: Musik, Kunst & Literatur

Der Bildband Art of the Duckomenta zeigt die Kunstwerke der Künstlergruppe interDuck, die leichtfüßig die Kunstgeschichte neumalt und -zeichnet. Protagonisten sind Donald, Dagobert, Daisy & Co., und sie alle begegnen uns in den größten Kunstschätzen unserer Kultur. Humorvolle Begleittexte in englischer, französischer und deutscher Sprache vervollständigen das perfekte Bild des Duck-Universums, was viele Leser in ihrer Kindheit als ihr Zuhause bezeichnet haben dürften.

– Jugend und Bohème haben stets eine eigene Vorstellung, wie man Spießbürger am besten ärgern kann. “Kunst kommt von Quälen”, behauptet die Avantgarde. Sie verbringt ihre Tage im Café, malt Rauchkringel in die Luft und trinkt Absinth. Sie nennt dies Arbeit. Mit dem Impressionismus hätte man jetzt eigentlich Geld verdienen können, aber das wäre gegen jede Künstlerehre. So malen die einen wieder, was sie sehen, und die anderen, was das Publikum nicht sehen möchte. In so manchen Fällen sind das Enten. –
– La Bohème, S. 206

Von A wie Agamemdux bis Z wie Zorngiebel: in Art of the Duckomenta dreht sich alles um das geflügelte Wort und Bild. Es mag manchen Leser erstaunen, doch die europäische Kunstgeschichte wurde maßgeblich von Enten bestimmt – ein Fakt, der so oft unter den Teppich gekehrt wird, dass ihm jetzt ein ganzer Bildband gewidmet wurde. Die größte Kunst dieses außergewöhnlichen Kunstbandes ist die konsequEnte Inszenierung einer Parallelwelt, in der Troja mit der Trojanischen Ente beschenkt wird, Wagner dank Schnabel erstmals gutmütig aussieht und die Kunstrichtung „Baumaus“ für Furore sorgt. Von Vor- bis Nachwort, von Ägyptischer Kunst bis hin zur Kunst der Moderne, die Inszenierung ist perfekt und meistert den Spagat zwischen Klamauk und Satire mühelos. Die gelbschnäbeligen Helden unserer Kindheit sind, so wird dem Leser mehr als deutlich bewusst, erwachsen geworden, denn war „ernsthafte“ Kunst und die intellektuelle Kunstbetrachtung nicht immer eine Erwachsenendomäne, eine fremde Welt, zur der einem als Kind auch mit viel Phantasie kein Zugang gewährt wurde? Die im Bildband dargestellten Kunstwerke richten sich, und auch das wird schnell deutlich, endlich an das Kind in uns, denn wie heißt es so schön? Kunst kommt von ZACK BOING KREISCH!

Liebevoll und spöttisch zugleich werden die Spielräume der Bildinterpretation ausgereizt, dass es für Leser wie mich, die in der Schule den Kunstleistungskurs belegten, weil sie nicht wussten, was sie taten, eine wahre Freude ist. Weder Martin Luther noch Louis XIV. sind sicher vor dem Medium „Comic“, welches seine vierfingrigen Hände nach allen Epochen ausstreckt und alle wichtigen Künstlerpersönlichkeiten und deren Opfer zu fassen bekommt. Die Begleittexte sind, neben den meisterlich verfremdeten Kunstwerken, die weit über die bloße Verschnabelisierung hinausgeht, das i-Tüpfelchen des Werkes. Hintergründe werden erdichtet, Jugendbewegungen erdacht und Künstlerschicksale enten anders, als gedacht; neben all der Phantasterei verliert der Leser jedoch nie den Bezug zu unserer realen Kunstwelt (die, nebenbei erwähnt, ohne all die Federn, Zwicker und Matrosenanzüge danach einfach etwas farblos wirkt). Denn nicht zuletzt ist der Bildband ein leicht-, wenn auch plattfüßiger Spaziergang durch mehr als 4000 Jahre Kunst- und Kulturgeschichte. Wie nebenbei lernt der Leser nicht nur allerlei Jahreszahlen, sondern bekommt etwas zurück, was er vielleicht auf dem halben Weg zwischen Kindheit und Erwachsensein verloren hat: die Begeisterung für (komische) Kunst und die insgeheime Freude an wunderbaren Albernheiten.
Für all diejenigen also, deren Herz nicht für, sondern in einer Entenbrust schlägt, sowie für alle Kunst-, Quack- und Quatschinteressierte ist Art of the Duckomenta eine wahre Schatzgrube zum Blättern, Lesen und vergnüglichen Entellektualisieren.

The Coyote Road von Terri Windling und Ellen DatlowThe Coyote Road ist eine Anthologie, in der Genre-Autoren verschiedenen Trickster-Figuren nachspüren, überlieferten rund um die Welt wie Anansi, Coyote oder Kitsune, und neuen, die frische Interpretationen der Erzählmuster von Trickstergeschichten zulassen.

-You’ve probably seen those shoes by the side of the road. Just a shoe, lying in the dust just off the roadway. Not two shoes together. One odd shoe.-
One odd Shoe, Pat Murphy

Trickster treten in fast jeder Kultur in der einen oder anderen Form auf und sind faszinierende Figuren, weder gut noch schlecht, sondern einfach außerhalb der moralischen und gesellschaftlichen Kategorien und schon allein aufgrund dieser Position mächtig, aber meist nicht mit klassischen Formen der Macht ausgestattet – sie müssen sich durchmogeln. Mythen-Expertin Terri Windling erklärt im Vorwort der von ihr gemeinsam mit Ellen Datlow herausgegebenen Anthologie die verschiedenen Gestalten und Traditionen der Trickster-Figur, und damit ist man bestens gerüstet für die 22 Geschichten und 4 Gedichte, die darauf folgen.

Von den verschiedenen Zeiten, Stilen und Settings, in denen die Trickster in The Coyote Road auftreten, funktionieren die Geschichten mit modernem Hintergrund oft am besten – der Trickster ist eine Figur, die sehr stark mit dem Milieu arbeitet, und das kann ein Autor wie Charles de Lint beispielsweise bravourös in The Crow Roads heraufbeschwören, wo ein mysteriöser Fremder die Ödnis eines kleinen kanadischen Städtchens aufbricht, oder Pat Murphy mit der Eröffnungsgeschichte, die im amerikanischen Westen augenzwinkernd eine Frage aufklärt, die beinahe so spannend ist wie die nach den Einzelsocken in der Waschmaschine. Ebenfalls sehr stark in ihrem Milieu verwurzelt ist Delia Shermans The Fiddler of Bayou Teche, das die klassische Geschichte vom Pakt mit dem Teufel mit sumpfigem Südstaatenflair (und -slang) und Werwölfen neu belebt.
Die historisch angehauchten Geschichten sind zwar alle solide, aber ihnen fehlt häufig der Pfiff, der die Trickster in den moderneren Settings richtig schillern lässt – in alten Zeiten treten sie eher als Götter auf, unverständlich in ihren Motiven und den Menschen recht fern.

An sich sind Trickster ein famoser Kurzgeschichtenstoff, weil sie nicht bleiben. Sie ziehen durch, sind Momenterscheinungen – Glück oder Unglück, das je nach Perspektive über die Menschen hereinbricht und ihren Alltag ausschaltet. Dort lösen sie manchmal wie im Mythos Probleme, mit denen die Gesellschaft allein nicht fertig wird: Ein mysteriöser Fuchs hilft in Realer than You von Christopher Barzak einem entfremdeten Jungen beim Einleben in einem neuen Land, die Cat of the World von Michael Cadnum beschäftigt sich schon seit Jahrhunderten damit, das Leben für Katzen (und manchmal auch Menschen) besser zu gestalten.
Andere Trickster sind wie ein Sturm, der über die Menschen herfällt und sie häufig zum Vergnügen, selten mit richtig ernsten Absichten, wie Spielfiguren herumschiebt. Nur ganz selten gibt es eine Geschichte aus der Sicht eines der Trickster: Richard Bowes’ A Tale for the Short Days wirft einen Blick aus den Augen eines vielseitigen Diebesgottes auf die Welt, und im herrlich rätselhaften und bildgewaltigen Black Rock Blues von William Shetterly muss man sich erst einmal erarbeiten, wer warum in so großen Nöten ist und welche Rollen die auftretenden Figuren bekleiden. Häufig begegnen wir auch menschlichen Trickstern, etwa bei Patricia McKillip, oder die Trickster werden ausgetrickst wie bei Holly Blacks groteskem Besuch im Kosmos der Fresswettbewerbe. Ein weiteres prominentes Thema sind Trickster, die sich vergessen haben und sich quälen, bis ihr funkelndes Ich wieder durchbricht.

Neben Shermans, de Lints und Shetterlys Geschichten ist Kelly Links The Constable of Abal ein Highlight der Anthologie, das einen prächtigen Kosmos aus dekadenten, skurrilen Städten ausbreitet, durch den eine mehr als dysfunktionale kleine Familie mit einem nicht ganz fassbaren Geheimnis zieht. Theodora Goss trägt mit How Raven Made His Bride ein fesselndes Erzählgedicht bei, das lose auf nordamerikanischen Mythen aufbaut. Kij Johnson packt das Tricksterthema mit einem beinahe akademischen Ansatz an und seziert mit The Evolution of Trickster Stories Among the Dogs of North Park After the Change nicht nur den Archetypus, dem sich die ganze Anthologie widmet, sondern auch unser Verhältnis zu Tieren. Und auch Jeffrey Ford hat in The Dreaming Wind die Essenz des Tricksters herausgefiltert und lässt ihn völlig körperlos als urtümliche, verändernde Kraft auftreten, als die Kreativität selbst.

Da The Coyote Road eigentlich keine Ausfälle hat und die besten Geschichten die Facetten des Tricksters sehr gründlich einfangen, ohne ihm seine Unerklärlichkeit zu nehmen, kann man die von Charles Vess liebevoll ausgestattete Anthologie uneingeschränkt allen empfehlen, die sich diesen ambivalenten Figurentypus und sein Changieren zwischen erhabenem Mythos und Profanität näher anschauen wollen.

Diving Mimes, Weeping Czars and Other Unusual Suspects von Ken ScholesDie siebzehn Kurzgeschichten führen diesmal auf die Erde nach einem Alien-Angriff, Kolonien auf fernen Planeten, deren Siedler längst die Technik vergessen haben, in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts, ins Herz eines Galaktischen Imperiums, in eine Bar irgendwo im Westen und an etliche andere Orte zu anderen Zeiten.

-Frederico leaned close to smell the poison on his thirteenth wife’s cold, dead lips.-
A Weeping Czar Beholds the Fallen Moon

Auch Ken Scholes’ zweite Sammlung von Kurzgeschichten – eine Form, in der der Autor zu Hause ist wie der Fisch im Wasser – bietet wieder einen kreativen Reigen von vor allem thematisch und durch ihre überbordende Phantasie verbundenen Episoden, die völlig verschiedenen Subgenres zuzuordnen sind und die Tür zu ihren jeweiligen Welten einmal weit aufreißen, um sie nach einem kurzen Blick wieder zu schließen.
Das Nachwort verrät – falls man es sich nicht aus den Texten selbst erschließen konnte – die Zugehörigkeit einzelner Geschichten zu größeren (meist noch ungeschriebenen) Zyklen oder einem gemeinsamen Setting.

Zwei der Geschichten gehören zur Psalms of Isaak (Die Legende von Isaak)-Reihe, darunter die lange Eröffnungs-Erzählung, die eine gute Ergänzung zum zweiten Band der Reihe darstellt und in eine frühere Ära der Benannten Lande führt. Of Missing Kings and Backward Dreams and the Honoring of Lies ist dagegen ein früher Entwurf für den ersten Band, als dieser noch als Zyklus aus mehreren Kurzgeschichten konzipiert war, und gibt einen guten Einblick in Scholes’ schöpferischen Prozess.
In beiden Geschichten tritt eines seiner großen Talente zutage: Mit der Weltschöpfung auch auf kleinstem Raum mehr zu vermitteln als andere in ganzen Zyklen und dieses Grundkonzept der Fantasy, das Simulieren von großen Welten mit wenigen Worten, damit auf die Spitze zu treiben.
In beinahe jeder Geschichte in Diving Mimes and Weeping Czars kann man staunend davorsitzen, wenn dieser Trick wieder und wieder gelingt, etwa in der knallig bunten und tieftraurigen postapokalyptischen Erde der Four Clowns of the Apocalypse and the Mecca of Mirth, die sich schnell ein neues Bezugssystem aus Mythen und Geschichten zugelegt haben, oder im pangalaktischen Invisible Empire of Ascending Light, das schon etliche Schismen hinter sich hat und in der tragischen Erzählung nur eine Ahnung der Geschichten vermittelt, die sich innerhalb seiner Grenzen abspielen könnten.
Dieses unerwähnt bleibende Mehr, das in vielen Geschichten der Sammlung mitschwingt, ist mitunter Scholes’ größte Trumpfkarte.

