Bibliotheka Phantastika gratuliert – aufgrund widriger Umstände mit einem Tag Verspätung – Steven Brust, der gestern seinen 60. Geburtstag feiern konnte. Bereits mit seinem ersten Roman Jhereg (1983) – zugleich seiner ersten professionellen Veröffentlichung überhaupt – legte der am 23. November 1955 in St. Paul, Minnesota, geborene Steven Karl Zoltán Brust (nach eigener Aussage zunächst einmal unbewusst) den Grundstein für jenen Megazyklus, dem er sich in den Folgejahren immer wieder zuwenden sollte und der den Löwenanteil seines Œuvres ausmacht. Denn in Jhereg entführt Brust seine Leser und Leserinnen zum ersten Mal nach Dragaera, auf eine Welt, in der die langlebigen, elfenähnlichen Dragaerans bzw. Dragaerer eine wesentlich bedeutendere Rolle spielen als die von ihnen verachteten Ostländer (aka Menschen). Vlad Taltos ist einer dieser verachteten Ostländer, doch da sich sein Vater einst mit viel Geld in das Haus Jhereg – eines der etwas weniger angesehenen von den siebzehn Großen Häusern, die das Dragaerische Imperium beherrschen – eingekauft hat und Vlad selbst die Prinzipien des Hauses Jhereg als Auftragsmörder erfolgreich und überzeugend vertritt, ist es ihm nicht nur gelungen, einen Platz in der dragaerischen Gesellschaft zu finden, sondern auch hochrangige Dragaerer als Freunde zu gewinnen – was die Aufträge, die er immer mal wieder übernehmen muss, keineswegs weniger gefährlich macht. Immerhin kann er sich auf die Unterstützung von Loiosh verlassen, einem kleinen, drachenähnlichen, intelligenten Jhereg (das Wappentier des gleichnamigen Hauses), mit dem er telepathisch in Kontakt steht.
Jhereg und die beiden folgenden Bände Yendi (1984) und Teckla (1987) lassen sich aufgrund ihres Plots und ihres Erzählduktus am ehesten als Krimis im Fantasyland beschreiben, wobei Brusts vielleicht cleverster Schachzug darin besteht, dass Vlad, dieser mit einem angesichts seiner Lebensumstände nachvollziehbaren zynischen Humor ausgestattete Antiheld, auf der moralisch sicheren Seite bleibt, obwohl er ein Verbrechen begehen und nicht etwa verhindern oder aufklären soll. Da Brust aber mittlerweile klargeworden war, dass er dabei war, eine Serie zu schreiben, ergänzte er in Taltos (1988, auch als Taltos and the Paths of the Dead (1991), Phoenix (1990), Athyra (1993), Orca (1996), Dragon (1998), Issola (2001), Dzur (2006), Jhegaala (2008), Iorich (2010), Tiassa (2011) und Hawk (2014) den zwar teilweise immer noch vorhandenen Krimiplot um andere Themen; Taltos beispielsweise erhellt Vlads eigene Vergangenheit, während die übrigen Bände immer neue Einblicke in die faszinierende dragaerische Gesellschaft mit ihrem rigiden Kastensystem und in die lange Geschichte Dragaeras bieten. Mit Hawk ist im vergangenen Jahr bereits der vierzehnte Vlad-Taltos-Roman erschienen; insgesamt ist die Sequenz auf neunzehn Bände angelegt, von denen siebzehn jeweils den Namen eines der Großen Häuser tragen sollen, einer nach dem Titelheld der gesamten Sequenz benannt (und bereits erschienen) ist, während der letzte Band laut Brust The Final Contract heißen wird.
Ebenfalls auf Dragaera angesiedelt, aber nur sehr vage mit der Vlad-Taltos-Sequenz verbunden, ist der Einzelroman Brokedown Palace (1985), der eine Geschichte aus den Königreichen der Menschen erzählt und sich auch stilistisch deutlich von den Taltos-Romanen unterscheidet.
