Prokrastination* ist zwar meist ein Problem, mit dem man sich lieber ein andermal befasst – aber als ich vor Kurzem einen (schon älteren) Artikel darüber tatsächlich gleich gelesen habe, stach mir ein Experiment ins Auge, bei dem die Teilnehmer nach Filmen befragt wurden, die sie gerne jetzt sofort oder in einem Monat sehen würden. Demnach wählen Leute für den späteren Zeitpunkt häufig ernste oder bedeutende Filme, wohingegen für sofort anspruchslose Blockbuster und Komödien das Rennen machen. Weiter heißt es:
Das Problem ist natürlich, dass dann, wenn es an der Zeit wäre, den ernsten Film anzusehen, etwas anderes Seichtes häufig verlockender wirkt. Darum sind auch die Listen beim Videoverleih Netflix voll mit Filmen, die niemals gesehen werden: unser verantwortungsbewusstes Selbst setzt uns Hotel Ruanda und Das Siebte Siegel auf die Liste, aber wenn es soweit ist, landen wir letztlich wieder vor der Wiederholung von Hangover. **
Man ahnt es bereits – es stellt sich die Frage, ob es dem ein oder anderen mit dem SUB, also dem Stapel ungelesener Bücher, ähnlich ergeht. Prokrastinieren wird in erster Linie damit assoziiert, mühsamen Tätigkeiten aus dem Weg zu gehen. In der Lektüre sieht man dagegen Entspannung oder zumindest Freizeitaktivität – demnach scheint die Frage zunächst absurd.
Allerdings spricht allein die Tatsache, einen SUB zu besitzen, dafür, dass manches Angeschaffte auf später vertagt wird, sofern man nicht nur aus Raffgier mehr Bücher hortet, als man weglesen kann. Wir legen uns Bücher mit der festen Absicht zu, sie zu lesen, nicht, um sie ewig im Regal oder auf dem Stapel verstauben zu lassen. Trotzdem wandern auf dem SUB Bücher nach unten, manches bleibt vielleicht ganz liegen.
Laut Zitat sind es Klassiker und Geschichten mit schwierigen Themen – bei denen gleichzeitig ein gewisser Konsens zu bestehen scheint, dass man sie kennen sollte –, die prokrastiniert werden. Für die Bücherwelt würde das vielleicht bedeuten, Conan oder Who Fears Death auf die lange Bank zu schieben, aber dahinter steht doch eine grundsätzlichere Frage:
Wonach greifen wir, wenn die nächste Lektüre ausgewählt werden muss – oder vielmehr, wonach greifen wir nicht?
Es steht nicht zu vermuten, dass bei den bp-BesucherInnen diese Entscheidung nur entlang der Achse Anspruch-Unterhaltung getroffen wird. Auch fällt der Prestigegewinn im Genre viel kleiner aus, den man sich erhoffen könnte, wenn man die „Klassiker“ gelesen hat, und wer sich nicht dafür interessiert, wendet vermutlich auch keinen kostbaren Regalplatz dafür auf. Aber es gibt mit Sicherheit andere Gründe, die ins Gewicht fallen, wenn wir uns entscheiden, etwas lieber doch nicht jetzt gleich zu lesen.
Bei mir sind z.B. inzwischen sehr dicke Bücher Kandidaten, die akut gefährdet sind. Schwindende Lesezeit sorgt dafür, dass sie mich frustieren, wenn ich sie wochenlang mit mir herumtragen muss. Auf der Liste der fünf Bücher, die ich schon am längsten prokrastiniere, würden vielleicht noch ganz andere Gründe zutage treten. Danach suche ich dann ein andermal. 😉
Und was setzt in euren Regalen Staub an, welche Leichen liegen bei euch ganz unten im SUB?
- *Für jene Glücklichen, die sich noch nie damit beschäftigen mussten, ist Aufschieberitis eine gute Übersetzung.
**zitiert aus: Later. What does procrastination tell us about ourselves? in The New Yorker