Category: Buch des Monats

Heute möchten wir euch Ian R. MacLeods Aether (Original: The Light Ages) vorstellen.

Aether weist Züge eines Entwicklungsromans auf: Der Protagonist Robert Borrows erzählt von den wichtigsten Abschnitten seines Lebens mit einigen wenigen Zeitsprüngen dazwischen und seine Lebensgeschichte ist wahrlich lesenswert. Schließlich verschlägt es ihn vom kleinen Ort Bracebridge nach London, wo er ein neues, anderes Leben führt, sich in einer politischen Bewegung engagiert und doch immer wieder auf seine Vergangenheit stößt, die wesentlich geheimnisvoller ist als er angenommen hatte.

Der starken Fokussierung auf eine Person entsprechend, ist eine der Stärken des Buches die Charakterzeichnung, so erlebt man etwa das Kindheitstrauma des jungen Robert mit, das in der Folge, wenn auch zunehmend subtiler, den Roman durchzieht.

Die zweite große Stärke ist, wie MacLeod es schafft, eine Alternativwelt zu kreieren, in der scheinbar völlig Vertrautes kunstvoll mit fremdartigen und oft auch erschreckenden Facetten versehen ist. Das Setting, ein alternatives England, erinnert auf vielen Ebenen an sein viktorianisches Vorbild. Während die soziale Frage zunehmend brennender wird, finanzieren die Gewinne der „Industrie“ den luxuriösen Lebensstil der Oberschicht. Aber in diesem England ist es nicht die Kombination von Kohle und Dampfkraft, sondern der namensgebende Aether, der die Wirtschaft am Laufen hält. Der Aether – und MacLeod gelingt es dies überzeugend, detail- und facettenreich darzustellen – ist aber nicht bloß Brennmaterial, sondern ein magischer Werkstoff, der die ganze Gesellschaft durchzieht. Am ehesten vergleichbar ist er vielleicht mit Öl, das ja auch nicht nur Brennstoff liefert, und wie dieses hat er negative und positive Auswirkungen.

Die dritte Stärke ist schließlich die Vielschichtigkeit der Welt. Auch dieses Buch ist ein Paradebeispiel dafür, wie wenig eskapistisch Phantastik sein kann. Das personifizierte Böse sucht man hier ebenso vergebens wie die alles überstrahlende Wende zum Guten, stattdessen erlebt man das Wirken gesellschaftlicher Kräfte.

Aether (The Light Ages) ist der Auftaktband zu einer Reihe, die jedoch in deutscher Übersetzung nicht fortgesetzt wird. Das muss aber niemanden von einem Kauf abhalten, da es problemlos für sich alleine stehen kann und der bereits erschienene zweite Band The House of Storms sich um andere Protagonisten dreht.

ISBN: 978-3608937725

Buch des Monats

Der Meister und Margarita von Michail BulgakowBei diesem Buch des Monats handelt es sich um ein Werk mit echter Suchtgefahr. Vollkommen unterschätzt und beinahe an den Rand der fantastischen Wahrnehmung verdrängt, bietet Der Meister und Margarita (ISBN 978-3353009425) satirische Unterhaltung vom Feinsten, die nur jedem ans Herz gelegt werden kann. Dabei trumpft das Buch nicht nur mit einer unglaublichen Fülle absurder Ideen auf, es wirft auch ein enthüllendes Licht auf die Zustände im Moskau der 30er.

Wir befinden uns im Moskau der 30er Jahre, wo seit einer Weile merkwürdige Dinge passieren. Der Vorsitzende einer Literaturgesellschaft und ein junger Lyriker sitzen eines Abends zusammen und philosophieren über die Nichtexistenz Christi, als sich ein Fremder einmischt. Dieser behauptet beim Verhör Jesu durch Pontius Pilatus persönlich anwesend gewesen zu sein. Die beiden Literaten glauben dem Fremden namens Voland freilich kein Wort. Voland kündigt daraufhin den Tod eines der beiden Männer an und schildert in präziser Genauigkeit, wie dieser noch am gleichen Abend ums Leben kommen wird. Keiner von beiden glaubt dem unheimlichen Fremden, doch schließlich bewahrheitet sich die Vorhersage und der Vorsitzende stirbt auf die beschriebene Weise. Es stellt sich dann heraus, der Fremde ist niemand anderes als der Teufel selbst, der hier den Auftakt zu einer aberwitzigen und verschachtelten Handlung gibt.

