Category: Buch des Monats

Die Weihnachtszeit ist die Zeit der großen Gefühle, der heimeligen Gemütlichkeit und der wohligen Wärme, die man verspürt, wenn man frisch aus dem Ofen genommene Plätzchen isst. Der Dezember ist jedoch gleichzeitig ein Monat der dunklen und langen Nächte, und da für Wohligkeit im Advent eh allerorts gesorgt wird, möchte uns das Buch des Monats für Dezember mit auf eine Reise in die Dunkelheit nehmen.

Jeff Vandermeer AusloeschungBereits das Cover von Jeff VanderMeers Auslöschung, dem ersten Band der Southern-Reach-Trilogie, deutet an, dass wir uns als Leser auf keinen leichtfüßigen Spaziergang begeben. Ich würde von einer Augenweide sprechen, wenn da nicht dieses Gefühl wäre, dass die Naturdarstellung sich die wohlgesetzten Buchstaben des martialischen Titels langsam einverleibt. Der Grundton, der vom Cover und den ersten Worten angeschlagen wird, ist gleichzeitig ein fesselnder Misston voller Störung und Disharmonie, der einigen wohl bekannt ist: Der Roman beginnt mit einem Picknick am Wegesrand.

Seit einem mysteriösen Ereignis ist ein bestimmtes Gebiet des Landes, Area X, fortan Ort seltsamer Vorkommnisse und unheimlicher Begegnungen. Während die Bevölkerung über die Jahre hinweg das Interesse daran verliert – man kann schließlich nicht allen Folgen der Umweltverschmutzung Herr werden – entsendet die nicht weniger mysteriöse Organisation Southern Reach regelmäßig Expeditionen, um das Gebiet zu erforschen. Auch eine namenlose Biologin sucht ihr Glück und Vergessen in einer Expedition; ihr Tagebuch liegt nun also gebunden vor uns.

Aus der bekannten Ausgangslage erwächst ein Roman, der virtuos die Saiten zweier Urantriebskräfte mal leise, mal betäubend laut zum Schwingen bringt: Angst und Neugier. Die Biologin erfährt Area X als eine Art Urwildnis, in der Namen, Gesetze oder Regeln evolutionäre Verlierer sind. Wesen und Vorkommnisse bleiben namenlos, und die Unfähigkeit der Biologin, Geschehnisse und Anblicke in erklärende Worte zu fassen, macht das Unglaubliche, Unbenennbare nur noch realer und beklemmender. Das Menschliche scheint sich immer weiter zurückzuziehen, je mehr Seiten man umblättert, es macht einer Natur Platz, deren Schlingpflanzen sich tief in unsere Seele bohren und ein Gefühl der Ausgeliefertheit hinterlassen. Wahrlich beunruhigend ist es jedoch, wie beruhigend dieses Gefühl wirken kann; doch so wie die Hauptfigur nicht anders kann, als dem dunklen, unbekannten Tunnel nur noch eine weitere Biegung zu folgen – nur noch eine! – so können wir nicht anders, als ihr atemlos und auf Zehenspitzen nachzulaufen.

Es ist eine herausragende Qualität des Romans, dass Area X im Roman nicht nur auf einer Landkarte existiert: auch die Geheimnisse, Gefühle und Antriebe der Figuren sind weiße Flecken, die langsam erkundet werden müssen. Hier ist der Leser völlig auf sich allein gestellt, und so manches Mal scheint die unmöglichste Natur noch fassbarer zu sein als ein Einblick in ein Seelenleben.

Auslöschung ist ein perfektes Buch für LeserInnen, für die weitere Rätsel und Fragen die perfekte Antwort auf ihre Neugier sind. Und lieber das Buch jetzt im Dezember lesen, wenn die Natur ihrer Kraft beraubt und das Dickicht durchschaubar scheint – im Januar 2015 geht es dann mit Band 2 Autorität weiter. Auslöschung war nämlich nur der Anfang.

