Ein Schrank mit zu vielen Schubladen: Ein kurzer Einblick in die Fülle der phantastischen Subgenres

Es gibt mehr davon als offiziell gekürte Nachfolger Tolkiens, und als Fantasyleser entkommt man ihnen ebenso wenig: den Subgenres – einerseits hilfreichen Instrumenten zur Navigation im Meer der Phantastik, andererseits auch starren Formalismen, die immer wieder zu heftigen Diskussionen führen. Ihre sinnvolle Einteilung und nicht zuletzt die Zuordnung einzelner Werke sind kein Unterfangen, das man angesichts der 101 Subgenrebezeichnungen in Gary K. Wolfes Critical Terms for Science Fiction and Fantasy auf die leichte Schulter nehmen sollte, und seit 1986 sind sie bei ihrer horrenden Vermehrungsrate eher noch zahlreicher geworden.

Gründe für die Vielfalt der Bezeichnungen findet man in den unterschiedlichen Instanzen, die sie ausgeben, und den jeweiligen Absichten, die hinter der Schaffung eines neuen Begriffs oder Systems stehen:
Das Marketing möchte den Buchkäufer mit griffigen und sprechenden Begriffen zum ‘richtigen’ Produkt locken. Diese Zuschreibungen stellen zunächst ein weiteres äußeres Erkennungsmerkmal dar – ähnlich wie generische Cover oder Blurbs -, das dem Leser möglichst schnell mitteilen will, in welchem Umfeld er das vorliegende Buch verorten soll. Daher folgen diese Begriffe auch keiner weiteren Systematik und verschwinden als Moderscheinung mitunter wieder relativ schnell von der Bildfläche. Manchmal treffen sie auch den Zeitgeist und setzen sich fest, in jüngster Zeit etwa die ‘Romantasy’, eine ursprünglich bei Random House aufgetauchte Bezeichnung für paranormal romance, die inzwischen schon so manche Ausschilderung in Buchhandlungen und auf Webseiten ziert.

Auch AutorInnen, die sich selbst labeln und damit einen äußeren Hinweis auf ihre Innovationskraft liefern oder ihre Grenzüberschreitungen veranschaulichen wollen, ist dabei weniger an der Strukturierung des gesamten Genres gelegen. Die Selbstverortung in einem neuen Subgenre ist auch immer eine Distinguierung, ein Bekenntnis, alles neu, anders, besser machen zu wollen und mit der alten Genrebezeichnung auch die schal gewordenen Genretraditionen über Bord zu werfen – so geschehen bei der etwas diffusen, aber dennoch nach und nach von Lesern und Kritikern akzeptierten Bezeichnung New Weird, die zur Abgrenzung von anderer Phantastik von China Miéville und weiteren Autoren etabliert wurde.
Manchmal wird aus einer kleinen Idee eine ganz große, wie etwa im Fall von K.W. Jeter, der im Locus Nr.57/2 1987 vorschlug, Autoren, die nach seiner Manier und der seiner beiden Kollegen Tim Powers und James Blaylock ‘gonzo-historical fiction’ verfassten, doch einfach ‘steampunks’ zu taufen, woraus ein aktuell wieder sehr produktives Subgenre wurde. Genauso oft dürfte ein so kühnes Vorpreschen in – möglicherweise vermeintlich – neue Gefilde der Phantastik auch ohne Nachfolger und Nachwirkung bleiben.

Das Anliegen der Literaturkritik dagegen ist die Strukturierung des Genres und die Schaffung von im literarischen Diskurs anwendbaren Begrifflichkeiten, die eine Aussage über den Erzählmodus oder die Einordnung eines Romans in einem kohärenten System treffen. Den um einer Systematik willen geschaffenen Kritikertermini mangelt es allerdings oft an der Griffigkeit, die die Verbreitung und Akzeptanz eines Subgenrebegriffs fördert. John Clute wartet vermutlich heute noch darauf, dass sich sein Vorschlag durchsetzt, künftig ‘Adventurer Fantasy’ als erzählerisch vielleicht sinnvollen, aber arg tiefstapelnden Sammelbegiff für Heroic Fantasy und Sword and Sorcery zu führen (The Encyclopedia of Fantasy, 1996). Oder wer würde schon gerne ‘Portal-Quest-Fantasy’ lesen – die nach einer sehr brauchbaren und stimmigen Einteilung von Farah Mendleson (The Rhethorics of Fantasy, 2008) verwendete Bezeichnung für alle Geschichten mit Questen und aufgrund ihrer Herkunft unbedarften Helden?

