Bibliotheka Phantastika erinnert an Roger Eldridge, der heute 70 Jahre alt geworden wäre. Der am 21. März 1944 in Isleworth in der damaligen englischen Grafschaft Middlesex geborene und am 04. November 2007 verstorbene Roger Martin Eldridge hat in seinem Leben nur zwei phantastische Romane verfasst, was nicht weiter verwunderlich ist, da er hauptberuflich als Journalist und Mitarbeiter einer Bildagentur (davon zwei Jahre lang als deren geschäftsführender Direktor) tätig war. Dass er an dieser Stelle überhaupt erwähnt wird, hat praktisch nichts mit seinem in einem postapokalyptischen Setting angesiedelten Erstling The Shadow of the Gloom-World (1977) – einem Jugendbuch mit einer für dieses Genre typischen rebellischen jugendlichen Hauptfigur – zu tun, sondern ausschließlich mit seinem wesentlich ambitionierteren, sich an Erwachsene richtenden zweiten Roman.
The Fishers of Darksea (1982) erzählt die Geschichte eines unter schwierigen Bedingungen lebenden und überlebenden Eskimo-Stammes mit ausgeprägter schamanischer Tradition, dessen Schamanen die Fähigkeit besitzen, in Trance Dinge “sehen” können, die für normale Menschen nicht wahrnehmbar sind. Doch die Monster, die sie “sehen”, sind eigentlich etwas ganz anderes – und die Wahrheit, die sich beim Fortschreiten der Handlung allmählich enthüllt, macht aus The Fishers of Darksea einen ziemlich düsteren, bedrückenden Roman. Denn was anfangs als Fantasy in einem zugegebenermaßen ziemlich selten benutzten Setting daherkommt (wobei das Ganze in der TB-Ausgabe durch die Aufmachung und die Reihe, in der das Buch erschienen ist, noch verstärkt wird), erweist sich schließlich als SF mit einer mehr als bitteren Pointe. Allein schon dafür, wie geschickt und stimmig Roger Eldridge die Erzählmodi einsetzt bzw. wechselt und wie klar er aufzeigt, dass man nur erkennen kann, was man kennt, hat er verdient, an dieser Stelle noch einmal erwähnt zu werden, auch wenn The Fishers of Darksea weder ins Deutsche übersetzt wurde noch in der englischen SF- und Fantasyszene einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.
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Bibliotheka Phantastika gratuliert Barry Hughart, der heute seinen 80. Geburtstag feiert. Mit nur drei veröffentlichten Romanen hat der am 13. März 1934 in Peoria, Illinois, geborene Barry Hughart sich unangefochten an die Spitze der Fantasy-Autorinnen und –Autoren gesetzt, deren Werk sich auf fernöstliche Mythen gründet.
Sein Interesse an jenen Traditionen wurde geweckt, als er während seines Militärdienstes in den 1950ern in Asien stationiert war. Es dauerte dann aber noch knapp dreißig Jahre, bis 1984 Bridge of Birds (dt. Die Brücke der Vögel (1986)) erschien, der erste Band der Meister Li-Romane bzw. Chronicles of Master Li and Number Ten Ox, der im darauffolgenden Jahr auch den World Fantasy Award gewann. Das detektivische Mastermind der Romane, Meister Li Kao, wird darin als versoffener, verschlafener und ziemlich tattriger Mann von zweifelhafter Moral eingeführt, er ist jedoch der einzige Gelehrte, den sich der Bauernjunge Nummer Zehn der Ochse mit dem Geld seines Dorfes leisten kann, um eine Seuche zu bekämpfen, von der alle Kinder befallen sind. Meister Li gehört zu der Sorte Ermittler, die jeden Spuk, vor dem andere ehrfürchtig staunend zurückweichen, mit Wonne als Humbug entlarvt, was um so erstaunlicher ist, weil er mit Ochse, der ab dem zweiten Band The Story of the Stone (1987, dt. zunächst Meister Li und der Stein des Himmels (1988), dann Der Stein des Himmels (2004)) nicht mehr Kunde, sondern Gehilfe ist, ständig in Angelegenheiten mythischer Ausmaße irgendwo zwischen Himmel und Hölle gerät. Doch am Rande großer Ereignisse wimmelt es von kleinen Gaunereien, und der schlitzohrige Meister Li ist selbst kriminellen Methoden nicht abgeneigt, auch wenn seine kleinen amoralischen Anwandlungen von einem insgesamt recht umfassenden Moralverständnis geleitet werden.
Die Meister-Li-Bände sind eine bunte Mischung aus Abenteuer, Schelmenroman und Detektivgeschichte und bestechen durch eine jeweils sehr fein strukturierte Handlung und einen trockenen und skurrilen Humor, der aus ganz alltäglichen Szenen entsteht, die urplötzlich einen Schwenk ins Absurde vollziehen – sei es nun während eines pompösen Hinrichtungsspektakels oder im bürokratischen Wahnsinn der chinesischen Hölle.
Während man im ersten Band die Suche nach der Großen Wurzel der Macht begleitet und das Geheimnis einer Kammerzofe löst, macht im zweiten der grausame, aber eigentlich längst verstorbene Lachende Prinz ein abgelegenes Tal unsicher. Der dritte Band, Eight Skilled Gentlemen (1990, dt. Die Insel der Mandarine (1992)), spielt dagegen in der Verbotenen Stadt, wo es mysteriöse Morde aufzuklären gilt.
Im Unterschied zu einem richtigen Krimi geht es aber bei Meister Li nur selten darum, bei der Aufklärung der Fälle mitzurätseln, denn obwohl sich der Erzähler Nummer Zehn der Ochse nach Kräften bemüht, auch für die “Barbaren unter den Lesern” alles zu erklären, müssen die göttlichen Kräfte, die in den alles andere als normalen Fällen walten, für die Meister Li sich ausschließlich interessiert, letztlich geheimnisvoll bleiben. Man hat aber ohnehin genug damit zu tun, mit Meister Lis (meist von Ochses Schultern aus anberaumtem) rasantem Tempo mitzuhalten.