Letzteres gilt in weit größerem Maß auch für die ursprünglich als Trilogie geplanten, mehrere hundert Jahre vor den Abenteuern Vlad Taltos’ spielenden Khaavren Romances, die eine Hommage an die Mantel-&-Degen-Geschichten von Alexandre Dumas (sprich: an Die drei Musketiere und ihre Fortsetzungen) darstellen, und in denen sich Steven Brust auch stilistisch auf die Spuren von Dumas begeben hat. Verpackt in eine in üppiger Prosa geschilderte abenteuerliche Handlung werfen The Phoenix Guards (1991), Five Hundred Years After (1994) und die (ursprünglich als dritter Band geplante) Trilogie The Viscount of Adrilankha (Einzeltitel: The Paths of the Dead (2002), The Lord of Castle Black (2003) und Sethra Lavode (2004)) Schlaglichter auf die Vergangenheit Dragaeras und zeigen etliche bereits aus den Vlad-Taltos-Romanen bekannte Figuren in einem sich deutlich von der Gegenwart unterscheidenden Umfeld.
Neben den mittlerweile zwanzig Dragaera-Romanen hat Steven Brust auch ein paar Einzeltitel verfasst. Dazu zählen u.a. To Reign in Hell (1984) – die möglicherweise von Miltons Paradise Lost beeinflusste, etwas andere Geschichte über die Revolte Satans – oder der ungewöhnliche Vampirroman Agyar (1993), sowie der gemeinsam mit Megan Lindholm geschriebene Urban-Fantasy-Roman Gypsy (1992) – dessen der ungarischen Folklore entlehnte Elemente (die auch in Brokedown Palace zu finden sind) als Reverenz an Brusts ungarische Wurzeln zu verstehen sind – und der mit Emma Bull verfasste Briefroman Freedom & Necessity (1997).
In all seinen Romanen hat Steven Brust – der auch als Musiker aktiv war und ist und mit A Rose for Iconoclastes (1993) u.a. auch ein Solo-Album veröffentlicht hat – sich als thematisch und stilistisch vielfältiger Autor erwiesen, dessen frühe Werke nicht zuletzt als ein weiteres Beispiel für die enorme Bandbreite der Fantasy in den 80er Jahren dienen können. Von daher ist es zu bedauern, dass bislang nur die ersten sechs Romane um Vlad Taltos – in einer eher an ihrer inneren Chronologie als an den Daten ihrer Erstveröffentlichung orientierten Reihenfolge – als Jhereg (2002), Taltos (2002), Yendi (2003), Teckla (2003), Phoenix (2004) und Athyra (2005) auf Deutsch erschienen sind.
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Nun ja, “thematisch und stilistisch vielfältig” ist doch sehr milde gesagt – Brust ist einer der formal wagemutigsten Fantasy-Autoren überhaupt, nicht nur seit über dreißig Jahren konsistent mit so ziemlich jedem seiner Romane etwas neues, anderes auszuprobiert, sondern es auch noch schafft seinen strukturellen Einfallsreichtum so geschickt zu verpacken, daß man überhaupt nicht merkt wie erzählerisch höchst ungewöhnlich das ist, was Brust einem da so vorsetzt. Ich wüßte keinen anderen Autor (nicht nur im Bereich der Phantastik) der es schafft formales Experiment so durchgängig brilliant mit spannender Unterhaltung zu verbinden.
Hallo Heloise,
es mag sein, dass “thematisch und stilistisch vielfältig” Brust und seinen Romanen nicht ganz gerecht wird – aber das ist in gewisser Hinsicht ein Grundproblem dieser Beiträge, die normalerweise das Werk bzw. die Karriere eines Autors oder einer Autorin schlaglichtartig beleuchten sollen, aber eher selten in die Tiefe gehen. Letzteres würde nämlich voraussetzen, sich sehr intensiv mit den jeweils anstehenden Geburtstagskindern auseinanderzusetzen, und das wiederum ist aufgrund der schieren Menge an Kandidaten schlicht nicht machbar.
Bei vielen Autoren und Autorinnen, über die ich mich im Rahmen dieser Jubiläumspostings auslasse (und das gilt für Kaeferl ähnlich), habe ich die Bücher, um die es geht, vor Jahren gelesen, und auch wenn ich normalerweise nochmal kurz in ein paar Sachen reinschaue, bevor ich den Text schreibe, reicht das nicht für eine in die Tiefe gehende Analyse – vor allem, wenn man kein Spezialist für den entsprechenden Autor ist. Von daher sind Ergänzungen in Form von Kommentaren immer willkommen. 😉
Mir bzw. uns geht es in diesen Postings anlässlich von Geburts- oder Todestagen vor allem darum, die thematische und stilistische Bandbreite des Genres und angrenzender Bereich aufzuzeigen, und vielleicht auf den einen oder anderen vergessenen Autor, die eine oder andere übersehene Autorin hinzuweisen. Mehr können und sollen diese Beiträge gar nicht sein. Wenn es uns gelingt, ein bisschen Neugier und Interesse an manchen Autoren/Autorinnen oder Werken zu erwecken – schön. Und wenn wir Leute wie dich, die diese Beiträge lesen und vielleicht etwas Ergänzendes zu sagen oder Widerspruch anzumelden haben, dazu bringen, einen Kommentar zu verfassen – auch schön. Denn das bringt vielleicht andere Leser und Leserinnen dazu, sich wirklich mal Autoren und Autorinnen anzusehen, die sie bislang noch nicht ausprobiert haben oder von denen sie zuvor nie/kaum etwas gehört hatten.
