Zum 70. Geburtstag von Bruce Fergusson

Bibliotheka Phantastika gratuliert – mal wieder verspätet – Bruce Fergusson, der am vergangenen Sonntag seinen 70. Geburtstag feiern konnte. Der am 07. März 1951 in Bridgeport, Connecticut, geborene Bruce Chandler Fergusson zählt zu den Autoren, die in den 80er Jahren ein kurzes Gastspiel auf der phantastischen Bühne gegeben haben und nach zwei, drei Büchern wieder von der Bildfläche verschwunden sind. Doch im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen ist er im neuen Jahrtausend zur Fantasy (und in seine alte Welt) zurückgekehrt und hat ziemlich genau da weitergemacht, wo er vierundzwanzig Jahre zuvor aufgehört hatte.
The Shadow of His Wings von Bruce FergussonAngefangen hat alles 1987, als Bruce Fergusson mit The Shadow of His Wings seinen ersten Roman veröffentlicht hat, nachdem er zuvor – nach Abschluss seines Studiums an der Wesleyan University – als Journalist erste Erfahrungen mit dem Schreiben gemacht hatte. Im Mittelpunkt des Romans steht der junge Lukan Barra, der gerade keine allzu glückliche Zeit im Königreich Myrcia erlebt. Das liegt einerseits an seinem verbrecherischenen Bruder Vearus, der nicht nur vor kurzem aus der Verbannung zurückgekehrt ist, sondern auch beeindruckende magische Fähigkeiten aus seinem erzwungenen Exil mitgebracht hat und mit ihrer Hilfe zum Berater von Sanctor Grouin, dem despotischen Herrschers Myrcias, aufgestiegen ist, und andererseits an den Truppen aus dem benachbarten Königreich Skarria, die unter ihrem gefürchteten Anführer Gortahork, dem “Hook of the East” in Myrcia eingefallen sind und nun die Hauptstadt Castlecliff bedrohen. Und so muss der zwangsrekrutierte Lukan erst in eine Schlacht ziehen, die er mit Mühe und Not überlebt, und dann landet er auch noch ungerechtfertigterweise im Gefängnis. Immerhin bietet sich ihm ein Ausweg, als der Sanctor in seiner Verzweiflung demjenigen seinen Thron verspricht, der es schafft, den Erseiyr zum Eingreifen zu bewegen, ein unsterbliches geflügeltes Wesen, das die Myrcianer ebensosehr fürchten wie verehren, und das in einer mit den Schätzen jahrhundertelanger Opfergaben gefüllten Höhle hoch oben auf einem Berggipfel haust …
Der Blick, den der Ich-Erzähler Lukan Barra in The Shadow of His Wings seinen Leserinnen und Lesern auf eine typische pseudo-mittelalterliche Gesellschaft in einem ebenso typischen pseudo-mittelalterlichen Fantasy-Königreich gewährt, ist – auch und vor allem in Anbetracht des Erscheinungsjahrs des Romans – vergleichsweise ungewöhnlich, denn Lukan ist weder ein “Auserwählter” noch von Adel oder reich, sondern ein Mitglied der Unterschicht, das fernab vom Glanz irgendwelcher Herrscherhöfe auch schon, ehe seine echten Probleme anfangen, eher schlecht als recht über die Runden kommt. Was nicht zuletzt daran liegt, dass er im Gegensatz zu seinem Bruder im Grunde ein herzensguter, wenn auch gelegentlich – vor allem, wenn es um Vearus’ Ex-Freundin Rui geht – etwas begriffstutziger Kerl ist. Was wiederum dazu führt, dass er lange braucht, um zu begreifen, wie sehr die Begegnung mit dem Erseiyr sein Leben verändern wird.
