Zum 90. Geburtstag von Anne McCaffrey

Bibliotheka Phantastika erinnert leicht verspätet an Anne McCaffrey, die vorgestern 90 Jahre alt geworden wäre. Das Beispiel der am 01. April 1926 in Cambridge, Massachusetts, geborenen und am 21. November 2011 in ihrer Wahlheimat Irland verstorbenen Anne Inez McCaffrey zeigt, wie notwendig es tatsächlich ist, in diesen schnelllebigen Zeiten an bestimmte Autorinnen und Autoren zu erinnern, da sie – allem früheren Ruhm und Erfolg zum Trotz – doch ziemlich schnell aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. Denn genau das ist bei Anne McCaffrey zumindest hierzulande der Fall, obwohl sie mit ihrer Darstellung der Drachen in The Dragonriders of Pern bzw. Die Drachenreiter von Pern, ihrem wohl bekanntesten und erfolgreichsten Zyklus, sozusagen die Blaupause für einen in der Fantasy danach gern und häufig genutzen Drachentypus geschaffen hat – wobei besagter Zyklus lustigerweise eigentlich gar nicht der Fantasy, sondern der SF zuzurechnen ist.
Ihre ersten literarischen Gehversuche machte Anne McCaffrey bereits 1953, und zwar mit der Kurzgeschichte “Freedom of the Race” in der Oktoberausgabe des kurzlebigen, von Hugo Gernsback herausgegebenen Magazins Science-Fiction Plus. Erst sechs Jahre später erschien in der Aprilausgabe des Magazine of Fantasy and Science Fiction mit “The Lady in the Tower” ihre zweite Geschichte (die später Teil des Zyklus The Tower and the Hive werden sollte), und 1961 begann sie mit “The Ship Who Sang” (wiederum in der Aprilausgabe des Magazine of F and SF) eine Reihe von Erzählungen, aus denen 1969 der gleichnamige Episodenroman werden sollte. 1967 kam schließlich mit Restoree (dt. Die Wiedergeborene (1973, NÜ 2000)) ihr erster Roman auf den Markt, und im gleichen Jahr legte sie mit zwei längeren Erzählungen – “Weyr Search”* (in der Oktoberausgabe von Analog) und “Dragonrider” (als zweiteiliges Serial ebenfalls in Analog, Dezember ’67/Januar ’68) –, die mit dem Hugo bzw. Nebula ausgezeichnet wurden, den Grundstein für die Dragonriders of Pern, denn diese beiden Erzählungen bilden die ersten beiden Teile des ersten Dragonriders-Romans Dragonflight (1968; dt. Die Welt der Drachen (1972)).
Dragonflight spielt wie alle Romane des Zyklus auf Pern, einer – wie sich in einem späteren Band herausstellen wird – vor langer Zeit von irdischen Kolonisten besiedelten Welt und erzählt die Geschichte von Lessa, der Erbin von Burg Ruatha, die sich anfangs in ihrer eigenen Burg verstecken bzw. als Magd ausgeben muss, um nicht vom Usurpator Lord Fax getötet zu werden, und die schließlich zur Reiterin der Drachenkönigin Ramoth wird; sowie die Geschichte von F’lar, dem Reiter des Bronzedrachen Mnementh und Anführer der Drachenreiter des Benden Weyrs, des letzten noch bewohnten Weyrs – die anderen fünf sind aus unerklärlichen Gründen seit Jahrhunderten verlassen –, der Lessa aus ihrer unwürdigen Situation befreit und sich später mit der klugen und durchsetzungsfähigen jungen Frau regelrecht zusammenraufen muss; und die Geschichte von der Wiederkehr des Red Star bzw. Roten Sterns und vom damit verbundenen Threadfall aka Fädenfall, vom Kampf der Drachen und ihrer Reiter gegen die alles versengenden Fäden, und lüftet auch das Geheimnis der fünf seit langem verlassenen Weyr.
Dragonquest (1971; dt. Die Suche der Drachen (1973)) schließt nahtlos und folgerichtig an die Geschehnisse im ersten Band des Zyklus an, auch wenn mit F’lars Halbbruder F’nor und Brekke andere Protagonisten im Mittelpunkt der Handlung stehen. Abgeschlossen wurde das, was gemeinhin als Original-Trilogie der Dragonriders bezeichnet wird, schließlich mit The White Dragon (1978; dt. Der weiße Drache (1982)), einem Entwicklungsroman, in dem Jaxom, der jugendliche Sohn des aus dem ersten Band bekannten Usurpators Fax und neue Herr von Burg Ruatha und dessen Drache Ruth – der klein und schwach wirkende titelgebende weiße Drache – die Hauptrollen spielen (und der nebenbei bemerkt einer der ersten SF-Romane war, die es auf die Bestseller-Liste der New York Times geschafft haben).
Besagte Original-Trilogie und eine um The White Dragon herum veröffentlichte (und zeitlich parallel zu diesem und Dragonquest spielende), aus den Bänden Dragonsong (1976; dt. Drachengesang (1981), auch Drachenlied (2009)), Dragonsinger (1977; dt. Drachensinger (1981), auch Drachenruf (2009)) und Dragondrums (1979; dt. Drachentrommeln (1983), auch Drachenmeister (2009)) bestehende Jugendbuch-Trilogie – die Harper Hall Trilogy –, die sich vor allem um die junge Menolly und die als Firelizards bzw. Feuerechsen bezeichneten kleineren Verwandten der Drachen dreht, bilden das Fundament der Dragonriders of Pern, die Anne McCaffrey in den folgenden Jahren mit etlichen Fortsetzungen und vor allem Prequels – beginnend mit Moreta: Dragonlady of Pern (1983; dt. Moreta – Die Drachenherrin von Pern (1985)) weitergeführt hat. Seit 2003 war dabei ihr Sohn Todd, der auch drei eigenständige Romane zum Zyklus beigesteuert hat, ihr Co-Autor.