Buch des Monats

Unser Buch des Monats stammt von Susanna Clarke (die passenderweise am 1.11. ihren 55. Geburtstag feiert, zu dem wir ihr hiermit herzlich gratulieren). Anders als viele Fantasyautoren hat die lange als Lektorin und Englischlehrerin tätige Clarke kein umfangreiches Œuvre aufzuweisen, sondern ist nach der Veröffentlichung einzelner Kurzgeschichten (von denen immerhin Neil Gaiman sehr angetan gewesen sein soll) schlagartig durch einen einzigen ungewöhnlich erfolgreichen Roman bekannt geworden: Jonathan Strange & Mr Norrell, ein The Ladies of Grace Adieu von Susanna ClarkeBuch, das die Zeit der napoleonischen Kriege mit Magie und bedrohlichen Feen anreichert und eine anspruchsvolle, der zeitgenössischen Unterhaltungsliteratur eher ferne Spielart von Fantasy bietet.
Doch nicht dieser Bestseller soll im November bei uns im Vordergrund stehen, sondern Clarkes Kurzgeschichtenband The Ladies of Grace Adieu (ISBN: 978-0747589365; dt.: Die Damen von Grace Adieu, ISBN: 978-3827006882), der manche Züge mit dem bekannteren Werk teilt, aber aufgrund der Kürze der kleinen Erzählungen weit zugänglicher und schneller verschlungen ist als der in seinem Handlungsaufbau sehr gemächliche Roman.
Kulisse der von viel unterschwelligem, gelegentlich boshaftem Humor durchzogenen Geschichten ist ein alternatives und im wahrsten Sinne des Wortes zauberhaftes England, in dem gefährliche Kontakte mit der Feenwelt niemals fern sind und Magie auf durchaus unerwartete Art gewirkt werden kann (etwa durch Stickereien). Zeitalter und Genres sind dabei bunt gemischt: Von dem titelgebenden Gesellschaftsstück, das ohne die übernatürliche Würze auch eine ungewohnt düstere Episode aus einem Jane-Austen-Roman sein könnte, über eine schräge Rumpelstilzchen-Variante bis hin zur Persiflage einer mittelalterlichen Heiligenlegende ist alles vertreten.
Ein Thema kehrt allerdings immer wieder: Magie ist bei Clarke nicht zuletzt ein Mittel, mit dem sozial Benachteiligte (häufig Frauen) über Höhergestellte zu triumphieren vermögen. Ob Clarke hier bewusst ein Denkmuster aufgreift, das in den Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit tragische Konsequenzen hatte, sei dahingestellt. Ihre Freude an Geschichtlichem spricht jedoch eindeutig daraus, dass sie historische Persönlichkeiten wie den Herzog von Wellington oder Maria Stuart auftreten lässt, und nicht zuletzt auch aus der stilistischen Gestaltung der einzelnen Texte, die oft Ausdrucksweise und Tonfall vergangener Epochen virtuos nachahmen. Wer Spaß an solchen Spielereien oder ganz allgemein an Kurzgeschichten hat, sollte den Ladies of Grace Adieu eine Chance geben – und das vielleicht selbst dann, wenn er an Jonathan Strange & Mr Norrell gescheitert ist.

