, in dem das Ganze verfasst ist –, trifft auch auf McDermotts darauf folgende Dogsland Trilogy zu. Mit den Bänden Never Knew Another (2011), When We Were Executioners (2012) und We Leave Together (2014) – die Pause ist wohl den Problemen des Verlags Night Shade Books geschuldet – verfolgt sie das Schicksal zweier namensloser Dämonenjäger, ein Paar mit der Fähigkeit, die Gestalt von Wölfen anzunehmen und die Erinnerungen anderer nachzuerleben. Sie sehen es als ihre heilige Pflicht, die Welt von der Bedrohung durch mit Dämonenblut verseuchte Menschen zu befreien. Man erfährt gleichzeitig die Geschichte ihrer Jagd und die aufgenommenen Erinnerungen eines der Dämonen (der mit Beginn der Handlung bereits tot ist), und muss sich dabei unangenehmen Fragen stellen, etwa der, ob das angenommene absolute Böse des Dämons nicht doch ein Produkt der gnadenlosen (und argwöhnischen) städtischen Gesellschaft sein könnte, die ihm nichts anderes lässt als eine schiefe Laufbahn. Auch hier liegt ein sperriger, fragmentarischer Text vor, den man sich regelrecht erarbeiten muss, um die rückwärts aufgerollte, in Rahmen- und Binnengeschichte gegliederte Handlung nachzuvollziehen, die vor allem durch ihre Knappheit besticht und nur das Allernötigste vermittelt – und erstaunlicherweise trotzdem auf merkwürdige Weise zu faszinieren, anrühren und erschrecken weiß.
McDermotts nächster Roman Maze (2013), eine Geschichte über Leute, die in einem unerklärlichen Labyrinth verloren sind und deren Zeiten und Wege sich vielfach kreuzen, zehrt ebenfalls wieder von der ausgeprägten Vorliebe des Autors für verschachtelte Strukturen und nonlineare Abläufe, und es steht zu erwarten, dass das auch auf das just erschienene Straggletaggle (2014) zutrifft, in dem McDermott Steampunk-Sachsen und Bayern in den Krieg schickt.
J.M. McDermott bewegt sich mit seinen Romanen, in denen Magie und phantastische Elemente oft in erster Linie die Erzählparameter festlegen, aber in den Geschichten selbst nur zurückhaltend vorkommen, eher am Rande des Genres und ist sicher kein Autor für Abschalt-Unterhaltung, aber seine ungewöhnlichen Ansätze und die neuen Blickwinkel, die er aus klassischen Setups (wie der Dämonenjagd) herausholt, sind keine unspannende Lektüre.