Der Meister und Margarita wurde zwischen 1928 und 1940 verfasst. Der Roman ist das Lebenswerk des Autors und wie man es von solch einem Werk vielleicht erwartet, so anspruchsvoll wurde es auch verfasst. Das Buch vereint viele fesselnde Ideen in sich. Da gibt es den Roman im Roman, die eindeutigen Anspielungen auf Goethes Faust, einen allzu menschlichen Teufel samt absurder Begleiter bis hin zu Pontius Pilatus und unheimlich viel Witz, trotz der teils blutigen Machenschaften des Teufels Voland.
Fiktion, historische Begebenheiten, Elemente aus Sagen, Religion, eine Liebe, die über den Tod hinaus geht, und Philosophie tanzen hier gewissermaßen eine perfekte Kür. Literaturgeschichtlich gesehen steht der Roman nahezu einzigartig da, was seine Thematik, Intensität und Form angeht. Schon seit Jahren auch als Schullektüre für die Oberstufe zugelassen, kann man nur jeder Schulklasse wünschen, dieses Buch lesen zu müssen, denn Der Meister und Margarita ist nicht nur inhaltlich und literarisch wertvoll, es bleibt bei all der Finesse auch für jugendliche Leser trotzdem humorvoll und fesselnd.

Wer es nicht immer episch haben muss, der wird diesen Roman garantiert lieben und sollte einen Blick in die Leseprobe werfen.

Buch des Monats

Die Priesterin der Tuerme von Heide Solveig GoettnerDeutsche Fantasy steht in keinem guten Ruf: Immer wieder wird der Vorwurf laut, das Genre hätte hierzulande außer belangloser Unterhaltung und Imitationen angloamerikanischer Vorbilder wenig zu bieten. Autoren wie Hohlbein, Heitz und Hennen, über deren literarische Verdienste man geteilter Meinung sein kann, dominieren die öffentliche Wahrnehmung. Dies verstellt oft den Blick darauf, dass es durchaus gelungene Werke unbekannterer Verfasser gibt, die mehr Beachtung verdient hätten. Ein Beispiel dafür ist unser “Buch des Monats”: Heide Solveig Göttners Trilogie Die Insel der Stürme (Band 1: Die Priesterin der Türme, ISBN: 978-3-492-26633-8; Band 2: Der Herr der Dunkelheit, ISBN: 978-3-492-26667-3; Band 3: Die Königin der Quelle, ISBN: 978-3-492-26696-3).

Die titelgebende Insel ist an das bronzezeitliche Sardinien angelehnt und bietet neben der glaubwürdigen Darstellung einer matrilinearen Gesellschaft auch die konsequente Transponierung von Glaubensvorstellungen mediterraner Kulturen in den Fantasybereich. Beides ist effektvoll in einen Plot integriert, der auf den ersten Blick dem klassischen Questenschema zu folgen scheint:

Als ein Fremder mit einem Kind in der Stadt Caláxi auftaucht, schlagen ihm Misstrauen und Feindseligkeit entgegen. Die kleine Lillia ist durch ihre auffällige Augenfarbe als „Verlorenes Kind“ ausgewiesen, dessen Anwesenheit, ja, bloße Existenz als Bedrohung wahrgenommen wird. Nur die Totenpriesterin Amra macht sich für die Besucher stark und kann, als bald darauf Unheil über Caláxi hereinbricht, mit ihnen und dem Krieger Gorun entkommen. Die ungleichen Gefährten machen sich auf, das Geheimnis zu ergründen, das Lillia umgibt, und müssen es dabei nicht nur mit den wilden Kämpfern vom Ziegenvolk der Nraurn, sondern sogar mit dem Totengott aufnehmen …

Wie auch das liebevoll ausgearbeitete Setting erweist sich die Handlung im Laufe der drei Bände als originell und schlägt auf leisen Sohlen ganz eigene Wege ein. Am Ende kommt es weniger auf militärische oder magische Überlegenheit an als auf (Selbst-)Erkenntnis und die Bereitschaft, sich von überkommenen Denkweisen zu lösen.

Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass neben der detailreichen und sehr authentisch wirkenden Welt vor allem die Figuren den Reiz der Trilogie ausmachen: Nuancenreich und glaubwürdig stehen einem sowohl die Helden als auch ihre Gegenspieler bald weit lebhafter vor Augen als manch eine schablonenhafte Gestalt aus bekannteren Romanen.