Buch des Monats

Der Hexer Geralt von Rivia – dem medienaffinen Publikum vielleicht sogar besser bekannt als der Witcher – ist inzwischen ein eigenes kleines Franchise mit Comic und vor allem einer erfolgreichen Reihe von Computerspielen, aber begonnen hat alles vor mehr als zwanzig Jahren mit den Hexer-Kurzgeschichten des polnischen Autors Andrzej Sapkowski, die so manchem Geralt-Connaisseur immer noch als das Beste gelten, was man sich in Sachen Hexer zu Gemüte führen kann.
Das Schwert der Vorsehung von Andrzej SapkowskiIn den beiden Bänden Der letzte Wunsch (ISBN: 9783423209939) und Das Schwert der Vorsehung (9783423210690), die erstmals 1998 erschienen und ab 2007 bei der Veröffentlichung des PC-Spiels neu aufgelegt wurden, begleitet man Geralt auf Monsterjagd. Das eigentlich Spannende daran sind letztlich nicht die Kämpfe, auch wenn sich der rätselhafte Geralt mit einem nicht zu leugnenden Coolness-Faktor ans Werk macht, um gegen klimpernde Münze geplagten Dorfbewohnern und Herrschern mit einem Problem im Keller beizustehen.
Die Monster sind häufig Geralts geringste Sorge, und seine Aufträge führen ihn auf moralisch wackligen Boden und zwischen Fronten, bei denen jede Seite Dreck am Stecken hat und irgendjemand ganz unten in der Fresskette den Hals hinhalten darf – und das sind erstaunlich häufig die Monster. Die Feudalgesellschaft, in der sich Geralt bewegt, und die mit ihren vielen Burgen, Wäldern und Dörfchen mehr von Osteuropa als vom Standard-Fantasyland hat, bietet dafür eine hervorragende Kulisse. Man begegnet dort auch alten Bekannten, denn Sapkowski bedient sich vieler tradierter Märchenmotive, die er teilweise neu interpretiert und teilweise augenzwinkernd anspricht. Wiederkehrende liebenswerte Nebenfiguren und eine Menge witzige Interaktion lenken den Fokus der Geschichten weg von der Action und auf die Charaktere.
Die einzelnen Episoden sind anfangs locker durch eine Rahmenhandlung verbunden, haben aber natürlich schon etwas von “Monster of the Week” und leiten schließlich zur Handlung der darauf folgenden Romanreihe über, können aber im Grunde für sich stehen. Wenn man sich übrigens nur eine einzige Geralt-Geschichte anschauen möchte, lautet meine Empfehlung “Die Grenze des Möglichen” aus dem zweiten Band, die mit viel Situationskomik und einem etwas leichteren Ton als sonst das Genre der Ritter- und Drachengeschichten auf die Schippe nimmt.

Buch des Monats

In der Wahrnehmung der Fantasyleserschaft haben “Frauenromane” es oft schwer, wie so manch eine Diskussion in unserem Forum belegt. Während an chronischer Testosteronvergiftung leidenden Helden in der Regel die Existenzberechtigung nicht abgesprochen wird, stehen eindeutig weiblich konnotierte Geschichten schnell unter Generalverdacht, zumal wenn Liebesleben und soziale Beziehungen der Protagonistinnen eine wichtige Rolle spielen: Ist das nicht alles nur seichter Kitsch um lüsterne Vampire, der bestenfalls als belächelnswerter Zeitvertreib taugt?
Grund genug für uns, als Buch des Monats September einen Roman vorzustellen, der belegt, dass es sich lohnen kann, dieses Vorurteil noch einmal zu überdenken: Sharon Shinns Summers at Castle Auburn (ISBN 978-0-441-00928-2, bisher keine deutsche Übersetzung).Summers at Castle Auburn von Sharon Shinn
Als uneheliche Tochter eines Adligen müsste die Ich-Erzählerin Coriel sich damit begnügen, dereinst ihrer Großmutter als Kräuterhexe nachzufolgen, wäre da nicht ihr Onkel Jaxon, der sie allsommerlich auf den titelgebenden Königssitz mitnimmt. Dort wird der Hofstaat von den elfengleichen Aliora umsorgt, gefügigen Sklaven, an deren Los niemand Anstoß nimmt, gelten sie doch als kaum besser als sprachbegabte Tiere. Genießt Coriel es zunächst noch unbefangen, wie alle Mädchen auf der Burg den strahlenden Kronprinzen Bryan anzuhimmeln und sich von der gebändigten Magie der Aliora aufheitern zu lassen, erkennt sie auf einer Aliorajagd, zu der Jaxon sie einlädt, zum ersten Mal, dass nicht alles ist, wie es scheint: Unter dem oberflächlichen Glanz des Hoflebens lauern Abgründe, die ihr und ihrer heißgeliebten Halbschwester Elisandra zum Verhängnis zu werden drohen.
Doch die Gefahr kommt – ganz wie die Geschichte selbst – auf leisen Sohlen daher: Schlachtengetümmel, menschenfressende Monster oder physisch herausfordernde Abenteuer sucht man hier vergebens, und wenngleich das Geschehen auf Castle Auburn nicht frei von Gewalttaten ist, treiben überwiegend nicht sie die Handlung voran, sondern die alltäglichen Interaktionen der glänzend geschilderten Charaktere und die allmähliche Erweiterung von Coriels Sicht von der einer naiven Jugendlichen zur Perspektive einer herangereiften (wenn auch vielleicht nicht von allen Lebenslügen freien) jungen Frau.
Nur ein um feenhafte Magie, Kräuterzauber und Andersweltthematik angereicherter, aber ansonsten unspektakulärer Entwicklungsroman? Ja und nein, denn von der Präsenz mehrerer unaufdringlich erzählter Liebesgeschichten, dem Schwelgen in gesellschaftlichen Anlässen und dem Gebrauch manch eines Märchenklischees sollte man sich nicht einlullen lassen. Zwischen Ballkleidauswahl und Hexenküche wird hier viel über das Scheitern von und an Erwartungen, das Abfinden mit Unerquicklichem (und den etwaigen Preis dafür, sich ihm zu verweigern), Freiheit und Unfreiheit erzählt. Selbst das scheinbar so konventionelle Ende ist auf den zweiten Blick weitaus ambivalenter und offener, als man bei flüchtiger Lektüre glauben könnte.
Wer also Lust hat, es einmal mit einem Fantasyroman abseits von Krieg, Weltrettung und vordergründiger Dramatik zu versuchen, dem sei ein Ausflug nach Castle Auburn ans Herz gelegt.