Eine andere sind seine Themen: Fast alle Geschichten haben spirituelle, aber auch religionskritische Untertöne, in einigen rücken sie auch in den Vordergrund, wie etwa bei On the Settling of Ancient Scores, wo es Gott und der Teufel in einer Bar austragen wollen, oder The God-Voices of Settler’s Rest, einer melancholischen Rückschau auf ein Leben, das einer ominösen Religion gewidmet war.
Auf verschiedenen Wegen nähert sich Scholes auch dem Umgang mit dem Tod (absurd und tragikomisch, aber psychologisch unfehlbar in Grief-Stepping to the Widower’s Waltz, mit eindeutig durchschimmernder Eigenerfahrung in The Taking Night). Zwei Liebesgeschichten bereiten auch dieses Thema verspielt und geschickt auf: Love in the Time of Car Alarms ist eine niedliche, aber unkitschige Romanze in Scholes’ Superhelden-Universum, There Once Was a Girl in Nantucket reiht die Liebe als ein weiteres Element in eine Parade von surrealen Ereignissen ein.

Viel Vergnügen machen auch zwei Geschichten, die auf den Artus-Mythenkreis zurückgreifen, diesen aber sehr ungewöhnlich umsetzen: eine entpuppt sich als auf schlichte Weise schön und bleibt dicht an ihrem adoleszenten Helden, der in die Fußstapfen von Tom Sawyer und Huckleberry Finn zu treten scheint, die andere tischt ein kurioses, drastisches Setting auf und wird von Scholes’ Inszenierung der Heldenwerdung seiner Figuren getragen – wie schon in früheren Geschichten versteht er es, völlige Außenseiter in diese Rolle zu drängen und ihnen in den richtigen Momenten Pathos zu verleihen.
Nicht nur in dieser Geschichte ist die Zeit nach der Apokalypse ein Thema, zu dem Scholes immer wieder zurückkehrt – er beschreibt Neuanfänge, oft Rückfälle auf niedrigere Entwicklungsstufen, oder eine völlige Veschiebung des gesellschaftlichen Paradigmas, meist weg von der Rationalität, hin zum Glauben oder zu Welten, in denen Mythen und Geschichten Realität stiften.

Diese Mythen zaubert er aus dem Hut, als wären sie im Dutzend billiger – Ähnlichkeiten und gemeinsame Ursprünge lassen sich feststellen, genauso, wie sich nach und nach ein Mosaik aus Geschichten ergibt, die Teil eines größeren Entwurfs sind. Selbst in den kürzesten Geschichten, dem poetischen SF-Action-Kracher (!) The Night the Stars Sang Out My Name und der düsteren und trotzdem warmherzigen Endzeit-Episode What Child is This I Ask the Midnight Clear, scheut sich Scholes nicht, eine Fülle von Hintergründen durchscheinen zu lassen, die auf mühelose Weise authentisch wirkt.
Eines der Highlights der Sammlung, The Second Gift Given, ist dann auch zugleich Schöpfungs- und Zukunftsmythos und kann außerdem gut als Beispiel dafür dienen, dass die anspruchsvollen Konstruktionen des Weltenbaus niemals die menschliche Basis der Geschichten überragen: Es behandelt ein moralisches Thema, mit dem beinahe jeder Mensch irgendwann einmal konfrontiert wird, auf so einfühlsame Weise und gleichzeitig mit einem solchen Weitblick, dass man schon allein für diese eine Geschichte unter siebzehn diese Sammlung ins Regal stellen sollte.

Cover von Endymion Spring von Matthew SkeltonMainz zur Zeit Johannes Gutenbergs: Im Dunkel der Winternacht schleift eine abgerissene Gestalt eine schwere Truhe durch den Schnee. Um den Deckel der Truhe winden sich Schlangen aus schwarzem Metall.
Jahrhunderte später streift Blake gelangweilt durch die Bibliothek des ehrwürdigen St. Jerome’s College in Oxford. Er zieht ein Buch aus dem Regal, und plötzlich ist ihm, als hätte ihn etwas in den Finger gestochen. Auf dem Einband des Buches steht, verblichen und kaum noch lesbar Endymion Spring. Er ist auf ein uraltes Geheimnis gestoßen.

-Jetzt erkannte ich das Verhängnisvolle meiner Handlungsweise. Ich hatte die ganze Welt des Wissens geöffnet – das Buch der Bücher, dessen Ende nicht vorstellbar war. Wie konnte ich es wieder schließen?-
(Mainz, Frühjahr 1453)

Das Buch der Bücher – jeder stellt sich darunter etwas anderes vor und es gibt so manche Bücher, die so genannt werden. In dem Debütroman von Matthew Skelton spielt ebenfalls ein solches Buch eine wichtige Rolle. Skelton hat mit Endymion Spring – Die Macht des geheimen Buches ein durchaus spannendes und anspruchsvolles Jugendbuch vorgelegt, das auch mit einer gehörigen Portion historischem Hintergrund aufwarten kann. Auf zwei Zeitebenen, schön voneinander durch eigene Titelblätter getrennt, in zwei Handlungssträngen, wird einem Krimi gleich erzählt, wie das Buch der Bücher entstand und wie es von Mainz nach Oxford gelangte.

Wie im Allgemeinen bei Jugendbüchern üblich, ist die sprachliche Gestaltung eher einfach und dem jugendlichen Leser angepasst. Die Sätze sind nicht zu lang, Begriffe und Ausdrücke aus der untersten Schublade werden vermieden und auf komplizierte Schachtelkonstruktionen wird ebenfalls verzichtet. Die Charaktere der Figuren sind nicht besonders tief sondern eher stereotyp angelegt, so dass die Figuren genaugenommen bestimmte menschliche Eigenschaften verkörpern. “Gut” und “Böse” werden klar definiert, was vor allem bei den Nebenpersonen deutlich wird, die  sich mehr oder weniger auf eine oder zwei Eigenschaften festnageln lassen.

Aus diesem Grund mag das Buch vor allem für den erwachsenen Leser keine besondere Herausforderung darstellen, und doch wäre es schade, würde man aus dieser oberflächlichen Beurteilung heraus auf die Lektüre verzichten bzw. das Buch ungelesen an seine halbwüchsigen Kinder weitergeben. Endymion Spring – die Macht des geheimen Buches ist ein Jugendroman mit einer schönen Idee, die der Autor wunderbar umgesetzt hat. In dem Katz-und-Maus-Spiel rund um das wertvolle Buch finden sich kleine Ausflüge in die Anfänge der Kunst des Buchdrucks und in die Geschichte der Universität Oxford. Dies und die kleinen geschickt eingestreuten Hinweise aus dem Faust sind wahre intellektuelle Leckerbissen für pfiffige junge Leser, aber auch für den Erwachsenen. Wenn man diese gelegten Spuren aufnimmt, stöbert man vielleicht in der nächstgelegenen Bibliothek nach dem Wappen Johannes Gutenbergs … oder nach Endymion Spring selbst … und man hat dann vielleicht ein bisschen das Gefühl, das Buch aus der Haut des geheimnisvollen Blätterdrachen hätte einen auserwählt und sich ein Stückchen weit für einen geöffnet …

-Jetzt erkannte ich das Verhängnisvolle meiner Handlungsweise. Ich hatte die ganze Welt des Wissens geöffnet – das Buch der Bücher, dessen Ende nicht vorstellbar war. Wie konnte ich es wieder schließen?-
(Mainz, Frühjahr 1453)

Cover von Eric von Terry PratchettEric Thursley wünscht sich drei Dinge. Er möchte die Herrschaft über die Königreiche der Welt, er will der schönsten Frau aller Zeiten begegnen und er möchte ewig leben. Also versucht er einen Dämon zu beschwören, der ihm diese drei Wünsche erfüllt. Statt eines Dämons erscheint jedoch der Zauberer Rincewind und damit geht wieder einmal alles schief, was schief gehen kann.

-Tods Bienen sind groß und schwarz, summen dumpf und unheilvoll.-

Diese Parodie auf Goethes Faust ist Pratchett weitaus weniger gelungen als die Shakespeare-Parodie in MacBest. Anstatt sich auf Faust I zu beschränken, der schon im Original neben der Gretchentragödie auch viele witzige Stellen aufweist, z.B. wenn Mephistopheles auf Marthe Schwerdtlein trifft, bezieht Pratchett sich u.a. mit der Helena-Episode auf den viel schwerer zu verstehenden und stark philosophischen Faust II, den selbst die meisten Deutschen nicht gelesen haben dürften. Wenn Pratchett aber die Ilias und die Odyssee parodieren wollte, hätte er sich den Umweg über “Faust” sparen können und statt des trojanischen Krieges samt hölzernem Pferd lohnendere Motive aus der griechischen Sagenwelt wählen können. Angeboten hätte sich z.B. die Geschichte, in der Circe die Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt. Auch die Wortspiele zünden nicht so wie in anderen Scheibenweltromanen.

Für die Statistik: Pratchett macht nicht nur Anleihen bei “Faust” und den alten Griechen, er bezieht sich auch auf die Azteken, auf die Schöpfungsgeschichte der Bibel und er zeigt, daß die Hölle eine bürokratische Behörde ist.

Da das Buch mit 154 Seiten relativ dünn ausgefallen ist, regt sich der Verdacht, daß Pratchett mit “Eric” nur einen einigermaßen einleuchtenden Vorwand gesucht hat, um Rincewind aus der Zwischenwelt zurückzuholen in die er in “Der Zauberhut” geraten ist. Dazu kann man einen Dämonenbeschwörer wie Faust natürlich gut gebrauchen. Allerdings hat er damit ein lohnendes Thema weit unter Wert verschenkt.

Cover von Der Fall Jane Eyre von Jasper FfordeEngland, 1985: Der Krimkrieg zwischen England und dem zaristischen Rußland dauert schon über 130 Jahre. Wales ist eine Volksrepublik. Weite Strecken legt man mit dem Luftschiff zurück und manchmal gerät die Zeit aus den Fugen. Literatur besitzt einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Da lohnt es sich für gewissenlose Subjekte, Verbrechen an der Literatur zu begehen. Thursday Next ist LiteraturAgentin in den Diensten des Special Operations Network und arbeitet an der Aufklärung solcher Verbrechen. Meistens geht es dabei um Fälschungen oder Raubdrucke. Doch eines Tages stiehlt der skrupellose Acheron Hades Dickens Originalmanuskript des Martin Chuzzlewit und bald stellt sich heraus, daß diese Aktion nur als Generalprobe gedient hat: Für den Fall Jane Eyre.

-Mein Vater hat ein Gesicht, das eine Uhr stoppen kann.-

Sie kennen sich in der englischen Literatur aus? Und gleichzeitig besitzen Sie eine Vorliebe für Agentenkomödien? Sehr gut! Damit erfüllen Sie die Voraussetzung, um diesen Roman von Jasper Fforde voll und ganz genießen zu können.

Die Welt, in der Thursday Next lebt, wird – abgesehen vom Krimkrieg – vor allen Dingen von der Literatur bestimmt. Die Hälfte der Bevölkerung hat ihren Namen in “John Milton” umgeändert, aus Verehrung für den großen Dichter. Baconier gehen wie die Zeugen Jehovas von Tür zu Tür, um die Menschen davon zu überzeugen, daß Francis Bacon die Werke Shakespeares verfaßt hat. Die Frage, wer Hamlet, Macbeth, Romeo und Julia etc. verfaßt hat, wird äußerst heftig diskutiert. Allen Literaturfreunden kann ich verraten, daß dieses Rätsel schließlich definitiv gelöst wird. Aber das ist nur ein Nebenprodukt der Geschichte. Kenntnisse der englischen Literatur benötigt man nicht nur, um Spaß an dieser bizarren Welt zu haben, sondern auch, um die vielen Anspielungen und Zitate zu verstehen. Und wer seine Jane Eyre nicht gut genug kennt, wird die Spur nicht bemerken, die Fforde für den Leser legt.

Diese Hommage an die Literatur verbindet Jasper Fforde mühelos mit einer James-Bond-Parodie. Die Agentin Thursday Next macht sich auf, den Superschurken Acheron Hades zur Strecke zu bringen. Der bedroht zwar nicht die ganze Welt, aber er begeht ein Verbrechen an der Literatur, das zumindest die Welt der Fans des Romans Jane Eyre zusammenbrechen läßt. Wie bei James Bond gibt es auch einen Erfinder: Thursdays Onkel Mycroft. Onkel Mycroft hat bei einem seiner letzten Experimente seinen Assistenten in ein Baiser verwandelt, seitdem hilft Tante Polly ihrem Mann bei den Versuchen, die durchaus nicht alle tödlich enden. Mycroft ist es gelungen, Pizza per Fax zu versenden, er hat einen Bleistift mit eingebauter Rechtschreibprüfung erfunden und in seiner Garage steht ein Rolls Royce, der die Farbe wechseln kann. Außerdem hat er einen Weg gefunden, wie man in Bücher einsteigen kann und wenn man Glück hat, auch wieder heraus kommt. Falls Sie jetzt vermuten, daß dies ein zentraler Punkt der Handlung ist, dann liegen Sie richtig. Außerdem mischt Thursdays Vater von Zeit zu Zeit in der Geschichte mit und die “Goliath Corporation”, eine Organisation, die wie Orwells Big Brother nicht nur ihre Augen überall hat, sondern auch noch ihre schmutzigen Finger.

Cover von Der Funke des Chronos von Thomas FinnDer Medizinstudent Tobias bekommt die Möglichkeit, mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit Hamburgs zu reisen und gelangt ins Jahr 1842. Eine unheimliche Mordserie erschüttert gerade die alte Hansestadt, und Tobias stört durch sein plötzliches Auftauchen den Mörder bei der Beseitigung eines Opfers. Die Ereignisse überschlagen sich und Tobias muss die Zeitmaschine zurücklassen. Am nächsten Tag ist sie verschwunden. Auf der Suche danach gerät er ins Visier des Mörders und stößt bei seinen weiteren Nachforschungen auf den Dichter Heinrich Heine. Die beiden werden zu unfreiwilligen Verbündeten und jagen (jeder aus eigenen Motiven) den Mörder.

