Zum 80. Geburtstag von John Gardner

Bibliotheka Phantastika erinnert an John Gardner, der heute 80 Jahre alt geworden wäre. Der am 21. Juli 1933 in Batavia im us-amerikanischen Bundesstaat New York geborene Romancier, Essayist, Literaturkritiker und Universitätsprofessor John Champlin Gardner, Jr. war eigentlich alles andere als ein typischer Genre-Autor, auch wenn er immer mal wieder phantastische Elemente in seine Romane und Erzählungen eingebaut und sozusagen mit der Phantastik geflirtet hat. Einmal hat er aber dann doch einen ernsthaften Ausflug in die Gefilde der phantastischen Literatur unternommen – und diesem Ausflug verdankt die Fantasy eines ihrer ungewöhnlichsten Werke.
Grendel (1971) ist eine Nacherzählung der Beowulf-Saga, allerdings aus der Sicht des Monsters. Wobei Grendel als “Monster” nur sehr eindimensional charakterisiert wäre. Ja, es stimmt, das wilde, einsame Geschöpf, das mit seiner Mutter in einer Höhle lebt, besitzt einen animalischen Tötungstrieb, den es auch oft und gerne auslebt. Doch gleichzeitig ist Grendel ein hochintelligentes Wesen, das die Sprache der Menschen erlernen kann und letztlich zu einem Verständnis der Welt gelangt, das man einem Monster gewiss nicht zutrauen würde. Dass es zwischen den sich immer weiter ausbreitenden und ihre ersten staatsähnlichen Gebilde errichtenden Menschen und Grendel zu einem Zusammenstoß kommt, ist mehr oder weniger unausweichlich. Dass dieser Zusammenstoß blutig ist und eine Folge aus Ereignissen in Gang setzt, in deren Verlauf Grendel immer wieder Menschen tötet und die Methalle des Königs verwüstet, an deren Ende aber sein eigener Tod steht, liegt in der Natur Grendels – und in der der Menschen.
Denn auch wenn Grendels triebhafte Wildheit, seine Mordlust und sein Hass verhindern, dass er in der Geschichte zum good guy wird, kommen die Menschen mit ihrer Verschlagenheit, ihrer Habgier und ihrer Grausamkeit kaum besser weg. Und so kann man am Ende eigentlich nur Mitleid empfinden, wenn das ach so schreckliche – und gleichzeitig so freiheitsliebende – Monster die prophetischen Worte spricht: “Poor Grendel’s had an accident … so may you all.”
Grendel von John GardnerJohn Gardner hat den Menschen mit Grendel (dt. Grendel (1989 bzw. – mit einer dieses Mal dankenswerterweise nicht peinlichen Covergestaltung – 2009)) einen Spiegel vorgehalten, der uns so hässlich zeigt, wie wir viel zu häufig waren, sind und vermutlich auch in Zukunft sein werden. Und das Ganze im Rahmen eines in kraftvoller Sprache erzählten, zwischen boshafter Ironie und Schwermut changierenden Fantasyromans, der nebenbei auch den in Bezug auf Fantasy immer wieder gerne geäußerten Eskapismusvorwurf eindrucksvoll widerlegt.
Es ist schwer zu sagen, ob John Gardner sich im späteren Verlauf seines Schriftstellerlebens noch einmal so eindeutig dem Genre zugewandt hätte, und ob das Ergebnis wieder ähnlich überzeugend ausgefallen wäre. Doch diese Überlegungen sind müßig, denn am 14. September 1982 ist er mit seinem Motorrad verunglückt und noch am Unfallort seinen Verletzungen erlegen.

3 Kommentare zu Zum 80. Geburtstag von John Gardner

  1. Raskolnik sagt:

    Oh ja, das 89er-Cover war wirklich sehr {ähem} eigenartig. Was sich die Verantwortlichen da wohl bei gedacht hatten? Hatte auch nur einer von denen Gardners Buch gelesen? Und wenn ja, wie hatte er es so gründlich missverstehen können?

  2. gero sagt:

    Tja, das sind interessante Fragen. Vor allem, da Suhrkamp in der Phantastischen Bibliothek nicht unbedingt für Cover-Katastrophen berüchtigt war; da wurde meistens zumindest solide Arbeit abgeliefert.

    Vielleicht sollte das ja “ironische Brechung” oder sowas sein. Immerhin gab es mal eine Zeit, in der kein Verlag, der etwas auf sich hielt, Fantasy veröffentlicht hat, ohne irgendwie darauf hinzuweisen, dass man ja eigentlich über den Dingen steht. 😉

    Aber wenn ich ehrlich bin, kann ich nur sagen: ich weiß nicht, was man sich bei Suhrkamp damals gedacht hat, und ich verstehe daher auch nicht, wie so etwas dabei herauskommen konnte.

    Kleine Begebenheit am Rande: Suhrkamp hat ja nun wirklich nicht viele Titel veröffentlicht, die man unter “Fantasy” (im engeren Sinne, sprich: so, wie der Begriff in Deutschland viele Jahre verwendet wurde) subsummieren kann. Da ist es dann schon witzig, dass zwei der Autoren – bzw. ein Autor und eine Autorin -, denen dieses Privileg zuteil wurde, am gleichen Tag Geburtstag haben. 😉

  3. Raskolnik sagt:

    Oh ja, “Ironie” ist immer eine gute Ausrede, gerade unter denen, die sich für besonders “intellektuell” halten. Andererseits: Bei einem Verlag, der so großen Wert auf seine “literarische Würde” legt wie Suhrkamp wirkt das langohrige Cartoonmonster eigentlich erst recht verwirrend.

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