Außerdem möchten wir die Gelegenheit nutzen, an Jack L. Chalker zu erinnern, der heute 70 Jahre alt geworden wäre. Im Gegensatz zu seinem gerade einmal halb so alten Kollegen hat sich der am 17. Dezember 1944 in Norfolk, Virginia (oder in Baltimore, Maryland, so ganz einig sind sich die diversen Quellen da nicht), geborene Jack Laurence Chalker immer mitten im Genre bewegt, und zwar da, wo es vor allem bunt und abenteuerlich ist. Das gilt für seine ganze Karriere, sei es als Fanzinemacher, als Verleger und Autor eines Kleinverlags, der sich auf Bibliographien phantastischer Literatur und Studien zu Pulp-Größen wie H.P. Lovecraft oder C.A. Smith spezialisiert hatte, und last but not least als professioneller Schriftsteller.
Chalkers letztgenannte Karriere begann mit der Space Opera A Jungle of Stars (1976; dt. Armee der Unsterblichen (1978)), in der Menschen und andere Lebewesen sozusagen als Stellvertreter den Konflikt zweier Aliens (die sich als ehemalige Götter entpuppen) auf einer als Arena dienenden Welt auszutragen haben.
Midnight at the Well of Souls von Jack L. ChalkerSein nächster Roman Midnight at the Well of Souls (1977) wurde zum Überraschungserfolg, was mehrere Konsequenzen hatte: zunächst einmal wurde aus ihm im Nachhinein der Auftakt zur Saga of the Well of Souls, einer mit den Bänden Exiles at the Well of Souls, Quest for the Well of Souls (beide 1978), The Return of Nathan Brazil und Twilight at the Well of Souls (beide 1980) in kurzen Abständen fortgesetzten Serie, die Chalkers größter Erfolg bleiben sollte, und die er folgerichtig Jahre später zunächst mit der Trilogie The Watchers at the Well (Einzeltitel: Echoes of the Well of Souls (1993), Shadow of the Well of Souls und Gods of the Well of Souls (beide 1994)) und schließlich mit den beiden Bänden The Sea is Full of Stars (1999) und Ghost of the Well of Souls (2000) weiterführte. Da zudem auch seine zweite Serie – der von 1981 bis ’83 erschienene SF-Vierteiler The Four Lords of the Diamond – ebenfalls recht erfolgreich war, verlegte sich Chalker in den 80er und 90er Jahren hauptsächlich auf das Verfassen von mehrbändigen Werken (die er nach eigener Aussage auch leichter an die Verlage verkaufen konnte), so dass der Großteil seiner fast 60 Romane aus serienabhängigen Titeln besteht.
Während einige dieser Serien eindeutig der SF zuzurechnen sind, bewegen sich andere in einer Grauzone zwischen SF und Fantasy bzw. lesen sich wie Fantasy vor einem SF-Hintergrund, der mal deutlicher ausgeprägt ist – wie in der Saga of the Well of Souls oder The Rings of the Master (vier Bände, 1986-88) –, mal weniger deutlich oder fast gar nicht zum Tragen kommt, wie in Flux & Anchor (auch als Soul Rider, fünf Bände, 1984-86), The Dancing Gods (fünf Bände, 1984-95) oder Changewinds (drei Bände, 1987-88). Auffällig ist dabei, dass in so ziemlich allen diesen Serien (und auch fast allen anderen) immer wieder zwar leicht abgewandelte, aber sich doch sehr ähnliche Plotelemente und thematische Aspekte auftauchen, die sich bereits in Chalkers Erstling andeuteten und in Midnight at the Well of Souls erkennbarer wurden.
In besagtem Roman bzw. dem ganzen Zyklus, dessen erste fünf Bände als Sechseck-Welt-Zyklus auch auf Deutsch erschienen sind (Einzeltitel: Die Sechseck-Welt, Exil Sechseck-Welt, Entscheidung in der Sechseck-Welt (alle 1980), Rückkehr auf die Secheck-Welt und Dämmerung auf der Sechseck-Welt (beide 1981)), finden sich Menschen und andere Wesen plötzlich auf einer Welt wieder, deren Oberfläche aus unzähligen, scharf voneinander abgegrenzten Sechsecken besteht, in denen völlig unterschiedliche Bedingungen herrschen (physikalisch, technologisch und zivilisatorisch) und die unterschiedlichesten Lebensformen leben. Wobei alle Neuankömmlinge nackt und in einem fremden Körper auf der Sechseck-Welt landen und es keineswegs sicher ist, dass sie diesen Körper längere Zeit behalten. Die Sechseck-Welt ist nämlich eigentlich ein vom ausgestorbenen Volk der Markovier gebauter Supercomputer, dessen unterschiedliche Oberflächensegmente als eine Art Labor für ihre Forschungen gedient haben. Doch dann ist irgendetwas schiefgegangen …
Gewöhnliche Sterbliche, die ihrer normalen Umgebung entrissen werden und fast immer splitternackt (aber nicht immer im eigenen Körper) in einer exotischen und manchmal völlig unverständlichen Umwelt auftauchen, die körperlich oder geistig versklavt werden und zum Teil mehrfach groteske Metamorphosen durchlaufen, bis sie schließlich erkennen, dass sie nur Spielfiguren in einem Spiel sind, das unfassbar alte oder mächtige Wesen zum Zeitvertreib spielen oder gespielt haben, und die am Schluss häufig mit dem belohnt werden, was sie sich am meisten wünschen – das ist in etwa das Muster, nach dem Chalkers Science-Fantasy-Zyklen (mit gelegentlichen leichten Abweichungen) aufgebaut sind. Seine bunten, anschaulich beschriebenen exotischen Szenarien und seine immerhin äußerlich wirklich fremdartigen Aliens (die allerdings wie Menschen denken und handeln) machen seine frühen Zyklen zu typischen Beispielen für die Abenteuer-SF und -Fantasy der 80er Jahre (die man lesen kann, wenn man über die mal mehr, mal weniger deutlichen sexistischen Tendenzen hinwegsehen kann), während seine späteren (und auch die nachgeschobenen Bände der Saga of the Well) die ehemalige Erfolgsformel nur noch schematisch wiederholen.
And the Devil Will Drag You Under von Jack L. ChalkerNeben all seinen Serien – von denen es beispielsweise der der Fantasy zuneigende Fünfteiler Flux & Anchor als Flux und Anker (fünf Bände, 1989-91) ebenfalls nach Deutschland geschafft hat – hat Chalker auch ein knappes Dutzend Einzelromane geschrieben; einer davon ist And the Devil Will Drag You Under (1979; dt. Fünf Zaubersteine zu binden fünf verschied’ne Welten (1981)), ein humoristischer Fantasyroman, in dem der Unterteufel Asmodeus Mogart eigentlich die Welt retten sollte – doch dafür müsste er aufhören, sich ständig zu besaufen. Da das für ihn nicht in Frage kommt, schickt er Menschen auf die Jagd nach den titelgebenden Zaubersteinen, die sich natürlich auf alternativen Welten befinden, auf denen es teilweise seltsam zugeht …
Neben diesem für Freunde humoristischer Fantasy durchaus lesbaren schrulligen Garn sei noch auf Dancers in the Afterglow (1978; dt. Der Touristenplanet (1982)) verwiesen, einen Einzelroman, den Chalker schon früh in seiner Karriere geschrieben hat, und der zeigt, dass er mehr gekonnt hätte als einen oberflächlich schillernden, aber ziemlich belanglosen Zyklus nach dem anderen zu verfassen.
Jack L. Chalker war immer ein – wenn auch zeitweise sehr erfolgreicher – Midlist-Autor, an dem allerdings die Entwicklung des bzw. der Genres ein bisschen vorbeigegangen ist. Die veränderten Marktbedingungen und gesundheitliche Probleme haben seinen zuvor zeitweise enormen Ausstoß in seinen letzten Lebensjahren verringert, und am 11. Februar 2005 ist er an den Folgen einer anderthalb Jahre zuvor diagnostizierten Herzinsuffizienz gestorben.