Dass es von den Abenteuern dieses Zweiergespanns eventuell noch mehr zu berichten gegeben hätte, deutet sich schon dadurch an, dass in den drei Romanen immer wieder Andeutungen auf weitere, zwischen den beschriebenen Fällen liegende Ereignisse gemacht werden. Doch Barry Hughart war offenbar nicht mit der Art zufrieden, wie der Buchmarkt mit ihm umging, und kam darüber hinaus später noch zu dem Schluss, dass er sich bei weiteren Abenteuern lediglich wiederholt hätte. Schade ist daran, dass er nicht nur Meister Li und Ochse hinter sich gelassen hat, sondern sich auch keinen neuen Geschichten mehr zuwandte – zumindest keinen, die das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben.
Bibliotheka Phantastika erinnert an John Wyndham Parkes Lucas Beynon Harris, besser bekannt als John Wyndham, dessen Todestag sich heute zum 45. Mal jährt. Der am 10. Juli 1903 bei Birmingham geborene britische Autor ist besonders durch seinen Roman The Day of the Triffids (1951, dt. Die Triffids (1955)) bekannt geworden und ist aus der Science Fiction nicht mehr wegzudenken. Mehrere Romane dieses Autors wurden verfilmt und er zählt sicher zu Recht zu den Klassikern des Genres. Als sein bedeutendstes Werk gilt jedoch nicht The Day of the Triffids, sondern der postapokalyptische Roman The Chrysalids (1955, dt. Wem gehört die Erde; auch: Wiedergeburt (1961)).
Da John Wyndham mindestens zwei Blicke wert ist, haben wir ihm heute ein Portrait auf der Hauptseite spendiert und laden euch ein sein Leben, aber insbesondere seine Werke ein wenig näher kennenzulernen.
Bibliotheka Phantastika erinnert an Edgar Pangborn, dessen Geburtstag sich heute zum 105. mal jährt. Wer sich für Fantasy interessiert und diesen Namen noch nie gehört hat, braucht sich nicht zu wundern, denn ganz egal, wie man es betrachtet – Fantasy im engeren Sinn hat der am 25. Februar 1909 in New York City geborene Edgar Pangborn nie geschrieben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sein zweiter unter seinem richtigen Namen erschienener Roman A Mirror for Observers 1955 mit dem International Fantasy Award ausgezeichnet wurde (denn den gab’s für das beste SF- oder Fantasybuch). Warum wir Edgar Pangborn an dieser Stelle dennoch erwähnen, hat mit seinen Tales of a Darkening World zu tun, einer Reihe locker miteinander verbundener Romane und Geschichten über eine Welt, die ein als “Twenty Minutes War” bezeichneter Atomkrieg drastisch verändert hat.
Bevor Pangborn mit der Story “Angel’s Egg” 1951 in der Juniausgabe von Galaxy das erste Mal als SF-Autor von sich reden machte – und gleich einen nachhaltigen Eindruck hinterließ – hatte er bereits mehr als zwanzig Jahre lang unter Pseudonym Krimigeschichten für die Pulps geschrieben (und davor hatte er zwei Mal ein Musikstudium – das erste Mal mit fünfzehn – angefangen und nach relativ kurzer Zeit wieder abgebrochen). In der SF machte er sich rasch einen Namen, und nachdem bereits sein erster Roman West of the Sun (1953; dt. Westlich der Sonne (1989)) wohlwollend aufgenommen worden war, erhielt er für A Mirror for Observers (1954; dt. Der Beobachter (1978), auch: Der Spiegel des Beobachters (1986)) den o.e. Preis. Danach verfasste er einen historischen Roman und einen Krimi (seinen zweiten – der erste war bereits 1930 unter dem Pseudonym Bruce Harrison erschienen), ehe er sich in den 60er Jahren wieder verstärkt der SF zuwandte und jene Romane und Erzählungen veröffentlichte, die die Tales of a Darkening World bilden.
Den Auftakt machte Davy (1964; dt. Davy (1978)), ein Roman, den man ein bisschen flapsig als “Huckleberry Finns Abenteuer in Post-Doomsday-Land” bezeichnen könnte. Davy wird rund 300 Jahre nach einem verheerenden Atomkrieg, der den größten Teil der menschlichen Bevölkerung ausgelöscht hat, als Sohn einer Prostituierten in eine in unzählige feudalistische Kleinstaaten zerfallene Welt geboren, die sich technisch und zivilisatorisch auf einem pseudo-mittelalterlichen Niveau befindet. Es gibt zwar noch Überbleibsel aus der Alten Zeit, aber die Menschen können mit ihnen nichts anfangen – und sie sollten sich besser auch gar nicht allzu sehr mit ihnen beschäftigen, wenn sie nicht als Ketzer auf den Scheiterhaufen der mächtigen Kirche enden wollen. In diesem Umfeld erlebt Davy, der in einem Waisenhaus der Kirche aufwächst und als Schuldknecht an einen Gastwirt verkauft wird, seine Abenteuer, die an dem Tag beginnen, als er aus dem Gasthaus flieht, und von denen er uns in der Rückschau als erwachsener, mittlerweile verheirateter Mann erzählt. Das allerdings sehr eigenwillig, denn Davy neigt zu Abschweifungen und Zeitsprüngen – und zu Andeutungen, die nie mit Inhalten gefüllt werden. Dessen ungeachtet entsteht aus diesem Flickwerk aus mal mehr, mal weniger ausgemalten Geschehnissen, Orten und Begegnungen mit Männern und Frauen das Bild einer in vielerlei Hinsicht faszinierenden Welt, die allen widrigen Umständen zum Trotz nicht mit den typischen düsteren Post-Doomsday-Szenarien zu vergleichen ist und auf der tatsächlich so etwas wie Heiterkeit und Lebensfreude Platz haben – zumindest durch die Augen Davys betrachtet, der die Geschichte gelegentlich mit einem ironischen Seitenhieb auf sein abergläubisches und noch nicht zu selbstständigem Denken fähiges jüngeres Ich garniert.
