Zum Gedenken an Kenneth Morris

Bibliotheka Phantastika erinnert an Kenneth Morris, der heute vor 75 Jahren gestorben ist. Dass Autoren in Vergessenheit geraten, ist beileibe nicht ungewöhnlich, und wenn ihr Oeuvre relativ schmal und bereits vor langer Zeit entstanden ist und kaum jemals neu aufgelegt wurde, ist diese Entwicklung beinahe zwangsläufig. All diese Faktoren treffen auf den am 31. Juli 1879 in Pontamman, Carmarthenshire, Wales, geborenen Kenneth Vennor Morris zu, und vermutlich ist es nur Ursula K. Le Guins Aussage, er sei (neben J.R.R. Tolkien und Eric Rücker Eddison) einer der drei stilistisch überragenden Fantasy-Autoren des 20. Jahrhunderts, zu verdanken, dass Morris heutzutage nicht vollkommen vergessen ist.
Morris selbst, der mit 17 in die Theosophische Gesellschaft eintrat und Zeit seines Lebens ein überzeugter Theosoph war, scheint an schriftstellerischem Ruhm und finanziellem Erfolg nicht sonderlich interessiert gewesen zu sein, denn er veröffentlichte fast alle seine rund 40 Kurzgeschichten in mehr oder weniger obskuren theosophischen Magazinen. 1926 erschien zwar eine kleine Auswahl von ihnen unter dem Titel The Secret Mountain and Other Tales in Buchform, doch eine Gesamtausgabe aller Erzählungen sollte es erst 1995 mit The Dragon Path. Collected Tales of Kenneth Morris geben.
Book of the Three Dragons von Kenneth MorrisZwischen 1910 und 1914 schrieb Morris zwei Romane, die sich – im Gegensatz zu seinen Geschichten, die auf alle möglichen irdischen Mythologien zurückgriffen – eines einzigen mythologischen Hintergrunds bedienten, und zwar der Sammlung mittelalterlicher walisischer Erzählungen, die als “Das Mabinogion” bekannt sind. Der erste dieser Romane, The Fates of the Princes of Dyfed (1914, erste und bisher einzige Neuauflage 1978), ist denn auch kaum mehr als eine recht eng ans Orginal angelehnte Nacherzählung des ersten Zweigs des Mabinogion. Der zweite, Book of the Three Dragons erschien erst 1930, und in den 20er Jahren hatte Morris ihn noch einmal stark überarbeitet – mit großem Erfolg, denn im Book of the Three Dragons nimmt er sich nicht nur viel mehr Freiheiten im Umgang mit dem Ursprungsmaterial, sondern dieses (vom Verlag um ein Drittel gekürzte) Werk ist es auch, auf das sich Ursula K. Le Guins o.e. Aussage bezieht. Immerhin gibt es seit 2004 auch eine vollständige Neuauflage, so dass es für interessierte Leser und Leserinnen möglich ist, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Morris’ dritter Roman The Chalchiuhite Dragon, der im präkolumbischen Zentralmexiko spielt und sich toltekischer Mythen – unter anderem der Quetzalcoatl-Legende – bedient, ist erst 1992 posthum erschienen und das einzige längere Werk von Morris, das auch auf Deutsch – als Der Smaragddrache (1994) – vorliegt, und in dem man auch ein paar Hinweise auf Morris’ theosophische Überzeugungen entdecken kann.
Der genrehistorisch und stilistisch interessanteste Roman des am 21. April 1937 verstorbenen Kenneth Morris ist und bleibt jedoch Book of the Three Dragons, und wer Lust hat, wieder einmal Fantasy zu lesen, die sich nicht an den derzeit aktuellen Erzählkonventionen orientiert und sich nicht mehr oder weniger direkt auf Vorläufer und Vorbilder innerhalb des Genres bezieht, sondern auf alte Quellen zurückgreift und auch sprachlich diesen Verweis nicht leugnet, dem sei Book of the Three Dragons ausdrücklich ans Herz gelegt.

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