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Das bp-Team gratuliert unserem Gewinner Thargor, der uns die richtige Lösung für unsere Adventsverlosung geschickt hat. Wir haben natürlich nach Fuchur, dem Glücksdrachen aus der Unendlichen Geschichte gesucht, der Pate für einen hoffentlich ebenso glücklichen kleinen Esel stand.
Unser Gewinner kann sich in den nächsten Tagen auf sein Michael-Ende-Überraschungs-Paket freuen, allen anderen Teilnehmern danken wir herzlich für die Teilnahme!

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Bibliotheka Phantastika gratuliert R.A. MacAvoy, die heute 65 Jahre alt wird. Man kann wohl mit einer gewissen Berechtigung sagen, dass die am 13. Dezember 1949 in Cleveland, Ohio, geborene Roberta Ann MacAvoy eine der originellsten und interessantesten Autorinnen war, die im Laufe der 80er Tea with the Black Dragon von R.A. MacAvoyJahre des vergangenen Jahrhunderts die Bühne der phantastischen Literatur betreten haben. Das deutete sich bereits bei der Veröffentlichung von Tea with the Black Dragon (1983) an, der nicht nur den Locus Award als bester Romanerstling gewonnen hat, sondern auch für alle anderen wichtigen Genrepreise – den Hugo, den Nebula und den World Fantasy Award – nominiert wurde und sich beim Philip K. Dick Award nur Tim Powers’ The Anubis Gates geschlagen geben musste. Wobei das wirklich Erstaunliche an der ganzen Sache ist, dass es sich bei Tea with the Black Dragon um einen in jeder Hinsicht unspektakulären Roman handelt, der mit leisen Zwischentönen, ungewöhnlichen Figuren und – ja, wirklich – einer nicht gerade alltäglichen Liebesgeschichte überzeugt.
Der auf Deutsch als Stelldichein beim schwarzen Drachen (1986) erschienene Roman erzählt die Geschichte der fünfzigjährigen Martha Macnamara, die normalerweise in einer irisch-amerikanischen Céilíkapelle die Fiddle spielt und nach San Francisco gekommen ist, um ihre Tocher Elizabeth zu besuchen, die als Systemanalytikerin bei einer Firma im Silicon Valley arbeitet. An ihrem ersten Abend in der Stadt lernt sie einen anderen Hotelgast kennen: Mayland Long, einen ebenso geheimnisvollen wie faszinierenden chinesischen Gentleman, über den ihr der Barkeeper schnell noch ein Gerücht zuflüstert. Doch als sie wenig später feststellt, dass ihre Tochter spurlos verschwunden und vielleicht in ein Verbrechen verwickelt ist, bleibt ihr nur die Hoffnung, dass Mayland Long ihr hilft, sogar – oder erst recht – wenn er ein chinesischer Drache in Menschengestalt ist, wie der Barkeeper behauptet …
Die Suche nach Liz und die Frage, in was genau sie möglicherweise verwickelt ist, bildet nur den groben Rahmen, der Martha Macnamara, vor allem aber Mayland Long den Raum gibt, sich zu entfalten (was bei Letzterem zu der einen oder anderen Überraschung führt). Auch wenn man dem Roman in allem, was mit Computern zu tun hat, natürlich sein Alter anmerkt, dürfte er zumindest Lesern und Leserinnen, die Geschichten mögen, die von überzeugend gezeichneten Figuren getragen werden, auch heute noch Spaß machen – denn viel besser als Martha und Mayland kann man eine Geschichte nicht tragen.
A Trio for Lute von R.A. MacAvoy1984 wurde R.A. MacAvoy nicht nur mit dem John W. Campbell Award als Best New Writer ausgezeichnet, sondern wandte sich mit der aus den Bänden Damiano, Damiano’s Lute und Raphael (alle 1984) bestehenden Damiano Series (die auch als A Trio For Lute bekannt ist und unter diesem Titel 1985 bzw. 1988 als Sammelband veröffentlicht wurde) auch einem neuen Setting (und Subgenre) zu: statt im zeitgenössischen San Francisco spielt Die Parabel vom Lautenspieler (Einzeltitel: Damiano, Saara, Raphael (alle 1985)) in einem deutlich fantasyhafteren alternativen Renaissance-Italien. Hier lebt der junge Damiano Delstrego, ein überzeugter Christ, der – als Sohn eines Zauberers und Erbe dunkler Magie – außerdem ein Alchimist und Hexer ist, dem die Bürger seiner Heimatstadt Partestrada nach Möglichkeit aus dem Weg gehen. Damiano selbst würde am liebsten Musiker werden und lässt sich vom Erzengel Raphael im Lautespielen unterrichten. Als der Krieg nach Partestrada kommt, muss er sich – begleitet von seinem familiar Macchiata, einem sprechenden Hund – auf eine Wallfahrt begeben, die ihn weit über die Grenzen Italiens und seine eigenen hinausführen wird, denn die Magie in seinem Innern stammt nicht von Gott …