Verglichen mit diesem pikaresken Entwicklungsroman fällt The Judgment of Eve (1966; dt. Die Prüfung (1979)) spürbar ab, was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass der Roman kurz nach der großen Katastrophe und somit zu einem Zeitpunkt spielt, da die alten Strukturen verschwunden sind, sich aber noch keine neuen gebildet haben. Eve ist die Tochter der blinden Alma Newman, die mit ihrer Mutter auf einer heruntergekommenen Farm lebt und sich eines Tages drei Männern gegenübersieht, die sich in sie verliebt haben und sie zur Frau nehmen wollen. Eve schickt die drei mit der Aufgabe in die Welt hinaus, ihr Antworten auf ihre Fragen zu bringen, die sich um Mut, Ehrlichkeit, Reife und Liebe drehen. Die Suche der drei Männer nach den richtigen Antworten ist fraglos interessant, aber dem Buch – das mehr Allegorie als Roman ist – geht die Leichtigkeit vollkommen ab, die selbst in den düsteren Szenen von Davy durchschimmert. Was andererseits nicht weiter verwunderlich ist, denn in einer Welt, in der nur das Recht des Stärkeren zählt, führen die o.g. Fragen ebenso wie die Geschehnisse der Vergangenheit fast zwangsläufig zu Fragen, in denen es um Verantwortung und Schuld geht, und darauf gibt es keine leichten oder leichthin gesagten Antworten.
In The Company of Glory (1975; dt. Ein glorreicher Haufen (1985)) liegt die Katastrophe 47 Jahre zurück, und allmählich etabliert sich eine an mittelalterliche Strukturen erinnernde Gesellschaft. In den Dörfern und Städten dieser Welt ist Demetrios der Geschichtenerzähler ein gern gesehener Gast, denn er, der knapp über 60 ist, kann auf packende Weise von der Alten Zeit erzählen – und davon, was es damals alles gegeben hat: wunderbare Dinge wie Telefone, Autos, Fernseher und Düsenflugzeuge, unter denen sich keiner der Nachgeborenen noch etwas vorstellen kann. Doch nicht alle Menschen wollen die Erinnerung an die Alte Zeit wachhalten, und Demetrios spürt, dass er keine Kraft mehr für große Auseinandersetzungen hat … Der Roman schildert die Anfänge der Entwicklung, die zu der Welt führt, wie man sie aus Davy kennt, und zeichnet über weite Strecken ein überzeugendes Bild davon, wie die Menschen möglicherweise wieder Tritt fassen und sich neu organisieren können. Doch zum Ende hin scheinen Pangborn ebenso wie den etwa gleichaltrigen Demetrios ein bisschen die Kräfte verlassen zu haben.
Abgerundet werden die Tales of a Darkening World durch ein knappes Dutzend Geschichten, von denen sieben in Still I Persist in Wondering (1978; dt. Tiger Boy (1986)) gesammelt sind; sie verteilen sich über einen Zeitraum, der vom Jahr Eins nach der großen Katastrophe bis ins 8. Jahrhundert reicht, in dem die Menschheit annähernd wieder auf dem Niveau unseres 20. Jahrhunderts angekommen ist – allerdings mit einigen signifikanten Unterschieden, denn Pangborn hat hier seinen Vorstellungen von einer idealen menschlichen Gesellschaft ziemlich freien Lauf gelassen.
Edgar Pangborns Werk ist nicht sonderlich groß, und seine Tales of a Darkening World haben Höhen und Tiefen, doch vor allem Davy und etliche der Kurzgeschichten sind mehr als lesenswert (ebenso wie der Roman A Mirror for Observers), weil sich Pangborn in ihnen immer wieder als einer der großen Humanisten des Genres erweist, von dem u.a. Ursula K. Le Guin und Peter S. Beagle (der auch sein Nachlassverwalter ist) beeinflusst wurden. Und eigentlich trifft der bekannte SF-Herausgeber und -Kritiker Damon Knight recht gut, um was es bei Pangborn letztlich immer wieder geht: “… very like the thing that Stapledon was always talking about and never quite managing to convey: the regretful, ironic, sorrowful, deeply joyous – and purblind – love of the world and all in it.”
Bibliotheka Phantastika gratuliert Bernard Cornwell, der heute 70 Jahre alt wird. Der am 23. Februar 1944 in London geborene Bernard Cornwell wuchs bei Adoptiveltern auf und trug anfangs deren Nachnamen, nahm aber später den Geburtsnamen seiner Mutter an. Nachdem er eine US-Amerikanerin geheiratet hatte, wanderte er mit ihr 1979 in die USA aus. Da ihm dort die Green Card verweigert wurde, begann er Romane zu schreiben, weil er dafür keine Arbeitserlaubnis brauchte. Auch wenn Cornwell nur notgedrungen Schriftsteller wurde, sollte er sich in diesem Metier als überaus erfolgreich erweisen; mittlerweile kann er auf mehr als 50 Veröffentlichungen zurückblicken, bei denen es sich größtenteils um historische Romane handelt, darunter die teilweise verfilmten, 24 Bände umfassenden Abenteuer des britischen Soldaten Richard Sharpe zur Zeit der Napoleonischen Kriege, die im amerikanischen Bürgerkrieg spielenden vierbändigen Starbuck Chronicles oder die derzeit siebenbändigen Saxon Stories, deren Schauplatz England – genauer, das angelsächsische Königreich Wessex – zur Zeit Afreds des Großen ist.
