Zum 100. Geburtstag von Henry Kuttner

Bibliotheka Phantastika erinnert an Henry Kuttner, dessen Geburtstag sich heute zum 100. Mal jährt. Auch der am 07. April 1915 in Los Angeles, Kalifornien, geborene Henry Kuttner dürfte zu den – zumindest hierzulande – mittlerweile mehr oder weniger vergessenen Autoren gehören, und falls sich doch noch jemand an ihn erinnert, dann vermutlich als SF-Autor. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn ein Großteil seiner rund 300 unter diversen Pseudonymen veröffentlichten Kurzgeschichten (die er ab 1940 fast immer zusammen mit seiner Frau C.L. Moore verfasst hat) und seine bekanntesten Romane sind der SF zuzurechnen.
Elak of Atlantis von Henry KuttnerDoch angefangen hat Henry Kuttners literarische Karriere im vielleicht bekanntesten aller Pulp-Magazine, nämlich in Weird Tales, wo in der Märzausgabe 1936 seine allererste Story “The Graveyard Rats” (dt. u.a. “Die Friedhofsratten”*) veröffentlicht wurde, der rasch weitere in ebendiesem und anderen Magazinen folgen sollten. Von daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass Kuttner einer der Autoren war, die die Lücke schließen sollten oder wollten, die der Tod Robert E. Howards bei Weird Tales hinterlassen hatte. Und so erschien 1938 in der Mai- und Juniausgabe des Magazins mit “Thunder in the Dawn” die erste und längste von vier Geschichten um den Abenteurer Elak, der es auf dem Inselkontinent Atlantis immer wieder mit bösen Magiern (und gelegentlich auch feindseligen Wikingern und anderen eher weltlichen Gegnern) zu tun bekommt.
Auch wenn Howards Fußstapfen sich letztlich als zu groß erweisen sollten – was besonders in “Thunder in the Dawn” (dt. “Donner in der Morgendämmerung”) deutlich zu spüren ist – muss man Kuttner zubilligen, dass er im Gegensatz zu manch anderem Sword-&-Sorcery-Autor vor allem der 60er und 70er Jahre mit Elak keinen (mehr oder weniger weichgespülten) Conan-Klon geschaffen hat, denn Elak ist eigentlich ein Königssohn namens Zeulas, der aus (nun ja, nicht ganz) freien Stücken seine Heimat verlassen und die Laufbahn eines umherziehenden Abenteurers und Söldners eingeschlagen hat. Das erfährt man bereits in dieser ersten Geschichte, in der Elak zusammen mit seinem trinkfreudigen Kumpan Lycon und dem Druiden Dalan seinen Bruder, König Orander, und das Königreich Cyrena vor dem bösen Magier Elf und einer mit diesem verbündeten Horde Wikinger retten muss.
Ebenfalls noch 1938 erschienen mit “The Spawn of Dagon” und “Beyond the Phoenix” (dt. “Jenseits des schlafenden Phoenix”) zwei weitere, deutlich kürzere Stories, in denen Elak und Lycon (der allerdings auch schon mal betrunken in einer Ecke liegt) sich mit zwei einander bekämpfenden Magiern bzw. einem verräterischen Hohepriester herumschlagen müssen. Die letzte Elak-Story “Dragon Moon” (dt. “Drachenmond”) wurde schließlich 1941 veröffentlicht und weist einige Parallelen zur ersten auf. Wieder geht es für Elak – begleitet von Lycon und dem Druiden Dalan – ins heimatliche Cyrena, doch dieses Mal ist es zu spät, seinen Bruder zu retten, und auch die Gefahr, in der Cyrena (und letztlich ganz Atlantis) schwebt, ist deutlich größer als je zuvor und erfordert ungewöhnliche Maßnahmen bzw. Verbündete.
The Dark World von Henry KuttnerDie vier von Henry Kuttner ziemlich zu Beginn seiner Karriere verfassten Elak-Stories sind zwar gewiss keine Meilensteine der Sword & Sorcery, aber sowohl genrehistorisch wie auch im Hinblick auf die Entwicklung eines Autors interessant, weil in ihnen keine Figur vom Conan-Typus die Hauptrolle spielt (und man sie durchaus als die ersten Buddy-Stories der S&S bezeichnen könnte), und weil man die schriftstellerische Weiterentwicklung Kuttners an ihnen ablesen kann. Während “Thunder in the Dawn” ein paar originelle Ansätze aufweist, aber stilistisch und erzählerisch noch ziemlich holpert, ist “Spawn of Dagon” bereits deutlich flüssiger erzählt (leidet aber an einem unoriginellen Plot), wohingegen “Beyond the Phoenix” und vor allem “Dragon Moon” sehr ordentliche Sword-&-Sorcery-Stories sind, in denen Kuttner nicht zuletzt mit der Beschreibung der außerweltlichen Sphären punkten kann, in die es Elak (nebenbei bemerkt auch schon in der allerersten Geschichte) immer mal wieder verschlägt. Wenn man sie als genau das – und nicht als Meilensteine oder gar Meisterwerke – betrachtet und sich klarmacht, wann und für welchen Markt diese Geschichten geschrieben wurden, kann man sie auch heute noch mit Vergnügen lesen.
Henry Kuttners zweiter Ausflug in die Sword & Sorcery fiel noch kürzer aus; er bestand aus den beiden 1939 in Strange Stories veröffentlichten Erzählungen “Cursed Be the City” (dt. “Der Fluch der Stadt”) und “The Citadel of Darkness” (dt. “Die Zitadelle in der Dunkelheit”), in deren Mittelpunkt Prince Raynor steht, der Erbe eines mythischen, in der heutigen Wüste Gobi gelegenen Königreichs. Raynor hat dabei einen ziemlich schlechten Start, denn nachdem ein gewisser Cyaxeres mit seinen Leuten das Reich und dessen Hauptstadt Sardopolis erobert und Raynors Vater getötet hat, wird der Prinz in den Kerker geworfen, um dort gefoltert zu werden. Doch ehe das Schlimmste eintritt, wird Raynor von dem Nubier Eblik, seinem Diener und Freund gerettet, und gemeinsam suchen sie nach Verbündeten, um den Eroberer wieder aus der Stadt und dem Reich zu vertreiben …
Die beiden direkt aneinander anschließenden bzw. aufeinander aufbauenden Prince-Raynor-Stories sind Howards Conan-Stories von der Atmosphäre her näher als die Elak-Stories; sie sind düsterer, ihre Figuren (zu denen mit Delphia auch eine für die damaligen Verhältnisse ungewöhnliche Frau gehört) klarer gezeichnet, und auch stilistisch und erzählerisch kann man in ihnen schon den Henry Kuttner erahnen, der ein paar Jahre später (und natürlich zusammen mit C.L. Moore) kleine Meisterwerke wie die SF-Story “Mimsy Were the Borogoves” (1943 in Astounding Science Fiction, dt. “Gar elump war der Pluckerwank”) erschaffen sollte. Das Potential für weitere Erzählungen war in Figuren und Setting vorhanden, doch leider sollten diese beiden Auftritte Prince Raynors seine einzigen bleiben.
Dass Kuttner auch mit der spielerischeren Variante der Fantasy umgehen konnte, hat er z.B. mit “The Misguided Halo” (Unknown 1939, dt. “Der fehlgeleitete Heiligenschein”) bewiesen, und in den 40er Jahren hat er zusammen mit C.L. Moore einige Romane verfasst, deren SF-Elemente eher Dekoration sind (bzw. es ermöglicht haben, sie an SF-Magazine zu verkaufen), unter denen sich eine mehr oder weniger eindeutige The Mask of Circe von Henry KuttnerFantasyhandlung verbirgt. Dazu gehören beispielsweise Earth’s Last Citadel (Magazinveröffentlichung 1943, Buchausgabe 1964; dt. Der Brunnen der Unsterblichkeit (1966)), The Dark World (1946 bzw. 1965; dt. Lord der Dunklen Welt (1975)) und The Mask of Circe (1948 bzw. 1971). Die vier Elak- und die beiden Prince-Raynor-Stories sind jeweils erst in den 80er Jahren als Elak of Atlantis (1985) bzw. Prince Raynor (1987) gesammelt in einer Kleinstauflage erschienen; alle sechs Geschichten findet man in dem 2007 bei Paizo veröffentlichten Band, der ebenfalls Elak of Atlantis heißt. Für Lovecraft-Fans ist vielleicht noch interessant, dass Kuttners zwischen 1936 und 1939 entstandene Beiträge zum Cthulhu-Mythos in dem Sammelband The Book of Iod (1995) zusammengefasst wurden.
Um auf Henry Kuttners SF einzugehen, die ab 1940 (und wie erwähnt fast ausschließlich in Zusammenarbeit mit C.L. Moore) den Schwerpunkt seines Schaffens gebildet und in der er seine besten Arbeiten abgeliefert hat, ist hier nicht der richtige Ort. Seine Ausflüge in die Fantasy waren nach eher schwächelndem Beginn durchaus lesenswert, und wer kann schon sagen, was er in diesem oder einem der anderen Genres, in denen er aktiv war, noch hätte leisten können, wenn er nicht bereits am 03. (oder 04. – die Quellen sind sich da uneins) Februar 1958 im Alter von 42 Jahren an einem Herzinfarkt verstorben wäre.