Warum also ist dieser schönen Serie bisher kein größerer Erfolg beschieden? Vielleicht, weil sie dem Leser ganz ähnlich wie den handelnden Personen abverlangt, nicht nur Andersartigkeit, sondern auch Nachdenklichkeit zuzulassen, und ihn dafür nicht mit einem Übermaß an Sex, Gewalt und Action „entschädigt“. Wer aber die Bereitschaft mitbringt, sich der ruhig erzählten Geschichte zu widmen, wird mit einem besonderen Lektüreerlebnis belohnt.

Neugierig geworden? Eine Rezension zu Band 1 ist hier zu finden.

Buch des Monats

Cover von Chronicles of the Black Company von Glen CookAlles neu macht der Mai! Eine wahrhaft aufgelegte Eröffnung zu unserem neuen Buch des Monats. Dieses Mal stellen wir euch kurz den ersten Sammelband von Glen Cooks Black Company Reihe vor: Chronicles of the Black Company (ISBN: 978-0765319234), der die drei Einzelbände The Black Company, Shadows Linger und The White Rose enthält. Der Sammelband erzählt eine relativ in sich abgeschlossene Geschichte, die jedoch die Tür für eine (bereits vorhandene) Fortsetzung weit offen lässt – Cliffhangeralarm gibt’s aber keinen.

Aber worum geht’s überhaupt? Die Black Company ist ein traditionsreicher Söldnertrupp, dessen beste Zeiten allerdings schon vorbei sind. Eine der Traditionen, die es hochzuhalten gilt, ist das Führen der eigenen Annalen, und durch die Augen des aktuellen Chronisten, Croaker, verfolgen wir die Abenteuer der Black Company auf dem nördlichen Kontinent, wo sich ein neues Engagement sehr bald als Verwicklung in einen epischen Kampf herausstellt.

Spätestens nach diesem Satz hätte man mich als potenziellen Leser der Reihe auch schon wieder verloren (“episch” ist eines meiner Reizwörter). Dass ich stattdessen den ersten Sammelband hier präsentiere, liegt besonders an der Figur des Croaker, der in seiner hemdsärmeligen Art den „epic struggle“ auf angenehme Weise auf den Boden der Tatsachen zurückholt, ohne dass das Ausmaß oder die Tragweite der Ereignisse herabgemindert werden. Der desillusionierte Croaker fügt durch seine Sicht auf die Dinge die notwendigen Schattierungen zu dem Kampf zwischen „Gut“ und „Böse“ hinzu, dessen Fronten von Anfang an verschwimmen.

Trotz des dementsprechend ernsten Settings kommt der Humor dank manch liebenswert-komischer Charakterkombination und dank Croakers (selbst-)ironischer Kommentare nicht zu kurz, und die ganze Schar an Charakteren wächst einem rasch ans Herz. Auch wenn nicht alle in die Tiefe ausgearbeitet sind, so schafft es Cook doch geschickt, an den richtigen Stellen spannende Facetten hinzuzufügen.

Die Black Company mag nach Männerwelt klingen, zwei interessante und nicht unbedingt in traditionelle Rollen gepresste Frauenfiguren spielen jedoch zentrale Parts in den drei Romanen.

Die Geschichte um die Black Company lässt sich leider nicht in deutscher Übersetzung verfolgen, das englische Original punktet dafür mit einheitlicher und schöner Aufmachung der Sammelbände, richtet sich vom sprachlichen Niveau her aber eher an geübtere LeserInnen.

Buch des Monats

Das Gesicht im EisDer April, der weiß nicht, was er will? Nun, auf das Wetter bezogen mag das stimmen, was dagegen die Wahl zum Buch des Monats angeht, könnte es nicht klarer sein! In diesem Monat möchten wir euch daher ein Buch vorstellen, in dem es ähnlich unberechenbar zugeht: Das Gesicht im Eis (The Face in the Frost) von John Bellairs (ISBN 978-3-924959-79-1). Im Original bereits 1969 in den USA erschienen, von Autoren wie Ursula K. Le Guin oder Lin Carter mit Lob überschüttet, schaffte es die deutsche Übersetzung erst 2009 zu uns. Angeregt durch einen großen Fan und gleichzeitig den Illustrator der deutschen Ausgabe, Alexander Uhde, erschien das Buch bei der Edition Phantasia in einer limitierten Ausgabe mit Sammlerwert. Dazu später mehr, fangen wir vorne an.