Mindestens ebensosehr historische wie Fantasyromane sind auch die drei Bände der Warlord Chronicles – The Winter King (1995), Enemy of God (1996) und Excalibur (1997) –, in denen Cornwell sich dem Artus-Mythos zuwendet. In ihnen entwirft er ein über weite Strecken düsteres Bild einer grausamen Zeit, in der Britannien nach dem Abzug der Römer nicht nur von äußeren Feinden – einerseits in Gestalt angelsächsischer Eroberer, andererseits durch die Raubzüge der Iren entlang der Westküste – bedroht wird, sondern auch unter den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen viel zu vielen Provinzpotentaten leidet. Hinzu kommt der Konflikt zwischen Christen und den Anhängern der alten druidischen Religion. Erzählt wird die Geschichte im Rückblick von Derfel Cadarn, einem loyalen Anhänger und Vertrauten Arthurs bzw. Artus’, der den Aufstieg und Fall des mythischen Kriegerkönigs hautnah miterlebt hat. Neben der teilweise überraschenden Neuzeichnung bzw. Umwertung einiger bekannter Figuren ist Cornwells Version des Artus-Mythos in zweierlei Hinsicht interessant: zu einen nimmt er in seiner Darstellung eines dreckigen, blutigen und in vielerlei Hinsicht als hoffnungslose Zeit gezeichneten Frühmittelalters viel von dem vorweg, was sich mittlerweile in der als Grim & Gritty bezeichneten Fantasy zuhauf finden lässt bzw. zu einem dieses Subgenre mehr oder weniger konstituierenden Element geworden ist. Zum anderen sind die Warlord Chronicles ein Beweis dafür, dass der Erfolg oder Misserfolg mancher Bücher auch etwas mit dem Zeitpunkt ihres Erscheinens bzw. mit ihrer Vermaktung zu tun haben kann, denn ihre erste deutsche Ausgabe – Der Winterkönig (1996), Der Schattenfürst (1997) und Arthurs letzter Schwur (1998) – war nicht sonderlich erfolgreich. Ganz im Gegensatz zur Neuausgabe, die im Gefolge des Erfolgs der deutschsprachigen Ausgabe von Cornwells Saxon Stories auf den Markt gekommen ist. Möglicherweise haben die Bücher erst in dieser Neuausgabe mehrheitlich die Leserschaft gefunden, für die sie gedacht waren, denn ihr Fantasygehalt ist nur schwach ausgeprägt bzw. liegt eigentlich im Auge des Betrachters.
Noch marginaler sind die Fantasyelemente in Stonehenge, 2000 B.C. (2000; dt. Stonehenge (2000)) und in der aus den Romanen Harlequin (2000; auch: The Archer’s Tale (2002); dt. Der Bogenschütze (2004)), Vagabond (2002; dt. Der Wanderer (2006)) und Heretic (2003; dt. Der Erzfeind (2007)) bestehenden Grail Quest Trilogy, die inzwischen mit 1356 (2012; dt. 1356 (2014)) fortgesetzt wurde.
Bibliotheka Phantastika gratuliert Christopher Buehlman, der heute 45 Jahre alt wird. Der am 22. Februar 1969 in Tampa, Florida, geborene Dichter, Autor, Schauspieler und Stand-up-Comedian Christopher Buehlman hat sich zunächst mit Gedichten, Theaterstücken und nicht zuletzt mit seinen Auftritten als Christophe the Insulter einen Namen gemacht. In den letzten Jahren hat er darüber hinaus drei Romane veröffentlicht, die sich – was das Setting und ihren Inhalt betrifft – deutlich voneinander unterscheiden.
Sein Erstling Those Across the River (2011; dt. Jenseits des Flusses (2013) – nur als eBook erschienen) bietet klassischen Horror alter Schule, wie man ihn ansonsten nur noch selten zu Gesicht bekommt: Während der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren erbt der ehemalige Geschichtsprofessor Frank Nichols, der nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg nie mehr so recht ins akademische Leben zurückgefunden hat, ein Haus in Whitbrow, Georgia. Trotz der – allerdings sehr kryptischen – Warnungen seiner verstorbenen Tante zieht er mit seiner Geliebten Eudora dort ein, nur um alsbald zu erkennen, dass etwas in den Wäldern jenseits des Flusses haust – genau dort, wo sich vor dem Bürgerkrieg die Plantage seines Urgroßvaters befunden hat, auf der einst schreckliche Dinge geschehen sein sollen. Und als die Bewohner von Whitbrow aufgrund ihrer alles andere als rosigen Lebensumstände ein altes Ritual nicht mehr durchführen, dessen Sinn sie längst vergessen haben, zeigt sich, dass die Bedrohung keineswegs jenseits des Flusses bleibt.
Waren in Those Across the River die USA bzw. die amerikanischen Südstaaten in einer für die Bevölkerung schwierigen Zeit der Schauplatz der Handlung, ist es in Between Two Fires (2012) das vom Hundertjährigen Krieg und der Pest verwüstete Frankreich um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Hier kreuzen sich die Lebenswege dreier sehr unterschiedlicher Personen, die sich auf eine Queste der besonderen Art begeben. Da wäre zunächst einmal Thomas de Givras, einst ein ehrbarer Ritter, der aufgrund gewisser Umstände tiefer gefallen ist, als er es sich jemals hätte vorstellen können. Immerhin ist er noch nicht ganz auf dem Niveau seiner plündernden, vergewaltigenden und mordenden Kumpane angekommen, und so hat er statt ihrer plötzlich eine neue Begleiterin: die junge Delphine, die die Stimmen von Engeln hört. Schon bald sind die beiden – denen sich noch der am liebsten volltrunkene Priester Père Matthieu anschließt – unterwegs zu jenem Ziel, das die Engelsstimmen Delphine genannt haben: nach Avignon, jenem Ort, an dem der Papst lebt. Doch der Weg dorthin ist weit und gefährlich, und die Gefahren, die auf de Givras, seinen Schützling und den Priester lauern, sind längst nicht alle nur von dieser Welt, denn Luzifer ist zu dem Schluss gekommen, dass Gott sich von den Menschen abgewandt haben muss, und er schickt seine Dämonen aus, um zu überprüfen, ob er recht hat. Between Two Fires ist ein düsterer Roman voller grausamer Bilder, den man durchaus als Grim & Gritty bezeichnen kann – doch im Gegensatz zu vielen anderen Romanen dieses Subgenres sind Buehlmans Protagonisten bemüht, allen widrigen Umständen zum Trotz auf der Leiter der Menschlichkeit zumindest ein paar Sprossen höher zu steigen.
In Buehlmans jüngstem Roman The Necromancer’s House (2013) schließlich werden der Hexer Andrew Blankenship und dessen Freundin Anneke – die nicht nur gemeinsam zaubern, sondern auch zusammen zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker gehen – in einen Konflikt mit der aus der slawischen Mythologie bekannten Baba Yaga hineingezogen, der sich rasch bedrohlich ausweitet.
Christopher Buehlman hat mit seinen ersten drei Romanen bewiesen, dass er ein Autor ist, der aus den unterschiedlichsten Settings und Situationen lesenswerte Romane machen kann, von daher – und weil er dem Drang zum Mehrteiler bislang erfolgreich widerstanden hat – könnte es sich lohnen, ihn im Auge zu behalten.