Das norditalienische Piemont einer Alternativwelt, in der Magie existiert, zu einer Zeit, in der Norditalien von miteinander rivalisierenden Stadtstaaten beherrscht wurde, der Papst sich im Exil in Avignon befand und Europa unter dem “Schwarzen Tod” litt – sprich: wir befinden uns im 14. Jahrhundert –, war zumindest Anfang der 80er Jahre kein typisches Fantasysetting. Zu diesem zwar andersweltlichen, aber eben auch untypischen Setting gesellen sich Figuren, die (damals) mindestens ebenso ungewöhnlich waren. Das gilt einerseits für Raphael und seinen Bruder Luzifer als Exponenten von Gut und Böse, vor allem aber für Damiano, einen in mehrfacher Hinsicht “unschuldigen” jungen Mann (er ist zu Beginn der Trilogie 23 Jahre alt und hat zu diesem Zeitpunkt noch nie mit einer Frau geschlafen), der Gutes tun will und dafür auf das Böse in sich zurückgreifen muss, was ihn vor ein schier unlösbares moralisches Dilemma stellt. Dass die Trilogie trotz dieser Zutaten nicht hundertprozentig funktioniert, liegt einerseits ein bisschen an Damiano selbst, den man heutzutage vermutlich verächtlich als “Gutmenschen” bezeichnen würde, und dessen Naivität gelegentlich enervierend sein kann, andererseits an strukturellen Problemen (die ersten beiden Bände sind ein Entwicklungsroman mit Damiano als Hauptfigur – der sich auch tatsächlich entwickelt und seine Unschuld verliert – doch mit dem dritten Band, in dem es um das Schicksal des zum Menschen gewordenen Raphael geht, ändert sich das völlig) und einer immer spürbaren, letztlich dem Setting geschuldeten Düsternis. Was R.A. MacAvoy aber auch in dieser Trilogie wieder gelingt, sind die kleinen Szenen, die Art und Weise, wie sie die Magie der Musik zum Leben erweckt oder den Umgang der Figuren miteinander (und mit den Problemen, mit denen sie zu kämpfen haben, an denen sie wachsen oder scheitern) schildert.
Möglicherweise waren besagte strukturelle Probleme mit dafür verantwortlich, dass MacAvoy sich danach zunächst wieder Einzelromanen zugewandt hat. In The Book of Kells (1985) geht es um eine Zeitreise, die aus dem Hier und Heute ins Irland des 10. Jahrhunderts und in die irische Mythologie führt, während The Grey Horse (1987) zwar ebenfalls in Irland spielt, aber dieses Mal gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Connemara, wo sich ein púca in Gestalt eines grauen Hengstes dem Widerstand der Iren gegen die englischen Besatzer anschließt. Mit Twisting the Rope (1986; dt. Der schwarze Drache lädt zum Lunch (1987)) legte sie eine Fortsetzung zu Tea with the Black Dragon vor, in der Martha Macnamara und Mayland Long mit Marthas Céilíkapelle auf Tour sind und in einen Mordfall verwickelt werden, die aber – trotz der Tatsache, dass Martha und Mayland immer noch faszinierende Figuren sind – nicht an die Klasse des Vorgängerbandes heranreicht. Mit The Third Eagle (1989) folgte noch ein kurzer Abstecher in die SF, ehe sie sich mit Lens of the World (1990) ihrer zweiten, gleichnamigen Trilogie zuwandte (die gelegentlich auch als Nazhuret of Sordaling – nach ihrer Hauptfigur – betitelt wird).
Dass auch diese Trilogie wieder ungewöhnlichen Lesestoff bietet, wird schon beim Blick auf das Motto deutlich, das dem ersten Band vorangestellt ist (und sich auf Nazhuret bezieht): “You are the lens of the world: the lens through which the world may become aware of itself. The world, on the other hand, is the only lens in which you can see yourself. It is both lenses together that make vision.” Man sollte sich vom philosophischen oder spirituellen Gehalt dieser Sätze allerdings nicht abschrecken lassen, denn Lens of the World und die Folgebände King of the Dead (1991) und Winter of the Wolf (1993; auch als The Belly of the Wolf (1993)) bilden einen Entwicklungsroman, der – nicht zuletzt dank eines Zeitsprungs zwischen Band zwei und drei – King of