Bibliotheka Phantastika gratuliert Janny Wurts, die heute 60 Jahre alt wird. Schon seit ihrer Kindheit hatte die am 10. Dezember 1953 in Bryn Mawr, Pennsylvania, geborene Janny Wurts Interesse am Schreiben und am Zeichnen, von daher ist es kein Wunder, dass sie sich anfangs sowohl als Grafikerin wie auch als Autorin einen Namen gemacht hat. Mittlerweile ist die Grafikerin Janny Wurts zugunsten der Autorin in den Hintergrund getreten, auch wenn sie es sich normalerweise nicht nehmen lässt, die Cover ihrer Romane selbst zu gestalten – was immerhin den Vorteil hat, dass man als Leser davon ausgehen kann, dass das, was man auf dem Cover sieht, auch das ist, was die Autorin da haben wollte.
Janny Wurts’ erste professionelle Veröffentlichung war Sorcerer’s Legacy (1982, rev. 1989), ein nicht weiter bemerkenswerter Roman um eine verwitwete, aber zum Glück schwangere Herzogin, einen zeugungsunfähigen Prinzen, einen altruistischen Magier, einen schurkischen Schurken und die aus diesen und weiteren Ingredienzen resultierenden Palastintrigen. Zwei Jahre später erschien mit Stormwarden der erste Band des Cycle of Fire (unter diesem Titel 1999 auch als Sammelband), der sich einer beispielsweise auch von Marion Zimmer Bradley oder Anne McCaffrey benutzten Prämisse bedient: die Besatzung eines auf einer fernen Welt notgelandeten Raumschiffs hat ihre Herkunft vergessen, und folgerichtig sind die Menschen auf eine mittelalterliche Zivilisationsstufe zurückgefallen. Da sie aber nicht nur ihre Herkunft vergessen haben, sondern auch das, was sie mitgebracht haben, kämpfen sie nun – unterstützt von einem “magischen” Wesen, das einmal der Schiffscomputer war – gegen Dämonen statt Aliens. Die mit Keeper of the Keys und Shadowfane (beide 1988) fortgesetzte und auf Deutsch als Zyklus des Feuers mit den Einzeltiteln Sturmwächter, Schlüsselhüter und Schattentempel (alle 2000) erschienene Trilogie funktioniert als Entwicklungsroman der beiden Hauptfiguren ebenso wie als phantastische Abenteuergeschichte.
Dass zwischen dem ersten und den beiden nachfolgenden Bänden des Cycle of Fire so viel Zeit verstrichen ist, hat vermutlich damit zu tun, dass Janny Wurts zwischenzeitlich an dem Werk gearbeitet hat, das bis heute ihr bei weitem bekanntestes und erfolgreichstes geblieben ist, denn 1987 erschien mit Daughter of the Empire der gemeinsam mit Raymond E. Feist verfasste erste Band der Kelewan oder auch Empire Trilogy. Im Mittelpunkt dieses Romans und seiner beiden Fortsetzungen Servant of the Empire (1990) und Mistress of the Empire (1992) steht Mara von den Acoma, die auf Kelewan – der von Raymond E. Feist erschaffenen Welt auf der anderen Seite des Spalts, der er in Magician bereits einen Besuch abgestattet hatte – unversehens an die Spitze ihres Hauses gelangt und es gegen Intrigen und militärische Angriffe verteidigen muss. Da Mara aber keine dumme, schwache Frau ist, sondern es versteht, ihre Schwächen in Stärken zu verwandeln, sich die richtigen Verbündeten zu suchen und letztlich das Game of Council – das komplizierte Spiel um die Macht, das die mächtigen Adelshäuser der Tsurani unentwegt spielen – besser zu beherrschen als alle anderen, ist es kein Wunder, dass ihr weit mehr gelingt als nur ihr Haus zu retten. Die Kelewan-Saga – die auf Deutsch in sechs Bänden als Die Auserwählte, Die Stunde der Wahrheit, Der Sklave von Midkemia, Zeit des Aufbruchs, Die schwarzen Roben und Tag der Entscheidung (alle 1998) erschienen ist – erweist sich als gelungenes Beispiel dafür, dass die Zusammenarbeit zweier unterschiedlicher Autoren erstaunliche Synergie-Effekte haben kann, denn die hier vorhandene Mischung aus geradliniger Abenteuerhandlung, nachvollziehbar agierenden Figuren, politischen Intrigen und einem Setting mit mehr als einem Hauch Exotik (in Form der nichtmenschlichen Cho-ja) ergibt ein in jeder Hinsicht lesenswertes Werk.