Prospero und Roger Bacon sind Zauberer. Schrullige Zauberer, die in verschiedenen Königreichen leben und durch eine langjährige Freundschaft verbunden sind. Im Zentrum der Geschichte stehen diese beiden alten Herren, die mit der unerwarteten Aufgabe konfrontiert werden, die Quelle einer großen magischen Bedrohung aufzuspüren und diese, selbstverständlich, zu beseitigen. Im Verlaufe der Geschichte begegnet der Leser vorlauten Spiegeln, Kutschen, die aus Kohlrabi gemacht sind, Umhängen die einem im dunklen Keller auflauern, Miniatur-Zauberern samt Miniatur-Schiff, mumifizierten Tieren, schmelzenden Städten und Seelen, die in ihren eigenen Gräbern gefangen sind.

Illustration aus dem Buch
© Alexander Uhde/ Edition Phantasia

Das Gesicht im Eis ist so humorvoll, wie es manchmal auch unheimlich ist. Ein Buch, das entgegen des ersten Eindrucks zwar auch von Kindern gelesen werden kann, näher betrachtet aber doch eher an das Erwachsenenpublikum gerichtet ist. Politische Auseinandersetzungen, Intrigen, Morde und eine Vergangenheit, die einen einholt, sind hier zu erwarten.

Neben der unterhaltsamen Geschichte hat die deutsche Ausgabe noch einiges mehr zu bieten.
Jedes Kapitel wird von einer farbenfrohen und verzaubernden Illustration bereichert. Kleine Illustrationen und farbige Schmuckinitialen zieren die Buchseiten und den Textanfang.

Illustration aus dem Buch
© Alexander Uhde/ Edition Phantasia

Es gibt einen illustrierten Schutzumschlag, ebenfalls farbig bedrucktes Vorsatzpapier mit stimmungsvoll passender Karte, Zierskizzen und einen stabil verarbeiteten Schuber mit Leineneinband. Gedruckt ist das Ganze auf altweißem Papier. 250 der Exemplare wurden vom Illustrator signiert. Wer Glück hat, erwischt vielleicht noch eines dieser signierten Exemplare.

Pingelig, wie die Verfasserin dieser Buchempfehlung ist, gibt es bei all der Begeisterung allerdings auch ein paar Kleinigkeiten, die es zu kritisieren gilt, und da sie teilweise auf persönlichen Erfahrungen beruhen, lasst mich kurz persönlich werden. 😉

Illustration aus dem Buch
© Alexander Uhde/ Edition Phantasia

Als ehemalige Kommilitonin des Illustrators hatte ich das Glück, die Illustrationen aus dem Buch während ihrer Entstehung und in ihrer fertigen Pracht bewundern zu dürfen. Von den leuchtenden Farben der Bilder geht in dem Buch leider einiges verloren. Angesichts des Buchpreises hätte ich mir hier gewünscht, die Illustrationen auf Bilderdruckpapier zu sehen, statt auf dem sonst sehr schönen altweißen Naturpapier. Auch der gelbe Schuber und Einband wollen nicht so recht zu dem frostigen Titel passen. Hier hätte ich ein schlichtes Weiß oder einen Blauton passender gefunden. Zumal der Schutzumschlag in Blautönen gehalten ist und sich mit dem Schuber farblich beißt. Den Kauf des Buches bereue ich deswegen jedoch nicht, und wer sich Buchsammler nennt, sollte Das Gesicht im Eis nicht ungesehen verschmähen. Edition Phantasia hat hier trotz der kleinen Abzüge ein wunderbares Gesamtwerk geschaffen, wie ich es mir viel öfter wünschen würde.

The Face in the Frost

Wer die Geschichte lieber im Original genießen möchte, kann dies ebenfalls problemlos tun. Es gibt Re-Prints (leider recht lieblos aufgemacht) und vereinzelt auch noch ältere Ausgaben mit einer ebenfalls ansprechenden Coverillustration von Carl Lundgren, zu beziehen über Antiquariate oder Privatanbieter.
Für Fans von Bellairs lohnt sich auch die Anschaffung des aktuellen Sammelbandes Magic Mirrors. Neben anderen Geschichten des Autors ist hier auch The Face in the Frost sowie The Dolphin Cross enthalten – der leider nicht mehr vollendete Anfang einer Fortsetzung zu The Face in the Frost.

