Zum 70. Geburtstag von Walter Wangerin jr.

Bibliotheka Phantastika gratuliert Walter Wangerin jr., der heute 70 Jahre alt wird. Der am 13. Februar 1944 in Portland, Oregon, geborene Autor, Theologe und Hochschullehrer Walter Wangerin jr., der seit 1991 an der Valparaiso University in Indiana Literatur, Theologie und Kreatives Schreiben lehrt, hat seit Ende der 70er Jahre ein umfangreiches Oeuvre geschaffen, das praktisch immer einen religiösen Hintergrund hat und etliche Sach- und Kinderbücher sowie Romane wie z.B. The Book of God: The Bible as Novel (1996; dt. Das Buch von Gott: die Bibel als Roman (1997)), Paul: A Novel (2000; dt. Der Apostel: Paulus, ein Leben (2001)) und Jesus: A Novel (2005; dt. Jesus: der Roman (2006)) umfasst. Dass er hier in diesem Blog auftaucht, verdankt er allerdings seinen Fantasyromanen, die – wen kann das in Anbetracht von Wangerins Hintergrund noch überraschen? – einen deutlichen allegorischen Charakter haben. Dessen ungeachtet sind sie durchaus unterhaltsam, was möglicherweise damit zusammenhängt, dass es sich bei The Book of the Dun Cow und dessen Fortsetzungen um Animal Fantasies handelt, und dass Wangerin etliche seiner Protagonisten überaus gelungen sind.
The Book of Dun Cow von Walter Wangerin jr.The Book of the Dun Cow (1978; dt. Der weiße Hahn und die braune Kuh (1981)) erzählt die Geschichte Chauntecleers, eines eitlen, selbstgefälligen “Gockels” im wahrsten Sinne des Wortes, der in einer Zeit, in der die Menschen noch nicht in Erscheinung getreten sind – einer unschuldigeren Zeit, in der die Welt noch im Mittelpunkt der Schöpfung steht, die Sonne um sie kreist und die Tiere sprechen können und menschliche Eigenschaften haben – über seinen Hühnerhof und das umliegende Land herrscht. Und auch wenn er schnell wütend wird und sich selbst viel zu wichtig nimmt, will er doch eigentlich ein guter, gerechter Herrscher sein. Als es Wyrm, einem uralten Monster, das tief unter der Erde haust, durch einen Trick gelingt, auf einem anderen Hühnerhof seinen Sohn Cockatrice (Basilisk in der deutschen Ausgabe) – ein Mischwesen aus Schlange und Hahn – in die Welt zu bringen, und besagter Cockatrice dort ein Schreckensregime errichtet, mit den Hennen ein Heer tödlicher Basilisken erschafft und sich anschickt, mit ihnen den Rest der Welt zu erobern, sieht sich Chauntecleer seiner größten Herausforderung gegenüber. Natürlich nimmt er diese Herausforderung an – er kann gar nicht anders – und er ist auch nicht allein, denn die Tiere seines kleinen Reiches folgen ihm willig, und er weiß um die Unterstützung seiner engsten Vertrauten, zu denen seine Lieblingshenne Pertelote (die Cockatrices Schreckensherrschaft entkommen ist), John Wesley Weasel und Mundo Cani, der traurige, schwermütige Hund, zählen. Doch der Kampf, der alsbald beginnt, erweist sich als verlustreich und kaum zu gewinnen – und er fordert Opfer und zwingt zu Entscheidungen, an denen diejenigen, die sie treffen, schwer zu tragen haben …
The Book of the Dun Cow (und ja, die im Titel genannte braune Kuh spielt durchaus eine Rolle, auch wenn sie eher indirekt in die Handlung eingreift) ist kein fröhliches Buch, auch wenn es seine heiteren Momente hat, doch verglichen mit der Fortsetzung The Book of Sorrows (1985) wirkt es wie eine leichte Gute-Nacht-Lektüre. Die düstere, um nicht zu sagen pessimistische Grundstimmung des zweiten Bandes hat vor allem mit der Entwicklung zu tun, die Chauntecleer durchmacht. Schon im ersten Band hat sich der anfangs so stolze Gockel verändert, doch in The Book of Sorrows wird ihm die Bedeutung dessen, was es heißt, zu herrschen, zu entscheiden und Verantwortung zu tragen, voll und ganz bewusst. Und in dem Versuch, frühere Entscheidungen zu revidieren und zum Besseren zu wenden, macht er neue Fehler und bürdet sich weitere Schuldgefühle auf. Schildert der erste Band einen epischen Kampf zwischen Gut und Böse – wenn auch “nur” auf einem Hühnerhof –, so geht es im zweiten um Schuld und Sühne, und da spielt es eigentlich keine Rolle, dass die Welt, in der das alles sttattfindet, vergleichsweise klein ist.
So ganz glücklich scheint Walter Wangerin jr. mit dem düsteren Ende des zweiten Bands seiner Hühnerhof-Saga auf Dauer selbst nicht gewesen zu sein, denn im November 2013 hat er sie mit The Third Book of the Dun Cow: Peace at the Last zur Trilogie ergänzt (und bei dieser Gelegenheit zumindest die eBook-Ausgabe von The Book of Sorrows in The Second Book of the Dun Cow: Lamentations umbenannt), und dieser Titel lässt auf einen versöhnlicheren Ausgang der Geschichte schließen.
The Book of the Dun Cow (das 1980 mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde) und dessen Fortsetzung(en) sind sicher nicht jedermanns Sache, denn die Figuren sind schon sehr holzschnittartig angelegt (vor allem die Bösen sind nur böse); dessen ungeachtet kann man ihr Denken und Tun jederzeit nachvollziehen, und wenn man sie erst kennengelernt hat, vergisst man weder den stolzen Chauntecleer, noch die kluge Pertelote, den vorwitzigen John Wesley Weasel und vor allem den traurigen Mundo Cani – der zeigt, dass es möglich ist, die eigenen Ängste zu besiegen und wirklich über sich hinauszuwachsen – so leicht wieder.
Die christlich-allegorische Komponente ist zu erkennen, wenn man sie erkennen will, doch genausogut kann man auch nach den Spuren der mittelalterlichen Fabel Chantecleer and the Fox suchen, oder nach denen, die noch von The Nun’s Priest’s Tale (einem von Geoffrey Chaucers Canterbury Tales) zu finden sind, denn auf ihnen basiert The Book of the Dun Cow (allerdings sehr locker). Und natürlich kann man die Geschichte auch einfach nur lesen.

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