Bibliotheka Phantastika gratuliert Daniel Walther, der heute 75 Jahre alt wird. Auch für den am 10. März 1940 im elsässischen Städtchen Munster geborenen SF- und Phantastik-Autor Daniel Walther gilt, was auf fast alle seine französischsprachigen Kolleginnen und Kollegen zutrifft: Von seinem recht umfangreichen Œuvre wurde nur ein kleiner Teil ins Deutsche übersetzt, und das meiste davon bereits in den 80er Jahren.
Walther hat nach dem Abbruch eines Pharmazie-Studiums Englisch und Deutsch studiert (was mit ein Grund dafür sein dürfte, dass er hervorragend Deutsch spricht) und viele Jahre lang hauptberuflich für eine elsässische Regionalzeitung gearbeitet. Seine ersten SF-Stories erschienen – angefangen mit “Les étrangers” – ab Mitte der 60er Jahre in dem langlebigen französischen SF-Magazin Fiction, und insgesamt hat er in den vergangenen 50 Jahren mehr als 200 längere und kürzere Erzählungen verfasst, von denen gerade mal ein gutes Dutzend auch hierzulande erschienen sind. Was seine vergleichsweise wenigen Romane angeht, sieht das Verhältnis etwas besser aus: von den zwischen 1972 (Mais l’espace … mais le temps …) und 2008 (Morbidezza, inc.) erschienenen ca. 20 Romanen wurden immerhin fünf übersetzt, und die dreibändige Sequenz Le Livre de Swa – sein einziger Mehrteiler – ist der Grund, warum Daniel Walther anlässlich seines heutigen Geburtstags hier überhaupt auftaucht.
Denn Le Livre de Swa (1982), der Auftaktband, der der ganzen Reihe den Titel verleiht, und dessen Folgebände Le Destin de Swa und La Légende de Swa (beide 1983) haben es unter den Titeln Das Gesetz der goldenen Schlange (1985), Der Kristallkrieg und Der Tod der großen Schlange (beide 1986) als Das erste, zweite und dritte Buch von Shai ins Deutsche geschafft und bieten ein zwischen Fantasy und SF pendelndes Post-Doomsday-Setting, wie man es auch aus dem angloamerikanischen Sprachraum kennt.
Hauptfigur der Reihe ist der junge Shai (im Original Swa), der am Anfang von Das Gesetz der goldenen Schlange in der Zitadelle, dem Tempel des Ordens der goldenen Schlange, zum Lehrling geweiht wird. Sein Weg in der Gemeinschaft derer, die altes Wissen bewahren und in einem ständigen Kampf mit den Horden des Draußen liegen, scheint vorgezeichnet – doch Shai hat merkwürdige Träume, in denen ihm einer der Anführer der Draußen lebenden Wesen erscheint, und die sein Unbehagen mit den restriktiven Regeln und Dogmen des Ordens mehr und mehr verstärken. Und schon bald kommt es zu Ereignissen, die Shai eine schicksalhafte Entscheidung treffen lassen und sein Leben von Grund auf verändern. Shais Entscheidung verschafft ihm nicht nur alte und neue Freunde wie Lsi (die ein Knabe sein musste, weil nur Knaben zu Neophyten des Ordens werden können) oder den geheimnisvollen Bärengesicht oder den zwergenhaften Dorn, sondern in Dmitri Vashar auch einen unbarmherzigen Feind – und sie führt ihn auf eine Odyssee quer durch eine bizarre und gelegentlich doch irgendwie vertraut wirkende Welt, auf der so manche Überraschung auf ihn wartet …
Die Bücher von Shai unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht von den meisten ähnlich gelagerten Werken angloamerikanischer Provenienz. Da wäre beispielsweise der den Bänden jeweils vorangestellte kurze Prolog, in dem knapp, aber plastisch geschildert wird, warum und wie die Welt sich verändert hat, da wäre die teilweise fast schon atemlos dahingaloppierende Handlung, die dafür sorgt, dass in den drei dünnen Büchern (die deutschen Ausgaben haben jeweils um die 150 Seiten) erstaunlich viel passiert, da wäre eine metaphernreiche Sprache, die sich ganz anders liest als das, was man von Übersetzungen aus dem Englischen gewohnt ist, und da wäre schließlich noch die Tatsache, dass Le Livre de Swa von Daniel Walther als bewusster Gegenentwurf zu Ayn Rands Anthem konzipiert wurde.
Natürlich führt die dahineilende Handlung auch zu einer sparsameren Figurenzeichnung und dazu, dass vor allem in Sachen Hintergrund und Setting Vieles nur angerissen und angedeutet wird. Wer also eine Geschichte braucht, in der alles “auserzählt” wird, dürfte mit Walthers Post-Doomsday-Dreiteiler eher nicht glücklich werden. Das Gleiche gilt vermutlich für alle diejenigen, die von Ayn Rands Denkmodellen begeistert sind, denn in Shais Welt hat das Individuum, das nur auf sich selbst konzentriert und fixiert ist, nur begrenzte Möglichkeiten, zu überleben. Im Gegenteil – wenn Shai auf seiner Reise durch eine Welt, deren Achse sich verschoben und deren Geografie sich verändert hat, etwas lernt, dann das, dass er Freunde und Kameradinnen wie Bärengesicht, Dorn und Lsi und noch ein paar andere braucht, und dass es einer Gemeinschaft bedarf, wenn die Dinge sich irgendwann zum Besseren ändern sollen.
Neben Le Livre de Swa (das 2006 in Frankreich noch einmal als Sammelband erschienen ist) hat Daniel Walther mit der aus bislang fünf Erzählungen bestehenden La Saga de Synge et de Brennan noch ein zweites, ähnlich gelagertes Werk geschaffen, das in ferner Zukunft in einem Science-Fantasy-Setting angesiedelt ist. Die ersten vier Erzählungen (von denen drei bereits in den 70er Jahren entstanden sind) erschienen 1984 in dem Band Nocturne sur fond d’épées auch in Buchform; eine um eine ganz aktuelle Geschichte ergänzte zweite Ausgabe kam 2007 unter dem gleichen Titel auf den Markt.
Beim Rest von Daniel Walthers Œuvre handelt es sich einerseits um SF mit mehr oder minder starkem Phantastik-Einschlag, andererseits um reine Phantastik. (Interessanterweise hat er auch mindestens einen “echten” SF-Roman verfasst, der sich eines Post-Doomsday-Settings bedient, und der unter dem Titel Der neue Sonnenstaat (1985; OT: Happy end (1982)) auch hierzulande veröffentlicht wurde.)
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