The Mace of Souls von Bruce FergussonAuch Falca Breks, der Protagonist von The Mace of Souls (1989), führt ein Leben am Rande der Gesellschaft, aber im Gegensatz zu Lukan Barra ist er kein guter Mensch, sondern ein brutaler Straßendieb und Schutzgeld-Erpresser, der in den Docks von Draica, seiner Heimatstadt (die gleichzeitig die Hauptstadt des Königreichs Lucidor ist) mit seiner Bande sein Unwesen treibt. Er will unbedingt weg aus Draica, und dafür braucht er Geld, viel Geld – und als eines Abends die hübsche Amala Damarr, die unzweifelhaft den reichen, besseren Kreisen des Königreichs entstammt, in den Docks auftaucht, scheint sein Ziel plötzlich zum Greifen nah. Doch Falca hat nicht mit seinen eigenen Gefühlen gerechnet, denn dummerweise verliebt er sich in Amala und muss alle Pläne über den Haufen schmeißen; schlimmer noch – als ein religiöser Eiferer namens Saphrax mittels Magie Amalas Seele raubt und in dem titelgebenden Mace einsperrt, bleibt ihm keine andere Wahl, als sich an die Verfolgung von Saphrax zu machen, der die Seele seinem hungrigen Gott opfern will …
Beide Romane eint nicht nur ihr Hintergund – die Six Kingdoms, in denen außer Menschen auch noch die hünenhaften Stoneskins und die kleinwüchsigen Timberlimbs leben – sondern auch die Tatsache, dass die jeweiligen Protagonisten sich im Laufe der Handlung verändern, dass ihre Reise im Außen zu einer Verwandlung im Inneren führt. Doch während Lukan Barra in The Shadow of His Wings vor allem neue Fähigkeiten in sich entdeckt, von denen er vorher gar nicht wusste, dass er sie besitzt, macht Falca Breks eine echte Transformation durch (die vielleicht ein bisschen zu glatt läuft, was man dem Roman ebenso vorwerfen könnte wie die sich aus heiterem Himmel doch sehr plötzlich entwickelnde Liebesgeschichte zwischen zwei so unterschiedlichen Menschen wie Falca und Amala). Hinzu kommt, dass in beiden Romanen bereits viele Elemente enthalten sind, die sie sprachlich und von der Erzählhaltung her wie Vorläufer der etliche Jahre später einsetzenden Grim-&-Gritty- oder Grimdark-Welle wirken lassen. Das gilt für einige für die damalige Zeit vergleichsweise drastische Szenen wie auch für den Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Fantasyland bzw. auf das Leben der Unterschicht abseits von Adligen, Helden und weisen Mentoren.
So betrachtet, war Bruce Fergusson mit seinen Romanen vielleicht einfach ein bisschen zu früh dran, denn nach The Mace of Souls war zunächst einmal Schluss mit Geschichten aus den Six Kingdoms. Erst recht in Deutschland, wo nur der erste Band als Der Schatten seiner Flügel (1990) erschienen ist.
Doch vierundzwanzig Jahre später ist Bruce Fergusson mit Pass on the Cup of Dreams (2013) in die Six Kingdoms zurückgekehrt und hat die Geschichte von Falca Breks (und indirekt auch die von Lukan Barra) weitergeführt, und inzwischen ist mit Kraken’s Claw (2019) ein vierter Band erschienen, der sich ebenfalls um die weiteren Abenteuer Falcas dreht. Außerdem liegt mit “A Beast in Ruins” eine bereits 1988 (in der Winter-Ausgabe des Magazins Argos) erstmals veröffentlichte Story als eBook vor, und in The Six Kingdoms Codex: A Companion Volume to the Six Kingdoms Novels (ebenfalls als eBook) gibt es neben einer weitere Story zusätzliches Hintergrundmaterial (u.a. eine Karte und ein Glossar).
Außerhalb der Fantasy hat Bruce Fergusson noch drei Krimis bzw. Thriller geschrieben, die zwischen 1999 und 2015 erschienen sind.

