Mit unserem Buch des Monats April liefern wir keinen lockeren Aprilscherz, sondern ein Genre-Schwergewicht. Gene Wolfes The Shadow of the Torturer (1980; Der Schatten des Folterers, 1984) ist der Auftaktband der Tetralogie Book of the New Sun, zu der Wolfe später mit The Urth of the New Sun noch einen als Coda fungierenden fünften Band geliefert hat.
Severian, ehemaliger Geselle der Gilde der Folterer, erzählt rückblickend von seiner Jugendzeit im Gildenturm. Damals geriet er zufällig in politische Affären, was dazu führte, dass er seine Heimatstadt, die Metropole Nessus, verlassen musste, um in einer entlegenen Stadt im Norden einen Posten als Folterer anzutreten.
Was auf den ersten Blick kaum so wirkt, als könnte es einen Roman füllen, erweist sich rasch als dichtes, aber auch forderndes Leseerlebnis. Dies liegt einerseits an Wolfes Erzählweise, andererseits an der faszinierenden Welt. Denn die geschichtsträchtige, aber (wohl sinnbildhaft für die gesamte Welt) im Niedergang begriffene Stadt Nessus ist ein faszinierender Schauplatz, reich an Relikten längst vergangener hochtechnisierter Zeiten – als Leser/in kann man sich durchaus den Spaß machen (und die Zeit nehmen), zu enträtseln, worum es sich bei den einzelnen Artefakten handelt, das sorgt nicht nur für Erfolgsgefühle, sondern trägt auch viel zum Flair der Welt bei. Es erwarten einen aber noch zahlreiche weitere Rätsel, denn Wolfe bedient sich ausgiebig archaischer und fremdsprachiger Begriffe, die man aber glücklicherweise nicht alle ergründen muss, um der Handlung folgen zu können.
Diese gibt sich ebenso gern geheimnisvoll, denn Severian ist zwar durch sein (angeblich) unfehlbares Gedächtnis zum Erzähler prädestiniert, allerdings tendiert er dazu, zwischen verschiedenen Zeitebenen zu springen, Hintergrundwissen häppchenweise einzuflechten und die Leserschaft dann doch auf später zu vertrösten, womit er desöfteren für mehr Konfusion als Klarheit sorgt. Als zutiefst ambivalente Figur, die trotz des brutalen Gewerbes ihre romantischen und verletzlichen, aber auch ihre kalten, machohaften Seiten und einen Hang zu übernatürlichen Erscheinungen hat, fügt er sich wunderbar in den Reigen skurriler Gestalten und phantastisch-absurder Szenen, die Leser und Leserinnen allenthalben erwarten.
The Shadow of the Torturer ist somit in etwa wie ein Besuch in einer Wunderkammer, das Rätselhafte und Wunderbare gehören ebenso dazu wie das Grausame und Faszinierende. Es ist daher beileibe keine leichte Lektüre, aber wer sich darauf einlassen mag, wird mit einer faszinierenden Welt und einer vielversprechenden Hauptfigur belohnt, deren Reise gerade erst begonnen hat.