-Die Knochen splitterten wie brüchiges Glas, als die Droschke über den Katzenkadaver rollte. Soeben läutete das Uhrwerk der Michaeliskirche zur zwölften Nachtstunde. Mit dem zweiten Glockenschlag wurde der ausgedörrte Tierleib emporgewirbelt und landete auf dem schmalen Trottoir der Admiralitätsstraße, die bis hinunter zum Schaarthor mit Abfällen übersät war.-
(Menetekel, Hamburg 1842, Nacht des 2. Mai, 4 Minuten nach Mitternacht)

Thomas Finn arbeitet mit einem Handlungsstrang, der sich mit hohem Tempo vor dem Leser entrollt, und in zwei Zeitebenen unterteilt ist: Die Geschichte beginnt zunächst im Jahr 1842, danach wird Leser in den nächsten drei Kapiteln in die Gegenwart (in das Jahr 2006) versetzt, um dann mit der Feststellung Tempus fugit wieder ins Jahr 1842 zurückzukehren.
Finn ist es – vor allem auf Grund der gründlichen Recherchen in den Archiven und Bibliotheken seiner Wahlheimat Hamburg – sehr gut gelungen, ein stimmiges Bild der Hansestadt zur Biedermeierzeit zu zeichnen. Die Geschichte entführt den Leser in die Tage kurz vor und nach dem Ausbruch des Großen Brandes in der Nacht zum 5. Mai 1842. Dass die Ursache des Brandes bis heute nicht geklärt ist, nutzt der Autor geschickt, um seine Erklärung dafür zu finden und sie hier erzählen …

Das historische Hamburg mit seinen windschiefen Holz- und Fachwerkhäusern, seinen winkligen Gassen und verruchten Ecken ist äußerst lebendig gestaltet und die Menschen, die diese Straßen, Gassen und Marktplätze bevölkern, sind mit wenigen gut gewählten Worten treffend geschildert. Gerade an den Nebenfiguren merkt man, wie viel Liebe in der Gestaltung des Romans steckt: Der Autor gibt seiner Geschichte nämlich noch zusätzlich Authentizität, indem er vor allem in der wörtlichen Rede Dialekte benutzt, und da die Handlung in Hamburg und Umgebung angesiedelt ist, wird häufig das Hamburger Platt verwendet. Dadurch wirken die sozialen Milieus deutlich näher, als durch eine durchgängige Verwendung der hochdeutschen Schriftsprache.

Es kommen noch andere Dialekte vor und Leser, die mit ihnen nicht vertraut sind, könnten mit diesen Textpassagen evtl. Schwierigkeiten haben, aber geschriebenes “Platt” (oder die anderen Dialekte) lassen sich auch ohne “Sprachkenntnis” ganz gut entziffern und wenn Wörter wirklich für Außenstehende nicht mehr zu verstehen sind, werden sie vom Autor in einer kleinen Fußnote erklärt.

Thomas Finn scheint seine Wahlheimat wirklich zu lieben – denn dieses Buch ist eine einzige Liebeserklärung an die alte Kaufmannsstadt, aber auch eine Hommage an den britischen Schriftsteller H. G. Wells: Die Beschreibung der Zeitmaschine zu Beginn der Geschichte kommt jedem sofort bekannt vor, der den Film Die Zeitmaschine aus dem Jahr 1960 gesehen, oder vielleicht sogar Wells 1904 erstmals auf deutsch erschienenes Buch gelesen hat.

Die Furcht des Weisen von Patrick RothfussKvothe erzählt Chronicler und Bast ein weiteres Stück seiner wildbewegten Lebensgeschichte: Der Konflikt mit seinem in der Thronfolge ein wenig aufgerückten Dauerrivalen Ambrose führt an der Universität zu neuen Verwicklungen, die ein Urlaubssemester ratsam erscheinen lassen. Auf Empfehlung eines Bekannten will Kvothe die Zeit und seine musikalische Begabung nutzen, um einen mächtigen Adligen als Förderer zu gewinnen. Doch auf seiner Reise gerät er von einem Abenteuer ins nächste und sieht sich in seinen Nachforschungen über die Chandrian und den geheimnisvollen Orden der Amyr mit immer mehr Rätseln konfrontiert …

– Der Morgen nahte. Das Wirtshaus zum WEGSTEIN lag in Stille, und es war eine dreistimmige Stille. –
Prolog, Eine dreistimmige Stille

Zu Die Furcht des Weisen liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Anmerkung: Der Roman wurde in der deutschen Übersetzung gesplittet. Die verlinkte Rezension bezieht sich daher auf die beiden deutschen Bände Die Furcht des Weisen 1 und Die Furcht des Weisen 2.

Hollow Earth CoverMatt und Emily warten gelangweilt auf ihre Mutter, die einen Gesprächstermin im Museum hat und die Zwillinge in den Galerieräumen zurücklässt. In glühender Sommerhitze betrachten Matt und Emily Seurats ‘Bathers at Asnières’, und nur einen Moment später baden sie im kühlen Nass und spielen am Flußufer. Doch ihre Gabe, Kunst zum Leben zu erwecken, bringt nicht nur die Geschwister selbst, sondern auch ihre Familie in Gefahr …

THIS book is about the nature of beasts.
Gaze upon these pages at your peril.
– Kapitel 1

Was kann er nicht alles: schauspielern, singen, tanzen, jedwede Spezies verführen – und nun auch noch schreiben? John Barrowman, den meisten bekannt als Captain Jack Harkness aus den britischen Serien Doctor Who und Torchwood, beweist gemeinsam mit seiner Schwester Carole Barrowman, dass nicht nur in ihrem Roman Hollow Earth begabte Geschwisterpaare beeindruckendes leisten können. Während das gemeinsame Schreiben sich vorher auf die Biographie von John konzentrierte, entstand mit Hollow Earth ihr erster gemeinsamer Roman, der auf einer Fahrt von London nach – natürlich – Cardiff Gestalt annahm. Kenner der Torchwood’schen Hauptstadt werden ein Rift in Space and Time vermuten, durch das zu viel Kreativität auf zwei Gehirne verteilt wurde; eine Theorie, die bei der Lektüre des Buches immer wahrscheinlicher wird.
Mit dem Jugendroman Hollow Earth entführen uns die Geschwister Barrowman in eine Welt, in der sich bereits Zwölfjährige für Kunst interessieren: die Geschwister Matt und Emily, die bei ihrer Mutter aufwachsen, sind Zwillinge und teilen eine besondere Gabe, die über das gegenseitige Beenden von Sätzen weit hinausgeht. Sie sind Animare: Mithilfe ihrer Vorstellungskraft erwecken sie Kunst zum Leben und können Ausflüge in ihre Lieblingsgemälde unternehmen. Als Leser ahnt man bereits, dass diese Fähigkeiten nicht nur genutzt werden können, um unter Happy Little Trees zu wandeln; vielmehr befinden sich die Zwillinge durch ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten bald in großer Gefahr. Denn vielleicht ist Hollow Earth, das sagenumwobene Reich, wo alle Monster und Dämonen gefangen sind, doch mehr als nur ein Kinderspuk – zumal sich Kinderspuk von begabten Animares wie Emily und Matt nie an die Grenzen der Realität halten.

In diesem spannend Setting reist der Leser mit den Zwillingen nicht nur durch verschiedene Gemälde, sondern erkundet auch die reizvolle Landschaft schottischer Inseln, die, ganz im Sinne des Romans, lebhaft und deutlich vor dem inneren Auge Gestalt annimmt. Ganz zu schweigen von den Fabelwesen, die einem bei diesen Reisen begegnen können. Matt und Emily jedoch hadern mit ihren Fähigkeiten, die nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Familie und engsten Freunde in Gefahr bringt. Matt, gefangen in einer alterstypischen Phase, muss lernen, dass Wut nicht die schönsten Bilder zeichnet, und Emily wird immer wieder aufs Neue mit ihren Ängsten konfrontiert. Um das Rätsel ihrer Herkunft und Hollow Earth zu lösen, bedarf es Mut, Freunde und torchwoodesker Technik – und ein Picknickpaket von Köchin Jeannie, die mit ihrer urschottischen Art die amüsanteste und zugleich furchterregenste Figur des Romans ist.

Und auch wenn sich die Zwillinge zuweilen als erstaunlich lernresistent und erinnerungsschwach erweisen – wir schieben es auf die schottische Seeluft –, so wachsen die Geschwister spürbar an ihren Aufgaben und durchwandern letztlich auch eine Entwicklungsreise, die den erwachsenen Leser aufatmen lässt und ihn in den Buchladen treibt, um den zweiten Band Bone Quill zu bestellen – und zwar nicht nur als Geschenk für die pubertierende Nichte fünften Grades. Wer sich die Wartezeit auf die Lieferung des zweiten Bandes etwas verkürzen möchte, kann sich zudem auf der inhaltlich liebevoll aufgemachten offiziellen Homepage des Romans zu Kunstwerken, schottischen Inseln und zur Gebärdensprache belesen.

Der flotte Schreibstil und das Einfühlungsvermögen der Autoren machen Hollow Earth zu einem kurzweiligen, für Kunstkenner doppelt lohnenden Leseerlebnis, das mit einigen losen Enden und dem höchst kreativen Setting zu einer zweiten Reise einlädt. Der Roman ist im doppelten Sinne eine Feier der Vorstellungskraft, der ganz im Blake’schen Sinne nicht nur über Kreativität schreibt, sondern auch vor ihr sprüht: Imagination, the real and eternal world.

Und so kann ich nur mit John Barrowmans eigenen Worten schließen, die sich augenscheinlich auf alle Familienmitglieder übertragen lassen: he can act and he can sing, he’s really great at everything.

Das Labyrinth der träumenden BücherGelockt von einem geheimnisvollen Manuskript, kehrt Hildegunst von Mythenmetz 200 Jahre nach seiner Flucht aus Buchhaim zurück in die Stadt der träumenden Bücher. Denkfaul und träge geworden, gleicht die Echse eher einem verwöhnten Balg als einem ehemals ormdurchströmten Schriftsteller, und dennoch begibt er sich auf die Reise. Und obwohl sich das nach dem verheerenden Feuer wiederaufgebaute Buchhaim von einer völlig neuen Seite zeigt, schafft es die Stadt bald, den Schriftsteller in seinen Bann zu ziehen und ihm neuen Schreibmut zu schenken. Und, wer weiß – vielleicht wartet ja irgendwo auch das Orm?

– Unter allem vibrierte das unverwechselbare Grundgeräusch, der Kammerton jeder größeren Stadt, der sich aus tausenden durcheinanderplappernden Stimmen speist und wie das anhaltende Raunen eines Publikums klingt. Ich war angekommen. –
Die neue Stadt, S. 41

Rauchverbot, Latte Macchiato mit oder ohne Milchschaum, Regenbogenpresse – Willkommen im Buchhaim des 21. Jahrhunderts. Eingeholt von Fortschritt und Entwicklung präsentiert sich die Bücherstadt von ihrer modernen Seite, und während die Stadt der träumenden Bücher aus der Asche wiederauferstand, befindet sich Hildegunst von Mythenmetz, der unselige Protagonist des Romans, am Tiefpunkt seines künstlerischen Schaffens. Die Echse badet eitel im großen Schaumbad des schnellen Erfolges und pflegt ihre einmalig erworbenen Lorbeeren mit größerem Eifer als ihre eingerostete Schreibfeder. In seiner dramatisierten Großartigkeit ist er trotz Schuppenkleid und Klauenhand den Akteuren des realen Literaturbetriebes oft sehr ähnlich. Und wahrlich: an Seitenhieben auf unseren deutschen Büchermarkt mangelt es nicht. Während buchhaim’sche Insider die Verdrängung des papierenen Wortes durch das revolutionäre Wurstbuch heraufbeschwören, erstickt so mancher Kritik verachtende Autor, trotz offensichtlichen Unvermögens, in Fanpost. Klingt bissig? Treffend? Pointiert?
Nichts liegt dem Roman ferner. Die parodistischen Elemente sind nach starren Regeln strukturiert: das Humor-Reportoire des Autors beschränkt sich in diesem Buch zumeist auf die fleißige Anagramm-Bildung und die kulturgeschichtliche Anspielung durch Namensverfremdungen. Nicht nur die Lettern von Schriftstellernamen werden munter gemischt, auch die der Größen der klassischen Musik. Kenner entdecken den Walkürenritt, ebenso wie Freude schöner Götterfunken. Keine Kunstepoche ist sicher vor der schablonenhaften Verfremdung, kein gesellschaftliches Phänomen gefeit vor einer zamonischen Entsprechung. Moers hat mit Das Labyrinth der träumenden Bücher ein Gagfeuerwerk erschaffen, welches partout nicht zünden will. Seine Einfälle funktionieren als kurzweilige Pointe – wie die Werbeausgabe des Zamonischen Kuriers oder die Alles-in-Fraktur!-Zwerge beweisen -, doch durch die konsequente Wiederholung der Lachstrickmuster wird der moers’schen Absurdität der genussvolle Stachel des Unerwarteten genommen. Auch sprachlich reflektiert Moers mit seinem Roman die schriftstellerische Verfassung seiner Hauptfigur – erfolgsverwöhnt und mit dem unerschütterlichen Glauben, dass der geneigte Leser jeden Lapsus, jede handlungsarme Durststrecke für einen Geniestreich hält.

