Bibliotheka Phantastika erinnert an Mary Renault, deren Geburtstag sich heute zum 110. Mal jährt. Vielen unserer Leserinnen und Leser dürfte dieser Name (unter dem die am 04. September 1905 in Forest Gate in der englischen Grafschaft Essex geborene Eileen Mary Challans ihre schriftstellerischen Arbeiten veröffentlichte) wenig bis nichts sagen – was vermutlich einerseits damit zu tun hat, dass Mary Renault vor allem für ihre historischen Romane bekannt war, und andererseits damit, dass sie hierzulande praktisch vom Buchmarkt verschwunden ist.
Ihre bekanntesten Werke drehen sich um Alexander den Großen, dem sie nicht nur drei Romane gewidmet hat (1969, ’72 und ’81), sondern über den sie auch eine – wegen der allzu positiven Darstellung Alexanders umstrittene – Biographie verfasst hat (1975). Doch bevor sie sich ihrem Lieblingsobjekt zugewandt hat, hat sie sich mit anderen, ebenfalls in der griechischen Antike angesiedelten Romanen sozusagen warmgeschrieben. In zwei davon steht mit Theseus einer der berühmtesten Helden der griechischen Mythologie im Mittelpunkt – und man kann sie, wenn man denn will, durchaus als Fantasy lesen. Oder als (möglicherweise wahre) Geschichte, die zur Grundlage der überlieferten Sage wurde.
Die beiden Romane orientieren sich logischerweise am (nicht immer eindeutigen) Theseus-Mythos, d.h. sie übernehmen dessen wichtigste Elemente, ändern aber auch manche davon ab. In The King Must Die (1958; dt. Der König muss sterben (1959)) werden Theseus’ Kindheit und seine frühen Abenteuer in Troizen, Eleusis und Athen sowie auf Kreta und Naxos erzählt, und in The Bull from the Sea (1962; dt. Der Bulle aus dem Meer (1963)) geht es um seine Zeit als König von Athen und seine Beziehungen zu Hippolyta, der Anführerin der Amazonen, und zur kretischen Prinzessin Phaedra. Phantastische Elemente spielen – je nach Lesart – nur eine marginale oder überhaupt keine Rolle, was angesichts des Zeitpunkts, zu dem die Romane erschienen sind, nicht weiter verwunderlich ist; wo Fantasy als Genre noch gar nicht existiert, kann es eigentlich auch keine Historische Fantasy geben. Andererseits gelingt es Mary Renault, auf überzeugende Weise eine Kultur zu schildern, in der magisches Denken noch eine wichtige Rolle spielt. Und Letzteres ist vielleicht auch eine der großen Stärken der beiden Romane, die im Werk der am 13. Dezember 1983 in ihrer Wahlheimat Südafrika verstorbenen Autorin wohl eine eher untergeordnete Stellung einnehmen, die man aber durchaus als Ahnen so mancher viele Jahre später geschriebener historischer Fantasyromane betrachten kann.
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