Bibliotheka Phantastika gratuliert – wieder einmal ziemlich nachträglich – Ilana C. Myer, die bereits im Januar ihren 40. Geburtstag feiern konnte. Ilana C. Myer ist eine der Autorinnen, die in den letzten Jahren ihr literarisches Debut in der Fantasy gegeben haben; geschrieben und veröffentlicht hat sie schon vorher, allerdings im journalistischen Bereich – für Magazine wie die Huffington Post, The Globe and Mail und The Los Angeles Review of Books – und unter ihrem richtigen Namen, denn geboren wurde sie am 19. Januar 1981 in New York City als Ilana Chaya Teitelbaum. Doch als die Veröffentlichung ihres ersten Romans absehbar war, hat sie sich für das Myer-Pseudonym entschieden, da ihrer Meinung nach ihr richtiger Name zu lang für ein Buchcover ist.
Besagter erster Roman ist 2015 unter dem Titel Last Song Before Night erschienen, und wie man vielleicht schon ahnen kann, spielt Musik in ihm eine wesentliche Rolle. Denn Musik und die Poets, die sie komponieren und vortragen, sind wichtige Säulen des sozialen und kulturellen Lebens im Königreich Eivar. Wenn auch nicht mehr so bedeutend wie zu den Zeiten, in denen mit der Musik eine mächtige Magie verbunden war, doch seit diese Magie korrumpiert wurde und zur Ausbreitung einer schrecklichen Seuche geführt hat, wurde die Musik ihres magischen Gehalts beraubt, und die Poeten müssen sich ihre Lieder vom Court Poet, dem wichtigsten Berater des Königs, genehmigen lassen, um zu verhindern, dass sich das Unheil wiederholt. Auch für Lin spielt die Musik eine wesentliche Rolle, und sie ist vor allem deshalb nach Tamryllin gekommen, um sich an der dortigen Akademie zur Poetin ausbilden zu lassen und ihr unbestreitbar vorhandenes großes musikalisches Talent weiterzuentwickeln – doch Frauen ist das nicht erlaubt. Dies ist ein weiterer Rückschlag für Lin, die eigentlich Kimbralin Amaristoth heißt und auf der Flucht vor ihrer schrecklichen Familie ist, und selbst als sie den berühmten Poeten Valanir Ocune kennenlernt, der sie unter seine Fittiche nimmt, bessert sich ihre Situation nicht wirklich, denn bei dieser Gelegenheit erfährt sie, dass die Red Death genannte Suche zurückgekehrt ist – und dass sie dazu ausersehen ist, den “Pfad” zu beschreiten, der die Magie in die Musik zurückbringen wird …
Last Song Before Night ist ein ziemlich klassischer High-Fantasy-Roman, in dem all das drin ist, was man von derartigen Romanen kennt: das typische pseudomittelalterliche Königreich, die Auserwählte, die dazu ausersehen ist, das Reich vor der großen Gefahr zu retten, und klar und eindeutig gezeichnete Figuren, bei denen rasch offensichtlich ist, ob sie zu den Guten oder den Bösen gehören. Allerdings nutzt Myer dieses Setting, um durchaus moderne Themen wie etwa die Unterdrückung der Frauen und Zensur zu behandeln, und ihre Figuren (von denen es ein gutes halbes Dutzend wichtige gibt) haben alle eine Vergangenheit, die ihre Gegenwart bestimmt. Was gelegentlich dazu führt, dass der große Plot ein bisschen hinter den persönlichen Problemen der Protagonisten verschwindet bzw. nicht so recht von der Stelle kommt.
Andererseits kann der Roman mit einer über weite Strecken fast schon poetischen Sprache punkten, und Tamryllin ist eine Stadt, in der man gerne deutlich mehr Zeit verbringen würde. Außerdem werden die wichtigsten Handlungsstränge am Ende abgeschlossen, so dass man Last Song Before Night auch als Einzelroman lesen kann.
Unterm Strich ist Ilana C. Myers Erstling vor allem ein Versprechen, denn trotz der einen oder anderen Schwäche kann man ihr Potential als Geschichtenerzählerin erkennen – und es scheint ganz so, als hätte sie es bei den Fortsetzungen Fire Dance (2018) und The Poet King (2020), die das Ganze zu einer mittlerweile unter dem Obertitel The Harp and the Ring laufenden Trilogie ergänzen, schon deutlich weiter ausgeschöpft.
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