Der Klappentext verspricht einen Beitrag zur  “Kulturgeschichte” Zamoniens, und einzig das möchte man ihm zugestehen. Voller Unglaube verfolgt der Leser eine repetitive Handlung, die aus dem Vorgängerband Die Stadt der träumenden Bücher hinreichend bekannt ist. Allein die 200 Jahre Unterschied können als Anlass gewertet werden, diese Geschichte niederzuschreiben. Bizarrer Höhepunkt des Wiederholungsreigens ist das moers’sche “play within a play”: Hildegunst wohnt einer Theateraufführung bei, die seine Abenteuer aus Die Stadt der träumenden Bücher erzählt. Der geneigte Leser kennt vielleicht das unangenehme Gefühl, von einem begeisterten Freund die Handlung eines kürzlich gesehenen Filmes nacherzählt zu bekommen: während der Erzählende, noch tausende Bilder vor Augen, begeistert die Handlung nachvollzieht, vergeht das lauschende Gegenüber vor Langeweile. Und nun stelle man sich eine 20-Seitige, begeisterte Nacherzählung einer bereits bekannten Geschichte vor, die nichts von der Begeisterung transportieren kann und zur bloßen Inhaltsangabe verkommt. Lässt Moers hier den selbstverliebten Mythenmetz auf quälende Art und Weise schwadronieren? Ist die Szene ein lebendiges Zeichen für den charakterlichen und schriftstellerischen Niedergang seiner Figur, eine Meta-Ebene des Qualitätsverlustes? Oder ist es tatsächlich ein Zeichen dafür, dass Moers in seinem Roman keinerlei nennenswerte Handlung unterzubringen vermag, sondern sich an dem Glanz seines bereits erschienenen Werkes erfreut?

Auch die kulturgeschichtlichen Abhandlungen über den aufkommenden Puppetismus – professionelles Marionettenspiel –  in Buchhaim sind nur ein schwacher Abglanz jenes Zaubers, den eine moers’sche Schilderung über die Katakomben von Buchhaim heraufzubeschwören vermochte. Seine Versuche, ein lebendiges Bild einer künstlerischen Gemeinschaft zu schaffen, scheitern. Die Aufzählungen zahlreicher wunderlicher Details erschaffen ein Bild, welches an eine kaputte Marionette erinnert: es mag zu Zeiten durchaus lebendig wirken, doch gewiss nicht im jetzigen Zustand. Einzig die gewohnt phantasievollen, aber rar gesäten Illustrationen geben dem Leser einen Einblick in das neue, touristisch erschlossene Buchhaim, dessen Zauber nicht verflogen ist, sondern sich nur verlagert hat (so zumindest versichert es uns Mythenmetz).
Mit dem Prädikat „Mythenmetz’sche Ausschweifungen“ tarnt Moers bodenlose Langeweile – nichts erinnert an den Kitzel des Bizarren, der jede Ausschweifung zur willkommenen Abwechslung machte. Und als die Handlung schließlich Fahrt aufnimmt, endet der Roman. Einen Blick in das sagenumwobene und titelgebende Labyrinth der träumenden Bücher zu werfen, ist dem Leser nicht vergönnt.

Erst das Nachwort des Autors vermag es, dem ungläubigen Leser und Liebhaber des zamonischen Universums eine Erklärung für die Enttäuschung zu präsentieren: der vorliegende Roman wurde laut Moers publiziert, weil er vertraglich dazu verpflichtet war, eine Frist einzuhalten. Das erklärt so einiges: Das Labyrinth der träumenden Bücher ist keinesfalls ein fertiges Buch, allenfalls eine kürzungswürdige Ouvertüre zu einem größeren Roman. Der zweite Teil ist, laut Autor, in Arbeit, was das Kopfschütteln über das ausgefeilte Marketing für den Roman im Voraus nur noch vehementer ausfallen lässt. Nirgendwo verrät uns der Verlag, dass wir einen „Teil 1“ eines unvollendeten Werkes lesen; und entgegen der Klappentext-Ankündigung könnte kein Buch ungefährlicher sein.
Und so bleibt dem Leser nur das altbekannte Flehen: liebe Verlage, lasst euren Autoren Luft zum Atmen und Zeit zum Schreiben. Und – lieber Herr Moers: wir warten gerne länger. Zeigen Sie uns den Weg ins Labyrinth der träumenden Bücher!

Die Magier von Montparnasse von Oliver PlaschkaDer Bühnenkünstler Ravi und seine Assistentin Blanche brechen nach ihrer letzten Zaubervorführung eine Grundregel: Anstatt wie üblich nur mit Illusionen zu spielen, verwenden sie echte Magie. Dabei geht jedoch etwas schief, und Paris ist in einer Zeitschleife gefangen: Jeder Tag beginnt wie der vorherige, und fast niemand in der Stadt scheint auch nur etwas davon zu ahnen.
Das Hotel Jardin im Künstlerviertel Montparnasse wird daraufhin zum Treffpunkt für mehrere äußerst außergewöhnliche Gestalten, die das Rätsel um die stillstehende Zeit zu ergründen versuchen. Nicht nur für Ravi und Blanche, sondern auch für das Personal des Jardin hat die Zeitschleife auf Dauer ungeahnte Konsequenzen.

-»Kreativität«, sagte Barneby, »ist eine Krankheit des Geistes, die einem Übermaß an Vorstellungskraft, gepaart mit einem Mangel an gesichertem Wissen, entspringt – genau wie Verfolgungswahn.«-
Magische Nächte

Zu Beginn der Geschichte scheinen die Vorkommnisse im Jardin noch sehr mysteriös und für den Leser unverständlich – man fühlt sich ähnlich wie die Kellnerin Justine: Sie bekommt zwar mit, dass etwas anders ist, und ihr fallen merkwürdige Einzelheiten auf, aber sie kann sich keinen Reim auf das Ganze machen. Anders als bei Justine werden die Erinnerungen des Lesers zum Glück nicht über Nacht wieder auf Null gesetzt, und so kommt man des Rätsels Lösung mit jedem verstrichenen Sonntag wieder einen Schritt näher.
Die Erleuchtung lässt jedoch eine ganze Weile auf sich warten. Es gibt einige Längen, insbesondere am Anfang von Tag 5 tritt die Handlung ziemlich auf der Stelle. Dafür zieht die Spannung auf den letzten 200 Seiten ordentlich an und das Ende enthält noch eine (zumindest für mich) unerwartete Wendung.

Durch die langwierigeren Passagen helfen die liebenswürdigen skurrilen Charaktere und verrückten Dialoge.
Plaschka verarbeitet bekannte Bibel- und Märchenmotive wie Adam & Eva oder Schneewittchen und verfremdet sie auf eine sinnvolle, interessante Weise. Auch das Stadtviertel Montparnasse entspricht sicher nicht ganz dem Paris der goldenen Zwanziger, ist aber doch deutlich erkennbar und sorgt für eine passende Kulisse.
Das Ganze wird garniert mit einer wohldosierten Portion Ironie, das Buch ist mit einem leichten Schmunzeln im Hinterkopf zu lesen (wie eine Autorenlesung eindrucksvoll bewiesen hat). Lässt man sich auf die Sprache, Atmosphäre und das Tempo des Romans ein, ist Die Magier von Montparnasse eine amüsant-rätselhafte Lektüre.

Mit Mantel und Degen, Band 7: Der ChimärenjägerAls die beiden Edelleute Don Lope de Villalobos y Sangrin und Don Armand Raynal de Maupertuis edelmütig ihre Hilfe bei einem Entführungsfall in Venedig anbieten, ahnen sie noch nicht, dass sie damit in ein Abenteuer schlittern, das sie auf die Galeere, zu exotischen Inseln und letzten Endes sogar auf die dunkle Seite des Mondes führen wird. Nie sind sie um eine Herausforderung zum Duell oder einen treffenden Spruch verlegen. Sie gehen keinem Kampf aus dem Weg, finden unerwartete Freunde, verlieren ihre Herzen an schöne Damen und machen sich einen Todfeind …

»Das unverschämte Substantiv,
das Ihr mit viel Emphase
zu nennen Euch erkühntet …
nun sagt schon, war es …« »Nase?«
Akt VIII: Der Fechtmeister

Eine comédie heroïque nennt der französische Verlag in einem Teaser-Video zu Band 8 die inzwischen beinahe vollendete Comic-Reihe Mit Mantel und Degen (De cape et de crocs) und trifft damit den Nagel auf den Kopf – in jedem Band öffnet sich der Bühnenvorhang erneut für Abenteuer und Humor, Action, Heldenmut, Charme und Verse voller Witz. Wer beim Titel an Errol Flynn, den roten Korsar oder drei Musketiere denkt, liegt damit goldrichtig, aber: Don Lope ist ein Wolf und Maupertuis ein Fuchs. Vereinzelt treten in der Überzahl menschlicher Figuren auch andere Tiere auf – und das funktioniert nicht nur, es funktioniert sogar hervorragend, da die Tatsache immer wieder in die Handlung eingeflochten und mancher Schabernack mit Fabelmotiven getrieben wird.
Formal steht Mit Mantel und Degen (im Original: De cape et de crocs, mit Mantel und Zähnen 😉 ) in bester frankobelgischer Albentradition: Es gibt einen durchgehenden, abwechslungsreichen Handlungsbogen und viele prominente Nebenfiguren, die den Weg des caniden Heldenduos immer wieder kreuzen, der Zeichenstil ist opulent und detailreich mit teils sehr atmosphärischer Farbpalette und holt auch aus einigen Klassikern des Comics (z.B. Panels ganz in schwarz, bei denen man nur Augen und Sprechblasen sieht) immer wieder etwas Neues heraus. Herrlich spritzige Dialoge stehen neben einem Ideenreichtum, der bei identitätsgestörten Piraten und kleinen, weißen Hasen, auf die der Kapitän eine Golddublone ausgesetzt hat, nur seinen Anfang nimmt.

Während der erste Band, Das Geheimnis des Janitscharen, fast schon betulich in die Geschichte einführt, geht es spätestens ab Unter schwarzer Flagge (Band 2) richtig zur Mit Mantel und Degen, Band 2: Unter schwarzer FlaggeSache: wahnwitzige Verfolgungsjagden, Meuterei auf der Galeere und später anhängliche Kraken und ein verbannter Prinz erwarten die Helden, deren anfängliche Schatzsuche schnell zu einer Sache der Ehre und der Rettung von Idealen wird.
Wer nun glaubt, Mit Mantel und Degen wäre vor allem laut, bunt und actionreich, kann beruhigt werden, denn Szenarist Alain Ayroles beherrscht vor allem die leisen Töne: Famoser Slapstick und subtiler Witz gehen stets Hand in Hand, und es wird niemals plump, auch nicht bei den grandiosen Abenteuern, deren viele Zufälle sich oft als geschickt verzahnte Entwürfe erweisen, die genauso elegant ineinandergreifen wie die geistreichen Dialoge, die mitunter zum Schlagabtausch in Versen ausarten.
Und während Handlung und Schauplätze immer phantastischer werden, atmet Mit Mantel und Degen doch immer den Hauch seiner Epoche und ist fest im 17. Jahrhundert verankert.

Dazu trägt zu einem nicht unerheblichen Teil die Fülle an Anspielungen bei, die sich in dieser Comic-Reihe verbergen: Neben den naheliegenden Klassikern von La Fontaine bis Dumas wird die französische Literatur in einem Maße abgegrast, dass der nicht-frankophile Leser das Nachsehen hat und gerade noch seinen Molière und Cyrano de Bergerac zusammenkratzt. Des weiteren blitzt immer wieder die Commedia dell’arte auf, zeitgemäße Staatsutopien werden aufgegriffen, die Geschichte der Dichtung, Philosophie und Wissenschaften bemüht, und sogar Gemälde finden sich in Bildanspielungen, von Théodore Géricault über Munch bis Warhol. Man sieht also, auch die Moderne kommt zum Zug, auch in Verweisen auf Lemmings, Der weiße Hai oder Alien. Es geht aber mitnichten nur um ein Abspulen möglichst vieler Referenzen, besonders die Metaebene der Dichtkunst wirkt immer wieder auf die Handlung zurück, und dabei drängt sich durchaus auch einmal ein Kommentar zum aktuellen Literaturschaffen auf, etwa wenn die Gedichtproduktion auf dem Mond angekurbelt wird, wo Verse als Zahlungsmittel dienen.

Mit Mantel und Degen, Band 8: Der FechtmeisterEine weitere Ebene von Mit Mantel und Degen sind die vielen Details – Nebensächlichkeiten, aber auch Genaueres zur Haupthandlung findet man immer wieder im Hintergrund der Bilder, zwischen den Zeilen, subtil verschleiert. Es lohnt sich, ganz genau hinzuschauen – oder genauso, einfach zu lesen und großen Spaß zu haben, und dann, bei einem zweiten Durchgang, noch viel größeren. Denn Mit Mantel und Degen funktioniert auf jeder Ebene und ist auf der vordergründigen bei aller Feinheit eine gute Geschichte für Freunde von Seeabenteuern (die nicht immer mit Schiffen bestritten werden), phantastisch-verrückten Maschinen und der Erkundung weißer Flecken der Landkarte.