Parallel zum letzten Band der Empire Trilogy erschien mit The Master of Whitestorm (1992) ein Einzelroman, den Janny Wurts wieder allein verfasst hatte, und den man vielleicht als eine Art Fingerübung zu dem umfangreichen Zyklus betrachten kann, den sie ein Jahr später mit The Curse of the Mistwraith begonnen hat und an dem sie heute noch schreibt: The War of Light and Shadow. In diesem auf elf bzw. zwölf Bände angelegten Zyklus (der eigentliche zweite Band wurde aus Umfangsgründen auch im Original fast immer gesplittet), von dem bisher neben dem bereits erwähnten Auftaktroman acht Bände – nämlich Ships of Merior (1994), Warhost of Vastmark (1995), Fugitive Prince (1997), Grand Conspiracy (1999), Peril’s Gate (2001), Traitor’s Knot (2004), Stormed Fortress (2007) und Initiate’s Trial (2011) – vorliegen, geht es um die im Rahmen des ersten Bandes zu ewiger Feindschaft verfluchten Halbbrüder Arithon, den Master of Shadow, und Lysaer, den Lord of Light, und um die Rolle, die sie beide in einer viel größeren Geschichte spielen, die vor langer Zeit begonnen hat. Wer nun allerdings meint, es ginge um den üblichen Kampf zwischen Licht und Schatten, der befindet sich auf dem Holzweg. Das Ganze ist Dank einer Reihe von Fraktionen und Gruppen, die mit teilweise recht unterschiedlichen Zielen ebenfalls in dem Konflikt mitmischen, und der Tatsache, dass der Zyklus in mehrere Unterzyklen (“Arcs”) aufgeteilt ist, deutlich komplexer als es anfangs scheint. Was zusammen mit dem alles andere als leicht lesbaren, komplizierten Stil, dessen sich Janny Wurts hier bedient, möglicherweise mit dafür verantwortlich ist, dass The War of Light and Shadow auch in den USA und England nicht annähernd den Bekanntheitsgrad hat, den ein Mehrteiler, der von einem Rezensenten einmal nicht ganz unzutreffend als “The Wheel of Time for adults” bezeichnet wurde, eigentlich haben müsste. Inwieweit das auch im Hinblick auf die Spannungsbögen allem Anschein nach stringent durchkonzipierte Werk letztlich gelungen ist, wird sich natürlich erst abschließend beurteilen lassen, wenn die beiden noch ausstehenden Romane (die Destiny’s Conflict und Song of the Mysteries heißen werden) erschienen sind. Deutschsprachigen Leserinnen und Lesern wird das allerdings wieder einmal schwer gemacht, denn hierzulande wurden nur die Bände I-III gesplittet unter dem Zyklustitel Der Fluch des Nebelgeistes (Einzeltitel: Meister der Schatten, Herr des Lichts (beide 1998), Die Schiffe von Merior, Die Saat der Zwietracht, Die Streitmacht von Vastmark, Das Schiff der Hoffnung (alle 1999)) und die Bände IV und V unter dem Zyklustitel Die Schattenkriege (Einzeltitel: Die Rückkehr des Nebelgeistes, Jäger und Gejagte, Die Verschwörung des Lichts (alle 2002) und Spiel der Schatten (2003)) veröffentlicht.
Wer sich deswegen an Janny Wurts im Original versuchen will, dem sei neben dem bereits erwähnten The Master of Whitestorm noch ihr 2002 erschienener Einzelroman To Ride Hell’s Chasm empfohlen. Beide Titel sind einerseits stilistisch und vom Erzählduktus her recht nah an The War of Light and Shadow dran, aber dank der überschaubaren Zahl der Hauptfiguren und des nicht annähernd so üppig ausgestalteten Settings wesentlich zugänglicher. Wer hier mit Janny Wurts’ Stil klarkommt, entdeckt möglicherweise eine Autorin für sich, die dann noch reichlich Lesestoff bietet.