Über diese drei bezeichnenden und seltener einteilenden Instanzen hinaus gibt es den Leser, an dem es liegt, die Subgenres sowohl inhaltlich als auch namentlich zu akzeptieren. Sie kommen dem Wunsch nach schnellen Auswahlkriterien in der Fülle des Lesestoffs entgegen, ermöglichen ein Erkennen gewisser Inhalte und Strukturen auf den ersten Blick und machen dem Leser – theoretisch – das Leben leichter.  Außerdem bringen sie Ordnung ins Genre (und ob das Bedürfnis nach einer Ordnung der Dinge bei Fantasyfans besonders ausgeprägt ist, wird an anderer Stelle noch zu erörtern sein), und stellen eine akzentuiertere Identifikationsmöglichkeit dar – nicht nur „wir Fantasyleser“, sondern gleich „wir ganz speziellen Fantasyleser“.

Die Schwierigkeit bei der Schaffung eines funktionierenden Systems beginnt mit den uneinheitlichen Kriterien, nach denen Subgenres definiert und benannt werden. Manchmal ist das Setting die Basis der Einteilung (Viktorianische Fantasy), manchmal das Vorhandensein bestimmter Ingredienzien (High Fantasy, Low Fantasy), manchmal die Wirkung auf den Leser (Horror), manchmal die Handlungsstruktur (Questfantasy), manchmal sind es Stilelemente (humoristische Fantasy).
Ein kohärentes System dagegen müsste sich möglichst auf eine Definitionskategorie beschränken, könnte dann aber vielen Spielarten der Fantasy nicht mehr gerecht werden.
Darüber hinaus werden nicht einmal einzelne Bezeichnungen einheitlich geführt und je nach Bedarf umdefiniert – die Dark Fantasy musste sowohl schon für Fantasy in der Nähe des Horrors herhalten als auch für eine düstere Variante der epischen Fantasy, die einen erhöhten Gewalt- und Schocklevel aufweist (heute eher als ‘grim & gritty’ bezeichnet).
Sogar Übersetzungsprobleme funken in die Subgenredebatte hinein, wie etwa die unterschiedliche Verwendung von Mystery im Deutschen (für ‘paranormal romance’) und im Englischen (Krimi) erkennen lässt, oder etablierte Subgenres unterliegen Veränderungen und passen ihre Inhalte der aktuellen Mode an (frühere Urban Fantasy hatte beispielsweise einen deutlich geringeren Romantikanteil als heutige).

Die meisten belastbareren Systeme fußen auf dem Magievorkommen und –verständnis der Welt, in der die Erzählung spielt, ihrem Verhältnis zu phantastischen Elementen: sind sie auf der Welt immanent, oder dringen sie dort ein und werden als Fremdkörper wahrgenommen? (siehe z.B. ‘Intrusion Fantasy’ vs. ‘Immersive Fantasy’ bei Farah Mendleson). Die Frage nach dem richtigen Subgenre ist meistens auch eine Frage nach der Genredefinition und den Genregrenzen der Fantasy an sich (der wir an anderer Stelle noch nachspüren werden). Auch darüber herrscht kein Konsens, in der Literatur kreisen die Systeme meist um die beiden Pole ‚Welt’ (die Unsere oder eine Anderswelt) und ‚Wahrnehmung des Phantastischen in dieser Welt’ (ist es möglich oder unmöglich; siehe John Clute/John Grant: The Encyclopedia of Fantasy).
Diese definitorische Unschärfe und die Tendenz zur Grenzüberschreitung, die AutorInnen dazu veranlasst, selbst bei klar umrissenen Genregrenzen weiter vorzustoßen und Neues zu versuchen, verhindern den Entwurf eines funktionierenden und allgemeingültigen Subgenresystems für die Fantasy.

Die Subgenres orientieren sich an den unterschiedlichen Bedürfnissen aller Beteiligten, bleiben damit ewiger Diskussionsgegenstand und werden genauso ausgetestet, gesprengt und locker festgelegt wie die Grenzen der Fantasy selbst.

Für die LeserInnen und damit auch für uns sind die Subgenres ein Hilfsmittel, um ein wenig (unzulänglichen) Überblick ins Unüberschaubare zu bringen und unseren Bestand durchstöbern zu lassen. Unsere Liste folgt dementsprechend keinem speziellen System, auch wenn sie sich grob an einer Welt- und einer Zeit-Achse orientiert, in die wir anschließend Ergänzungen eingefügt haben.
Auch wenn die Subgenres letzten Endes oft nur wenig über eine Geschichte aussagen und sich im schlechtesten Fall nur auf Requisiten beziehen (aus Luftschiffen und Zahnrädern wird Steampunk), im besten Fall immerhin auf einen Erzählmodus (wie die epische Fantasy), planen wir, in Zukunft einige Subgenres gesondert vorzustellen – auch solche, die in unserer Liste nicht auftreten, auch wenn wir uns vielleicht Substractive World Fantasy sparen werden …