Bibliotheka Phantastika erinnert an Frederik Hetmann, der heute 80 Jahre alt geworden wäre. Das vielleicht Faszinierendste am umfangreichen Oeuvre des am 17. Februar 1934 in Breslau geborenen Hans-Christian Kirsch, der in der Anfangsphase seiner schriftstellerischen Karriere noch seinen richtigen Namen benutzt, den weitaus größten Teil seiner Werke dann aber als Frederik Hetmann veröffentlicht hat, ist – neben der beeindruckenden Zahl der von ihm verfassten, herausgegebenen oder übersetzten Bücher – die thematische Bandbreite seines Schaffens, das sich gleichermaßen an Jugendliche wie an Erwachsene richtet. Hetmann hat u.a. mehrfach über Geschichte und Kultur der indianischen Urbevölkerung Amerikas (und der als Sklaven ins Land gekommenen Schwarzen) geschrieben, hat unzählige Märchen und Sagen gesammelt und in etlichen geographisch und/oder thematisch angeordneten Sammelbänden herausgegeben, Biographien politisch und/oder gesellschaftlich relevanter Persönlichkeiten verfasst und zeitkritisch-realistische ebenso wie phantastische Romane geschrieben; hinzu kommen Beiträge zur Märchenkunde und zur Theorie der phantastischen Literatur. Da es schlicht unmöglich ist, den vielfältigen Aspekten von Hetmanns Gesamtwerk in diesem Rahmen auch nur ansatzweise gerecht zu werden, wird es an dieser Stelle fast ausschließlich um einige seiner Fantasyromane gehen. Mit einem kleinen Seitenblick auf ein paar Bücher, die seine Fantasy ganz gewiss beeinflusst, wenn nicht sogar geprägt haben.
Frederik Hetmann hat Märchen aus aller Welt gesammelt und erzählt; einen Schwerpunkt dieser Tätigkeit bilden die Märchen der indianischen Urbevölkerung Nord- und Südamerikas, den anderen die Märchen und Sagen des irisch-keltischen Kulturraums, von denen er etliche in den drei Anthologien Irischer Zaubergarten: Märchen, Sagen und Geschichten von der Grünen Insel (1979), Die Reise in die Anderswelt: Feengeschichten und Feenglaube in Irland (1981) und Hinter der Schwarzdornhecke: Irlands Märchen und ihre Erzähler (1986) den deutschsprachigen Lesern und Leserinnen nahegebracht hat. (Außerdem dürften diese drei Anthologien nicht zuletzt den Boden für die in den 80er Jahren im Diederichs Verlag erschienene Fantasyreihe bereitet haben, in der Autoren wie T.H. White, Alan Garner, James Stephens oder Mervyn Wall – z.T. von Hetmann übersetzt – veröffentlicht wurden.)
Die Liebe zur irisch-keltischen phantastischen Erzähltradition und ihren Motiven lässt sich auch in Hetmanns phantastischen bzw. Fantasyromanen finden. Dies gilt weniger für seinen (Fantasy-) Erstling Wagadu (1983) – in dem sich die sinnsuchende jugendliche Hauptfigur auf eine Art Traumreise in eine archaische afrikanische Welt begibt – sondern vor allem für die (sich wie Wagadu an jugendliche Leser richtende) Dermot-Saga und seinen vielleicht wichtigsten phantastischen Roman Madru oder Der Große Wald. Ein Märchen (1984). Die Geschichte des Fischersohns Dermot, der davon träumt, eines Tages ein Barde zu werden und die Tochter des Königs aus ihrer Gefangenschaft zu befreien, und auf dem Weg zu seinem Ziel die unglaublichsten Abenteuer in dieser und der Anderswelt erlebt, wurde zuerst in zwei Bänden als Dermot mit dem roten Haar (1985) und Es wird erzählt in Erin … Die Saga von Dermot und Deirdre (1989) veröffentlicht und von Hetmann in den 90er Jahren zu einer Trilogie mit dem Titel Dermot – eine Saga aus Irland (Einzeltitel: Die Suche nach Deirdre (1995), Magier und Mönche (1996) und Dermot und Deirdre (1997)) erweitert und wirkt aufgrund des Settings und des Erzählduktus wie eine nacherzählte alte Sage.
Bei Madru oder Der Große Wald hingegen verweist vor allem die Rolle, die Bäume – und deren mythische Qualität – in dem Roman spielen, auf die irisch-keltischen Einflüsse, doch kommen im Falle der Geschichte um den “Sternensohn” Madru, der aufgrund astronomischer Berechnungen ausersehen wurde, Norrland, das Reich des Großen Waldes, zu schützen, eine spirituelle und eine gesellschaftskritische Komponente hinzu. Denn Madru bedarf der Hilfe des Baumtarots, um sich für einen von drei Wegen – den Weg des Waldes, den Weg des Allwiss oder den Weg der Ritter – zu entscheiden, und zu kämpfen hat er nicht zuletzt gegen menschliche Herrschsucht und Gier. Diese Mischung, zu der sich auch noch die nicht zu unterschätzende Macht der Liebe gesellt, macht Madru zu einem der ungewöhnlichsten (nicht nur deutschsprachigen) Fantasyromane der 80er Jahre.
In der Fortsetzung Im Haus der Gefiederten Schlange (1990) wird die spirituelle Komponente noch wichtiger, denn Alder, der Sohn Madrus, der von seinem Vater das Baumtarot geerbt hat und zunächst den Verlockungen der Macht erliegt, ehe ein Schamane ihm den Weg zu seiner wahren Bestimmung zeigt, begibt sich auf eine noch weit phantastischere Reise als Madru, die ihn in Gefilde führt, die nichts mehr mit der irisch-keltischen Anderswelt zu tun haben, sondern deren Ursprünge in anderen alten Mythen liegen.
Mit Der wilde Park des Vergessens (1994), Der Kelim der Aphrodite (1995), Traumklänge oder Das längste Märchen, das es je gab (2004), Gaias Schwestern (2006 – dieser Titel scheint allerdings nie erschienen zu sein) und Zeitenwende (2006) hat Frederik Hetmann noch weitere phantastische Romane verfasst, von denen Traumklänge der vielleicht interessanteste ist: eingewoben in eine Rahmenhandlung erzählt er die Geschichte einer geheimnisvollen Kugel, die durch die Jahrhunderte in dieser und der Anderswelt von Hand zu Hand wandert (und manche dieser Hände sind wohlbekannt), und verkündet einmal mehr Hetmanns bereits in der Dermot-Saga oder Madru zu findendes Credo, dass alles miteinander verbunden sei.