In einer Welt, in der das Wort Waffe oder Währung sein kann, auch wenn genauso oft der Degen zum Zug kommt, spielen auch rhetorische Figuren und Sprache eine große Rolle. Übersetzer Harald Sachse hat hier hervorragende Arbeit geleistet, die Gedichte übertragen, auch wenn der vom Dichterhelden Maupertuis vielgepriesene und -verwendete Alexandriner im Deutschen problematisch ist. Die ein oder andere Anspielung geht verloren (woher die Mitglieder des lunaren Kadettenkorps ihre Namen haben, wird z.B. einem französischen Leser eher aufgehen, wenn ihm Colin, Aldrin und Fort-à-Bras (=Armstrong), der im Deutschen “Ursus” genannt wird, zum ersten Mal begegnen), doch im Bereich des Möglichen ist die deutsche Ausgabe eindeutig gelungen.

Wer das charmante, kluge Ensemble rund um Fuchs und Wolf kennenlernen will, darf sich auf 10 randvolle Bände freuen, in denen sich keine überflüssige Szene findet. Nach dem noch nicht erschienenen letzten Band (im Original für Ende des Jahres angekündigt) soll es evtl. mit einem Spin-off weitergehen.
Auch wenn das grand finale noch aussteht: Mit Mantel und Degen hat alles, was man von bester franko-belgischer Comic-Fabulierkunst erwartet – und legt immer noch eine Schippe obendrauf.

Als Bildbeispiel soll das oben erwähnte Teaser-Video dienen, das aus den Bänden 1-7 zusammengestellt ist:
http://www.youtube.com/watch?v=JK20JfbAB9Y

Der Name des Windes von Patrick RothfussIn einem Gasthaus wird zwei auserwählten Zuhörern die Geschichte des berühmt-berüchtigten Kvothe erzählt – eines Meisterbarden, großen Magiers, Königsmörders.
Seine jungen Jahre verbringt er in der Gauklertruppe seiner Eltern, sammelt Bühnenerfahrung und lernt die Lieder und Geschichten der Welt kennen, und er findet einen Lehrmeister, der ihm erste Schritte in der Magie beibringt.
Doch Kvothes Welt bleibt nicht so unbeschwert: Als er sich selbst schwört, ein tödliches Rätsel um sagenhafte, dämonische Wesen zu lösen, beschreitet er damit einen Weg, der ihn in ein miserables Dasein als Straßenkind und später an die Schule der Magier und darüber hinaus führt…

– Es war wieder Abend geworden. Das Wirtshaus zum WEGSTEIN lag in Stille, und es war eine dreistimmige Stille. –
Eine dreistimmige Stille

Zu Der Name des Windes liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

The Name of the Wind von Patrick RothfussIn einem Gasthaus wird zwei auserwählten Zuhörern die Geschichte des berühmt-berüchtigten Kvothe erzählt – eines Meisterbarden, großen Magiers, Königsmörders.
Seine jungen Jahre verbringt er in der Gauklertruppe seiner Eltern, sammelt Bühnenerfahrung und lernt die Lieder und Geschichten der Welt kennen, und er findet einen Lehrmeister, der ihm erste Schritte in der Magie beibringt.
Doch Kvothes Welt bleibt nicht so unbeschwert: Als er sich selbst schwört, ein tödliches Rätsel um sagenhafte, dämonische Wesen zu lösen, beschreitet er damit einen Weg, der ihn in ein miserables Dasein als Straßenkind und später an die Schule der Magier und darüber hinaus führt…

-It was night again. The Waystone Inn lay in silence, and it was a silence of three parts.-
Prologue: A Silence of Three Parts

Das Fantasy-Genre samt Leserschaft gilt gemeinhin als anachronistisch, rückwärtsgewandt. Dagegen mag man mit Recht protestieren, aber zumindest in den Sphären des Musikbusiness, wo circa alle drei Wochen the next big thing durch die Presse gejagt wird, sind wir tatsächlich noch nicht angekommen. Und so horcht man durchaus auf, wenn ein Raunen durch Blogs und Foren geht, Kritikerstimmen sich zu den allgegenwärtigen Verlagslobeshymnen gesellen, und immer wieder derselbe Name auftaucht: Patrick Rothfuss.
Forscht man der Sache nach, stößt man auf eine jener Geschichten – von Fall zu Fall künstlich generiert oder authentisch anmutend – die den Weg des Schriftstellers in die Veröffentlichung als eine eigene abenteuerliche Queste erscheinen lassen: Sieben Jahre Schreiben, sieben Jahre Überarbeiten – und eine Flut von Absagen, bis auf wunderbaren Umwegen doch noch verlegerische Aufmerksamkeit auf das Werk fällt.
So lernt man Patrick Rothfuss’ Helden Kvothe in dem Roman kennen: Mit einem ganzen Sack voll hoher Erwartungen an ihn und seine Geschichte – und findet einen hochbegabten Gauklerjungen, in Magie und Musik ein Überflieger, eine Berühmtheit schon in jungen Jahren, der in diesem ersten Band nebst einiger anderer Abenteuer die Schule der Magier auf den Kopf stellt. Übermächtige, legendäre Feinde schafft er sich ebenso wie profane, aber gefährliche Schulrivalen – und es ist ein Auf und Ab zwischen Wohlmeinenden und Neidern, Wunderleistungen und finanziellen Nöten, Liebesleid und der ureigenen Queste Kvothes, ein Rätsel zu lösen, das ihn verfolgt, seit er in seinem Leben zum ersten Mal Tragisches durchmachen mußte.

Diese alltäglichen Zutaten sind es also nicht, die The Name of the Wind (Der Name des Windes) zu einem Meisterwerk machen – und dennoch kann man das Buch mehr als zufrieden aus der Hand legen, sich davon begeistern lassen: Man hört einem mit allen Wassern gewaschenem Erzähler zu, der aus anfangs ganz unspektakulären Mitteln eine zwingende Atmosphäre strickt. Dazu benutzt Rothfuss einen alten, aber hier ausgesprochen effektiv umgesetzten Trick: Eine Geschichte in der Geschichte. Eine Rahmenerzählung, wunderbar zart auktorial erzählt, schafft eine greifbare Gegenwart, in der ein mysteriöser Gastwirt die Geschichte des überaus berühmten und berüchtigten Kvothe von Kindesbeinen an berichtet. Diese rückwärts-gewandte Erzählsituation läßt einen an der Geschichte teilhaben, als würde man zufällig lauschen und könne sich ihrem Bann nicht mehr entziehen. Selbst durch im Grunde „belanglose“ Szenen wird ganz subtil die Neugier des Lesers geweckt: In den Rahmenkapiteln bekommt man nebenbei, ohne direkte Hinweise und Erklärungen eine Ahnung, wie „groß“ Kvothe im Laufe seines Lebens geworden ist; Andeutungen von Ruhm und Tragik (die alle auch in diesem ersten Band nicht zu sparsam auftretenden ruhmreichen und tragischen Szenen noch überflügeln) ziehen sich durch den ganzen Text.
Dazu kommt ein hoher Authentizitätsgrad des Erzählers, er berichtet aus einer erhabenen Position mit absoluter Gültigkeit, so daß Beobachtungen des Menschlichen und pathetische Anmutungen bei Weitem nicht nur nach dem Versuch klingen, etwas Geistreiches zu sagen – zu den besten Szenen des Buches gehört beispielsweise auch ein kurzer Bericht Kvothes über die vier Arten, mit Trauer umzugehen.

Aber weshalb leidet und fiebert man eigentlich mit Kvothe mit, einem immer Überlegenen, der ohnehin meistens gewinnt und besser als alle anderen ist, der nicht einmal übermäßig sympathisch dargestellt wird? Es ist die Diskrepanz, die durch die verschachtelte Erzählsituation zwischen den Zeilen hervortritt – zwischen seinem immer wieder bewiesenen Talent und seiner ganz offensichtlichen (wenn auch noch ungeklärten) Tragik und seinem Scheitern.
Nebst diesen erzählerischen Spezialitäten Rothfuss’, anhand derer man versuchen kann, die Besonderheit von The Name of the Wind zu fassen zu bekommen, bietet der Roman auch konventionellere Attraktionen des Fantasy-Genres: Die ganzen profanen Plot- und Welt-Zutaten schaden keineswegs, wenn daraus ein authentisches und mitreißendes Ambiente gestrickt wird, und Rothfuss versteht es, seine fahrende Gauklertruppe, seine typische Ausbildungsitiation, seine Straßenkind-Episode einmalig zu gestalten. Von den ersten Seiten an wird ersichtlich, daß in der Welt viel Detailarbeit steckt – und auch hier ist die Tugend nicht die absolute Aufklärung des Lesers, sondern eine gewisse Selbstverständlichkeit, mit der Begrifflichkeiten eingebracht werden.

Selbst das Magiesystem, das unter anderem auf der Kenntnis des wahren Namens der Dinge beruht, und die in den Text eingearbeiteten Lieder und Gedichte erinnern an die Klassiker des Genres – und in diesem Kontext ist The Name of the Wind auch zu sehen, als eine in der Ausführung durchaus moderne Variante, in Stoff, Aussage und Wirkung aber deutlich näher an Tolkien und Williams als an Martin oder Erikson. Doch – je nachdem, wie die vielen noch ausstehenden und bis in die Erzählgegenwart reichenden Abenteuer Kvothes weiterhin laufen – durchaus in derselben Größenordnung.

Rattenfänger von Jane Yolen und Adan StempleCalcephony, genannt Callie, ehrgeizige Reporterin der Schülerzeitung, darf über ein Konzert der Rockgruppe “Messingratte” berichten, das kurz vor Halloween stattfindet. Dumm nur, daß auch ihre Eltern und sogar ihr jüngerer Bruder auf das Konzert gehen. Und seltsam, daß auch Callies Eltern schon lange Fans von Messingratte sind, wo doch der Sänger Gringras und die restlichen Mitglieder jung und frisch aussehen und der Menge einheizen wie eh und je. Als Callie dann zum Interview mit der Band antritt und die Dinge genauer recherchieren will, wird sie Zeugin eines Streits – und erfährt von dem Fluch, der auf den Musikern liegt …

-Der Rattenfänger sah den Fluß, lange bevor er das Rauschen des Wassers hörte oder der salzige Geruch von Blut ihm in die Nase stieg.-
1 Fluß voll Blut

Halloween hat sich – ob man es nun mag oder nicht – inzwischen als fester Punkt auch im europäischen Jahresrhythmus festgesetzt, und mit gestiegenem Bekanntheitsgrad des Festes bieten sich nun zahlreiche fiktionale Werke zur deutschen Veröffentlichung an, die der gruslig-phantastischen Atmosphäre von Halloween Leben einhauchen.
In Rattenfänger (Pay the Piper), dem ersten ‘Rock’n Roll Märchen’ von Jane Yolen und ihrem auch als Musiker tätigen Sohn Adam Stemple, ist um Halloween der Rattenfänger von Hameln aktiv, dem hier gleich doppelt ein neues Gewand verliehen wurde: Einerseits tritt er als charismatischer Sänger einer angesagten Rockband auf, dessen Charme sich keiner entziehen kann, andererseits wird die Figur zum verbannten Prinzen des Feenreichs erklärt, der sich in der Menschenwelt durchschlagen und seinem Vater auch noch einen grausamen Zehnten bezahlen muß. Entsprechend ist auch die Erzählung zweigeteilt in die moderne, den größeren Raum einnehmende Geschichte über Callie, die ein Fan der Band “Messingratte” ist und aufdeckt, was den Kindern ihres Ortes an Halloween bevorstehen könnte, und die Hintergrundgeschichte über Prinz Gringras und seine Verbannung aus dem Feenland, die in lyrischem, märchenhaftem Duktus erzählt wird und tatsächlich ein wenig in die Feenwelt führt.

Die Hintergrundgeschichte mag also vielleicht die poetischeren Kapitel bieten, aber Callies Perspektive macht das Buch vor allem für jugendliche Leser attraktiv: Sie ist durch und durch schwärmender Teenager, verguckt sich sogar in eines der Bandmitglieder, ist dabei aber ehrgeizig und ein bißchen selbstsüchtig, so daß sie auch Fehler macht. Nicht ganz treffgenau sitzt womöglich die Jugendsprache, die Callie und ihre Freundinnen verwenden – da fühlt man sich teilweise eher an die 80er als an moderne Musikfans erinnert und schaut dann verwundert aus der Wäsche, wenn Callie für ihre Schülerzeitungsartikel im Internet recherchiert.
Eine nette Idee sind die eingestreuten und am Ende auch komplett abgedruckten Songtexte von Messingratte, die einige Lücken und Fragen in der Hintergrundgeschichte auffüllen und der tragischen Figur des vertriebenen Feenprinzen zusätzlich Fleisch geben. Am Ende laufen beide Fäden zusammen und werden simpel, aber sehr treffend aufgelöst; vor allem auch für Callies Schwärmerei gibt es ein sehr gelungenes Ende.