* – bibliographische Angaben zu den im Text genannten auf Deutsch erschienen Stories gibt’s als Kommentar

4 Kommentare zu Zum 100. Geburtstag von Henry Kuttner

  1. gero sagt:

    Hier die versprochenen bibliographischen Angaben:

    Zunächst mal zu den vier Elak-Stories:

    “Thunder in the Dawn” (1938) ist als “Donner in der Morgendämmerung” sogar zweimal auf Deutsch erschienen, zuerst 1973/74 in Magira 16 u. 17 (Magira war das literarische Magazin des EDFC, d.h. am normalen Lesepublikum dürfte diese Übersetzung größtenteils vorbeigegangen sein) und 1984 in Erhard Ringer, Hermann Urbanek (Hrsg.): Die Götter von Pegana;
    “(The) Spawn of Dagon” (1938) ist mW nie auf Deutsch erschienen;
    “Beyond the Phoenix” (1938) ist als “Jenseits des schlafenden Phoenix” in Verena C. Harksen (Hrsg.): Das Land hinter den Spiegeln (1985) enthalten;
    “Dragon Moon” (1941) ist als “Drachenmond” wieder zweimal veröffentlicht worden, zuerst 1973 in Walter Spiegl (Hrsg.): SF-Stories 20, dann 1987 in Lyon Sprague de Camp (Hrsg.): Drachenmond.