Buch des Monats

Unser Buch des Monats August ist abermals ein etwas älterer Titel: Schon 1988 erschien The Paladin (ISBN: 978-0671318376; dt. Der Paladin) von C. J. Cherryh (der wir hier zum 70. Geburtstag gratuliert haben).
Die Geschichte, die in ein asiatisch inspiriertes, vor allem an das frühe China angelehntes Setting entführt, hat eigentlich einen Plot, der in anderen Händen The Paladin von C.J. Cherryhzum Patentrezept für ein Desaster hätte werden können. Denn was sich, vom Rachedurst der Protagonistin eher angestoßen als durchgängig dominiert, gemächlich entwickelt, ist primär eine Liebesgeschichte zwischen einer Schülerin und ihrem wesentlich älteren Lehrmeister.
Als die jugendliche Taizu bei dem Einsiedler Shoka alias Saukendar auftaucht, ist der Kampfkunstexperte, der eine glanzvolle Vergangenheit am Kaiserhof hinter sich hat, erst wenig begeistert, in seiner selbstgewählten Einsamkeit gestört zu werden, ganz zu schweigen davon, dass er nichts davon hält, ein Bauernmädchen zur Kriegerin auszubilden. Doch Taizu, die eine Vergewaltigung und den Verlust von Heimat und Familie erdulden musste, will das nötige Rüstzeug, um Rache nehmen zu können, und zieht Shoka so immer tiefer in ein Vorhaben hinein, aus dem bald mehr wird als eine rein private Vergeltungsaktion …
Wie gesagt: Manch ein anderer Autor hätte aus der allmählichen Annäherung des oft recht machohaft denkenden Shoka und der ihm in Alter und sozialem Stand weit unterlegenen Taizu wohl eine fragwürdige Mär gesponnen, doch Cherryh gelingt es, nicht in die Falle zu tappen. Das ist nicht allein Shokas sehr charaktervollem Pferd zu verdanken, das für die Entwicklung der Beziehung eine entscheidende Rolle spielt, sondern auch und vor allem der Tatsache, dass die Verteilung von Lehren und Lernen nicht so eindeutig ist, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte. Spätestens, wenn sich erweist, dass das Alltagswissen einer Reisbäuerin auch in militärischer Hinsicht seinen Nutzen haben kann, ist man mit der Altersdifferenz und dem möglichen Machtgefälle halbwegs versöhnt und fiebert dem nicht überraschenden, aber durchaus charmanten Ende dieses Einzelbands entgegen.
Auf typische Fantasyelemente muss man dabei allerdings größtenteils verzichten: Über weite Strecken könnte The Paladin auch ein historischer Roman sein. Wie allerdings Dämonen- und Drachenglaube der Bevölkerung in die Handlung mit eingebunden werden, ist ebenso geschickt wie amüsant und bildet das i-Tüpfelchen auf einer auch ansonsten rundum gelungenen Reise in eine überzeugende fremde Welt.