the Dead von R.A. MacAvoypraktisch das ganze Leben Nazhurets umfasst. Und dieses Leben ist durchaus abenteuerlich, auch wenn es zunächst nicht so aussieht; der kleingewachsene, hässliche Nazhuret – eine Waise und ein Mischling – ist nämlich anfangs der Pflegling einer Elite-Militärakademie und muss dort einiges erdulden. Sein Schicksal scheint sich nur leicht zu bessern, als der geheimnisvolle Powl, der in einem merkwürdigen runden Gebäude mit noch merkwürdigeren Gerätschaften lebt, ihn zu seinem Lehrling macht und ihn nicht nur mehrere Sprachen, Natur- und Geisteswissenschaften lehrt, sondern auch stillzusitzen, zu denken, zu tanzen und (mit und ohne Waffen) zu kämpfen. Denn auf Nazhuret wartet ein besonderes Schicksal, von dem er selbst nichts ahnt …
Dieses Schicksal macht aus ihm einen Landarbeiter, Hausmeister und Rausschmeißer, einen Abenteurer, Krieger und Philosophen, einen Berater des Königs und einen Ehemann und Vater, und er begegnet auf seiner langen Lebensreise feindlich und freundlich gesinnten Adligen, Soldaten, Dieben und Mördern, einem Werwolf und einem Drachen – und seiner großen Liebe. Das klingt wie schon tausendmal gelesen? Ja und nein. Die Abenteuer, die Nazhuret erlebt, sind nicht per se ungewöhnlich; was sie ungewöhnlich macht, ist die Art und Weise, wie er mit ihnen umgeht, ist überhaupt Nazhuret selbst, der einer der komplexesten Charaktere der modernen Fantasy sein dürfte, der im Laufe eines einzigen Buchs sichtbar und glaubhaft wächst, und dem noch nicht einmal seine Tochter im dritten Band – als er immerhin bereits über 50 ist – so ganz die Show stehlen kann, auch wenn sie sich alle Mühe gibt. Hinzu kommt ein vage renaissancehaftes (nicht direkt an irdische Vorbilder erinnerndes) Setting, in dem sich am Ende das Heraufdämmern einer moderneren Zeit abzeichnet. Strukturell geht R.A. MacAvoy in dieser Trilogie ebenfalls ungewöhnliche Wege, denn im ersten Band schreibt Nazhuret einen Teil seiner Lebensgeschichte (für seinen König) nieder (ja, auf diese Idee sind später auch andere, wesentlich bekanntere Autoren und Autorinnen gekommen), während der zweite ein Briefroman ist. Und das Ganze ist schlicht und ergreifend toll erzählt und stilistisch brillant geschrieben.
Mit der Trilogie um Nazhuret of Sordaling hat R.A. MacAvoy das Versprechen, das Tea with the Black Dragon darstellte, voll und ganz eingelöst – und ist anschließend sechzehn Jahre lang verstummt (denn erst 2009 ist mit der Erzählung In Between, die zwei Jahre später zum Roman Death and Resurrection erweitert wurde, wieder ein neues Werk von ihr erschienen, in dem es um den Künstler und Martial-Arts-Kämpfer Ewen Young geht, der zwischen der Welt der Lebenden und der der Toten hin und her reisen kann). Dies Rätsel wurde im Januar 2012 in einem Interview für das eBook-Magazin Lightspeed schließlich gelöst: “As for why nothing came between The Belly of the Wolf and the Ewen stories, well, Dystonia came between them. It’s a rare neuromuscular disease characterized by paralysis and pain. Or vice versa. … For about ten years they threw one set of pills after another into me, just to see what would happen. Of five of those years I have little or no memory. I finally decided to stop taking all those nasty things and just endure it. Meanwhile, some doctors who usually deal with Parkinson’s (not related, except for being a neuro-muscular disease and also progressive) developed a treatment for cervical and spinal muscles which had gone into permanent charley-horse by a Very Careful series of injections of Botox into the muscles right along the spinal column, to partially paralyze them. The idea is to find a mid-position between spasm and paralysis that approaches normality …”
Es wäre Roberta Ann MacAvoy so oder so zu wünschen, dass diese Behandlung dauerhaft die gewünschten Erfolge zeitigt. Und wenn sie dann vielleicht noch weitere Romane schreibt, die der Qualität von Tea with the Black Dragon oder der Lens of the World Trilogy zumindest nahekommen, würde das bestimmt die eine Leserin oder den anderen Leser freuen – ich kenne jedenfalls einen …

