Zum 75. Geburtstag von Jane Yolen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Jane Yolen, die heute 75 Jahre alt wird. Es dürfte kaum eine zweite Fantasyautorin geben, bei der die Diskrepanz zwischen dem Bekanntheitsgrad in ihrem Heimatland und bei uns ähnlich groß ist wie bei der am 11. Februar 1939 in New York City geborenen Jane Hyatt Yolen. Das mag einerseits mit daran liegen, dass ein Großteil ihres Schaffens aus Bilderbüchern und teils phantastischen, teils nichtphantastischen Büchern für Kinder und Jugendliche besteht, erklärt aber trotzdem nur teilweise, warum noch nicht einmal zehn Prozent der ca. 300 Bücher, die sie geschrieben und/oder herausgegeben hat, übersetzt wurden. Vor allem, wenn man bedenkt, wie groß ihr Ansehen in ihrer Heimat ist, wo sie als “Hans Christian Andersen of America” bezeichnet wird und zehn Jahre lang eine nach ihr benannte Kinder- und Jugendbuchreihe herausgegeben hat.
Jane Yolens Karriere begann 1963 mit dem sich an Kinder richtenden Sachbuch Pirates in Petticoats, in dem es um Piratinnen geht, und dem Bilderbuch See This Little Line. Auf diese beiden Bücher folgte 50 Jahre lang ein stetiger Strom weiterer Veröffentlichungen, die zumeist zur Fantasy zu zählen sind, so dass die o.g. Titelzahl nicht mehr verwunderlich sein dürfte. Ebensowenig dürfte überraschen, dass dieser Beitrag nur Schlaglichter auf ein derart umfangreiches Oeuvre werfen kann, die vor allem ein paar von Jane Yolens phantastischen bzw. Fantasy-Romanen für Jugendliche und (jüngere) Erwachsene ein wenig beleuchten sollen.
Auf der schmalen Grenzlinie zwischen SF und Fantasy bewegt sich die aus den Romanen Dragon’s Blood (1982; dt. Drachenblut (2001)), Heart’s Blood (1984; dt. Herzblut (2002)) und A Sending of Dragons (1987; dt. Die Drachenbotschaft (2002)) bestehende The Pit Dragon Trilogy (unter diesem Titel auch als Sammelband (1998); dt. Der Drachenkämpfer von Sarkkhan (SB, 2006)), die auf einem fernen Planeten spielt, auf dem Drachen gezüchtet werden, um sie gegeneinander kämpfen zu lassen. Der junge Jakkin, der sich als Knecht auf einer Drachenfarm verdingen musste, will sich aus dieser Abhängigkeit freikaufen, indem er heimlich einen Kampfdrachen aufzieht. Als Heart’s Blood ausgewachsen ist, erweist er sich tatsächlich als großartiger Kämpfer – doch damit fangen Jakkins Probleme erst so richtig an … Die Jahre später mit dem Band Dragon’s Heart (2009) fortgesetzte Jugendbuch-Trilogie verdankt ihre Entstehung vor allem der Tatsache, dass Jane Yolen unbedingt einmal über Drachen schreiben wollte, und das tut sie hier auf recht originelle Weise.
Eindeutig SF – die sich dennoch irgendwie ein bisschen wie Fantasy anfühlt – ist Cards of Grief (1984; dt. Eine Welt der Traurigkeit (1988)), Yolens erster Roman für Erwachsene. In dem 1985 mit dem Mythopoeic Fantasy Award (!) ausgezeichneten Roman geht es um die Anthropologist Guild, die mit ihren Raumschiffen durch die Galaxis fliegt, um die Bewohner fremder Planeten zu studieren, und dabei auf eine Kultur stößt, in der Trauern die höchste Kunstform ist.