Buch des Monats

Sophie im Schloss des Zauberers von Diana W. JonesDie meisten Märchen sind vollgepackt mit Klischees aus den letzten Jahrhunderten. Eine hübsche Prinzessin in Nöten, die böse Hexe, die einfach nur gerne böse ist (und schon immer war), und ein stattlicher Prinz, der zur Rettung eilt. Nicht so in unserem  Buch des Monats im Juli: Sophie im Schloss des Zauberers (ISBN: 3551356947; im Original: Howl’s Moving Castle (1986)) von Diana Wynne Jones.

Im Zentrum der Geschichte steht die junge Hutmacherin Sophie, die nach einer Begegnung mit einer eifersüchtigen Hexe plötzlich neunzig Jahre alt ist. Nachdem sie sich ohnehin schon immer ziemlich alt gefühlt hat, gewöhnt sie sich aber recht schnell an ihr neues Leben als alte Dame und haut ab sofort kräftiger auf den Putz, als je zuvor in ihren jungen Jahren. Ganz zum Leidwesen des Zauberers Howl, der unfreiwillig der neue Gastgeber von Großmutter Sophie wird. Während er eigentlich viel größere Probleme lösen müsste, kann er nur mit ordentlich Sicherheitsabstand zusehen, wie die alte Dame seine wandernde Behausung – und auch sein bisher bequem eingerichtetes Leben als Herzensbrecher und Feigling – umkrempelt.

Sophie im Schloss des Zauberers ist ein kurzweiliger Roman, der vor Humor nur so strotzt und die großartige Vorstellungsgabe und Wortgewandheit der leider verstorbenen Autorin zeigt.
Wessen Appetit auf klassische Fantasy mit Situationskomik und gegen den Strich gebürsteten Klischees angeregt wurde, dem empfehlen wir einen Blick in die Rezension zu dieser sehr unterhaltsamen Geschichte für Jung und Alt.

Buch des Monats

Tolkiens Herr der Ringe hat manch einem Fantasyroman als Vorbild gedient, doch in kaum einem dieser zahlreichen Werke verbinden sich konsequente Orientierung an der Handlung des Vorbilds und kritische Auseinandersetzung mit Banewreaker von Jaqueline Careydessen Themen so perfekt wie in unserem Buch des Monats Juni, Jacqueline Careys Zweiteiler The Sundering (bestehend aus den Bänden Banewreaker, ISBN 0-765-30521-6, auf Deutsch als Der Herr der Dunkelheit erschienen, und Godslayer, ISBN 0-765-31239-5, in deutscher Übersetzung Der Fluch der Götter).

Eine Prophezeiung besagt, dass der dunkle Herrscher Satoris – ein gefallener Gott, der mit seinen Armeen aus orkartigen Fjelltrollen in seiner düsteren Festung lauert – besiegt werden kann, wenn die Völker der Menschen und Ellyl sich durch eine Heirat verbinden. Als der Menschenfürst Aracus sich anschickt, die Ellyl Cerelinde zu heiraten, lässt Satoris die Braut durch seine Marschälle Tanaros, Vorax und Ushahin entführen, um dem Untergang zu entgehen. Aracus schart ein Häuflein treuer Gefährten um sich und zieht aus, um dem Bösen den Kampf anzusagen …