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Bücherwelten von Artlit
© Johannes Follmer, Klaus Raasch / Edition Artlit

Gewöhnlich geht es auf Bibliotheka Phanstastika um komplette Bücher, doch davon, dass es manchmal einzelne Sätze sind, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen, legen die Signaturen vieler Mitglieder unseres Forums beredt Zeugnis ab. Kein Wunder also, dass auch Künstler sich von aus dem Werkkontext gelösten Zitaten inspirieren lassen. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür sind die Drucke, die unter dem Motto “Wenn Worte Kunst werden” in der Edition Artlit in einer enormen Bandbreite von Stilrichtungen und künstlerischen Techniken erscheinen. Von Shakespeare bis Strindberg sind alle möglichen Autoren der Weltliteratur mit sehr unterschiedlichen Äußerungen vertreten, von denen einige durchaus auch den eingefleischten Phantastikfan ansprechen mögen.

Wagnis Europa von Artlit
© Karin Bauer / Edition Artlit

Das Wechselspiel zwischen Literatur und bildender Kunst gestattet dabei ganz andere Akzentuierungen, als sie bei einem typographisch nicht weiter hervorgehobenen Satz innerhalb eines längeren Texts möglich oder gewollt sind. In manchem Fall wird durch die Verknüpfung von Bild und Text sogar eine zusätzliche Aussage an das Ursprungszitat herangetragen, das so eine Umdeutung und Aktualisierung erfahren kann, wie etwa bei Karin Bauers Umsetzung von Schillers Ode an die Freude, deren Berechtigung als Hymne der (zumindest aus der Außensicht) paradiesischen, aber nicht für jeden erreichbaren Europäischen Union kritisch hinterfragt wird.

Drachen und Prinzessinnen von Artlit
© Malte Knaack / Edition Artlit

Wenngleich nicht alle bei Artlit versammelten Werke diese dezidierte politische Dimension haben, schwingt doch in jedem eine Nachdenklichkeit mit, die auch den Betrachter zur genauen Auseinandersetzung noch mit kleinsten Formulierungen anregt und einen Gegenpol zu der Neigung bildet, sich von schnell verschlungenem “Lesefutter” eher oberflächlich unterhalten zu lassen. Sich auf diese andere Art der Wertschätzung von Literatur zu besinnen, kann in Zeiten eines immer schnelllebigeren Buchmarkts sicher nicht schaden. Und wer weiß? Vielleicht können die Bilder auf artlit.de ja auch dazu motivieren, sich Gedanken darüber zu machen, welches noch fehlende Zitat man selbst gern einmal kreativ umsetzen würde …

Eselsohr Über den Tellerrand

Wie bereits vor einiger Zeit angekündigt, veranstaltet Bibliotheka Phantastika dieses Jahr wieder eine Adventsverlosung, und passend zum Nikolaustag kommt heute auch die Gewinnspielfrage (mit einem sehr weihnachtlichen Tier):
Wie in diesem Artikel nachzulesen, lebt in einem Wildpark in Norddeutschland ein kleiner Esel, der nach einer Figur von Michael Ende benannt ist. Aber aus welchem Werk stammt diese Figur – und was für ein Wesen ist sie eigentlich?
Wenn ihr die Lösung wisst, dann schickt sie im Forum per PN an mistkaeferl oder sendet sie per Mail an eab@bibliotheka-phantastika.de.
Aus allen Einsendungen mit der richtigen Antwort, die uns bis zum 12.12.14 erreichen, wird ein Gewinner ausgelost, der sich pünktlich zu Weihnachten* über eine Überraschung freuen darf, die einiges mit der Lösung zu tun hat.