Sister Light, Sister Dark von Jane YolenIhre nächsten Romane für Erwachsene waren dann aber reinrassige Fantasy und ihr vielleicht wichtigster Beitrag zum Genre: Sister Light, Sister Dark (1988) und White Jenna (1989), die eigentlich einen Roman bilden und einige Jahre später auch unter dem Titel The Books of Great Alta (1990) als Sammelband veröffentlicht wurden. Sie erzählen die Geschichte der jungen, weißhaarigen Jenna, die dreimal zur Waise wird: ihre Mutter stirbt bei ihrer Geburt, die Hebamme, als sie sie in Sicherheit bringen will, und die Kriegerin, die sie adoptiert, wird einige Zeit später im Kampf getötet. Jenna wird von einer Gemeinschaft von Amazonen aufgenommen, die ihr Dasein nach den Vorgaben der Great Alta – einer gütigen Göttin – ausrichten und nicht nur ohne Männer als Kriegerinnen, Bäuerinnen und Priesterinnen leben, sondern auch ihre Dark Sister heraufbeschwören können, ihre andere, dunkle Seite, die sie erst “ganz” macht. Bei diesen Frauen gibt es eine alte Prophezeiung, und Jenna entspricht genau der Anna, dem weißhaarigen Kind, das gemäß besagter Prophezeiung drei Mütter verloren hat und eine Messiasfigur ist, die eines Tages alles verändern wird. Und genau das tut Jenna, als sie im Wald den jungen Prinzen Carum rettet und dessen Verfolger tötet. Doch die erste Veränderung ist keine zum Guten, denn sie führt dazu, dass Jennas neues Zuhause zerstört und ihre Familie getötet wird … Was die – 1998 um den Roman The One-Armed Queen ergänzte – Great Alta Saga zu etwas Besonderem macht, ist allerdings nicht der Plot, der eine Mischung aus vertrauten und originellen neuen Elementen wie dem Prinzip der Dark Sister bietet und mit seiner feministisch-humanistischen Ausrichtung in vielerlei Hinsicht typisch für (vor allem in den 80er Jahren) von Frauen geschriebene Fantasy ist, sondern die Art, wie die Geschichte erzählt wird. Denn in den Romanen gibt es Zwischenüberschriften wie “The Story” (für die Kapitel, in denen die eigentliche Geschichte erzählt wird), “The Myth”, “The Legend”, “The Ballad” und “The History”, in denen Jane Yolen zeigt, wie eine Geschichte zum Mythos und zur Legende werden kann – und was die Historiker viele Jahre später aus dem überlieferten Stoff machen. Vor allem Letzteres bietet einen ironischen Blick auf die Tatsache, wie sehr Vorannahmen oder Denkstrukturen die Interpretation nur als Überlieferungen vorliegender Geschehnisse beeinflussen. Faszinierend ist dabei nicht zuletzt, wie stimmig die einzelnen Ebenen miteinander verwoben sind, und es ist mehr als schade, dass ausgerechnet Romane wie diese, die einmal mehr zeigen, was im Rahmen der ach so eskapistischen Fantasy möglich ist, es nie zu einer deutschsprachigen Veröffentlichung gebracht haben.
Sehr wohl auf Deutsch erschienen ist hingegen The Devil’s Arithmetic (1988; dt. Chaja heißt Leben (1989)), ein Jugendbuch, in dem die von den Geschichten ihrer Großeltern genervte Hannah am Vorabend des Passah-Fests die Tür öffnet, um symbolisch den Propheten Elijah zu begrüßen – und sich schlagartig im Jahre 1942 wiederfindet und dort als Chayah nicht nur in ein Konzentrationslager kommt, sondern auch bald vor der Tür zu den Duschen steht. Zwar kehrt Hannah/Chayah zu ihrer Familie zurück, doch das, was sie in der Vergangenheit erlebt hat, wird sie niemals vergessen. Auch Briar Rose (1992; dt. Dornrose: die Geschichte meiner Großmutter (2010)) dreht sich um die Schrecken des Holocaust, allerdings kommt die Geschichte – die vage an das Märchen Dornröschen angelehnt ist – ohne eine phantastische Komponente aus.
Die Rock ‘n’ Roll Fairy Tales, die Jane Yolen zusammen mit ihrem Sohn Adam Stemple schreibt, könnte man der Urban Fantasy zuordnen; das gilt zumindest für den ersten Band, Pay the Piper (2005), der als Rattenfänger: ein Rock-‘n’-Roll-Märchen (2007) auch auf Deutsch erschienen ist und die Geschichte vom Rattenfänger von Hameln nach Northampton, Massachusetts, und ins Rock-‘n’-Roll-Milieu verlegt. Der zweite Band, Troll Bridge (2006), harrt bis heute einer Übersetzung. Zu einer solchen hat es immerhin Sword of the Rightful King (2003; dt. Das Geheimnis des magischen Schwertes. Ein Artus-Roman (2004)) gebracht – und viel mehr als die bislang genannten Titel (plus einem halben Dutzend Bilderbücher) wird man von Jane Yolen nicht in deutscher Sprache finden.
White Jenna von Jane YolenWer auf Englisch liest und die Autorin einfach mal antesten will, sich aber vom feministisch-humanistischen Grundton der Great Alta Saga – ihres besten bzw. beeindruckendsten Werks – abgeschreckt fühlt, der kann auch zu einer Kurzgeschichtensammlung wie etwa Tales of Wonder (1983, mit “Cards of Grief”, der Story, aus der der gleichnamige Roman hervorging) oder Merlin’s Booke (1986, Gedichte und Geschichten, die sich um Merlins Leben drehen) greifen, um Jane Yolens Erzählstimme und damit eine Autorin kennenzulernen, die in ihrer Heimat gerne mit Dianne Wynne Jones oder Patricia McKillip verglichen wird und 2009 für ihr Lebenswerk mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet wurde.

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