Buch des Monats

Drachenfels von Jack YeovilVorhang auf für unser Buch des Monats im März! Die Requisiten von Drachenfels erkennt man sofort: Die gemischte Abenteurergruppe um den Helden Prinz Oswald, den bösen Zauberer Constant Drachenfels, der mit seinen schwarzen Künsten den Landstrich tyrannisiert, und die finstere Burg, die schwer erreichbar in den einsamen Graubergen liegt. Die Kulisse ist die Rollenspielwelt Warhammer, und beauftragt, den epischen Kampf zwischen den Gefährten und dem Schurken zu inszenieren, wurde Jack Yeovil (ein Pseudonym von Kim Newman, zuletzt mit Die Vampire auf dem deutschen Markt präsent), der aus dem Rollenspielstoff, der mit dem finalen Kampf gegen Drachenfels beginnt, einen ganz anderen Bühnenzauber extrahiert hat:

25 Jahre nach dem Sieg über Drachenfels sitzt Detlef Sierck, der berühmte Dramatiker, nach einer Pechsträhne im Schuldturm, und scheint das große Los gezogen zu haben, als ihn der gefeierte Held und angehende Kurfürst Oswald freikauft. Er heuert Sierck an, um das beeindruckendste Schauspiel aller Zeiten zu schreiben und zu inszenieren: Den Sturz von Drachenfels. Mit einer ausgesuchten Truppe, der sich zur Unterstützung auch die überlebenden Helden des Abenteuers anschließen, wird die Uraufführung vor dem Adel des Reiches in originaler Kulisse – den Ruinen von Burg Drachenfels – vorbereitet. Doch die Inszenierung scheint vom Unglück verfolgt, denn bald häufen sich die Unfälle und mysteriösen Vorkommnisse. Zwischen den früheren Helden, die mit Ausnahme von Oswald und der schönen Vampirin Genevieve Dieudonné im Laufe der Zeit einige Blessuren erlitten haben, und den Theaterleuten entwickelt sich eine angespannte Atmosphäre, während der Termin der Uraufführung näherrückt und sich das Unheil merklich zusammenbraut.

Yeovil erzählt die Geschichte, die gekonnt auf einem schmalen Grat balanciert, mit herrlich ulkiger Situationskomik, rührenden Charaktermomenten und durchaus auch brutalem Gemetzel (Warhammer bleibt Warhammer, auch bei einer Theateraufführung 😉 ). Genüßlich garniert der Autor seinen Roman mit Einsprengseln aus Film- und Theaterkultur – heute würde man so eine tour de force vielleicht als “König Lear und Graf Dracula” verkaufen. Drachenfels ist allerdings trotzdem keine Komödie, sondern nutzt den ironischen Humor, um die vielen düsteren Szenen auszugleichen. Vor allem die Schicksale der ehemaligen Helden, die oft mehr schlecht als recht von ihrem gestrigen Ruhm zehren, lassen einen immer wieder schwer schlucken.
Am ehesten vergleichbar in Stimmung und der Balance zwischen Humor und Ernst, aber auch in der düsteren und trotzdem prall-bunten Welt ist Drachenfels vielleicht mit den Geralt-Romanen von Andrzej Sapkowski.

Wer neugierig auf die deutsche Ausgabe von Drachenfels (ISBN 3-453-10950-3) geworden ist, muß sich an das Antiquariat seines Vertrauens wenden, denn der Roman ist seit einiger Zeit nicht mehr lieferbar. Die englische Ausgabe gibt es entweder als Reprint des Einzel-Romans (ISBN 978-0-743-41170-7) oder im Sammelband The Vampire Genevieve (ISBN 978-1-844-16244-4), der gleich sämtliche Warhammer-Abenteuer von Yeovil bietet.

Buch des Monats

Der Goldschatz der Elbberge von Martin SchemmGewöhnlich sucht man nicht unbedingt beim Verlag Ellert&Richter nach interessanter Fantasy, doch mit Martin Schemms Roman Der Goldschatz der Elbberge (ISBN: 978-3831904204) ist dort 2010 ein durchaus beachtenswerter Titel erschienen, der beweist, wie sehr es sich lohnen kann, auch einmal abseits ausgetretener Pfade neuen Lesestoff aufzuspüren.