    Dann die beiden Prince-Raynor-Stories:

    “Cursed Be the City” (1939) ist als “Der Fluch der Stadt” in Lin Carter (Hrsg.): Die Zaubergärten (1979) enthalten;
    “The Citadel of Darkness” (1939) ist als “Die Zitadelle in der Dunkelheit” wieder zweimal veröffentlicht worden, zuerst 1973 in Walter Spiegl (Hrsg.): SF-Stories 23, dann 1988 in Lyon Sprague de Camp (Hrsg.): Schwerter und Magie.

    Und schließlich die anderen im Text erwähnten Stories:

    “The Graveyard Rats” (1936) ist z.B. als “Die Friedhofsratten” in Joachim Körber (Hrsg.): Ratten (1993) erschienen, aber auch schon unter dem Titel “Grabräuber” 1965 in Helmuth W. Mommers, Arnulf D. Krauss (Hrsg.): 22 Horror-Stories;

    “Mimsy Were the Borogoves” (1943) ist unter dem Titel “Gar elump war der Pluckerwank” und dem Pseudonym Lewis Padgett mehrfach auf Deutsch erschienen; auf die Schnelle gefunden habe ich: 1978 in Robert Silverberg, Wolfgang Jeschke (Hrsg.): Titan 9; 1980 in Wolfgang Jeschke (Hrsg.): Aufbruch in die Galaxis; 1982 in Hans Joachim Alpers, Werner Fuchs (Hrsg.): Die Vierziger Jahre 1; 1989 in James E. Gunn (Hrsg.): Von Heinlein bis Farmer; es ist gut möglich, dass es noch mehr Ausgaben gibt – aber ganz unabhängig davon: die Geschichte lohnt sich!

    Auch “The Misguided Halo” (1939) hat es als “Der fehlgeleitete Heiligenschein” zu zwei deutschen Ausgaben gebracht: 1979 in Donald R. Bensen (Hrsg.): Straße der Verdammnis und 1982 in Isaac Asimov, Martin H. Greenberg (Hrsg.): Die besten Stories von 1939.

    Und jetzt bin ich froh, dass ich nicht noch mehr Stories im Text erwähnt habe … 😉

  2. Pogopuschel sagt:

    Wieder mal ein toller Artikel zu einem Autor, der mir vom Namen her nur vage bekannt war. Auf Englisch ist einiges von ihm als E-Book erhältlich. Ich werde mir mal “The Best of Henry Kuttner” zulegen, in der auch die “Mimsy”-Geschichte enthalten ist.

    @Gero
    Du solltest deine ausgezeichneten Autorenvorstellungen in einem Lexikon der Phantastikautoren zusammenfassen und herausgeben.

  3. gero sagt:

    @ Pogo:

    In The Best of Best of Henry Kuttner sind ein paar sehr schöne Geschichten drin (ich kenne auch nicht alle, aber gut die Hälfte davon dürften auch auf Deutsch erschienen sein, und ein paar andere habe ich in US-Anthos bzw. einem anderen Kuttner-Storyband); neben “Mimsy” habe ich vor allem noch “The Twonky” in guter Erinnerung. Ganz nett sind auch “The Misguided Halo” und “The Proud Robot”; letztere ist eine der Geschichten mit Galloway Gallegher, in denen besagter Gallegher – ein dem Alkohol gelegentlich sehr zugetaner Erfinder – im Suff die tollsten Dinge erfindet … und sich im nüchternen Zustand dann mit seinen Erfindungen herumschlagen muss. Wenn dir die Geschichte gefällt, gibts auch sämtliche Galloway-Gallagher-Stories in dem Band Robots Have No Tails. Natürlich merkt man ihnen ihren Entstehungszeitpunkt an, aber gerade die Galloway-Gallegher-Geschichten sind für mich typische Magazin-Stories dieser Zeit: locker und leicht konsumierbar, gelegentlich mit einem originellen Twist, nie furchtbar tiefgehend, aber sie funktionieren als angenehme unterhaltsame Snacks für zwischendurch mMn immer noch (ich habe mir vor ein paar Jahren die Paizo-Ausgabe gekauft und habe mich immer noch unterhalten gefühlt … aber natürlich bin ich auch schon ein alter Sack ;)).

  4. Pogopuschel sagt:

    Ich habe jetzt “Mimsy Where the Borogroves” gelesen. Genial. Und dann auch noch aus dieser Zeit, dabei liest sie sich sehr zeitlos. Würde mich nicht wundern, wenn Ted Chiang von dieser Geschichte beeinflusst wurde.

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