Bibliotheka Phantastika erinnert an Parke Goodwin, der heute 85 Jahre alt geworden wäre. In der Phantastikszene zum ersten Mal so richtig auf sich aufmerksam machte der am 28. Januar 1929 in New York City geborene Parke Godwin mit dem gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Marvin Kaye verfassten Roman The Masters of Solitude (1978; dt. Meister der Einsamkeit (1980)), dem Auftakt eines auch für Fantasyleser interessanten gleichnamigen Post-Doomsday-Dreiteilers, in dem in einem Amerika nach der großen Katastrophe eine bäuerliche, von einer verzerrten Form des christlichen Glaubens geprägte und in kleinen Dörfern lebende Bevölkerung mit den Bewohnern einer Stadt zusammenprallt, die sich um ein wissenschaftliches Weltbild und die Wiederbeschaffung verlorenen Wissens bemühen. Der vermutlich größte Makel der mit Wintermind (1982) fortgesetzten Sequenz dürfte sein, dass der Abschlussband Singer Among the Nightingales nie erschienen ist (auch wenn er inzwischen angeblich fertig sein soll), was es ein bisschen leichter verschmerzbar macht, dass der zweite Band nie übersetzt wurde.
1983 hat Parke Godwin noch ein weiteres Mal mit Marvin Kaye zusammengearbeitet und mit ihm den Spukhaus-Roman A Cold Blue Light verfasst. Einige Zeit zuvor hatte er sich allerdings bereits allein als Autor versucht und sich zunächst der (in einem historischen Setting angesiedelten) Fantasy zugewandt.
Firelord (1980; dt. Feuerkönig) eröffnet eine sehr locker zusammenhängende, im Original auch unter diesem Obertitel laufende Trilogie, deren erster Band Godwins Interpretation des Artus-Mythos darstellt, der hier als historischer Roman mit nur marginalen phantastischen Elementen daherkommt. Dessen ungeachtet wird der Ich-Erzähler Artus in dem eindringlich und kraftvoll erzählten Buch zu einer fast schon übermenschlichen, beeindruckenden Gestalt, die allerdings keineswegs frei von allzu menschlichen Schwächen und Fehlern ist. Im zweiten Band Beloved Exile (1984; dt. unter dem Obertitel Die Erbin von Camelot als Der tote König (1987) und Im fremden Land (1988)) rückt Artus’ Gemahlin Guenevere oder auch Ginevra aus nachvollziehbaren Gründen in den Mittelpunkt des Geschehens. Ihre ebenfalls von ihr selbst erzählte Geschichte – die in fast allen anderen Versionen des Mythos mit Artus’ Tod ebenfalls endet bzw. bisher so gut wie nie erzählt wurde – ist ganz anders als die des “Firelord”, aber keineswegs weniger interessant oder berührend. (Diese beiden Romane bzw. deren Übersetzungen sind 2001 auch noch einmal als Sammelband unter dem Titel Camelot erschienen.) The Last Rainbow (1985), der dritte Band der Firelord Series, entfernt sich dann gänzlich vom Artus-Mythos. In dem auf Deutsch unter dem Obertitel Der Priester und die Elfe als Dorelei und Der letzte Regenbogen (beide 1988) erschienenen Prequel geht es um den heißblütigen jungen Priester Patricius, der die Picten zum Christentum bekehren will und es dabei nicht nur mit dem Unwillen derer, die er bekehren will, zu tun bekommt, sondern auch mit Elfen und Magie. Auch wenn hier das phantastische Element deutlich stärker ausgeprägt ist als in den Vorgängerbänden, ist der Roman aufgrund seines Themas und dessen (vielleicht nicht immer ganz gelungener) Umsetzung ein weiteres Beispiel für die Vielfalt der Fantasy der 80er Jahre.
Nach einem kurzen Abstecher in die SF – der im Falle der zweibändigen Snake-Oil-Sequenz (1988/89) zu einer bitterbösen Satire auf die amerikanische Gesellschaft im Allgemeinen und die Rolle der Religion im Besonderen geführt hat – wandte Parke Godwin sich einer anderen Figur zu, die in der englischen Folklore eine wichtige Rolle spielt, wobei er sich an den älteren Versionen der bekannten Legende orientiert hat: Sherwood (1991) und Robin and the King (1993) erzählen die Geschichte Robin Hoods in einem England, das erst kurz zuvor von den Normannen erobert wurde und dessen mystische und mythische Vergangenheit in den realpolitischen Wirren immer mehr schwindet und allmählich in Vergessenheit gerät. Oder, anders ausgedrückt, sie erzählen vom Zusammenprall der alten angelsächsischen Kultur mit der der Eroberer vom Festland. Mit Lord of Sunset (1998) schuf er einige Jahre später noch eine Art Prequel, in dessen Mittelpunkt Harold Godwinson, der letzte angelsächsische König Englands steht.
Wesentlich interessanter als letztgenannter Titel ist allerdings The Tower of Beowulf (1995), ein Roman, in dem Parke Godwin nicht nur dem ach so schrecklichen Monster namens Grendel ein Denkmal setzt (ähnlich wie und kaum schlechter als das John Gardner in seinem gleichnamigen Roman gelungen ist), sondern sich auch mit der Frage befasst, was einen Helden letztlich ausmacht – vor allem dann, wenn Held und Monster sich eigentlich viel ähnlicher sind als Ersterer es sich eingestehen mag. Wer immer noch glaubt, dass man keine intelligente oder tiefgründige Sword & Sorcery schreiben kann, könnte durch The Tower of Beowulf vielleicht eines Besseren belehrt werden.
Einige von Godwins phantastischen Geschichten sind in dem Sammelband The Fire When It Comes (1984) erschienen; mit der Titelstory – in der es um eine Schauspielerin geht, die eines Nachts aufwacht und sich wundert, was die neuen Mieter in ihrem Apartment machen – hat er 1982 den World Fantasy Award gewonnen. Davon einmal abgesehen dürfte der am 19. Juni 2013 verstorbene Parke Godwin zu den zu Unrecht unterschätzten Autoren des Genres gehören, der sowohl im Bereich der historischen Fantasy wie der SF überzeugende, viel zu wenig bekannte Romane vorgelegt hat.
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