* Sofern uns kein Poststreik einen Strich durch die Rechnung macht …

 

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Toad Words von T. KingfisherIn sieben Kurzgeschichten, einer Novella und drei Gedichten begleitet man junge Mädchen in finstere Wälder und bezeugt die Auswirkungen schrecklicher Flüche, kurzum, man befindet sich auf dem vertrauten Gebiet der Märchennacherzählungen. Doch wer mit Altbekanntem rechnet, wird feststellen, dass man den Worten der Kröte vielleicht nicht ganz so viel Vertrauen schenken sollte wie denen eines Frosches.

Zur ganzen Rezension bitte hier entlang.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Jo Walton, die heute ihren 50. Geburtstag feiert. Als tief im Genre und Fandom verwurzelte Autorin (wovon man sich u.a. in ihren Kolumnen bei tor.com überzeugen kann) könnte die am 1. Dezember 1964 in Aberdare, Wales, geborene Jo Walton auch schreiberisch im Kern des Genres verwurzelt sein, tatsächlich trifft das aber nur auf ihre erste Trilogie aus den Bänden The King’s Peace (2000), The Prize of the Game (2001) und The King’s Name (2002) zu, die mit einem walisisch-keltisch angehauchten Worldbuilding (ein Hintergrund, auf den Jo Walton noch öfter zurückgreifen sollte) eine alternative Variante des Artus-Mythos mit Fokus auf eine junge Kämpferin zeichnet.
Tooth and Claw von Jo WaltonSchon ihr nächster, mit dem World Fantasy Award ausgezeichneter Roman Tooth and Claw (2003, dt. Der Clan der Klauen (2005)) ist sowohl stilistisch als auch inhaltlich ein Sonderfall: Nach dem Modell des viktorianischen Romans erzählt Walton eine Familien- und Gesellschaftsgeschichte, allerdings sind alle Figuren Drachen, wodurch die Grausamkeiten hinter den gesellschaftlichen Regeln kontrastreich herausgearbeitet werden.
Auch die Trilogie aus den Romanen Farthing (2006, dt. Die Stunde der Rotkehlchen (2014)), Ha’penny (2007) und Half a Crown (2008) ist fest in der britischen Geschichte und dem sehr “britischen” Genre des Häkelkrimis verwurzelt, legt allerdings einen alternativen Geschichtsverlauf zugrunde, in dem Großbritannien und Nazi-Deutschland Frieden geschlossen haben. Beginnend mit den Mord-Ermittlungen im ersten Band wird das Abrutschen Großbritanniens in den Faschismus und der Aufbau einer Geheimpolizei beschrieben, während die Figuren in diesem Setting darum kämpfen, weder unterzugehen noch ihre Integrität ganz zu verlieren.
Der mit dem Mythopoeic Fantasy Award ausgezeichnete und nur in kleiner Auflage erschienene Roman Lifelode (2009) könnte theoretisch ein klassischer Fantasy-Roman sein, denn das Setting ist eine Welt, in der die Möglichkeiten der Magie und das Verstreichen der Zeit davon abhängig sind, wo auf welchem Längengrad man sich befindet. Walton erzählt vor diesem Hintergrund jedoch eine Geschichte, in der es eher um die Magie der kleinen Dinge, Familie und das ländliche Leben geht.
In Among Others (2011, dt. In einer anderen Welt (2013)) ist die Existenz von Magie sogar eine Interpretationsfrage, und die wahre Magie kommt aus den SF- und Fantasy-Büchern, die der aus zerrütteten Familienverhältnissen stammenden Internatsschülerin Morwenna ihre Existenz als Außenseiterin erträglicher machen – und das Ganze ist so überzeugend geraten, dass Among Others mit dem Hugo, dem Nebula und dem British Fantasy Award ausgezeichnet wurde.
My Real Children (2014), Waltons jüngster Roman, beschäftigt sich wieder mit Alternativwelt-Szenarien und lässt eine demente (?) Altenheimbewohnerin auf zwei völlig verschiedene Lebenserinnerungen zurückblicken, in denen sich die Welt im Kalten Krieg jeweils unterschiedlich entwickelt hat, aber vor allem auch das Privatleben der Protagonistin zwei gegensätzliche Wege eingeschlagen hat, so dass sich vielleicht weniger die Frage nach der Wahrheit als nach der glücklicheren Variante stellt.
Mit ihrem ungewöhnlichen Oeuvre stellt sich Jo Walton als Autorin dar, die das Genre sehr gut kennt und dieses Wissen in ihren Geschichten für eine Diskussion seiner Parameter auf einer Meta-Ebene nutzt, was ihr mit Sicherheit den ein oder anderen ihrer vielen Preise eingebracht hat und sie für Leser und Leserinnen interessant macht, die der SF und Fantasy ebenfalls sehr zugetan sind und sich gerne ein paar Alternativentwürfe anschauen möchten.