Höhepunkte der Handlung sind viel weniger im Spannungsbogen zu finden – denn der verläuft sehr geradelinig – sondern vielmehr in den eingestreuten Geschichten aus dem Hintergrund der Band und in den atmosphärisch dichten Beschreibungen ihres Auftritts, der Erinnerungen an eigene Konzertbesuche wachzurufen vermag.
Trotzdem ist Rattenfänger ganz klar ein Jugendbuch, wenig komplex und deutlich durch seine jugendliche, altkluge Protagonistin bestimmt. Für eine Dreizehnjährige ein perfektes Geschenk – und wenn man zufällig ein Halloweenmuffel ist, kann man sich beim nächsten Mal vielleicht mit diesem Buch zu Hause verkrümeln, denn die kleine Geschichte läßt sich locker an einem Abend durchlesen – und die Feenland-Einschübe haben auch für Erwachsene ihren Charme.

Cover von Die Saat der Zwietracht von Janny WurtsDie Lage spitzt sich zu. Arithon hat sich in das Küstendorf Merior zurückgezogen und schmiedet dort Pläne für eine Flucht aus Athera, doch vorher muss er noch der Bitte seines Meisters nachkommen und eine alte Feindschaft in Innish beenden. Dann taucht die junge Hexe Elaira im Dorf auf …
Durch einen Handel mit einer Hexe des Korianiordens erfährt Lysaer den Aufenthaltsort seines verhaßten Halbbruders und beginnt mit seinem Feldzug gegen den Herrn der Schatten.

-»Bist du dumm? Du musst dumm sein, wenn du hier in der Sonne brätst wie ein Würstchen.« Nachdem sie diese Perle der Weisheit abgeliefert hatte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zu.-
2 Merior

Auch der vierte Teil der Nebelgeist-Saga stellt sich ganz in die Tradition der Vorgänger: während der Schreibstil für ein sehr lebendiges Bild von Athera sorgt, bemühen sich Handlung und Charaktere den Anforderungen gerecht zu werden. Meistens gelingt das auch.
Das größte Problem sind für mich die Hauptcharaktere. Zwar bemüht sich die Autorin, genau zu erklären, was gerade in den Personen vorgeht und warum sie so handeln (bzw. handeln müssen), wie sie es tun, trotzdem kann man zu keinem der beiden Brüder eine wirkliche Verbindung aufbauen: Lysaer wird mehr und mehr als “der Böse” dargestellt, auch wenn natürlich der Fluch des Nebelgeites für seine Tat verantwortlich ist. Arithon wird von seinen früheren Handlungen gequält, sorgt sich, ohne auf sich selbst zu achten, um andere und stürzt sich mehr und mehr auf seine Musik; das sind wohl die schwersten Passagen des Buches, da eine seitenlange Beschreibung über das unvergleichliche Spielen von Arithons Lyranthe und über die perfekten Noten nicht gerade zur Spannung beiträgt und zumindest von mir nicht ganz nachvollzogen werden kann.

Die Handlung führt die Geschichte gelungen weiter, auch wenn für fast 500 Seiten relativ wenig passiert. Das Ende entschädigt für einige Längen in der Handlung, die zwar das Verständnis für die Charaktere ausbauen, aber nichts zur Spannung beitragen.
Ein großer Pluspunkt ist, dass die Autorin ihren lebendigen Schreibstil auch über tausende Seiten, die es mittlerweile sind, aufrecht erhalten kann. Nahtlos reiht sich die Geschichte an die Vorbände. Durch ihren Stil wirkt die Geschichte wundervoll lebendig, das Bild von Athera wird Stück für Stück ausgebaut und vielschichtiger. Dadurch werden auch die Längen erträglicher und man kommt schneller voran, als man vielleicht beabsichtigt hat.

Cover von Die Seele der Nacht von Ulrike SchweikertAls Tahâmas Vater schwerverletzt von einer Mission zum Elfenbeinturm zurückkommt, ringt er Tahâma, bevor er stirbt, das Versprechen ab, ihrem Volk, das in das Land Nazagur aufgebrochen ist, nicht nachzufolgen. Tahâma macht sich jedoch trotzdem auf den Weg – soll dieses Land doch ausgesprochen gute Lebensbedingungen bieten und sich immer weiter ausbreiten, während die anderen Länder Phantásiens nach und nach vom Nichts verschlungen werden. Unterwegs in dies gelobte Land schließen sich Tahâma Céredas, ein junger Jäger, und Wurgluck, ein Erdgnom, als Reisegefährten an. Als die drei in Nazagur ankommen, ist das Land auf den ersten Blick tatsächlich ein Idyll – doch hinter dieser Fassade verbirgt sich ein schreckliches Geheimnis …

-“Auf nach Gwonlâ!”, hallten seine Worte bis zum Tor hinunter. “Heute Nacht werden wir im Tal des Wínolds unsere Gier stillen!”-
Prolog

Dieser zweite Band der Legenden von Phantásien nimmt kaum Bezug auf Die unendliche Geschichte, nur ein paar Dinge finden in Nebensätzen und beiläufigen Unterhaltungen Erwähnung. Auf diese Weise hat sich Ulrike Schweikert Raum geschaffen, in welchem sie ihre Erzählung frei entwickelt, hat sich bemüht, eine spannende Geschichte zu erzählen, nur leider ist dies nicht in allen Bereichen des Romans gelungen.
Die Geschichte dreht sich um das Mädchen Tahâma, das dem Volk der Tashan Gonár angehört. Die Tashan Gonár sind in ganz Phantásien für ihre einzigartige Musik berühmt, die heilen und trösten, aber auch verletzen kann.
Die Autorin beschreibt Tahâma und einige Vertreter des Volkes ausführlich und liebevoll. Sie zeichnet Tahâma klar und arbeitet ihren Charakter sehr deutlich heraus, so daß man sich das Mädchen gut vorstellen kann. Auch Wurgluck weiß sie sehr schön zu skizzieren. Doch bei den übrigen Figuren des Romans, die für die Handlung ebenfalls eine herausragende, wenn nicht gar entscheidende Rolle spielen, sind die Beschreibungen leider nicht so ausführlich und schön gediehen: Vor allem die Figuren auf der Seite des Bösen sind sehr oberflächlich skizziert. Sie machten auf mich allesamt den Eindruck von Schauspielern, die eine Rolle nur deshalb übernommen haben, weil die Gage stimmt … Ihre Motivation war unglaubwürdig – sie waren, oft nach halbherzig beschriebenen Konfrontationsszenen (von “Kämpfen” kann man hier kaum sprechen …) viel zu rasch besiegt, so daß der Eindruck entstand, sie wollten gern schnell besiegt sein, um das Set so schnell wie möglich wieder verlassen zu können. Überall geht Tahâma, meist nach von der Autorin ziemlich halbherzig ausgeführten Kampfszenen, Gefangennahmen und Versteckspielen, als strahlende Siegerin hervor. Alles ist vorhersehbar, denn die “gefährlichen” und “übermächtigen” Gegner setzen dem blauhaarigen Gör kaum Widerstand entgegen. Nicht einmal bei dem hier als all- bzw. übermächtig, abgrundtief böse und gierig beschriebenen Schattenlord hat Tahâma größere Schwierigkeiten, dem fiesen Kerl das Handwerk zu legen … viel zu schnell ist alles vorbei und sein … gebleichtes Gewand fiel leer zu Boden …
Auch bei Céredas, Tahâmas zweitem Weggefährten, fiel die Beschreibung des Charakters, seiner guten und schlechten Eigenschaften, eher sparsam aus. Für die wichtige Rolle, die ihm die Autorin ursprünglich zugedacht hatte, wird er nun zu stark an den Rand gedrängt und kommt, trotz aller für die Handlung wichtigen Details, nicht über das Schattendasein einer Nebenfigur hinaus.
So sind auch seine übrigen Eigenschaften eher schwach herausgearbeitet – die ganze Figur bleibt unnahbar und der Hauptzweck seiner Anwesenheit scheint ausschließlich darin zu bestehen, Tahâma in möglichst gutem Licht dastehen zu lassen …

Song of the Beast von Carol BergEinst galt Aidan MacAllister als Günstling der Götter und bester Musiker seiner Zeit, und seine Lieder hatten die Kraft, die Gemüter der Menschen zu verändern. Doch plötzlich verschwand er spurlos – wegen Verrats am König, seinem Vetter, wurde er eingesperrt. Nach 17 Jahren wird er entlassen, aber das Gefängnis hat ihn gebrochen, sein Talent ist verwirkt. Doch sein Lebenswille erwacht langsam wieder, denn er will herausfinden, warum er jahrelang gefoltert und von der Welt ferngehalten wurde. Die Drachen, Kriegsbestien des Königreiches und Säulen seiner Macht, scheinen dabei eine wichtige Rolle zu spielen, aber bevor Aidan mehr herausfinden kann, wird er wiederum von den Häschern des Königs verfolgt.

-The light had almost undone me. I had not been prepared for any of it, dead man that I was, but never could I have been ready for the shattering explosion of sunlight after so many years in the dark.-
Chapter 1

Nach der Veröffentlichung von Carol Bergs Rai-Kirah-Trilogie konnte die Autorin auch diesen – früher verfaßten – Roman veröffentlichen, einen heimlichen Erstling also. Man merkt ihm auch einige ungeschliffene Kanten an, vor allem in der nicht ganz ausgewogenen Handlungskonstruktion, und Themen und Elemente decken sich zum Teil mit dem, was die Autorin später ausführlicher und elaborierter ausgearbeitet hat.
Aber Song of the Beast besticht durch faszinierende Plotideen rund um Götterglauben, Drachen und Musik, eine spannende, treibende Handlung, souveräne Sprache und  gelungene Charaktere. Der abgeschlossene Einzelband bietet zudem eine epische Handlung auf nicht zu vielen Seiten.

An Parallelen zu den drei Vorgängern sticht als erstes der zu Beginn gebrochene und aussichtslose Hauptcharakter ins Auge. Berg weiß allerdings mit ihren Figuren umzugehen, so daß gerade in diesem Bereich nicht so schnell Langeweile aufkommt: es sind durch die Bank keine Neulinge, die sich erst ihren Platz in der Welt suchen und Erfahrungen machen müssen, sondern gestandene Männer und Frauen, die bereits viel durchgemacht haben. Für diesen Hintergrund ist die Ich-Perspektive des Romans die beste Wahl, allerdings wechseln die erzählenden Charaktere, und die Übergänge sind trotz der eindeutigen Zuordnung nicht immer bruchlos von statten gegangen, zumal die sehr ungleichmäßige Verteilung (es gibt nur sehr kurz einen Schwenk zu einer anderen Figur) wie ein strukturell unschöner Notnagel in der Plotkonstruktion wirkt.

Viele Wendungen und Überraschungen lassen die Handlung fast bis zur letzten Seite spannend bleiben – und an den gediegenen Szenen- und Satzkompositionen merkt man trotz der Konstruktionsschwächen, daß hier eine sehr talentierte Erzählerin am Werk ist: Egal, ob bewegend, lustig oder haarsträubend spannend, Carol Berg bewegt sich immer auf sicherem Boden. Nebenbei wird eine Welt präsentiert, die im Detail, auch wenn man nur dedizierte Ausschnitte zu sehen bekommt, sehr lebensecht wirkt – Magie wird man allerdings vergeblich suchen.

Das Besondere an Song of the Beast und der Grund, weshalb man vielleicht trotz  der ungeschliffenen Kanten einen Blick hineinwerfen sollte, sind die Drachen. Selten hat man ein so gelungenes und stimmiges Konzept für diese beliebten Fantasystereotype schlechthin gelesen. Was meistens irgendwie gekünstelt und zusammengeschustert wirkt, läuft hier wie geschmiert: Die Drachen sind viel mehr als nur Tiere, aber meilenweit von einer anthropomorphisierten Darstellung entfernt und strahlen die Erhabenheit aus, die man sich zumindest in diesem Setting von solchen Urmächten erwartet.

Cover von Die Stadt der träumenden Bücher von Walter Moers Hildegunst von Mythenmetz, ein Jungspund von 77 Jahren, Bewohner der Lindwurmfeste und Ich-Erzähler dieses Romans, kommt nach Buchhaim, um den genial begabten Dichter eines Manuskriptes ausfindig zu machen, das ihm sein Dichtpate Danzelot von Silbendrechsler auf dem Sterbebett vermacht hat. Buchhaim ist eine Stadt, deren Bewohner für Bücher und von Büchern leben. Hier drängt sich Buchladen an Buchladen, Verlagssitz an Verlagssitz und Lesestube an Lesestube. Seine Suche führt Hildegunst in das Labyrinth unter der Stadt, in dem Buchjäger noch heute auf der Jagd nach kostbaren Büchern sind und in dem tödliche Gefahren lauern.

