Zum 90. Geburtstag von Gordon R. Dickson

Bibliotheka Phantastika erinnert an Gordon R. Dickson, der heute 90 Jahre alt geworden wäre. Gordon Rupert Dickson wurde am 01. November 1923 in Edmonton, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Alberta geboren, zog jedoch nach dem Tod seines Vaters 1937 mit seiner Mutter in die USA und nahm später die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Seine erste professionelle Veröffentlichung war die Kurzgeschichte “Tresspass!” in Fantastic Story Quarterly im Frühjahr 1950, die er zusammen mit Poul Anderson geschrieben hat, mit dem er seit Mitte der 40er Jahre befreundet war – eine Freundschaft, die ein Leben lang halten und zu weiteren Kollaborationen führen sollte. Im Laufe seiner langen, rund 50 Jahre währenden Schriftstellerkarriere hat Dickson sich vor allem als Autor von zumeist soliden, gelegentlich durchaus originellen und im Falles des unvollendet gebliebenen Childe Cycle sogar überaus ambitionierten SF-Romanen und -Erzählungen einen Namen gemacht. Genau wie sein Freund und Autorenkollege Poul Anderson hat er allerdings zwischendurch auch mal Fantasy geschrieben (in den 90ern sogar mehr als SF) und wurde für seinen allerersten Fantasyroman The Dragon and the George (1976) mit dem August Derleth Award – dem Preis der British Fantasy Society – ausgezeichnet.
The Dragon and the George fußt auf der bereits 1957 in der Septemberausgabe des Magazine of Fantasy & Science Fiction erschienenen Erzählung “St. Dragon and the George” und erzählt davon, wie der junge The Dragon and the George von Gordon R. DicksonAmerikaner Jim Eckert auf der Suche nach seiner bei einem fehlgeschlagenen Experiment in Sachen Astral-Projektion verschwundenen Verlobten in eine Fantasyversion des mittelalterlichen England gerät, in der es Ritter, Burgen, Drachen, Wölfe, Magie und Dunkle Mächte zuhauf gibt. Das Pikante dabei ist, dass Jim im Körper des Drachen Gorbash gelandet ist, der wie alle Drachen in dieser Welt intelligent ist und sprechen kann, und von dem er erfährt, dass man sich vor den hierzulande “Georges” genannten Menschen in Acht nehmen sollte, da diese gelernt haben, sich einen Panzer und Stacheln und Hörner wachsen zu lassen – und mit diesen Hörnern haben sie schon etliche, genau betrachtet viel mehr an Wein und Geschichten (und natürlich Schätzen) als an Kämpfen interessierte Drachen aufgespießt. Eigentlich will Jim nichts weiter, als dafür sorgen, dass Angie und er so schnell wie möglich wieder nach Hause kommen, doch bedauerlicherweise haben nicht nur die bereits erwähnten Dunklen Mächte etwas gegen diese Absicht, sondern die Ankunft von Angie und Jim hat das in dieser Welt vorherrschende Gleichgewicht der natürlichen Kräfte Chance und History empfindlich gestört. Und so bleibt Jim nichts anderes übrig, als sich zunächst einmal mit seinem Dasein im Körper eines Drachen anzufreunden und sich Verbündete zu suchen, die ihm dabei helfen können, einen Ausweg aus seiner Situation zu finden …
Auch wenn der 1980 unter dem Titel Die Nacht der Drachen erstmals auf Deutsch erschienene Roman mittlerweile mehr als 35 Jahre auf dem Buckel hat, ist er mit seiner Mischung aus leichthin erzählten, stellenweise wirklich witzigen Geschehnissen und Ideen, denen durchaus ernste Themen und Bedrohungen gegenüberstehen, auch heute noch lesenswert. Was nicht zuletzt an knapp, aber ausreichend charakterisierten Nebenfiguren wie dem hochrangigen Magier Silvanus Carolinus, dem ritterlichen Sir Brian Neville-Smythe, dem weltbesten Bogenschützen Dafydd Ap Hywel, der kaum schlechteren Bogenschützin Danielle o’the Wold oder auch dem (ebenfalls sprechenden, intelligenten) Wolf Aragh – das sind Jims Verbündete – bzw. an weniger angenehmen Zeitgenossen wie dem Drachen Bryagh liegt. Bedauerlich ist, dass Angie kaum über ihre Rolle als Damsel in Distress hinauskommt, doch ungeachtet dieser für Fantasyromane der 70er Jahre nicht gerade untypischen Schwäche darf man The Dragon and the George getrost als kleinen Klassiker des Genres bezeichnen.
Vierzehn Jahre später hat Gordon R. Dickson sich dem Setting erneut zugewandt und die Geschichte mit den Romanen The Dragon Knight (1990), The Dragon on the Border (1992), The Dragon at War (1992), The Dragon, The Dragon Knight von Gordon R. Dicksonthe Earl, and the Troll (1994), The Dragon and the Djinn (1996), The Dragon and the Gnarly King (1997), The Dragon in Lyonesse (1998) und The Dragon and the Fair Maid of Kent (2000) fortgesetzt. Auch wenn sie deutlich später entstanden sind, ist zumindest in den ersten drei oder vier neuen Romanen des Dragon Knight Cycle noch manches von dem zu finden, was The Dragon and the George ausgezeichnet hat. Die recht schematische, sich jeweils stark ähnelnde Handlungsführung sorgt allerdings für allmählich auftretende Ermüdungserscheinungen, über die auch die gelegentlich immer noch auftauchenden guten Ideen oder die sympathischen Haupt- und Nebenfiguren nicht hinwegtäuschen können. Dennoch bleibt der 1997 mit einer Neuauflage von Die Nacht der Drachen auch in Deutschland gestartete und mit den Titeln Der Drachenritter, Der Drache an der Grenze, Der Drache im Krieg, Der Drache, der Graf und der Troll, Der Drache und der Dschinn (alle 1997) und Der Drache und der Wurzelkönig (2000) fortgesetzte Drachenritter-Zyklus (die Originalbände acht und neun wurden nicht übersetzt) ein Werk, das auf seine leichthin erzählte, manchmal wirklich witzige Weise einen willkommenen Kontrast zu den eher schwerfällig dahinstapfenden epischen Fantasyzyklen bietet.
Über sein England der Drachen und der Georges hinaus hat Gordon R. Dickson nur noch zwei weitere Beiträge zur Fantasy verfasst, die beide im Shared-World-Universum der Thieves’ World angesiedelt sind: den Roman Jamie the Red (1982, mit Roland Green) und die Erzählung “Beyond the Dar al-Harb” in der ebenso betitelten Kurzgeschichtensammlung (1985). “St. Dragon and the George” (1957), die Geschichte, aus der schließlich der Dragon Knight Cycle hervorgehen sollte, wurde übrigens mehrfach nachgedruckt, beispielsweise in der Dickson-Collection The Last Dream (1986) oder auch, recht aktuell, in der von Jonathan Strahan und Marianne S. Jablon herausgegebenen Anthologie Wings of Fire (2010).
Die letztgenannte Veröffentlichung hat Gordon R. Dickson allerdings schon längst nicht mehr miterlebt, denn er ist bereits am 31. Januar 2001 an Komplikationen im Zusammenhang mit seiner schweren Asthma-Erkrankung, an der er fast sein ganzes Leben lang gelitten hatte, im Alter von 77 Jahren gestorben.

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