Reaktionen

Die Weihnachtszeit ist die Zeit der großen Gefühle, der heimeligen Gemütlichkeit und der wohligen Wärme, die man verspürt, wenn man frisch aus dem Ofen genommene Plätzchen isst. Der Dezember ist jedoch gleichzeitig ein Monat der dunklen und langen Nächte, und da für Wohligkeit im Advent eh allerorts gesorgt wird, möchte uns das Buch des Monats für Dezember mit auf eine Reise in die Dunkelheit nehmen.

Jeff Vandermeer AusloeschungBereits das Cover von Jeff VanderMeers Auslöschung, dem ersten Band der Southern-Reach-Trilogie, deutet an, dass wir uns als Leser auf keinen leichtfüßigen Spaziergang begeben. Ich würde von einer Augenweide sprechen, wenn da nicht dieses Gefühl wäre, dass die Naturdarstellung sich die wohlgesetzten Buchstaben des martialischen Titels langsam einverleibt. Der Grundton, der vom Cover und den ersten Worten angeschlagen wird, ist gleichzeitig ein fesselnder Misston voller Störung und Disharmonie, der einigen wohl bekannt ist: Der Roman beginnt mit einem Picknick am Wegesrand.

Seit einem mysteriösen Ereignis ist ein bestimmtes Gebiet des Landes, Area X, fortan Ort seltsamer Vorkommnisse und unheimlicher Begegnungen. Während die Bevölkerung über die Jahre hinweg das Interesse daran verliert – man kann schließlich nicht allen Folgen der Umweltverschmutzung Herr werden – entsendet die nicht weniger mysteriöse Organisation Southern Reach regelmäßig Expeditionen, um das Gebiet zu erforschen. Auch eine namenlose Biologin sucht ihr Glück und Vergessen in einer Expedition; ihr Tagebuch liegt nun also gebunden vor uns.

Aus der bekannten Ausgangslage erwächst ein Roman, der virtuos die Saiten zweier Urantriebskräfte mal leise, mal betäubend laut zum Schwingen bringt: Angst und Neugier. Die Biologin erfährt Area X als eine Art Urwildnis, in der Namen, Gesetze oder Regeln evolutionäre Verlierer sind. Wesen und Vorkommnisse bleiben namenlos, und die Unfähigkeit der Biologin, Geschehnisse und Anblicke in erklärende Worte zu fassen, macht das Unglaubliche, Unbenennbare nur noch realer und beklemmender. Das Menschliche scheint sich immer weiter zurückzuziehen, je mehr Seiten man umblättert, es macht einer Natur Platz, deren Schlingpflanzen sich tief in unsere Seele bohren und ein Gefühl der Ausgeliefertheit hinterlassen. Wahrlich beunruhigend ist es jedoch, wie beruhigend dieses Gefühl wirken kann; doch so wie die Hauptfigur nicht anders kann, als dem dunklen, unbekannten Tunnel nur noch eine weitere Biegung zu folgen – nur noch eine! – so können wir nicht anders, als ihr atemlos und auf Zehenspitzen nachzulaufen.

Es ist eine herausragende Qualität des Romans, dass Area X im Roman nicht nur auf einer Landkarte existiert: auch die Geheimnisse, Gefühle und Antriebe der Figuren sind weiße Flecken, die langsam erkundet werden müssen. Hier ist der Leser völlig auf sich allein gestellt, und so manches Mal scheint die unmöglichste Natur noch fassbarer zu sein als ein Einblick in ein Seelenleben.

Auslöschung ist ein perfektes Buch für LeserInnen, für die weitere Rätsel und Fragen die perfekte Antwort auf ihre Neugier sind. Und lieber das Buch jetzt im Dezember lesen, wenn die Natur ihrer Kraft beraubt und das Dickicht durchschaubar scheint – im Januar 2015 geht es dann mit Band 2 Autorität weiter. Auslöschung war nämlich nur der Anfang.

Buch des Monats