Wie eingangs erwähnt, hat Frederik Hetmann auch theoretische Schriften zur phantastischen Literatur verfasst. Hier seien z.B. “Merlin. Porträt eines Zauberers” (in T.H. White: Das Buch Merlin (1980)) oder “Ausflug in die Anderswelt. Ein Plädoyer für die Phantastische Literatur” (in: Le Blanc/Solms (Hrsg.): Phantastische Welten. Märchen, Mythen, Fantasy (1994)) sowie das (allerdings ein bisschen wie ein Schnellschuss wirkende) Die Freuden der Fantasy. Von Tolkien bis Ende (1984) und das sich um Märchen drehende Traumgesicht und Zauberspur. Märchenforschung, Märchenkunde, Märchendiskussion (1982) genannt, die alle mehr oder weniger deutlich zeigen, wie ernsthaft sich Frederik Hetmann mit phantastischer Literatur und Fantasy befasst hat und wie wichtig ihm das Phantastische war. Das mag bei einem Autor, der z.B. in seinen Biographien und den Werken über die nordamerikanischen Indianer fraglos einen aufklärerischen Ansatz verfolgt hat, auf den ersten Blick verwundern – allerdings nur dann, wenn man die Phantastik, vor allem aber die Fantasy ausschließlich in die Eskapismus-Ecke steckt (in der Teile von ihr gewiss zu Recht stehen). Frederik Hetmann hat schon in den 80er Jahren gegen diese Einstellung angeschrieben; umso bedauerlicher ist es, dass er heute, noch keine zehn Jahre nach seinem Tod am 01. Juni 2006, zumindest als Fantasyautor mehr oder weniger vom Markt und auch so ziemlich aus dem Bewusstsein der Leserschaft verschwunden zu sein scheint.
Bibliotheka Phantastika gratuliert James A. Sullivan, der heute seinen 40. Geburtstag feiert. Als Co-Autor von Bernhard Hennen mischte der am 14. Februar 1974 in West Point, New York, geborene James Arthur Sullivan zunächst bei Die Elfen (2004) mit, zu denen er auf Solo-Pfaden in jüngster Vergangenheit auch mit Nuramon (2013) wieder zurückgekehrt ist.
Wir haben anlässlich seines Geburtstages sein Portrait aktualisiert, wo ihr euch genauer informieren könnt.
Wer James gratulieren möchte, kann dies übrigens auch in unserem Forum tun, wo er hin und wieder als “Nuramon” unterwegs ist. Wir sagen hier schon mal: Alles Gute, Jamie!
Bibliotheka Phantastika gratuliert Walter Wangerin jr., der heute 70 Jahre alt wird. Der am 13. Februar 1944 in Portland, Oregon, geborene Autor, Theologe und Hochschullehrer Walter Wangerin jr., der seit 1991 an der Valparaiso University in Indiana Literatur, Theologie und Kreatives Schreiben lehrt, hat seit Ende der 70er Jahre ein umfangreiches Oeuvre geschaffen, das praktisch immer einen religiösen Hintergrund hat und etliche Sach- und Kinderbücher sowie Romane wie z.B. The Book of God: The Bible as Novel (1996; dt. Das Buch von Gott: die Bibel als Roman (1997)), Paul: A Novel (2000; dt. Der Apostel: Paulus, ein Leben (2001)) und Jesus: A Novel (2005; dt. Jesus: der Roman (2006)) umfasst. Dass er hier in diesem Blog auftaucht, verdankt er allerdings seinen Fantasyromanen, die – wen kann das in Anbetracht von Wangerins Hintergrund noch überraschen? – einen deutlichen allegorischen Charakter haben. Dessen ungeachtet sind sie durchaus unterhaltsam, was möglicherweise damit zusammenhängt, dass es sich bei The Book of the Dun Cow und dessen Fortsetzungen um Animal Fantasies handelt, und dass Wangerin etliche seiner Protagonisten überaus gelungen sind.
The Book of the Dun Cow (1978; dt. Der weiße Hahn und die braune Kuh (1981)) erzählt die Geschichte Chauntecleers, eines eitlen, selbstgefälligen “Gockels” im wahrsten Sinne des Wortes, der in einer Zeit, in der die Menschen noch nicht in Erscheinung getreten sind – einer unschuldigeren Zeit, in der die Welt noch im Mittelpunkt der Schöpfung steht, die Sonne um sie kreist und die Tiere sprechen können und menschliche Eigenschaften haben – über seinen Hühnerhof und das umliegende Land herrscht. Und auch wenn er schnell wütend wird und sich selbst viel zu wichtig nimmt, will er doch eigentlich ein guter, gerechter Herrscher sein. Als es Wyrm, einem uralten Monster, das tief unter der Erde haust, durch einen Trick gelingt, auf einem anderen Hühnerhof seinen Sohn Cockatrice (Basilisk in der deutschen Ausgabe) – ein Mischwesen aus Schlange und Hahn – in die Welt zu bringen, und besagter Cockatrice dort ein Schreckensregime errichtet, mit den Hennen ein Heer tödlicher Basilisken erschafft und sich anschickt, mit ihnen den Rest der Welt zu erobern, sieht sich Chauntecleer seiner größten Herausforderung gegenüber. Natürlich nimmt er diese Herausforderung an – er kann gar nicht anders – und er ist auch nicht allein, denn die Tiere seines kleinen Reiches folgen ihm willig, und er weiß um die Unterstützung seiner engsten Vertrauten, zu denen seine Lieblingshenne Pertelote (die Cockatrices Schreckensherrschaft entkommen ist), John Wesley Weasel und Mundo Cani, der traurige, schwermütige Hund, zählen. Doch der Kampf, der alsbald beginnt, erweist sich als verlustreich und kaum zu gewinnen – und er fordert Opfer und zwingt zu Entscheidungen, an denen diejenigen, die sie treffen, schwer zu tragen haben …
The Book of the Dun Cow (und ja, die im Titel genannte braune Kuh spielt durchaus eine Rolle, auch wenn sie eher indirekt in die Handlung eingreift) ist kein fröhliches Buch, auch wenn es seine heiteren Momente hat, doch verglichen mit der Fortsetzung The Book of Sorrows (1985) wirkt es wie eine leichte Gute-Nacht-Lektüre. Die düstere, um nicht zu sagen pessimistische Grundstimmung des zweiten Bandes hat vor allem mit der Entwicklung zu tun, die Chauntecleer durchmacht. Schon im ersten Band hat sich der anfangs so stolze Gockel verändert, doch in The Book of Sorrows wird ihm die Bedeutung dessen, was es heißt, zu herrschen, zu entscheiden und Verantwortung zu tragen, voll und ganz bewusst. Und in dem Versuch, frühere Entscheidungen zu revidieren und zum Besseren zu wenden, macht er neue Fehler und bürdet sich weitere Schuldgefühle auf. Schildert der erste Band einen epischen Kampf zwischen Gut und Böse – wenn auch “nur” auf einem Hühnerhof –, so geht es im zweiten um Schuld und Sühne, und da spielt es eigentlich keine Rolle, dass die Welt, in der das alles sttattfindet, vergleichsweise klein ist.