Ein Stoff, aus dem sich ein Fantasyplot, wie er gewöhnlicher kaum sein könnte, stricken ließe – wenn er nicht größtenteils aus der Sicht der glänzend geschilderten “Bösen” erzählt würde, die, wie man bald erkennt, gar nicht unbedingt die verabscheuungswürdigen Schurken sind, als die sie von der Gegenseite gezeichnet werden. Sogar Satoris selbst, der unter anderem für Sinnlichkeit und rauschhafte Fleischeslust zuständige Gott, erfüllt durchaus einen wichtigen Zweck in der Welt. Gleichwohl gelingt es Carey, auch die “Guten”, die dem Vergeistigung und Ordnung verkörpernden Schöpfergott Haomane folgen, nicht zu dämonisieren, sondern die Daseinsberechtigung ihres Standpunkts deutlich zu machen.

In hohem Maße ist das, was hier in oft poetischer Sprache in einer stimmungsvollen Welt gestaltet wird, also der altbekannte Konflikt zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen. Vor allem aber schärft The Sundering das Bewusstsein dafür, dass das oberflächlich Schöne und Gute oft mit der Verdrängung und Ausgrenzung nicht nur bestimmter natürlicher Regungen, sondern auch der Außenseiter, Sonderlinge oder sonst in irgendeiner Form Unerwünschten erkauft wird. Wer sich selbst schon einmal als abgelehnt und nicht dazugehörig empfunden hat, wird sich in einigen Schilderungen wiederfinden, doch auch allen anderen Lesern sei diese trotz aller ernsten Untertöne sehr unterhaltsame Auseinandersetzung mit den Schattenseiten der Deutungsmuster klassischer Fantasy ans Herz gelegt.

Neugierig geworden? Rezensionen zu Band 1 und Band 2 sind in der Bibliotheka Phantastika zu finden!

Buch des Monats

Wem gehört die Erde? von John WyndhamUnser Buch des Monats im Mai ist eine post-apokalyptische Dystopie von Autor John Wyndham. In Wem gehört die Erde? (1961, auch: Wiedergeburt, ISBN 3-518-37886-4; im Original The Chrysalids, auch: Re-Birth, 1955) erleben wir eine vorindustrielle Gesellschaftsform irgendwann in der Zukunft, erzählt von dem Jungen David. Zu Beginn ist David gerade 10 Jahre alt und lebt in einem kleinen Dorf, viele Jahre nachdem ein nuklearer Krieg die Menschheit beinahe ausgelöscht hat. Die tatsächlichen Ursachen und Begebenheiten sind den Dorfbewohnern unbekannt, sie nennen das Ereignis Die Tribulation – Gottes Vernichtung der Unwürdigen.

In Davids Gesellschaft wird alles, was dem Regelbuch nach nicht normal aussieht, als Abscheulichkeit in den Augen Gottes eingestuft und mit dämonischen Abkömmlingen gleichgesetzt. Die unausweichliche Tilgung, egal ob Mensch, Tier oder Pflanze, ist die Folge, wird eine Abweichung festgestellt. So werden Neugeborene mit Mutationen ebenso verbrannt wie ganze Felder, in denen ein einzelner Maiskolben Abweichungen aufweist. Zeigen sich beim Menschen erst in späteren Jahren Mutationen, folgt die Sterilisation und Verbannung der Person in die Fringes, ein Ort, der von der Verstrahlung so stark belastet ist, dass dort nur groteske Mutationen entstanden sind.
Für den jungen David haben die vielen Predigten zu diesem Thema nur theoretische Bedeutung, bis er eines Tages erfährt, dass seine Freundin Sophie mit sechs Zehen geboren wurde und sie demzufolge als damönisches Etwas gilt und nicht mehr als Mensch. Doch das wirft in dem Jungen Zweifel auf, denn Sophie wirkt auf ihn ganz menschlich, und in Folge der Ereignisse fängt er an zu verstehen, wie gefährlich es in seiner Gesellschaft ist, körperlich anders zu sein. Auch David hat nun Grund sich zu fürchten, denn Sophie ist nicht die Einzige, die versucht hat, eine Abweichung zu verbergen. David selbst hat ein Geheimnis, das er um jeden Preis geheim halten muss, wenn er überleben will.