Die Ausgangssituation der Handlung könnte einen zunächst an einen historischen Roman denken lassen: Erzbischof Adalbert von Bremen, einer der mächtigsten Männer der Salierzeit, steckt in Geldnöten und lässt sich daher von einem windigen Berater überzeugen, einen buntgemischten Trupp aus Glücksrittern, Mönchen und Soldaten auf die Suche nach einem legendären Zwergenschatz zu schicken. Wie aber die Suchmannschaft – und mit ihr der Leser – bald herausfindet, sind diese Zwerge höchst real, ebenso wie ein Lindwurm, Untote, Geister und dergleichen Gelichter mehr. Doch nicht genug damit, dass sich die Helden und Antihelden des Buchs mit diesen übernatürlichen Bedrohungen auseinandersetzen müssen: Politische Intrigen, Spannungen zwischen  einfachem Volk und Herrschenden und nicht zuletzt die Untaten einer Räuberbande sorgen für zahlreiche weitere Konflikte. So entsteht ein schwungvoller Abenteuerroman in bunter, höchst lebendiger Kulisse.

Bis zu einem gewissen Grade kommt man vielleicht dennoch nicht umhin, die Lektüre als guilty pleasure zu werten: Manches (kultur-)historische Detail möchte man als Mediävist lieber mit einem Fragezeichen versehen, und literarisch hätte man vielleicht noch das ein oder andere glätten können.

Von diesen kleinen Schönheitsfehlern sollte man sich jedoch nicht abschrecken lassen. Der Goldschatz der Elbberge bietet nämlich nicht nur spannende Unterhaltung, sondern zeigt auch, wie viel oft ungenutztes Potential für die Fantasy in scheinbar unspektakulären Ortssagen steckt. So werden nicht nur Abenteuerfans Vergnügen an dem Roman finden, sondern auch alle, die Spaß daran haben, in den Weltenbau auch einmal etwas anderes als große und weithin bekannte Mythen einfließen zu sehen.

Buch des Monats

Mit dem Buch des Monats wollen wir Euch Bücher vorstellen, die uns “Bibliotheksmitarbeitern” besonders gut gefallen.
Hierbei wird es sich nicht immer um Neuerscheinungen handeln. Wir wollen diese Kategorie auch dafür nutzen, auf zu Unrecht vergessene Bücher aufmerksam zu machen und Eure Neugier auf unsere Klassiker zu wecken.

The Death of the Necromancer von Martha Wells Für das berühmte erste Mal fiel unsere Wahl auf Martha Wells The Death of the Necromancer, ISBN: 0-380-78814-4 (deutscher Titel: Necromancer, ISBN: 978-3-453-52412-5).
In einer Zeit, in der Steampunk immer mehr nur zu einer Mode-Richtung für Schmuck, Klamotten und Einrichtungsgegenstände zu werden scheint, ist dieses Buch ein schönes Beispiel für die Herkunft dieses Trends: die Phantastik.

Die Geschichte von Nicholas Valiarde, einem Edelmann aus Vienne, der seinen zu unrecht der Necromantie beschuldigten Mentor rächen will, führt uns in die Welt von Ile-Rien. Martha Wells gelingt es in diesem Buch, wunderbar düstere Gaslicht-Bilder dieser Welt voller Magie, Geheimnisse und Abenteuer zu zeichnen.

Ein Genuss ist auch die gelungene Charakterdarstellung:
Nicholas Valiarde ist nicht nur Edelmann, sondern auch der größte Dieb der Stadt und so ist es nicht verwunderlich, dass er von zwielichtigen Gefährten umgeben ist. Zusammen ergeben sie eine liebenswürdige Truppe skurriler Charaktere, die der Geschichte ihren ganz eigenen Humor verleihen und den Leser schnell an die Geschichte fesseln.

Die Handlung wird in einem raschen Tempo erzählt, ohne hektisch oder überladen zu wirken und so bleibt der Lesespaß von der ersten bis zur letzten Seite auf gleichbleibend hohem Niveau.

Na? Neugierig geworden?
Dann findet Ihr hier eine ausführliche Rezension zum englischsprachigen Original.
Lesern, die lieber auf Deutsch lesen, kann ruhigen Gewissens die Übersetzung mit dem Titel “Necromancer” (ISBN: 978-3-453-52412-5) empfohlen werden.

Buch des Monats