5 Kommentare zu Zum 70. Geburtstag von Bruce Fergusson

  1. Pogopuschel sagt:

    Bruce Fergusson war mir bisher tatsächlich kein Begriff. Deinen Beschreibungen nach spricht mich “The Mace of Souls” eher an. Ansonsten: Wieder eine schöner und interessanter Text aus geros Who is Who der Fantasy.

  2. gero sagt:

    Danke, Pogo!

    Dass dir Fergusson nichts sagt, wundert mich nicht. Schließlich ist von ihm ja auch nur ein Roman auf Deutsch erschienen und vermutlich mehr oder weniger untergegangen (denn sonst hätte Heyne ja vielleicht den zweiten Band noch gebracht, obwohl die beiden nicht direkt zusammenhängen).

    Mich bestärken die beiden Bände halt in der Überzeugung, die ich schon lange habe, dass nämlich die 80er Jahre ein für die Fantasy sehr spannendes Jahrzehnt waren. Denn Fergusson war eben auch einer der Autoren, die etwas Neues, etwas ein bisschen Anderes versucht und nicht einfach die x-te Queste à la Tolkien bzw. LotR geschrieben haben.

    Der zweite Band ist auch der bessere. Ich mag The Shadow of His Wings vor allem, weil er damals wirklich ziemlich originell war … und weil mir das Cover viel, viel besser gefällt als das von The Mace of Souls. 😉 Und ich habe dann dummerweise schon über den ersten Band so viel geschrieben, dass ich mich beim zweiten bewusst zusammengerissen habe, damit der Text insgesamt nicht zu lang wird.

  3. Elric sagt:

    Aber du weißt doch, dass du eigentlich nie genug zu einem Buch schreiben kannst! 😉
    Auf jeden Fall klingt das wieder nach etwas, das auf meine – viel zu lange – Liste wandern sollte. Das mit den Argumenten bzgl. Covern kann ich sehr gut verstehen! 🙂
    Na dann… *Liste länger machen…*

  4. wurling sagt:

    “Im Schatten seiner Flügel” habe ich seiner Zeit – wie immer – nur in der Übersetzung gelesen (gekauft auf Empfehlung im Antiquariat der Romanboutique) und das gerne. Ich hatte lange Zeit keine Ahnung, dass das Buch nur ein erster Band war. Wenn ich irgendwann mal Zeit habe und das Ding auf meinen Schultern frei von sämtlichen Störgeräuschen denken kann, dann krame ich das Buch mal wieder raus und hoffe auf das Wunder einer Neuauflage und deren Fortsetzungen. *g*

  5. gero sagt:

    @ Wurling:

    Wobei Der Schatten seiner Flügel ja abgeschlossen ist; von daher wundert es mich nicht, dass du einen zweiten Band nicht “vermisst” hast. Auch The Mace of Souls ist übrigens abgeschlossen, aber da passieren ein paar Dinge, die eine Fortsetzung möglich (aber nicht zwingend notwendig!) machen – und diese Fortsetzung gibt es dann eben in Pass on the Cup of Dreams.

    Eine Neuauflage wäre tatsächlich ein mittleres Wunder, und eine Übersetzung der Fortsetzungen ein richtig großes. 😉 (Fun fact: Ich habe mir in den 90ern The Mace of Souls u.a. deshalb angesehen, weil wir über eine mögliche NA von Der Schatten seiner Flügel nachgedacht haben; als mir dann klar wurde, dass The Mace keine “echte” Fortsetzung ist und der Autor seit rund zehn Jahren nichts mehr veröffentlicht hat, war die Idee schnell vom Tisch. Tja …)

    @ Elric:

    Warum soll es dir mit deinen Listen besser gehen als mir? 😉 (Okay, bei mir ist die inzwischen nicht mehr gar so lang, aber auch nur, weil ich mich mittlerweile deutlich beschränke bzw. weil manche Themen oder Plots mich halt so gar nicht mehr reizen.)

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