Wem gehört die Erde? ist eine unkompliziert erzählte Geschichte über eine Welt ohne Toleranzen, über religiösen Fanatismus und beschränkte Sichtweisen, die den eigenen Tellerrand nicht zu überschauen vermögen. Sozialkritik, ein wenig Phantastik und ein wenig Science Fiction gehen hier Hand in Hand. Die Figuren vermögen ihre Positionen und Empfindungen gut zu transportieren und die harte post-apokalyptische Welt entsteht sehr plastisch vor den Augen des Lesers. Als Fan von „nach-dem-großen-Knall“-Romanen sollte man sich Wem gehört die Erde? nicht entgehen lassen. Zwar ist das Buch nicht mehr ganz jung, was aufgrund der Szenerie aber nicht auffällt, und der Autor hat zudem ein solides Händchen für wirkungsvolle Geschichten, die mit überraschender Leichtigkeit essentielle Fragen ansprechen.

Die deutsche Übersetzung ist leider nur noch antiquarisch zu bekommen. Wer gerne auch einmal auf Englisch liest, hat es einfacher. Dort ist der Roman sowohl in diversen Print-Neuauflagen als auch als eBook erhältlich.

Buch des Monats

The Shadow of the Torturer von Gene WolfeMit unserem Buch des Monats April liefern wir keinen lockeren Aprilscherz, sondern ein Genre-Schwergewicht. Gene Wolfes The Shadow of the Torturer (1980; Der Schatten des Folterers, 1984) ist der Auftaktband der Tetralogie Book of the New Sun, zu der Wolfe später mit The Urth of the New Sun noch einen als Coda fungierenden fünften Band geliefert hat.

Severian, ehemaliger Geselle der Gilde der Folterer, erzählt rückblickend von seiner Jugendzeit im Gildenturm. Damals geriet er zufällig in politische Affären, was dazu führte, dass er seine Heimatstadt, die Metropole Nessus, verlassen musste, um in einer entlegenen Stadt im Norden einen Posten als Folterer anzutreten.
Was auf den ersten Blick kaum so wirkt, als könnte es einen Roman füllen, erweist sich rasch als dichtes, aber auch forderndes Leseerlebnis. Dies liegt einerseits an Wolfes Erzählweise, andererseits an der faszinierenden Welt. Denn die geschichtsträchtige, aber (wohl sinnbildhaft für die gesamte Welt) im Niedergang begriffene Stadt Nessus ist ein faszinierender Schauplatz, reich an Relikten längst vergangener hochtechnisierter Zeiten – als Leser/in kann man sich durchaus den Spaß machen (und die Zeit nehmen), zu enträtseln, worum es sich bei den einzelnen Artefakten handelt, das sorgt nicht nur für Erfolgsgefühle, sondern trägt auch viel zum Flair der Welt bei. Es erwarten einen aber noch zahlreiche weitere Rätsel, denn Wolfe bedient sich ausgiebig archaischer und fremdsprachiger Begriffe, die man aber glücklicherweise nicht alle ergründen muss, um der Handlung folgen zu können.

Diese gibt sich ebenso gern geheimnisvoll, denn Severian ist zwar durch sein (angeblich) unfehlbares Gedächtnis zum Erzähler prädestiniert, allerdings tendiert er dazu, zwischen verschiedenen Zeitebenen zu springen, Hintergrundwissen häppchenweise einzuflechten und die Leserschaft dann doch auf später zu vertrösten, womit er desöfteren für mehr Konfusion als Klarheit sorgt. Als zutiefst ambivalente Figur, die trotz des brutalen Gewerbes ihre romantischen und verletzlichen, aber auch ihre kalten, machohaften Seiten und einen Hang zu übernatürlichen Erscheinungen hat, fügt er sich wunderbar in den Reigen skurriler Gestalten und phantastisch-absurder Szenen, die Leser und Leserinnen allenthalben erwarten.
The Shadow of the Torturer ist somit in etwa wie ein Besuch in einer Wunderkammer, das Rätselhafte und Wunderbare gehören ebenso dazu wie das Grausame und Faszinierende. Es ist daher beileibe keine leichte Lektüre, aber wer sich darauf einlassen mag, wird mit einer faszinierenden Welt und einer vielversprechenden Hauptfigur belohnt, deren Reise gerade erst begonnen hat.