So ganz glücklich scheint Walter Wangerin jr. mit dem düsteren Ende des zweiten Bands seiner Hühnerhof-Saga auf Dauer selbst nicht gewesen zu sein, denn im November 2013 hat er sie mit The Third Book of the Dun Cow: Peace at the Last zur Trilogie ergänzt (und bei dieser Gelegenheit zumindest die eBook-Ausgabe von The Book of Sorrows in The Second Book of the Dun Cow: Lamentations umbenannt), und dieser Titel lässt auf einen versöhnlicheren Ausgang der Geschichte schließen.
The Book of the Dun Cow (das 1980 mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde) und dessen Fortsetzung(en) sind sicher nicht jedermanns Sache, denn die Figuren sind schon sehr holzschnittartig angelegt (vor allem die Bösen sind nur böse); dessen ungeachtet kann man ihr Denken und Tun jederzeit nachvollziehen, und wenn man sie erst kennengelernt hat, vergisst man weder den stolzen Chauntecleer, noch die kluge Pertelote, den vorwitzigen John Wesley Weasel und vor allem den traurigen Mundo Cani – der zeigt, dass es möglich ist, die eigenen Ängste zu besiegen und wirklich über sich hinauszuwachsen – so leicht wieder.
Die christlich-allegorische Komponente ist zu erkennen, wenn man sie erkennen will, doch genausogut kann man auch nach den Spuren der mittelalterlichen Fabel Chantecleer and the Fox suchen, oder nach denen, die noch von The Nun’s Priest’s Tale (einem von Geoffrey Chaucers Canterbury Tales) zu finden sind, denn auf ihnen basiert The Book of the Dun Cow (allerdings sehr locker). Und natürlich kann man die Geschichte auch einfach nur lesen.
Bibliotheka Phantastika gratuliert Jane Yolen, die heute 75 Jahre alt wird. Es dürfte kaum eine zweite Fantasyautorin geben, bei der die Diskrepanz zwischen dem Bekanntheitsgrad in ihrem Heimatland und bei uns ähnlich groß ist wie bei der am 11. Februar 1939 in New York City geborenen Jane Hyatt Yolen. Das mag einerseits mit daran liegen, dass ein Großteil ihres Schaffens aus Bilderbüchern und teils phantastischen, teils nichtphantastischen Büchern für Kinder und Jugendliche besteht, erklärt aber trotzdem nur teilweise, warum noch nicht einmal zehn Prozent der ca. 300 Bücher, die sie geschrieben und/oder herausgegeben hat, übersetzt wurden. Vor allem, wenn man bedenkt, wie groß ihr Ansehen in ihrer Heimat ist, wo sie als “Hans Christian Andersen of America” bezeichnet wird und zehn Jahre lang eine nach ihr benannte Kinder- und Jugendbuchreihe herausgegeben hat.
Jane Yolens Karriere begann 1963 mit dem sich an Kinder richtenden Sachbuch Pirates in Petticoats, in dem es um Piratinnen geht, und dem Bilderbuch See This Little Line. Auf diese beiden Bücher folgte 50 Jahre lang ein stetiger Strom weiterer Veröffentlichungen, die zumeist zur Fantasy zu zählen sind, so dass die o.g. Titelzahl nicht mehr verwunderlich sein dürfte. Ebensowenig dürfte überraschen, dass dieser Beitrag nur Schlaglichter auf ein derart umfangreiches Oeuvre werfen kann, die vor allem ein paar von Jane Yolens phantastischen bzw. Fantasy-Romanen für Jugendliche und (jüngere) Erwachsene ein wenig beleuchten sollen.
Auf der schmalen Grenzlinie zwischen SF und Fantasy bewegt sich die aus den Romanen Dragon’s Blood (1982; dt. Drachenblut (2001)), Heart’s Blood (1984; dt. Herzblut (2002)) und A Sending of Dragons (1987; dt. Die Drachenbotschaft (2002)) bestehende The Pit Dragon Trilogy (unter diesem Titel auch als Sammelband (1998); dt. Der Drachenkämpfer von Sarkkhan (SB, 2006)), die auf einem fernen Planeten spielt, auf dem Drachen gezüchtet werden, um sie gegeneinander kämpfen zu lassen. Der junge Jakkin, der sich als Knecht auf einer Drachenfarm verdingen musste, will sich aus dieser Abhängigkeit freikaufen, indem er heimlich einen Kampfdrachen aufzieht. Als Heart’s Blood ausgewachsen ist, erweist er sich tatsächlich als großartiger Kämpfer – doch damit fangen Jakkins Probleme erst so richtig an … Die Jahre später mit dem Band Dragon’s Heart (2009) fortgesetzte Jugendbuch-Trilogie verdankt ihre Entstehung vor allem der Tatsache, dass Jane Yolen unbedingt einmal über Drachen schreiben wollte, und das tut sie hier auf recht originelle Weise.