– Hier fängt die Geschichte an. Sie erzählt, wie ich in den Besitz des Blutigen Buches kam und das Orm erwarb. Es ist keine Geschichte für Leute mit dünner Haut und schwachen Nerven – welchen ich auch gleich empfehlen möchte, dieses Buch wieder zurück auf den Stapel zu legen und sich in die Kinderbuch-Abteilung zu verkrümeln.-
Eine Warnun

Beinahe wäre dieses Buch nicht besprochen worden. Der Rezensent hat schon öfter angedeutet, daß er eher zu den schreckhaften Naturen gehört und lange hat er sich überlegt, ob er sich nicht die Warnung zu Herzen nehmen soll und lieber auf die Lektüre des Buches verzichtet: Ja, ich rede von einem Ort, wo einen das Lesen in den Wahnsinn treiben kann. Wo Bücher verletzen, vergiften, ja, sogar töten können. Nur wer wirklich bereit ist, für die Lektüre dieses Buches derartige Risiken in Kauf zu nehmen, wer bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um an meiner Geschichte teilzuhaben, der sollte mir bis zum nächsten Absatz folgen. Allen anderen gratuliere ich zu ihrer feigen, aber gesunden Entscheidung, zurückzubleiben. Macht’s gut, ihr Memmen! Ich wünsche euch ein langes und sterbenslangweiliges Dasein und winke euch mit diesem Satz Adieu!
Ach, was soll’s! Wer schon als Kind mit Hagen von Tronje in Etzels brennendem Saal gestanden hat, mit Odysseus dem Zyklopen entronnen ist und wer unter verschiedenen Piratenkapitänen gedient hat, wird ja wohl auch die Lektüre dieses Buches unbeschadet überstehen,—hoffentlich.

Nun denn, der Rezensent machte sich ans Werk und bald schon, es muß leider gesagt werden, fühlte er eine leise Enttäuschung in sich aufsteigen. Ja, Die Stadt der Träumenden Bücher ist ein phantasievoller Roman, witzig, originell, mit wunderbaren Illustrationen, die intelligente Parodie eines Entwicklungsromans und eine gnadenlose Abrechnung mit dem Literaturbetrieb, mit Literaturagenten, Schriftstellern und natürlich Kritikern. Aber wo bitte bleibt die nervenzerfetzende, versprochene Spannung? Eine Schreckse, eine einäugige, weiße Fledermaus, ein Trompaunenkonzert, alles ganz nett, aber ist das schon alles, was Mythenmetz an Schrecken zu bieten hat??? Nein, ist es nicht!!! Hildegunst von Mythenmetz wird das Opfer eines heimtückischen Anschlages. Er fällt in Ohnmacht, ihm wird schwarz vor Augen -und dem Leser auch. Wenn beide wieder klarer sehen, geraten sie in die spannendsten, gefährlichsten, unglaublichsten und schreckenerregendsten Abenteuer, die die Katakomben von Buchhaim zu bieten haben. Machen Sie sich auf furchtbare Begegnungen mit Bücherjägern, Spinxxxxen, Harpyre, Kannibalen, Gefährlichen Büchern, dem Schattenkönig und den Schrecklichen Buchlingen gefaßt. Falls Sie bei der Nennung dieser Namen noch nicht blaß um die Nase geworden sind, dann waren Sie noch nie in Zamonien. Allerdings muß der Rezensent gestehen, daß er sich auf Anhieb in die Schrecklichen Buchlinge verliebt hat. Plötzlich war er bereit, diesem Roman allein wegen der Buchlinge sechs, sieben, acht oder gar Trilliarden Sternchen zu verleihen und er möchte unbedingt mehr über diese Kerlchen lesen: BUCHHAIM, BUCHHAIM, BUCHHAIM!!!!!! (lieber Leser, achten Sie gar nicht auf das Fettgedruckte, es ist nur ein kleiner interner Hinweis für den Übersetzer des Buches, oder ist es ein Zeichen des beginnenden Wahnsinns????)

Jeder Buchling wählt sich einen zamonischen Schriftsteller aus, dessen Namen er trägt und dessen Werke er auswendig lernt. Das Besondere daran ist: zwischen den zamonischen Schriftstellern und den Autoren unserer Realität gibt es einen Zusammenhang und es macht einen Wahnsinnsspaß (schon wieder “Wahnsinn”) herauszufinden, welchen. Man kann aber auch zur Verzweiflung getrieben werden, wenn es bei einigen nicht gelingt. Hier ein paar einfache Beispiele zum Üben: Ojahnn Golgo van Fontheweg, Gofid Letterkerl, Perla La Gadeon, Ali Aria Ekmirrner, Balono de Zacher und Sanotte von Rhüffel-Ostend.
Ach, der Rezensent könnte noch stundenlang erzählen, von der Haifischmade Phistomefel Smeik, von Colophonius Regenschein, von Rongkong Coma von der Bücherbahn der Rostigen Gnome, von Schloß Schattenhall und von vielem anderen. Aber er denkt ja gar nicht daran, er hat sich nicht mit Hildegunst von Mythenmetz in tödliche Gefahren gestürzt, damit andere davon profitieren, die nichts tun, außer gemütlich vor dem Computer zu sitzen. Wenn Sie die Geschichte der Stadt der Träumenden Bücher kennenlernen wollen, dann lesen Sie sie gefälligst selbst – wenn Sie sich trauen…

Cover des Buches "Tintenblut" von Cornelia Funke Ein Jahr nach den Ereignissen in Tintenherz ist wieder Ruhe und Glück in Meggies Leben eingekehrt. Sie lebt mit ihren Eltern bei ihrer Tante Elinor und die Schrecken des vergangenen Jahres verblassen allmählich. Doch das Glück währt nicht lange. Immer noch versucht Staubfinger zusammen mit Farid zurück in seine Welt zu kommen und endlich scheint es so, als ob sie Erfolg hätten. Denn Orpheus, eine zwielichtige Gestalt, verfügt über ähnliche Kräfte wie Meggies Vater und erklärt sich bereit, Staubfinger in seine Welt zu lesen. Doch auch Basta und Mortola haben die Ereignisse in Capricorns Dorf überlebt und sind ebenfalls auf Orpheus aufmerksam geworden …

-Am längsten hatte sie drüber nachgedacht, welches Buch sie mitnehmen sollte. Ohne eins fortzugehen, wäre ihr vorgekommen, als würde sie ohne Kleider aufbrechen, aber es durfte nicht zu schwer sein, also kam nur ein Taschenbuch in Frage. »Bücher in Badekleidern«, nannte Mo sie, »schlecht gekleidet für die meisten Anlässe, aber im Urlaub eine praktische Sache.«-
Meggie liest

Endlich! Der neue Roman aus der Tintenwelt hat ein bisschen auf sich warten lassen, dafür wird der Leser aber umso mehr für seine Geduld belohnt.
Bereits beim Durchblättern fällt die liebevolle Gestaltung des Buches auf. Vor jedem Kapitel findet sich ein passendes Zitat und Zeichnungen (von der Autorin selbst erstellt) am Ende der Kapitel runden das Ganze noch ab. Außerdem gibt es eine Karte der Tintenwelt und ein Personenverzeichnis, die passenden Extras machen Lust, den Roman endlich zu lesen.

Schon nach den ersten Seiten ist man gefesselt von Cornelia Funkes Stil. Satz für Satz fügt sich die Geschichte stimmungsvoll zusammen und man taucht sofort wieder ein in Meggies Welt. Scheinbar mühelos erschafft die Autorin Bilder vor dem geistigen Auge des Lesers und fast scheint es, als gäbe es die Tintenwelt mit all ihren Bewohnern wirklich und man könnte sie durch das Buch ebenso leicht erreichen, wie Meggie oder Mo es können.

Zu den liebgewonnen Charakteren aus Tintenherz kommen weitere interessante Personen, die die Tintenwelt erst richtig lebendig werden lassen. Fast möchte man der Tintenwelt selbst mal einen Besuch abstatten, um all den Charakteren wirklich gegenüberzustehen.

Die Handlung weist mehr Komplexität auf als in Tintenherz und ist ein wenig blutiger, dennoch ist es vorbehaltlos auch für jüngere Leser zu empfehlen. Einziger Wermutstropfen: Das Ende des Buches ist nicht das Ende der Geschichte. Das offene Ende ist wirklich nicht leicht zu verkraften, wenn man so abrupt wieder aus der Tintenwelt in die Realität geschubst wird. Bleibt einem nur zu hoffen, dass der nächste Teil nicht so lange auf sich warten lässt …

Cover von Tintenherz von Cornelia FunkeDie zwölfjährige Meggie wohnt mit ihrem Vater Mo, einem Buchbinder, auf einem alten Bauernhof. Beide sind wahre Leseratten und die Bücher stapeln sich im ganzen Haus. In einer regnerischen Nacht sieht Meggie eine dunkle Gestalt im Garten stehen. Doch bald stellt es sich heraus, dass der Fremde Mo’s alter Freund Staubfinger ist, der gekommen ist, um ihn vor Capricorns Männern zu warnen. Diese ebenso bösartigen wie gnadenlosen Schurken sind hinter einem Buch her, das Mo gehört. Meggie versteht das nicht. Wer ist Capricorn? Was ist an diesem Buch so besonders? Und warum nennt Staubfinger ihren Vater “Zauberzunge”? Am nächsten Tag bringt Mo Meggie und das geheimnisvolle Buch zu Tante Elinor, die in ihrem Haus Tausende Bücher hortet, aber es nützt nichts: Capricorns Männer spüren sie auf…

– Es fiel Regen in jener Nacht, ein feiner, wispernder Regen. Noch viele Jahre später mußte Meggie bloß die Augen schließen und schon hörte sie ihn wie winzige Finger, die gegen die Scheibe klopften. Irgendwo in der Dunkelheit bellte ein Hund, und Meggie konnte nicht schlafen, so oft sie sich auch von einer Seite auf die andere drehte.-
Ein Fremder in der Nacht

Es ist einfach ein rundum gelungenes Buch. Lesen Sie’s und Sie werden es schon merken. Aber wenn ich mich so kurz fasse, bekomme ich Ärger mit der Redaktion ;-), deshalb also ein bißchen ausführlicher: Am Anfang fand ich Tintenherz ganz nett und als Mo und Meggie bei Tante Elinor wohnen, dachte ich, jetzt könnte die Geschichte mal bitte ein bißchen an Fahrt gewinnen. Genau in diesem Moment wurde der Roman so spannend, daß ich ihn nicht mehr aus der Hand gelegt habe, bis ich ihn ausgelesen hatte und bei der Lektüre habe ich dreimal eine Gänsehaut bekommen. Ich lese durchschnittlich drei Bücher in der Woche, eine Gänsehaut bekomme ich dabei höchst selten und für gewöhnlich nicht bei Kinderbüchern. Dieser Roman ist eine Hommage ans Lesen. Er macht deutlich, welchen Zauber Bücher auf Menschen ausüben und welche Macht gute Schriftsteller besitzen.

Die Charaktere sind voller Leben und es gibt für jeden Leser eine Figur mit der er sich identifizieren kann. Da ist Mo, ein Vater, wie ihn sich jedes Kind nur wünschen kann; Meggie, die beherzt und tapfer ist, auch und gerade, wenn sie Angst hat und in gefährlichen Situationen steckt; die dicke, resolute Tante Elinor, die glaubt, dass man Gangstern am besten die Polizei auf den Hals hetzt und die von den Ordnungshütern ständig enttäuscht wird; Staubfinger, ein Gaukler, der sich nach seiner Heimat sehnt; Farid, ein ungefähr fünfzehnjähriger Junge, der einer Räuberbande entkommen ist; Fenoglio, ein Großvater mit Schreibtalent; und falls Sie ein Haustier besitzen, das lesen kann, dann wird es sich wahrscheinlich mit Gwin, einem kleinen Marder identifizieren. Sie alle nehmen den Kampf gegen Capricorn und seine finsteren Gesellen auf und jeder von ihnen wird gebraucht, um ihn zu gewinnen.

Mehr kann ich über den Inhalt des Romans nicht schreiben, sonst müsste ich einen Spoiler an den anderen hängen. Stattdessen möchte ich noch etwas über die Aufmachung des Buches sagen: Jedem Kapitel ist ein Zitat aus einem anderen Buch vorangestellt, das einen Hinweis darauf gibt, worum es in diesem Kapitel geht. Auch in der Geschichte werden andere Bücher erwähnt. Für Vielleser sind diese Bezüge sehr reizvoll, Kinder, die noch nicht so viel gelesen haben, verstehen den Roman aber auch, wenn sie z.B. mit der Erwähnung von “Indianer Joe” nichts anfangen können. Das, was man aus anderen Kinderbüchern wissen muss, um die Geschichte zu verstehen, wird in den Roman eingeflochten. Am Ende jeden Kapitels gibt es eine kleine Illustration. Außerdem ist das Cover sehr schön gestaltet. Das Buch hat ein Lesebändchen, denn wie Tante Elinor Meggie erklärt, darf man Bücher nicht aufgeschlagen liegen lassen, weil man ihnen sonst den Rücken bricht, und es hat ein dunkelrotes Vorsatzblatt. Es müssen dunkle Vorsatzblätter sein, meint Mo, und am besten dunkelrote, wenn man ein solches Buch aufschlägt, dann ist es als ob im Theater der Vorhang aufgeht. Und damit hat er vollkommen Recht…

Cover von Tochter der Nacht von Marion Zimmer BradleyDas Buch erzählt die Geschichte der Zauberflöte aus der allseits bekannten Oper nach: Der edle Prinz Tamino soll im Auftrag der Königin der Nacht ihre Tochter Pamina aus den Fängen des Sarastro retten. An dessen Hof angekommen, stellt sich jedoch heraus, dass die Rollen von Gut und Böse nicht so verteilt sind wie anfangs gedacht, und so müssen sich Tamino und Pamina gemeinsam den vier Prüfungen der Elemente unterziehen.

