Zum 65. Geburtstag von Stephen R. Lawhead

Bibliotheka Phantastika gratuliert Stephen R. Lawhead, der heute 65 Jahre alt wird. Dass die spirituelle Heimat des am 02. Juli 1950 in Kearney, Nebraska, geborenen Stephen Ray Lawhead der christliche Glaube ist, lässt sich in so ziemlich allen seinen Werken leicht feststellen, denn sie weisen durchgängig entsprechende, mal mehr, mal weniger deutlich spürbare Bezüge auf und finden sich auch regelmäßig auf den Listen mit Christian Fantasy. Ob und inwieweit diese Bezüge zum christlichen Glauben wahrgenommen und als störend oder bereichernd empfunden werden, hängt von den Lesern und Leserinnen selbst bzw. deren Sensibilität und/oder Umgang mit dieser Thematik ab.
Stephen Lawheads literarische Karriere begann – nach einem missglückten Ausflug ins Musik-Geschäft – reichlich unspektakulär mit der Veröffentlichung seines ersten Romans In the Hall of the Dragon King (1982), der mit den Folgebänden The Warlords of Nin (1983) und The Sword and the Flame (1984) die Dragon King Trilogy bildet, die als Dragon King Saga (1998) auch als Sammelband erschienen ist. Die Trilogie, die es unter dem Titel Die Saga des Drachenkönigs – Einzeltitel: In der Halle des Drachenkönigs (1997), Die Kriegsherren des Nin (1997) und Das Schwert und die Flamme (1998) – auch nach Deutschland geschafft hat, schildert die Abenteuer des jungen Tempel-Akolythen Quentin, eines Waisen, der eines Tages einen verwundeten Ritter auf den Stufen des Tempels findet und kurz darauf mit der Mission unterwegs ist, das Königreich Mesandor vor dem Bösen zu retten. Die Dragon King Trilogy ist eine Mischung aus Entwicklungsroman und Queste und somit typische 80er-Jahre-Fantasy, die allerdings unter einem allzu vorsehbaren Plot, klischeehaften und eindimensional gezeichneten Figuren und einer sehr simplen Gut-Böse-Dichotomie (vor allem der böse Magier Nimrood gerinnt mehr oder weniger zur Karikatur) leidet.
Taliesin von Stephen LawheadNach einem kurzen, bereits wesentlich gelungeneren Ausflug in die SF mit Dreamthief (1983; dt. Traumdieb (1992)) und dem aus den Romanen The Search for Fierra (1985) und The Siege of Dome bestehenden Empyrion-Zweiteiler (dt. Empyrion: Die Suche und Empyrion: Die Belagerung (beide 1998)) wandte sich Lawhead mit dem fünfbändigen Pendragon Cycle wieder der Fantasy – in diesem Fall dem Artus-Mythos – zu.
Wobei er die Geschichte in Taliesin (1987) deutlich früher beginnen lässt, als man es sonst aus der Artus-Literatur kennt, nämlich mit den Eltern von Merlin, der atlantischen Königstochter Charis und dem keltischen Königssohn und Druiden Taliesin, deren Lebensgeschichte in zwei separaten Handlungssträngen geschildert wird, da sie sich erst begegnen, nachdem Atlantis untergegangen ist. In den beiden direkt an Taliesin anschließenden Bänden Merlin (1988) und Arthur (1989) bewegen wir uns wie in den etwas später nachgeschobenen Fortsetzungen Pendragon (1994) und Grail (1997) dann wieder in vertrauteren Gefilden. Die Idee, den Artus- mit dem Atlantis-Mythos zu verknüpfen, macht den Pendragon Cycle – dessen erste vier Bände als Die Pendragon-Saga mit den Einzeltiteln Taliesin, Merlin (beide 1995), Artus und Pendragon (beide 1996) auch auf Deutsch erschienen sind – zu einem zunächst einmal recht originellen und ungewöhnlichen Bestandteil der Artus-Literatur. Lawheads Atlantis bzw. dessen Kultur ist zwar ein wildes Konglomerat aus den unterschiedlichsten Versatzstücken, aber durchaus interessant, und der keltische Hintergrund des frühen Britannien wirkt sauber recherchiert. Allerdings erweisen sich speziell bei diesem Zyklus die christlichen Elemente bzw. deren Verwendung als problematisch, denn dadurch, dass Lawhead so ziemlich alle wichtigen Figuren – das heißt, auch Taliesin und Merlin – zu Christen macht, löscht er den ursprünglichen mythischen Subtext des Artus-Mythos aus (sein Merlin, dessen Denken und Handeln von seinen christlichen Überzeugungen geleitet wird, ist der genaue Gegenentwurf zum durch und durch heidnischen Merlin, wie ihn der erst kürzlich hier erwähnte Nikolai Tolstoy schildert). Ob und inwieweit das den Lesespaß mindert, den man vor allem an den ersten drei Bänden des Pendragon Cycle finden kann, bleibt jedem Leser bzw. jeder Leserin selbst überlassen.
Dass neben dem christlichen Glauben auch die keltische Mythologie für Stephen Lawhead eine wichtige Rolle spielt, konnte man man schon seiner Interpretation des Artus-Mythos anmerken. Noch wesentlich tiefer in der keltischen Mythologie verwurzelt ist die Trilogie The Song of Albion, die er nach den ersten drei Bänden des Pendragon Cycle verfasst hat. In The Paradise War (1991) geraten zwei Junge Studenten aus Oxford – der Amerikaner Lewis Gillies und sein Zimmergenosse, der Engländer Simon Rawson – in die keltische Anderswelt. Simon, der genau wusste, was er tat, hilft zunächst dem deutlich später eintreffenden Lewis, sich in der keltischen Kriegergesellschaft (der er selbst inzwischen angehört) zu integrieren. Doch als ein altes Übel neu erwacht und ein Streit um die Thronfolge entbrennt, werden Llew und Siawn Hy, wie sie jetzt genannt werden, alsbald zu erbitterten Gegnern. Der Konflikt zwischen Llew bzw. Llew Silver Hand und Siawn Hy setzt sich auch in den Folgebänden The Silver Hand (1992) und The Endless Knot (1993) fort, in denen außerdem alte Mächte der Anderswelt eine The Paradise War von Stephen Lawheadebenso wichtige Rolle spielen wie die Versuche von Menschen aus unserer Welt, die Anderswelt auszubeuten. Die Trilogie, die als Das Lied von Albion – Einzeltitel: Krieg im Paradies (1993), Rückkehr der Helden (1994) und Der endlose Knoten (1995) – ebenfalls auf Deutsch erschienen ist, ist vielleicht Lawheads gelungenster Beitrag zur Fantasy. Zwar sind natürlich auch hier – vor allem im letzten Band – christliche Elemente spürbar, aber sie verzerren das Ausgangsmaterial nicht ganz so stark wie das beim Pendragon Cycle der Fall war.
Nach The Song of Albion konzentrierte sich Stephen Lawhead – abgesehen von dem vage mit dem Pendragon Cycle verküpften Near-Future-Thriller Avalon: The Return of King Arthur (1999; dt. Avalons Rückkehr (2003)) – mehrere Jahre lang auf das Verfassen historischer Romane ohne phantastische Elemente wie Byzantium (1996), eine Trilogie mit dem Titel The Celtic Crusades (1998-2001), Patrick: Son of Ireland (2003; auch als Patrick (2004)) und die King Raven Trilogy (2006-2009), eine eigenwillige Neuinterpretation der Legende von Robin Hood, die Lawhead vom mittelenglischen Nottinghamshire nach Wales verlegte. Auch diese Romane sind übersetzt und hierzulande veröffentlicht worden.
2010 ist er mit The Skin Map, dem ersten Band des fünfteiligen Zyklus Bright Empires, wieder zur Phantastik zurückgekehrt. In The Skin Map und den Folgebänden The Bone House (2011), The Spirit Well (2012), The Shadow Lamp (2013) und The Fatal Tree (2014) geht es um die Ley Lines oder Ley-Linien – hypothetische Pfade, auf denen man durch die Zeit in alternative Welten reisen kann. Das behauptet zumindest Kit Livingstones vermeintlich längst toter Urgroßvater, derm er eines Tages überraschend begegnet. Natürlich glaubt Kit ihm kein Wort, doch als seine Freundin Wilhelmina kurz darauf auf einem dieser Pfade verschwindet, begibt sich Kit auf eine Reise durch Raum und Zeit, die ihn an die ungewöhnlichsten Orte führt. Wie fast das gesamte Œuvre Lawheads (abgesehen von seinen Kinderbüchern und dem letzten Band des Pendragon Cycle) ist auch dieser Zyklus als Die schimmernden Reiche – Einzeltitel: Die Zeitwanderer (2011), Das Knochenhaus (2012), Die Seelenquelle (2013), Das Schattenlicht (2014) und Der Schicksalsbaum (2015) auf Deutsch erschienen.