Eindeutig SF – die sich dennoch irgendwie ein bisschen wie Fantasy anfühlt – ist Cards of Grief (1984; dt. Eine Welt der Traurigkeit (1988)), Yolens erster Roman für Erwachsene. In dem 1985 mit dem Mythopoeic Fantasy Award (!) ausgezeichneten Roman geht es um die Anthropologist Guild, die mit ihren Raumschiffen durch die Galaxis fliegt, um die Bewohner fremder Planeten zu studieren, und dabei auf eine Kultur stößt, in der Trauern die höchste Kunstform ist.
Ihre nächsten Romane für Erwachsene waren dann aber reinrassige Fantasy und ihr vielleicht wichtigster Beitrag zum Genre: Sister Light, Sister Dark (1988) und White Jenna (1989), die eigentlich einen Roman bilden und einige Jahre später auch unter dem Titel The Books of Great Alta (1990) als Sammelband veröffentlicht wurden. Sie erzählen die Geschichte der jungen, weißhaarigen Jenna, die dreimal zur Waise wird: ihre Mutter stirbt bei ihrer Geburt, die Hebamme, als sie sie in Sicherheit bringen will, und die Kriegerin, die sie adoptiert, wird einige Zeit später im Kampf getötet. Jenna wird von einer Gemeinschaft von Amazonen aufgenommen, die ihr Dasein nach den Vorgaben der Great Alta – einer gütigen Göttin – ausrichten und nicht nur ohne Männer als Kriegerinnen, Bäuerinnen und Priesterinnen leben, sondern auch ihre Dark Sister heraufbeschwören können, ihre andere, dunkle Seite, die sie erst “ganz” macht. Bei diesen Frauen gibt es eine alte Prophezeiung, und Jenna entspricht genau der Anna, dem weißhaarigen Kind, das gemäß besagter Prophezeiung drei Mütter verloren hat und eine Messiasfigur ist, die eines Tages alles verändern wird. Und genau das tut Jenna, als sie im Wald den jungen Prinzen Carum rettet und dessen Verfolger tötet. Doch die erste Veränderung ist keine zum Guten, denn sie führt dazu, dass Jennas neues Zuhause zerstört und ihre Familie getötet wird … Was die – 1998 um den Roman The One-Armed Queen ergänzte – Great Alta Saga zu etwas Besonderem macht, ist allerdings nicht der Plot, der eine Mischung aus vertrauten und originellen neuen Elementen wie dem Prinzip der Dark Sister bietet und mit seiner feministisch-humanistischen Ausrichtung in vielerlei Hinsicht typisch für (vor allem in den 80er Jahren) von Frauen geschriebene Fantasy ist, sondern die Art, wie die Geschichte erzählt wird. Denn in den Romanen gibt es Zwischenüberschriften wie “The Story” (für die Kapitel, in denen die eigentliche Geschichte erzählt wird), “The Myth”, “The Legend”, “The Ballad” und “The History”, in denen Jane Yolen zeigt, wie eine Geschichte zum Mythos und zur Legende werden kann – und was die Historiker viele Jahre später aus dem überlieferten Stoff machen. Vor allem Letzteres bietet einen ironischen Blick auf die Tatsache, wie sehr Vorannahmen oder Denkstrukturen die Interpretation nur als Überlieferungen vorliegender Geschehnisse beeinflussen. Faszinierend ist dabei nicht zuletzt, wie stimmig die einzelnen Ebenen miteinander verwoben sind, und es ist mehr als schade, dass ausgerechnet Romane wie diese, die einmal mehr zeigen, was im Rahmen der ach so eskapistischen Fantasy möglich ist, es nie zu einer deutschsprachigen Veröffentlichung gebracht haben.
Sehr wohl auf Deutsch erschienen ist hingegen The Devil’s Arithmetic (1988; dt. Chaja heißt Leben (1989)), ein Jugendbuch, in dem die von den Geschichten ihrer Großeltern genervte Hannah am Vorabend des Passah-Fests die Tür öffnet, um symbolisch den Propheten Elijah zu begrüßen – und sich schlagartig im Jahre 1942 wiederfindet und dort als Chayah nicht nur in ein Konzentrationslager kommt, sondern auch bald vor der Tür zu den Duschen steht. Zwar kehrt Hannah/Chayah zu ihrer Familie zurück, doch das, was sie in der Vergangenheit erlebt hat, wird sie niemals vergessen. Auch Briar Rose (1992; dt. Dornrose: die Geschichte meiner Großmutter (2010)) dreht sich um die Schrecken des Holocaust, allerdings kommt die Geschichte – die vage an das Märchen Dornröschen angelehnt ist – ohne eine phantastische Komponente aus.
Die Rock ‘n’ Roll Fairy Tales, die Jane Yolen zusammen mit ihrem Sohn Adam Stemple schreibt, könnte man der Urban Fantasy zuordnen; das gilt zumindest für den ersten Band, Pay the Piper (2005), der als Rattenfänger: ein Rock-‘n’-Roll-Märchen (2007) auch auf Deutsch erschienen ist und die Geschichte vom Rattenfänger von Hameln nach Northampton, Massachusetts, und ins Rock-‘n’-Roll-Milieu verlegt. Der zweite Band, Troll Bridge (2006), harrt bis heute einer Übersetzung. Zu einer solchen hat es immerhin Sword of the Rightful King (2003; dt. Das Geheimnis des magischen Schwertes. Ein Artus-Roman (2004)) gebracht – und viel mehr als die bislang genannten Titel (plus einem halben Dutzend Bilderbücher) wird man von Jane Yolen nicht in deutscher Sprache finden.
Wer auf Englisch liest und die Autorin einfach mal antesten will, sich aber vom feministisch-humanistischen Grundton der Great Alta Saga – ihres besten bzw. beeindruckendsten Werks – abgeschreckt fühlt, der kann auch zu einer Kurzgeschichtensammlung wie etwa Tales of Wonder (1983, mit “Cards of Grief”, der Story, aus der der gleichnamige Roman hervorging) oder Merlin’s Booke (1986, Gedichte und Geschichten, die sich um Merlins Leben drehen) greifen, um Jane Yolens Erzählstimme und damit eine Autorin kennenzulernen, die in ihrer Heimat gerne mit Dianne Wynne Jones oder Patricia McKillip verglichen wird und 2009 für ihr Lebenswerk mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet wurde.