Zum Erfolg der Dragonriders of Pern dürfte vor allem die zum damaligen Zeitpunkt neue und originelle – und wie bereits erwähnt stilprägende – Darstellung der Drachen beigetragen haben, und gerade das bonding – angefangen mit dem Moment des “Erkennens”, wenn der Drache aus dem Ei schlüpft, bis hin zum telepathischen Kontakt zwischen Drache und menschlichem Reiter – dürfte auf jugendliche Leserinnen und Leser einen besonderen Reiz ausgeübt haben, denn welcher Junge, welches Mädchen würde sich nicht wünschen, auf einem feuerspeienden fliegenden und telepathisch mit ihm bzw. ihr verbundenen Drachen zu reiten und mit ihm ins Between bzw. Dazwischen zu gehen, um auf diese Weise binnen kürzester Zeit gewaltige Entfernungen zu überbrücken oder sogar durch die Zeit zu reisen?
Doch auch genrehistorisch sind die Dragonriders – bezogen auf die Originaltrilogie – recht interessant, da es sich bei ihnen – ähnlich wie bei einem Großteil der Darkover-Romane von Marion Zimmer-Bradley oder den ersten beiden Bänden des Witch World Cycle von Andre Norton – eigentlich um SF-Romane handelt, denen man ein mehr oder weniger fadenscheiniges Mäntelchen aus Fantasy-Elementen und -Motiven umgehängt hat (ein Phänomen, das vor allem Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre gehäuft aufgetreten und ein Indiz dafür ist, dass das Genre sich noch nicht geformt hatte bzw. abseits der Sword & Sorcery noch nicht zu vermarkten war). Im Gegensatz zu Andre Norton, die in ihrem Hexenwelt-Zyklus alsbald den Sprung von der SF zur Fantasy vollzogen hat, wird der SF-Anteil in den Drachenreiter-Bänden nach und nach größer, so dass sich die späteren Bände tatsächlich wie das lesen, was sie eigentlich sind: mehr oder weniger abenteuerliche planetary romances. Dennoch gilt, dass die Dragonriders einen wesentlichen Beitrag zur Ausformung des Genres geleistet haben, dem sie eigentlich gar nicht zuzurechnen sind. (Welchen Stellenwert die Dragonriders in der amerikanischen Phantastik-Szene haben, kann man übrigens sehr gut daran erkennen, dass in beiden von Robert Silverberg herausgegebenen Legends-Anthologien jeweils eine Erzählung über die Dragonriders of Pern enthalten ist.)
Auch in Deutschland war Anne McCaffrey lange Jahre sehr erfolgreich und präsent. Vor allem die beiden Ursprungstrilogien der Drachenreiter wurden mehrfach – teils auch in Form von Sammelbänden – nachgedruckt bzw. neu aufgelegt. Bedauerlicherweise sind zumindest die Übersetzungen der ersten beiden Bände Dragonflight und Dragonquest (sprich: Die Welt der Drachen und Die Suche der Drachen) – vermutlich nicht zuletzt den damals noch geltenden Umfangsbeschränkungen geschuldet – massiv gekürzt, doch noch nicht einmal das hat ihrem Erfolg hierzulande wesentlich geschadet**. Erst vor rund zehn Jahren begann ihr Stern zu sinken, so dass seither – abgesehen von einer neu betitelten neuen Ausgabe der Harper Hall Trilogy im Jugendbuch – keine Romane von ihr mehr auf Deutsch erschienen sind. Bis dahin hatten es allerdings nicht nur fast zwanzig Drachenreiter-Bände, sondern auch ein Großteil ihrer sonstigen Romane und Zyklen – Letztere nicht immer vollständig – nach Deutschland geschafft. Besagte Zyklen, die Anne McCaffrey z.T. mit diversen Co-Autorinnen verfasst hat, neigen alle deutlicher der SF zu, und sie an dieser Stelle aufzulisten, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.
Ihre besten bzw. interessantesten Werke – in denen fast immer für die damalige Zeit erstaunlich taffe Frauen eine wichtige Rolle spielen – sind ohnehin vor allem in ihrem Frühwerk zu finden. Hierzu zählen neben der originalen Drachenreiter-Trilogie ihr eingangs erwähnter Erstling Restoree (eine Reaktion auf die Schilderung von Frauen in der SF und Fantasy ihrer zumeist männlichen Kollegen – was man dem Roman in jeder Hinsicht anmerkt), sowie Decision at Doona (1969; dt. Planet der Entscheidung (1972), eine Erstkontaktgeschichte) und vor allem The Ship Who Sang (1969; dt. Ein Raumschiff namens Helva (1973), auch als Helva – Das Raumschiff, das sang (1995)), die Geschichte eines körperlich behinderten Mädchens, das zur Pilotin – bzw. zum “Gehirn” – eines Raumschiffs gemacht wurde, und der Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Allerdings ist auch bei diesen Romanen – mit Ausnahme von Restoree, der unter dem alten Titel Die Wiedergeborene seit 2004 auch als Neuübersetzung vorliegt – stark davon auszugehen, dass die deutschen Übersetzungen deutlich gekürzt sind***.