„Die zierliche und zarte Prinzessin Pamina stand auf dem Balkon und blickte erschrocken auf den fahlen, blutroten Nebel, der über das Gesicht der silbernen Scheibe, über das Gesicht des Mondes kroch.“

Es gibt Bücher von der Autorin, die ich mit Begeisterung gelesen habe – aber dieses gehört eindeutig nicht dazu.
Der Prolog ist extrem verwirrend. Er erinnert an eine misslungene Kopie aus dem Silmarillion, denn es werden die Namen von allerlei Göttern und deren Rollen bei der Schaffung der Welt aufgezählt. Von Anfang an wirken die Welt und die darin wohnenden Personen dennoch platt und zu wenig durchdacht. Die Charaktere bleiben blass und stets in ihrer Rolle, die stattfinden Entwicklungen verlaufen so, wie es zu erwarten war. Wer die Oper kennt, darf auch von der Handlung her kaum Überraschungen erwarten.
Warum Tamino die verschiedenen Prüfungen ablegen soll und möchte, ist unklar. Es scheint, als müsste die Antwort auf alle Fragen nach dem Sinn der Handlung „weil es im Libretto steht“ lauten.
Die Prüfungen an sich wurden schön ausgestaltet und an phantastischen Elementen und Moral angereichert, diese Szenen lassen sich gut lesen .

In Atlas-Alamesios, der Welt von Tochter der Nacht (Night’s Daughter), spielen Halblinge, also Mischwesen aus Mensch und Tier, eine große Rolle. Diese sind durch genetische Experimente entstanden und werden in der Gesellschaft meist unterdrückt – was irgendwie überhaupt nicht zum ansonsten märchenhaften und auch so erzählten Rest des Romans passt. Auch wurde das Thema der Rassenideologie nicht immer angemessen behandelt und meiner Meinung nach zuweilen zu unkritisch betrachtet.

Ein wenig Positives kann man jedoch auch finden. Die kurzen Kapitel und die Beschränkung auf wenige Handlungsorte und -personen erleichtert dem Leser die Übersicht. Die Autorin hat glücklicherweise darauf verzichtet, die Vorlage in dieser Hinsicht unnötig auszuweiten und zu verkomplizieren. So fällt der Roman auch relativ dünn aus und lässt sich schnell weglesen. Streckenweise kommt auch ein wenig Spannung auf, vor allem im Verlauf der Prüfungen.

An sich ist die Umsetzung der Zauberflöte in Romanform eine schöne Idee. Es ist Marion Zimmer Bradley jedoch nicht geglückt, das im inneren Klappentext als „krude und nicht immer einleuchtend“ bezeichnete Libretto in eine nachvollziehbare Geschichte umzuschreiben, sondern auch durch ihren Roman ziehen sich Logiklöcher. Zudem ist der Stil zu plakativ und wenig magisch, daher würde ich das Buch selbst Opernliebhabern nicht empfehlen – schade um die Idee.

Cover von Voll im Bilde von Terry Pratchett Ungefähr dreißig Meilen entfernt von Ankh-Morpork befindet sich eine Landzunge. Dort lebte viele Jahre Deccan Ribobe, der letzte Hüter der Tür und sang Beschwörungen, die dafür sorgten, daß eine bestimmte Idee nicht entwich. Leider versäumte Deccan Ribobe, einen Nachfolger auszubilden und als TOD unerwartet eintrifft, wird diese Idee freigesetzt und fällt in Ankh-Morpork ein. Die Landzunge trägt übrigens den Namen Holy Wood und plötzlich fühlen ganz viele Einwohner Ankh-Morporks den Drang, sich an der Herstellung bewegter Bilder zu beteiligen. Es endet wie es immer endet: Die Scheibenwelt muß wieder einmal gerettet werden.

– Seht nur … Dies ist der Weltraum. Manchmal wird er auch als letzte Grenze bezeichnet. –

Falls Sie Schauspieler, Produzent oder ein Hund sind, der im Filmgeschäft arbeitet, dann werden Sie sich wahrscheinlich nach jeder zweiten Zeile vor Lachen auf die Schenkel schlagen, zustimmend mit dem Kopf nicken und vor sich hinmurmeln: “Genauso ist es, Pratchett hat wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen.” Falls Sie aber nur ein durchschnittliches Interesse am Film haben und/oder schon mehrere Scheibenweltromane gelesen haben, dann wird Ihnen Voll im Bilde (Moving Pictures) auch nur ein durchschnittliches Lesevergnügen bieten. Zum einen kennt der fleißige Pratchett-Leser mittlerweile das Rezept: Man nehme ein Thema, das auf der Erde allseits bekannt ist, verlege es auf die Scheibenwelt, reichere es mit Zauberern und Trollen an und ziehe es kräftig durch den Kakao. Zum anderen zitiert Pratchett sich selbst. Kameras funktionieren auf der Scheibenwelt, indem in ihrem Inneren Kobolde sitzen, die Bilder malen. Das ist originell, wenn man es zum erstenmal liest, aber nicht mehr besonders lustig, wenn man das Prinzip schon von den Fotoapparaten aus den Rincewind-Romanen kennt. Auch daß wieder jemand auftaucht, der mit einem S-Fehler spricht und die Einwohner Ankh-Morporks mit der Orthographie auf Kriegsfuß stehen, ist nur noch mäßig komisch, wenn man vorher schon neun andere Scheibenweltromane gelesen hat.

Voll im Bilde ist aber sehr gut als Einsteigerlektüre für jemanden geeignet, der die Scheibenwelt kennenlernen möchte, da es sich um eine abgeschlossene Geschichte handelt, für die man keine Vorkenntnisse benötigt. Hier trifft man allerdings nicht auf die Hauptfiguren aus anderen Romanen wie den Zauberer Rincewind, Oma Wetterwachs oder die Nachtwache und auch TOD hat nur zwei Kurzauftritte. Dafür macht der Würstchenverkäufer Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin-Schnapper ungeahnte Karriere, und das aus den Pyramiden bekannte Kamel “Du Miststück” spielt ebenfalls eine kleine Rolle. Hauptsächlich hängt das Wohl und Wehe der Scheibenwelt diesmal aber von dem Langzeitstudenten Victor und der Kellnerin Ginger ab, die beide vor den Kameras agieren und von dem Wunderhund Gaspode, der unglaublich intelligent ist und trotzdem gegenüber dem beschränkten aber viel schöneren Hund Laddie den Kürzeren zieht.

Pratchett parodiert in diesem Roman geldgierige Produzenten, den Starrummel und natürlich unzählige Filme wie Vom Winde verweht, Der weiße Hai, Star Trek, Schneewittchen, Lassie, King Kong

The Wise Man's Fear von Patrick RothfussKvothe erzählt Chronicler und Bast ein weiteres Stück seiner wildbewegten Lebensgeschichte: Der Konflikt mit seinem in der Thronfolge ein wenig aufgerückten Dauerrivalen Ambrose führt an der Universität zu neuen Verwicklungen, die ein Urlaubssemester ratsam erscheinen lassen. Auf Empfehlung eines Bekannten will Kvothe die Zeit  und seine musikalische Begabung  nutzen, um  einen mächtigen Adligen als Förderer zu gewinnen. Doch auf seiner Reise gerät er von einem Abenteuer ins nächste und sieht sich in seinen Nachforschungen über die Chandrian und den geheimnisvollen Orden der Amyr mit immer mehr Rätseln konfrontiert …

– Dawn was coming. The Waystone Inn lay in silence, and it was a silence of three parts. –
Prologue – A Silence of Three Parts

Patrick Rothfuss ist wahrscheinlich ein zu fähiger Autor, als dass er ein völlig misslungenes Buch vorlegen könnte, aber im Vergleich mit seinem großartigen Debüt The Name of the Wind (Der Name des Windes) fällt The Wise Man’s Fear (Die Furcht des Weisen) enttäuschend aus. Bis zu einem gewissen Grade ist dieser Eindruck sicher der Tatsache geschuldet, dass die Qualität des ersten Romans und die vergleichsweise lange Zeit bis zur Veröffentlichung des zweiten überhöhte Erwartungen geweckt haben, aber auch unabhängig davon weist der Text strukturelle und inhaltliche Schwächen auf, die alles Erzähltalent des Autors nicht ausgleichen kann.

Auf erzählerischer Ebene ist nämlich durchaus manches gewohnt gut: Einige Szenen sind von poetischer Intensität, und das Wechselspiel von Rahmenhandlung und Binnenerzählung ist weiterhin geschickt genutzt. Rothfuss’ sehr bewusster Umgang mit literarischen Techniken schimmert auch an den Stellen durch, die das Erzählen selbst zum Thema machen und fein beobachtet die Umformung von Realität in Geschichten und wiederum deren Einfluss auf die Wirklichkeit schildern. Humor und bitterer Ernst liegen dabei oft nahe beieinander: Schmunzelt man im ersten Augenblick noch darüber, wie Kvothe und Bast sich gegenseitig darin überbieten, eine wilde Lügengeschichte über Chronicler in die Welt zu setzen, ist im nächsten Moment schon die nachdenkliche Überlegung präsent, welche Auswirkungen sich verselbständigende Märchen auf Individuen oder ganze Volksgruppen haben können.

Bestimmte inhaltliche Aspekte liegen Rothfuss dabei erkennbar besonders am Herzen (so übt er etwa wiederholt Kritik an Rassismus und Vorverurteilungen), doch immer wieder steht auch der Akt des Erzählens oder der Informationsvermittlung selbst im Vordergrund, wobei neben den omnipräsenten Mitteln der Sprache und der Musik auch andere Kommunikationsformen ausgelotet werden, die sich dinglicher Symbole oder bestimmter Gesten bedienen.

Rothfuss’ eigener Sprachgebrauch genügt nicht immer den Ansprüchen, die man aufgrund seiner theoretischen Reflexionen an ihn heranzutragen versucht ist. I am no poet. I do not love words for the sake of words. I love words for what they can accomplish, lässt er seinen Helden sagen – und vielleicht trifft das auch auf ihn selbst zu, denn manches, was er hier mit Wörtern zu erreichen versucht, wirkt zu bemüht und gekünstelt. Generell schreibt Rothfuss zwar weiter auf hohem Niveau, doch dort, wo er mit Sprache spielt, ist das Ergebnis bestenfalls durchwachsen. Während der Varianten- und Bedeutungsreigen, den er um den Familiennamen „Lackless“ entwickelt, durchaus funktioniert (und eine gehörige Herausforderung für jeden Übersetzer darstellen dürfte), hat er sich zu viel vorgenommen, wenn er mit ziemlich schlechten Stabreimen arbeitet oder einen Teil der Dialoge in Versform präsentiert. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Letzteres gilt auch für die Fülle von Versatzstücken, aus denen Rothfuss seine weiterhin bunte Welt, sein Panoptikum von archetypischen bis skurrilen Figuren und die über weite Strecken etwas ziellos dahinmäandrierende Handlung zusammenfügt. Die Tempelritter, das Rechtsprinzip des benefit of clergy, eine Fee vom Schlage einer Belle Dame Sans Merci, eine bekannte Anekdote über Schiller und eine schiere Überfülle geläufiger Motive aus dem Fundus der (Fantasy-)Literatur sind alle irgendwie eingeflossen, wirken aber bisweilen recht willkürlich kombiniert.

Zu diesem Anschein von Beliebigkeit trägt sicher bei, dass die übergreifende Geschichte nur sehr langsam vorankommt und letztlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden. Besonders in der zweiten Hälfte des Buchs kommt einem Kvothe fast wie ein Rollenspieler vor, der auf einer Nebenquest nach der anderen Erfahrungen und Artefakte sammelt, ohne in der Sache große Fortschritte zu machen.

Das wäre sicherlich zu verschmerzen, wenn seine etwas episodisch angelegten Abenteuer wenigstens gute Unterhaltung bieten würden, doch leider hat man spätestens im letzten Drittel des Romans den Eindruck, dass Rothfuss mithilfe seines Helden recht pubertäre Träume auslebt: Von einer lüsternen übernatürlichen Partnerin zum kundigen Liebhaber ausgebildet gelangt Kvothe zu einem Kriegervolk, das ihn nicht nur in Fremden gewöhnlich vorenthaltene Kampfkünste einweiht, sondern auch ein höchst entspanntes Verhältnis zur Sexualität pflegt. Die entsprechenden Schilderungen bleiben zwar dezent, sind aber darum inhaltlich nicht weniger albern. Auch kämpferisch darf Kvothe aktiver als zuvor werden, und anfängliche Gewissensbisse über das ein oder andere Gemetzel an Schurken sind rasch überwunden, mangelt es doch nicht an Gelegenheiten, sich edel und hilfsbereit zu geben und zu fühlen.

Es nützt nur wenig, dass Rothfuss seinen Erzähler hier einiges selbst unter dem Hinweis auf seine damalige Jugend ironisieren lässt oder den Initiationscharakter bestimmter Plotelemente betont. Wäre nicht die Rahmenhandlung, die einem immer wieder die Erzählsituation ins Gedächtnis ruft und vor allem einen auf Menschenmaß zurechtgestutzten Kvothe zeigt, hätte man wahrscheinlich bald genug von dem Wunderknaben und seinen Erlebnissen. So aber bleibt immerhin die Hoffnung, dass es Rothfuss irgendwie gelingt, im letzten Band seiner Trilogie eine überzeugende Hinführung zur tragischen Jetztzeit seines Helden zu finden und zu demonstrieren, dass seine Erzählkunst zu mehr taugt als nur dazu, die Klammer um eine Loseblattsammlung mehr oder minder offenkundiger Entlehnungen zu bilden.