(Und last but not least veranlasst mich dein Kommentar, Brusts Taltos-Sequenz mal endlich weiterzulesen, denn davon kenne ich gerade mal die Hälfte. Aber – um einen Ausspruch von Mister X abzuwandeln – auch hier ist das Problem: So much to read, so little time …) 😉
Es war vielleicht nicht der glücklichste Aufhänger für einen Kommentar, den ich durchaus als Ergänzung gemeint hatte, und nicht als Kritik. Ich bin auf eure Seite gestossen weil ich kürzlich Esther Rochons Der Träumer in der Zitadelle gelesen habe, und dann beim anschließenden Googlen auf euren Artikel zu ihrem 65. Geburtstag gestossen bin, und beim weiteren Durchklicken bin ich dann bei Steven Brust gelandet, der – man wird es schon erraten haben – einer meiner Fantasy-Lieblingsautoren ist. Und ich finde es ehrlich sehr lobenswert, was ihr hier macht, gerade mit Hinblick auf jemanden wie Esther Rochon, die nicht nur hierzulande sondern auch im englischen Sprachraum (leider!) kaum jemand kennt.
Was die Talos Romane angeht, so sollte man idealerweise nicht nur weiterlesen sondern nochmal von vorne anfangen – vieles von dem, was Brust in die Romane gepackt hat findet man erst bei wiederholtem Lesen und wenn man die späteren Romane kennt. Außerdem sind sie alle verhältnismäßig kurz und überaus unterhaltsam, und man kann drei davon in der Zeit lesen, die es für einen Robert Jordan braucht. 😉
Hallo Heloise,
kein Problem. 😉 Ich muss zwar zugeben, dass ich bei deinem Kommentar kurz gezuckt habe, aber ich weiß natürlich, wie ich selbst reagiere, wenn einer meiner Lieblingsautoren mMn unter Wert geschlagen wird. Von daher kann ich deinen Kommentar nachvollziehen – und er hat mir die Gelegenheit gegeben, ein bisschen was geradezurücken, was sich ja auch nicht von selbst erklärt, wenn man auf diese Blogeinträge stößt. Und du kannst natürlich gerne weitere Kommentare abgeben, wenn dir etwas auffällt oder du etwas ergänzen oder auch Widerspruch anmelden willst!
Interessant finde ich, dass auch du über den Beitrag zu Esther Rochon auf diesen Blog gestoßen bist, denn immerhin ist es fast vierzig Jahre her, dass Der Träumer in der Zitadelle erschienen ist; ich hätte erwartet, dass gerade eine Autorin wie Esther Rochon heutzutage eigentlich niemandem mehr etwas sagt – aber so kann man sich täuschen.
Dass der nichtenglische Sprachraum in der Fantasy sowohl hierzulande wie auch in den USA und GB deutlich unterrepräsentiert ist, finde ich ebenfalls sehr bedauerlich – auch, aber nicht nur im Hinblick auf die frankokanadische SF/Fantasy-Szene – aber ich fürchte, daran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern, denn die meisten Leser & Leserinnen haben sich mittlerweile so sehr an den typischen “American way of storytelling” gewöhnt, dass andere erzählerische Ansätze ganz schnell abgelehnt werden. Je, nu …
Die Taltos-Romane werde ich mir sicher irgendwann noch mal vornehmen (und dann vermutlich auch von Anfang an, denn es ist lange her, dass ich die ersten gelesen habe); das Problem ist nur, dass mein SUB furchtbar hoch ist und eigentlich beständig weiterwächst …
(Sorry übrigens, dass die Antwort so lange gedauert hat, aber ich war und bin schwer erkältet und habe in den letzten knapp zwei Wochen am PC nur das gemacht, was unbedingt notwendig war.)