2 Kommentare zu Zum 65. Geburtstag von Stephen R. Lawhead

  1. Pogopuschel sagt:

    Danke für diese Übersicht. Um Lawhead bin ich immer herumgeschlichen, habe mich aber doch nicht getraut, da er Artus-Mythos in Buchform für mich eher ein Abturner ist.

    Zum Cover von “Taliesin”: Als die Helden noch Schnauzer hatten. 🙂

  2. gero sagt:

    @ Pogo:

    Lawhead ist ein komplizierter Fall. Ich habe ihn damals mit “Traumdieb” (fängt gut an und fußt auf einer originellen Idee, fällt aber ab der Mitte oder so deutlich ab) und dann mit dem “Lied von Albion” (an das ich recht positive Erinnerungen habe) kennengelernt. Er ist nicht unbedingt ein sonderlich dynamischer Erzähler, aber er hat immer mal wieder nette kleine Ideen. Die Bewertung seiner Artus-Saga hängt halt stark davon ab, inwieweit man für … sagen wir mal von persönlichen Überzeugungen geprägte Variationen des Themas offen ist. 😉

    Unterm Strich ist er für mich eigentlich ein typischer Midlist-Autor mit gelegentlichen Ausschlägen nach oben und unten; lustigerweise ist ein Großteil seiner Sachen auf Deutsch zuerst im Hardcover erschienen (d.h. nicht nur seine historischen Romane, sondern auch alle drei Fantasy-Zyklen und sein erster SF-Roman), was ihn irgendwie “gewichtiger” erscheinen lässt als er es mMn wirklich ist.

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