Buch des Monats

Cover von The Dispossessed von Ursula K. Le GuinFür den März haben wir Ursula K. Le Guins „ambivalente Utopie“ The Dispossessed (dt. Planet der Habenichtse/Die Enteigneten) ausgewählt. Verfasst Mitte der 1970er Jahre, in einer vom Kalten Krieg (und seinen Stellvertreterkriegen) geprägten Zeit, stehen sich auch im Roman die Vertreter zweier unterschiedlicher Gesellschaftssysteme argwöhnisch gegenüber. Auf der einen Seite die politische Führung der parlamentarischen Republik A-Io auf dem fruchtbaren Planeten Urras, die gerade in einen mal mehr, mal weniger heißen Konflikt mit dem totalitären Thu verwickelt ist, auf der anderen Seite die egalitäre, regierungslose Gesellschaft des kargen Mondes Anarres, gegründet von politischen enfants terribles, die den Lehren der anarchistischen Philosophin Odo anhingen und deswegen von Urras verbannt wurden. Aus (wissenschaftlicher) Neugierde und um die Gegensätze zu überwinden, kehrt der renommierte Physiker Shevek nach über 100 Jahren als erster Anarresti nach Urras zurück.

Ursula K. Le Guin liefert in zwei zeitlich weit auseinander liegenden, aber doch stets zueinander in Beziehung stehenden Handlungssträngen – Shevek auf Urras und Shevek auf Anarres –, die von Kapitel zu Kapitel wechselnd beleuchtet werden, eine durch die Erzählweise mitreißende Studie zweier Gesellschaftssysteme, die der Leserschaft jedoch kein Urteil aufzwingt. Vielmehr sieht man sich mit den Ambivalenzen der Gesellschaften auf Urras und Anarres konfrontiert. Somit impliziert der Roman einerseits einen – angesichts seines historischen Kontexts erstaunlich abwägenden – Vergleich zwischen USA und UdSSR, liefert andererseits aber auch eine Alternative (eben die Utopie), von der aus beide Positionen kritisch zu betrachten sind. Die beiden Zeit- und Gesellschaftssphären sind dabei nicht nur über Shevek, sondern auch durch übergreifende Motive miteinander verdrillt, was nicht nur zusätzliche Aspekte eröffnet, sondern auch schlicht großen Spaß macht, wenn sich die Geschichte auch über die Querbezüge entfaltet.

Während modernere Romane (Iron Council, Aether) mit einem resignierten Abwinken der Hoffnung auf (revolutionäre) Weltverbesserung den Rücken zukehren, zeigt Le Guin, dass diese Hoffnung schon immer irreführend war (und die Resignation daher verfrüht ist). Das Austauschen der Elite kann niemals ausreichen, vielmehr bedarf es des Engagements aller und des steten Aushandelns, was erreicht werden soll – mit all den Schwierigkeiten, die dies birgt. Denn Le Guin verabsäumt es auch nicht, zu zeigen, wie schnell aus dem Verteidigen von Idealen Orthodoxie werden kann und wie rasch sich informelle Hierarchien in einer egalitären Gesellschaft ausbilden können.
Man liegt nicht ganz falsch, wenn man vermutet, The Dispossessed hätte etwas von einem akademischen Vergnügen. Der Entwurf ist ein Vehikel für eine genaue gesellschaftliche Beobachtung, aber eine lebendige und gerade im Bezug auf den Umgang jüngerer Autoren und Autorinnen mit Revolution und Utopie sehr aktuelle.

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