* – “Weyr Search” ist auf Deutsch unter dem Titel “Die Drachenkönigin”in den Anthologien Eispiloten (1971, Hrsg.: Robert Silverberg) und Drachenwelten (1985, Hrsg.: Isaac Asimov, Charles G. Waugh und Martin Harry Greenberg) enthalten.
** – ich habe das selbst erst vor einiger Zeit überprüft und dabei festgestellt, dass vor allem Teile herausgekürzt wurden, die die Charakterzeichnungen der Figuren vertiefen bzw. die in mehrfacher Hinsicht nicht unproblematische Beziehung zwischen Lessa und F’lar deutlicher zutage treten lassen.
*** – ich kann das momentan nicht im Einzelfall überprüfen, da mir erstens die Zeit dazu fehlt, und ich zweitens nicht immer beide Ausgaben zur Hand habe, doch allein ein Vergleich der Seitenzahlen und die Tatsache, dass bis Mitte der 70er Jahre Genre-Übersetzungen – ihrem Erscheinen in vom Umfang her normierten Reihen geschuldet – sehr häufig gekürzt wurden, deutet auch in diesen Fällen auf eine entsprechende Vorgehensweise hin.

2 Kommentare zu Zum 90. Geburtstag von Anne McCaffrey

  1. Pogopuschel sagt:

    Anne McCaffrey habe ich schon seit 20 Jahren auf dem Schirm, seit ich Fantasy lese, und wollte es immer mal mit Pern versuchen. Aber wie das so ist … verbleiben noch viele tolle Bücher für die zukünftige Lektüre. Sollte mich eines Tages die Unsterblichkeit heimsuchen, der Lesestoff wird mir sicher nicht ausgehen. 😉

  2. gero sagt:

    @ Pogo:

    Ich denke, dass die frühen Drachenreiter-Romane vor allem dann funktionieren, wenn man selbst noch jung ist. 😉

    Irgendwo im Buchgedanken-Thread haben zwei Forumosen von ihren aktuellen Leseerfahrungen mit diesen Romanen berichtet, und das Ergebnis war eher durchwachsen. Vermutlich wirkt das alles inzwischen doch schon ein bisschen angestaubt; ich kann das schlecht beurteilen, da ich die ersten beiden Romane mit 17/18 und zu diesem Zeitpunkt sehr wenig Fantasy-Leseerfahrung – woher hätte die damals auch kommen sollen? – gelesen (und zwar gern gelesen) habe, und wenn ich heute in die Sachen reinschaue, kann ich zwar durchaus erkennen, was man bemängeln könnte, aber die positiven nostalgischen Gefühle überwiegen – oder, um es anders zu sagen: ich bin da halt nicht sonderlich objektiv. 😉

    Meiner Meinung nach hat Anne McCaffrey in ihren frühen Werken oft eine – zumindest für damalige Verhältnisse – sehr lesenswerte Mischung aus abenteuerlichen und romantischen Komponenten hingekriegt; leider haben sich später teils die Gewichte verschoben (etwa in den Dragonriders), teils wurden interessante Konzepte durch (zu) viele Fortsetzungen verwässert (etwa in der Ship-Who-Sang-Reihe).

    Trotzdem halte ich “Weyr Search” immer noch für eine sehr ordentliche Story und The Ship Who Sang u.a. für eine interessante frühe Umsetzung einer speziellen Cyborg-Thematik (wobei in dem Buch auch McCaffreys Liebe zur Musik zum Tragen kommt).

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